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Autor Thema: Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?  (Gelesen 30054 mal)

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Offline Black

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #45 am: 23. Dezember 2008, 17:34:45 »
Zitat
Original von RR-E-ft
@Black

Ich meine mich zu erinnern, dass der BGH bereits in der Entscheidung vom 29.04.2008 (KZR 2/07 Rn. 26) für Erdgas- Sonderverträge ausgeführt hatte, dass § 4 AVBGasV keine solche Leitbildfunktion zukommt.

Der BGH sagte dort

Zitat
Original von BGH
Hiernach kommt § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV Leitbildfunktion für die streitige Preisänderungsklausel nicht zu.

Damit hat der BGH nicht gesagt, dass es ein Leitbild nach AVB nicht gäbe, sondern nur, dass die dort konkret untersuchte Klausel nicht darunter fällt.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #46 am: 23. Dezember 2008, 17:39:30 »
@Black

M.E. gilt das für jede Preisänderungsklausel in einem Sondervertrag. Wäre ja auch komisch, wenn sich der AGB- Verwender aussuchen könnte, ob hinsichtlich seiner konkreten Klausel nun eine Leitbildfunktion bestünde oder aber nicht.

Zitat
Original von RR-E-ft
@Black

Ferner wurde dabei m. E. entschieden, dass  Preisänderungsklauseln in Sonderverträgen der Inhalts- und Transparenzkontrolle gem. § 307 BGB standhalten müssen und es zu einer unangemessenen Benachteiligung führen kann, wenn das Versorgungsunternehmen über Zeitpunkt und Umfang von Preisänderungen entscheiden kann, weil sich daraus ein nicht kontrollierbarer Gestaltungsspielraum für Erhöhungen des Gewinnanteils also eine Verschiebung des Äquivalenzverhältnisses zu Lasten der Kunden ergeben kann (vgl. aaO. Rn. 21).


Zitat
Mangels anderweitiger vertraglicher Vorgaben hat die Beklagte damit die Möglichkeit, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem sie von dem Preisänderungsrecht Gebrauch macht, und durch die in der Preisanpassungsklausel nicht vorgegebene Wahl des Preisanpassungstermins erhöhten Einstandskosten umgehend, niedrigeren Einstandskosten jedoch nicht oder erst mit zeitlicher Verzögerung durch eine Preisänderung Rechnung zu tragen.

Offline Black

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #47 am: 23. Dezember 2008, 18:15:01 »
Die Idee einer Leitbildfunktion der AVB stammt aber von Gesetzgeber (§ 310 Abs. 2 BGB) und BGH selbst:

Zitat
Dem schließt sich der Senat unter Berücksichtigung der Leitbildfunktion des § 6 AVBEltV an. Eine gegenüber Tarifkunden vorteilhaftere Behandlung der Sonderkunden erscheint auch in diesem Fall nicht gerechtfertigt. Der Verordnungsgeber hat im Tarifkundenbereich ein Einzellimit für erforderlich angesehen, um das Haftungspotential der Energieversorgungsunternehmen angemessen zu begrenzen. Aus welchem Grunde dies im Sonderkundenbereich nicht gelten soll, ist nicht einzusehen. Die Sonderabnehmer erhalten den Strom regelmäßig zu günstigeren, zumindest aber nicht zu höheren Preisen als Tarifkunden (vgl. Senatsurteil vom 9. Juni 1959 aaO unter 1 b). Es fehlt daher an einer Gegenleistung, die eine gegenüber Tarifkunden erhöhte Haftung der Energieversorgungsunternehmen im Sonderkundenbereich rechtfertigen würde.
BGH Urteil vom 25.02.98 (Az.: VIII ZR 276/96)
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Offline RR-E-ft

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #48 am: 23. Dezember 2008, 18:18:55 »
@Black

§ 6 AVBEltV (Haftungsbegrenzung des EltVU) wurde von der Rechtsprechung Leitbildfunktion im weiteren Sinne beigemessen.
Mehr auch nicht.

Genaue Betrachtung

Zitat
Allerdings hält die angegriffene Klausel einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG – entgegen der Ansicht der Revision – nicht bereits deshalb stand, weil sie der Bestimmung des § 6 Abs. 1 AVBEltV entspricht und diese eine gesetzliche Regelung im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG darstellt, an deren \"Leitbild\" sich eine Inhaltskontrolle auszurichten hätte.

