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Autor Thema: Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?  (Gelesen 28161 mal)

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Offline Black

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #75 am: 29. Dezember 2008, 18:58:24 »
Zitat
Original von RR-E-ft
Schrieb ich wohl schon.

§ 433 BGB?

Sie gehen recht locker mit gesetzlichen Tatbeständen um. Für § 433 BGB fehlt es am Vertrag.

Jemand der schon bekrittelt und bezweifelt ob das normierte Recht auf Rechnungsstellung auch einen Zahlungsanspruch beinhaltet, sollte darüber, dass § 433 BGB einen (Kauf)vertrag erfordert nicht so leicht hinwegkommen.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #76 am: 29. Dezember 2008, 19:00:46 »
@Black

Ich meine, bereits ausgeführt zu haben, dass § 433 Abs. 2 BGB bei Energielieferungen nach h.M. seit eh und je entsprechend angewendet wird, obschon die Norm offensichtlich nicht direkt angewendet werden kann (insbesondere bei Elektrizität und Fernwärme). Den Fällen ist oft gemein, dass ein Vertragsschluss durch die erfolgten Energielieferungen lediglich fingiert wurde.

§ 38 EnWG enthält die Fiktion einer Energielieferbeziehung.

Zitat
gilt die Energie als von dem Unternehmen geliefert, das nach § 36 Abs. 1 berechtigt und verpflichtet ist. Die Bestimmungen dieses Teils gelten für dieses Rechtsverhältnis

Salje führt in seinem Kommentar § 38 EnWG, Rn. 3 von einer Beleihung des Versorgers durch die Norm die Rede, was m. E. nicht zutrifft. Unter Beleihung versteht man die Übertragung von Hoheitsrechten auf Private. Da gilt es einiges mit Vorsicht zu genießen.

Offline Black

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #77 am: 29. Dezember 2008, 20:20:32 »
Zitat
Original von RR-E-ft
@Black

Ich meine, bereits ausgeführt zu haben, dass § 433 Abs. 2 BGB bei Energielieferungen nach h.M. seit eh und je entsprechend angewendet wird, obschon die Norm offensichtlich nicht direkt angewendet werden kann (insbesondere bei Elektrizität und Fernwärme).

Dieser Streit über die Anwendbarkeit des § 433 BGB beruht  auf der Frage ob Energie als Kaufsache i.S.d. § 433 BGB zu verstehen ist. Während einige hier (wobei auch dort noch zwischen Strom und Gas zu unterscheiden ist) § 433 BGB direkt anwenden möchten (wenn ich mich Recht erinnere z.B. Palandt) lösen andere das Problem über § 453 Abs. 1 BGB und klassifizieren Energie als \"sonstige Gegenstände\". Auch dies führt zu einer Anwendbarkeit des Kaufrechts.

Bei allen diesen Positionen ist jedoch unstreitig, dass ein Vertrag zwischen Kunden und Versorger voraussetzung ist. Mir ist bislang keine Auffassung bekannt, die§ 433 BGB auf ein gesetzliches SV ohne Vertrag anwenden möchte.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline jofri46

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #78 am: 29. Dezember 2008, 21:56:22 »
Kommt denn durch \"faktischen Vollzug\" gem. § 38 EnWG nicht konkludent ein
Vertrag zustande (vgl. BGH VIII ZR 279/02, Urteil vom 30.04.2003) und damit ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gem. § 433 Abs. 2 BGB, zumindest für Gas als Kaufsache (vgl. BGH VIII ZR 125/06, Urteil vom 07.03.2007)?

Offline RR-E-ft

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #79 am: 29. Dezember 2008, 22:25:31 »
Also bei der Grundversorgung wird § 433 Abs. 2 BGB entsprechend angewandt, auch wenn es sich bei Energie in Form von Strom und Fernwärme um keine Sachen handelt und der Umfang der künftigen Lieferung vorher nicht feststeht. Anders als beim Kaufvertrag besteht bei Energielieferungsverträgen regelmäßig keine Abnahmeverpflichtung. Wer einen Stromlieferungsvertrag abgeschlossen hat, mag zwar ggf.  zur Bedarfsdeckung, nicht aber zum Strombezug selbst verpflichtet sein. Wer keinen Bedarf hat, ist auch nicht verpflichtet Strom abzunehmen und zu vergüten.  All das unterscheidet Energielieferungsverträge grundsätzlich von Kaufverträgen und es endet keinesfalls beim Begriff \"Sache\". Oft vermittelt ein Energielieferungsvertrag lediglich ein Bezugsrecht ohne Abnahmeverpflichtung.

In § 38 Abs. 1 Satz 2 EnWG heißt es,  die Bestimmungen dieses Teils gelten für dieses Rechtsverhältnis mit der Maßgabe...