Daraus lässt sich nicht ableiten, dass jeder gesetzlichen Regelung für Tarifkunden/ \"gesetzlich\" belieferte Kunden eine Leitbildfunktion zugemessen werden könne.

Es bedarf vielmehr der Betrachtung im Einzelfall und diese ist für § 4 AVBGasV so ausgefallen wie oben aufgeführt, anders als bei § 6 AVBEltV.
Ohne Rücksicht auf die AGB- Klausel wurde geprüft, ob der einzelnen Bestimmung der Verordnung eine \"Leitbildfunktion im weiteren Sinne\" zukommt.

Zitat
Allerdings kann den Bestimmungen der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden ebenso wie den Bestimmungen der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden, obwohl sie für Sonderverträge nicht gelten, \"Leitbildfunktion im weiteren Sinne\" zukommen (BGHZ 138, 118, 126 ff.). Indessen ist eine solche Funktion den Vorschriften der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden nicht pauschal beizumessen, sondern jeweils für die einzelne in Rede stehende Bestimmung zu prüfen. Damit wird auch dem Umstand angemessen Rechnung getragen, dass nach § 310 Abs. 2 BGB zwar die §§ 308, 309 keine Anwendung auf Verträge über die Versorgung von Sonderabnehmern mit Gas finden, soweit die Versorgungsbedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von Verordnungen über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden abweichen, die allgemeine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB jedoch nicht ausgeschlossen ist.

Hiernach kommt § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV Leitbildfunktion für die streitige Preisänderungsklausel nicht zu.

Damit kommt dieser Norm eine Leitbildfunktion für Preisänderungsklauseln nicht zu.

Offline ESG-Rebell

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #49 am: 23. Dezember 2008, 20:23:43 »
Zitat
Original von RR-E-ft
... Diese zeitlich befristete [Ersatzversorgung] erfolgt auf gesetzlicher Grundlage ...

Black monierte:

Zitat
Original von Black
Die Ersatzversorgung ist kein Vertrag sondern ein gesetzliches Schuldverhältnis. Insoweit ist § 315 BGB nicht anwendbar, da er ein Leistungsbestimmungsrecht in einem Vertrag erfordert:
§ 315 BGB (1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, ...
Hat er Recht?
Ist ein Unbilligkeitseinwand bei Belieferung in der Ersatzversorgung schon deshalb ausgeschlossen?

Hat der Gesetzgeber etwa übersehen, dass der Verbraucher auch dann einen Schutz benötigt, wenn er jemandem per Gesetz ein einseitiges Preisanpassungsrecht zuweist und den Verbraucher dadurch fahrlässig der Gefahr unbegrenzt hoher Forderungen ausgesetzt?

Falls ja, so wären die Schuldigen dafür wohl unter den Intelligenzbestien zu suchen, die das EnWG geklöppelt haben, welches ja das deutlich jüngere Gesetz ist.

Gruss,
ESG-Rebell.

Offline RR-E-ft

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #50 am: 23. Dezember 2008, 20:34:20 »
@ESG-Rebell

Die Ersatzversorgung ist ein gesetzliches Schuldverhältnis, da die Belieferung gerade keinem Vertragsverhältnis zugeordnet werden kann.

Da die Lieferung nicht auf einem Vertragsverhältnis beruht, ist folglich zwischen dem Kunden und dem Lieferanten auch kein Entgelt für die Lieferungen vertraglich vereinbart worden, da schon kein Vertrag.

Damit stellt sich die Frage, zu welchen Entgelten die Lieferungen im Rahmen dieses gesetzlichen Schuldverhältnisses erfolgen, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie zwischen Kunde und Lieferant nicht - insbesondere nicht vor der Lieferung - vertraglich vereinbart worden sind (kein Vertragsverhältnis!).

Aus den Bestimmungen der GVV ergibt sich ohne weiteres, dass der Grundversorger berechtigt ist, die Entgelte für die von ihm geschuldete Ersatzversorgung durch öffentliche Bekanntgabe einseitig festzusetzen und zu ändern.

Es handelt sich dabei um ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB, auf welches die gerichtliche Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB unmittelbare Anwendung findet.

BGH, Urt. v. 19.11.2008 (VIII ZR 138/07) Rn. 26:

Zitat
Die Ausübung des sich aus diesen Vorschriften von Gesetzes wegen ergebenden Leistungsbestimmungsrechts unterliegt der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB ebenso wie eine einseitige Leistungsbestimmung auf vertraglicher Grundlage (BGHZ 172, 315, Tz. 14 ff.).

Wenig vorstellbar ist auch, dass dabei ein \"Preissockel\" vereinbart sei, nachdem schon keinerlei vertragliche Vereinbarung hinsichtlich dieser Lieferung zwischen dem Kunden und dem Grundversorger getroffen wurde.

Als es die Ersatzversorgung noch nicht gab, nannte man die Belieferung im \"vertraglosen Zustand\" Interimsverhältnis und wandte auf deren Entgelte § 315 BGB entsprechend an (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1991 VIII ZR 240/90). Dogmatisch ist kein Grund ersichtlich, die Sache nun anders zu beurteilen, ist doch die Situation vergleichbar, nämlich Belieferung ohne vorherige vertragliche Preisvereinbarung/ Entgeltfindung unter Kontrahierungszwang des Lieferanten.

Wenig zielführend sind solche Beiträge:

Zitat
Hat er Recht?
Ist ein Unbilligkeitseinwand bei Belieferung in der Ersatzversorgung schon deshalb ausgeschlossen?

Hat der Gesetzgeber etwa übersehen, dass der Verbraucher auch dann einen Schutz benötigt, wenn er jemandem per Gesetz ein einseitiges Preisanpassungsrecht zuweist und den Verbraucher dadurch fahrlässig der Gefahr unbegrenzt hoher Forderungen ausgesetzt?

Falls ja, so wären die Schuldigen dafür wohl unter den Intelligenzbestien zu suchen, die das EnWG geklöppelt haben, welches ja das deutlich jüngere Gesetz ist.

Möglicherweise wurde vergessen, wie das EnWG 2005 zustande gekommen ist. Das Kartell- Deutschland im Griff der Energiekonzerne

Was nutzt die Suche nach \"Schuldigen\", wenn man nicht weiß, wie man mit ihnen umgehen soll, wenn man sie denn gefunden hat.

Offline Black

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #51 am: 23. Dezember 2008, 22:42:51 »
Zitat
Original von RR-E-ft
Es handelt sich dabei um ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB, auf welches die gerichtliche Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB unmittelbare Anwendung findet.

BGH, Urt. v. 19.11.2008 (VIII ZR 138/07) Rn. 26:.

Bei einem gesetzlichen Leistungsbestimmungsrecht innerhalb eines vertraglichen Schuldverhältnisses hat der BGH eine Anwendung des § 315 BGB bejaht. Also bei der Grundversorgung.

Bei der Ersatzversorgung liegt aber gerade kein vertragliches Schuldverhältnis vor. Zur Ersatzversorgung hat der BGH im Urteil v. 19.11.2008 keine Aussage getroffen, insoweit geht ein entsprechendes Zitat fehl.

Auch der Wortlaut des § 315 BGB verlangt ausdrücklich ein Leistungsbestimmungsrecht zwischen Vertragsschließenden. Wer nicht zwischen gesetzlichem Schuldverhältnis und gesetzlichem Leistungsbestimmungsrecht innerhalb eines vertraglichen Schuldverhältnisses unterscheiden kann oder will, dem sei folgende Übersicht empfohlen:

Schuldverhältnis: vertraglich
einseitiges Leistungsbestimmungsrecht: aus Vertrag
§ 315 BGB: anwendbar,  Grundfall des § 315


Schuldverhältnis: vertraglich
einseitiges Leistungsbestimmungsrecht: aus Gesetz
§ 315 BGB: anwendbar nach BGH, energierechtlich der Standartfall

Schuldverhältnis: gesetzlich
einseitiges Leistungsbestimmungsrecht: aus Gesetz
§ 315 BGB: keine Anwendbarkeit, keine BGH Entscheidung dazu
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Offline RR-E-ft

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #52 am: 23. Dezember 2008, 22:47:35 »
@Black

Dass innerhalb der Ersatzversorgung dem gesetzlich versorgungspflichtigem Grundversorger ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB zusteht, steht wohl außer Zweifel.