Gemeint ist wohl der Teil 4 \"Energielieferungen an Letztverbraucher\" (§§ 36 bis 42 EnWG). Anscheindend  eine Rückverweisung auf § 36 EnWG mit der Folge, dass auch dabei § 433 Abs. 2 BGB entsprechende Anwendung findet, nur eben mit den Modifikationen, wie sie in § 38 Abs. 1 Satz 2 und 3 EnWG sodann aufgeführt sind.

Anders wäre § 38 Abs. 1 Satz 2 EnWG schwer bzw. gar nicht verständlich.

Bei dieser Lesart ergibt sich eben die Zahlungsverpflichtung nicht unmittelbar aus § 38 EnWG, sondern erst über die (notwendige) Verweisung in § 38 Abs. 1 Satz 2 EnWG, welche im Übrigen lediglich Modifikationen enthält. Der fiktive Lieferant, der dem Verkäufer gleichgestellt ist, hat das Recht, gesonderte Preise festzusetzen und für die Energielieferungen in Rechnung zu stellen.

Ohne diese Verweisung ist in § 38 EnWG selbst weder eine Zahlungsverpflichtung statuiert noch ein Zahlungsverpflichteter benannt. Das ergibt sich erst aus der entsprechenden Anwendung des § 433 Abs. 2 BGB, wie bei anderen Energielieferungen an Letztverbraucher auch.

Das ist meine Meinung dazu. Salje mag es anders sehen. Aber bei dem werden ja auch Grundversorger noch beliehen.

Offline Black

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #80 am: 30. Dezember 2008, 10:45:08 »
Zitat
Original von jofri46
@Black

\"Quasi-Vertrag\" bezeichnet ein gesetzliches Schuldverhältnis, bei dem Rechte und Pflichten, Leistung und Gegenleistung, einem vertraglichen Schuldverhältniss gleichen. So ist es auch im Falle der Ersatzversorgung.

Ist der Begriff des \"Quasi-Vertrages\" ihre eigene Kreaktion oder gibt es hierfür Quellen?

Zitat
Original von jofri46Kann ein gesetzliches Schuldverhältnis nicht zugleich ein rechtsgeschäftsähnliches Schuldverhältnis i. S. des § 311 BGB darstellen?

Nein, kann es nicht. Es geht nur das eine oder das andere. Wenn man es darauf anlegt könnte man natürlich ein gesetzliches SV noch einmal zusätzlich vertraglich vereinbaren und so eine Doppelnatur erreichen. Aber Ersatzversorgung tritt eben nur ein, wenn ausdrücklich kein Vertrag vorliegt.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline jofri46

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #81 am: 30. Dezember 2008, 12:13:28 »
\"Quasi-Vertrag\" ist ein historischer Rechtsbegriff und bezeichnet alle Verbindlichkeiten schuldrechtlicher Natur, die weder aus einem Vertrag noch aus Delikt herrühren. So zumindest habe ich es, in aller Kürze, noch in Erinnerung. Quellen für den Begriff gibt es zuhauf. Google hilft hier weiter.

Offline RR-E-ft

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #82 am: 30. Dezember 2008, 12:43:58 »
@Black

Laut Creifelds Rechtswörterbuch ist der Quasikontrakt ein Begriff des römischen Rechts. Der Begriff Quasivertrag findet sich im Deutschen Rechtswörterbuch, erstbelegt 1794. Manche verwenden Quasivertrag und faktischen Vertrag synonym. In der Erstbelegung wird der uneigentliche Vertrag oder Quasivertrag hingegen vom \"wahren Vertrag\", der auch stillschweigend abgeschlossen sein kann, unterschieden.

Offline tangocharly

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Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
« Antwort #83 am: 30. Dezember 2008, 18:29:54 »
So wurde das Thema im Bundestag debattiert, auf der Grundlage des Entwurfs des neuen EnwG auf Vorlage der Bundesregierung
BT-Drucksache 15/3917, S. -66-

Zitat
Zu § 38 (Ersatzversorgung mit Energie)
Die Vorschrift begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis, wenn die Energieversorgung in Niederspannung oder Niederdruck ohne vertragliche Grundlage allein aufgrund der Entnahme durch den Letztverbraucher erfolgt. Der Grundversorger ist berechtigt, für die Ersatzversorgung gesonderte allgemeine Preise zu veröffentlichen, die über den Preisen der Grundversorgung liegen können. Letzteres gilt jedoch nicht für Haushaltskunden. Angesichts des Übergangscharakters dieses Rechtsverhältnisses ist es zeitlich begrenzt.

Also, wenn der Gesetzgeber das selbst schon so gesehen hat, dann wird die Diskussion über das \"gesetzliche Schuldverhältnis\" müßig. Mir persönlich gefällt diese Kategorie auch nicht.
Das  erwähnte \"faktische Vertragsverhältnis\" wäre m.E. auch passender, d.h. auf der Grundlage des \"so gilt als\"-Satzes in § 38 EnWG
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