Nur deshalb kann der Grundversorger die Allgemeinen Preise der Ersatzversorgung überhaupt durch öffentliche Bekanntgabe einseitig festsetzen und ändern. Sonst fehlte ihm die entsprechende Befugnis dazu und man müsste wie bereits zuvor bei den Interimsverhältnissen weiter auf eine entsprechende Anwendung der §§ 316, 315 BGB zurückgreifen (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1991 Az. VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183).

Dass auf ein solches gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht § 315 BGB unmittelbare Anwendung findet, wurde mehrfach entschieden. Darauf bezog sich das Zitat.

In der Entscheidung vom 13.06.2007 (VIII ZR 36/06) Rn. 14 f.  heißt es dazu zum Beispiel:

Zitat
Ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB kann einer Vertragspartei nicht nur durch vertragliche Vereinbarung, sondern auch durch Gesetz eingeräumt werden (BGHZ 126, 109, 120 zu § 12 Abs. 3 Gesetz über Arbeitnehmererfindungen; Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Aufl., § 315 Rdnr. 4; Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl., § 315 Rdnr. 29; Bamberger/ Roth/Gehrlein, BGB, 2003, § 315 Rdnr. 3; Staudinger/Rieble, BGB (2004), § 315 Rdnr. 255; Erman/Hager, BGB, 11. Aufl., § 315 Rdnr. 10).

So verhält es sich hier. Die Beklagte hat als Energieversorgungsunternehmen, das die allgemeine Versorgung von Letztverbrauchern durchführt, allgemeine Tarife für die Versorgung in Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und zu diesen Tarifen jedermann an ihr Netz anzuschließen und zu versorgen, [§ 10 Abs. 1 des hier anwendbaren Energiewirtschaftsgesetzes vom 24. April 1998, BGBl. I S. 730, EnWG 1998].

In der Entscheidung vom 03.04.2008 (KZR 29/06) Rn. 20 f. heißt es dazu zum Besipiel:

Zitat
Ebenso wie der Gesetzgeber den Energieversorgern, die nach § 10 EnWG 1998 allgemeine, d.h. für jedermann geltende Tarife aufzustellen haben, hierdurch ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt hat (BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17), ist damit den Netzbetreibern, die allein über die für die Bestimmung des zulässigen Preises erforderlichen tatsächlichen Kenntnisse verfügen, das Recht gegeben worden, unter Beachtung der Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes und gegebenenfalls der durch Rechtsverordnung konkretisierten Kriterien allgemeine Entgelte für die Netznutzung zu bilden.

Die energiewirtschaftsrechtlichen Kriterien für das zulässige Netznutzungsentgelt stehen damit, wie der Senat bereits entschieden hat (BGHZ 164, 336, 341 – Stromnetznutzungsentgelt I; BGH WuW/E DE-R 1730, 1731 f. – Stromnetznutzungsentgelt II), einem Verständnis der Preisbestimmung als Bestimmung des billigen Entgelts im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Der Maßstab der Billigkeit und Angemessenheit ist lediglich kein individueller, sondern muss aus der typischen Interessenlage des Netznutzungsverhältnisses und den für dessen Ausgestaltung maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben gewonnen werden (vgl. BGHZ 115, 311, 317 ff.; BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17).

Klar ist demnach, dass § 315 BGB ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1  BGB erfordert, welches sich nicht nur aus vertraglicher Vereinbarung, sondern auch aus einem Gesetz ergeben kann.

Mir ist noch keine Entscheidung des BGH bekannt geworden, welche die Ersatzversorgung gem. § 38 EnWG betrifft.

Offline Black

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« Antwort #53 am: 25. Dezember 2008, 11:50:30 »
In der Ersatzversorgung mag ein gesetzliches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Versorgers bestehen. Es handelt sich aber nicht um ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB.

Der § 315 BGB selbst gewährt kein Leistungsbestimmungsrecht, sondern regelt nur die Rechtsfolge wenn ein solches Leistungsbestimmungsrecht in einem Vertragsverhältnis besteht.


die Prüfungsreihenfolge für § 315 BGB sieht nämlich so aus:

1. vertragliches Schuldverhältnis?
2. vertraglich vereinbartes oder gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht?
3. Billigkeit der getroffenen Leistungsbestimmung?

Im Rahmen der Grundversorgung gilt:

1. vertragliches Schuldverhältnis? (+)
2. vertraglich vereinbartes oder gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht? (+)
3. Billigkeit der getroffenen Leistungsbestimmung?

Bei der Ersatzversorgung aber:

1. vertragliches Schuldverhältnis? (-)
2. (...)


Einseitige Leistungsbestimmungsrechte außerhalb vertraglicher Schuldverhältnisse sind vom § 315 BGB nicht umfasst.
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Offline jofri46

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« Antwort #54 am: 25. Dezember 2008, 17:52:25 »
Nimmt die Diskussion hier nun nicht etwas sophistische Züge an?
Wie wär\'s mit den §§ 241, 242 BGB (die gehen doch fast immer) und analog dazu § 315 BGB?

Offline ESG-Rebell

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« Antwort #55 am: 26. Dezember 2008, 11:37:11 »
Zitat
Original von jofri46
Wie wär\'s mit den §§ 241, 242 BGB?
Diese gelten nicht für die Energiewirtschaft - nach Ansicht derselben.
Indizien dafür:
  • Energisches Bestreben um jeden Preis, die Leistung (Entgelt) ohne jegliche wirksame regulierende Eingriffe einseitig festlegen zu dürfen. Wie ist das vereinbar mit \"... zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.\"
  • Vorbehaltlose bzw. vorsätzliche Abwälzung überhöhter Kostenbestandteile auf die Kunden.
  • Heimliche Vereinnahmung, also Unterschlagung von Kosteneinsparung durch gesunkene Netzentgelte.
  • Kleinkrieg gegen einzelne Verbraucher. Drohung, Einschüchterung, Desinformation. Wie ist das vereinbar mit  \"... wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.\" Andererseits: Man könnte auch statuieren, das dieses Vorgehen bereits die normale \"Verkehrssitte\" im Energiebereich darstellt.
Gruss,
ESG-Rebell.

Offline RR-E-ft

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« Antwort #56 am: 27. Dezember 2008, 17:35:47 »
@Black

Ich kann Ihre Argumentation nicht mehr nachvollziehen.

Hat der Grundversorger gegen den ersatzbelieferten Kunden einen Zahlungsanspruch entsprechend § 433 Abs. 2 BGB ?
Ich neige dazu, diese Frage zu bejahen.

Sonst würde man wohl dazu kommen, dass in § 38 EnWG nur die Versorgungspflicht des Grundversorgers gesetzlich geregelt ist, und dessen Recht, Allgemeine Preise der Ersatzversorgung festzusetzen und zu bilden, nicht aber die Zahlungspflicht des Kunden.

Gibt es demnach keine vertraglich/ gesetzlich geregelte Zahlungspflicht des Kunden, könnte sich die Frage nach der Billigkeit möglicherweise naturgemäß schon erübrigen.

So ist es aber nicht.

Es besteht ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht des Grundversorgers und auf dieses findet § 315 BGB unmittelbare Anwendung.

Offline jofri46

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« Antwort #57 am: 27. Dezember 2008, 20:53:43 »
Wenn ich Black richtig verstehe, unterscheidet er  bei der unmittelbaren Anwendung von § 315 BGB zwischen Grundversorgung und Ersatzversorgung.

Einigkeit besteht wohl darüber, dass in der Grundversorgung § 315 BGB unmittelbar Anwendung findet. Für die Ersatzversorgung will Black das offenbar nicht gelten lassen.

Der Grundversorger ist zugleich Ersatzversorger.

Die Ersatzversorgung ist auf drei Monate befristet (§ 38 Abs. 2 EnWG). Entnimmt der Kunde nach Fristablauf weiter Gas, kommt es durch den weiteren Gasbezug zum Abschluss eines Grundversorgungsvertrages (§ 2 Abs. 2 GasVV).

Ein Streit darüber, ob § 315 BGB unmittelbar auch auf die  Preise für die Ersatzversorgung anwendbar ist, kann m. E. schon im Hinblick auf deren Befristung vernachlässigt werden, aber auch deshalb, weil bei Belieferung von Haushaltskunden (um die es hier wohl vorrangig geht) die Preise der Ersatzversorgung die der Grundversorgung nicht übersteigen dürfen (§ 38 Abs. 1 Satz 3 EnWG).

Wenn nun der Grundversorger zugleich Ersatzversorger ist, für die Preise der Grundversorgung § 315 BGB unmittelbar gilt und diese Preise Obergrenze in der Ersatzversorgung sind, wird m. E. auch auf die Preise in der Ersatzversorgung § 315 BGB unmittelbar anzuwenden sein. Alles andere wäre Haarspalterei.

Offline RR-E-ft

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« Antwort #58 am: 27. Dezember 2008, 21:05:07 »
@jofri46

Wenn hinsichtlich der Ersatzversorgung ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht besteht und mangels vertraglicher Vereinbarung denknotwendig kein Anfangspreis/ Preissockel vertraglich  vereinbart sein kann, so könnte dabei der Gesamtpreis der Billigkeitskontrolle unterliegen. Diese Frage steht nicht damit im Zusammenhang, ob bei der Grundversorgung der Anfangspreis einer Billigkeitskontrolle unterliegt. § 38 EnWG lässt es zu, dass die Allgemeinen Preise der Ersatzversorgung niedriger liegen als die Preise der Grundversorgung. In welcher Höhe die Allgemeinen Preise der Ersatzversorgung liegen, ist eine Ermessensentscheidung des Grundversorgers, der diese Preise durch öffentliche Bekanntgabe festlegt.

Offline Black

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« Antwort #59 am: 28. Dezember 2008, 02:02:16 »
Zitat
Original von jofri46
Wenn ich Black richtig verstehe, unterscheidet er  bei der unmittelbaren Anwendung von § 315 BGB zwischen Grundversorgung und Ersatzversorgung.

Einigkeit besteht wohl darüber, dass in der Grundversorgung § 315 BGB unmittelbar Anwendung findet. Für die Ersatzversorgung will Black das offenbar nicht gelten lassen.
(...)
Ein Streit darüber, ob § 315 BGB unmittelbar auch auf die  Preise für die Ersatzversorgung anwendbar ist, kann m. E. schon im Hinblick auf deren Befristung vernachlässigt werden, aber auch deshalb, weil bei Belieferung von Haushaltskunden (um die es hier wohl vorrangig geht) die Preise der Ersatzversorgung die der Grundversorgung nicht übersteigen dürfen (§ 38 Abs. 1 Satz 3 EnWG).

Das § 315 BGB für die Grundversorgung Anwendung findet ist schon seit Längerem durch alle gerichtlichen Instanzen entschieden. Es wundert mich daher, dass dies hier noch immer wieder betont wird. Aber sei es drum.

Die Frage der Anwendbarkeit des § 315 BGB auf die ersatzversorgung ist tatsächlich derzeit noch juristische Gedankenspielerei. Es mag unbefriedigend sein für die Ersatzversorgung zu einem anderen Ergebnis zu kommen als für die Grundversorgung. Dabei ist aber zu bedenken, dass bei der Fassung des § 315 BGB nicht speziell an Energieversorgungsverträge gedacht wurde. Daher findet sich diese Regelung nicht im EnWG sondern im BGB und ihre Anwendbarkeit war früher generell umstritten.

Nun kommt man aber nicht umhin festzustellen, dass § 315 BGB nach dem Willen des Gesetzgebers eben für \"Vertragsschließende\" also Parteien eines Vertrages gelten soll. Und ein Vertrag liegt eben bei der Ersatzversorgung gerade nicht vor. Die ersatzversorgung ist insoweit ein rechtlicher Sonderfall eines gesetzlichen Schuldverhältnisses.

Es wundert mich, dass die hier anwesenden Juristen sich nicht die Mühe einer sachlichen Prüfung des Tatbestandes der Norm machen, sondern lieber vom Ergebnis her nach dem Motto \"weil nicht sein kann, was nicht sein darf\" argumentieren. Ich kann aber nicht eine gesetzliche Norm nur deshalb gelten lassen wollen, weil mir das Ergebnis gerade passt ohne ihren Tatbestand erfüllt zu haben.
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