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Autor Thema: Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?  (Gelesen 112545 mal)

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Offline RR-E-ft

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #135 am: 04. Juni 2009, 19:01:57 »
@jofri46

Der BGH hatte das Massengschäft der Sparkassen im Blick, welches sich nicht grundsätzlich vom Massengeschäft anderer Branchen unterscheidet. Weil es sich um Massengeschäft handelt, finden überhaupt nur AGB statt individueller Vereinbarungen Anwendung und diese AGB wiederum unterliegen aus guten Gründen gesetzlichen Restriktionen, u.a. § 307 BGB.

Die jüngste Entscheidung BGH, Urt. v. 21.04.2009 [XI ZR 78/08] nennt mehrere Anforderungen für die Wirksamkeit von Preisänderungsklauseln.

Die Entscheidung knüpft an mehrere darin konkret  zitierte  Entscheidungen des BGH auch zu Preisänderungsklauseln und Preisänderungen in Energielieferungsverträgen an, weil es dabei um eine generell abstrakte Betrachtung geht, die im allgemeinen Vertragsrecht wurzelt, wonach ein bei Vertragsabschluss vereinbarter Preis grundsätzlich für beide Vertragsteile gleichermaßen verbindlich und verpflichtend ist. Der Lieferant hat sich bei Vertragsabschluss verpflichtet, zum vereinbarten Preis zu liefern und ist deshalb an diese vertragliche Verpflichtung gebunden und kann sich nicht einfach aus dieser stehlen.  

Vorbehalt des Rechts zur Preiserhöhung nur im Umfang konkreter Kostensteigerungen nach Vertragsabschluss (klar sonst nachträgliche Erhöhung des Gewinnanteils am Preis) und auch nur (quasi spiegelbildlich) gegen die - ohne jedwedes Ermessen -  eingangene Verpflichtung des Klauselverwendrs zur Preissenkung im Umfange von nach Vertragsabschluss eingetretener Kostensenkungen (weil auch Nichtweitergabe oder unvollständige Weitergabe  von Kostensenkungen zur nachträglichen Erhöhung des Gewinnanteils am Preis führt).

Ein eingeräumtes Sonderkündigungsrecht oder die Möglichkeit einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle können aus dort zutreffend genannten Gründen keine Kompensation schaffen, was gefestigter BGH- Rechtsprechung entspricht.

Offline tangocharly

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #136 am: 04. Juni 2009, 20:44:03 »
Der BGH betont in dieser Entscheidung wiederholt, dass es sich bei der Zinsanpassungsklausel nur um eine besondere Form einer Preisanpassungsklausel handelt. Dies halte ich für selbstverständlich. Dabei kommt es nicht auf die Unterscheidung zwischen Geschäfte der Daseinsvorsorge oder von Massengeschäften an.

Was der BGH aber erneut - und wie ich meine mit nicht zu überbietender Klarheit - heraustellt ist (Entscheidungsgründe, Tz. 32):

Zitat
(3) Danach benachteiligt die angegriffene Klausel die Kunden auch insoweit unangemessen, als sie ein Zinsanpassungsrecht der Beklagten vorsieht. Auch ein solches benachteiligt die Kunden nur dann nicht unangemessen, wenn das Äquivalenzverhältnis gesichert ist, die Klausel mithin eine Bindung der Bank an den Umfang des Kostenanstiegs vor-sieht und eine Verpflichtung der Bank enthält, Kostenminderungen an die Kunden weiter zu geben, ohne dass die Bank insoweit ein Ermessen hat (siehe schon BGHZ 97, 212, 217 f.; vgl. auch Staudinger/Kessal-Wulf, BGB (2004), § 492 Rn. 30 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird Nr. 17 Abs. 2 Satz 1 AGB nicht gerecht (siehe schon unter II 3 b cc).
.

Also, wenn dem VIII. Senat bei seiner RSpr. zu § 315 BGB die Wahrung des Äquivalenzprinzips nur genau so wichtig wäre, wie die Wahrung der Vertragsautonomie für Versorger im Umgang mit konkludenten (besser lethargischen) Verbrauchern ......
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Offline RR-E-ft

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #137 am: 05. Juni 2009, 00:00:55 »
@tangocharly

Tatsächlich spricht der XI. Zivilsenat des BGH nunmehr bisher unübertroffen Tacheles, nachdem Nobbe im Unruhestand ist.

§ 315 BGB ist m. E. jedoch eigentlich kein Instrument zur Wahrung eines bereits vertraglich begründeten  Äquivalenzverhältnisses (a.A. BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07).

§ 315 BGB steht als Alternative zur Preisvereinbarung bei Vertragsabschluss und somit zur vertraglichen Begründung eines vertraglichen Äquivelenzverhältnisses zur Verfügung.

Man kann sich nicht auf einen Preis bzw. ein vertragliches Äquivalenzverhältnis einigen und zugleich dem einen Vertragsteil vertraglich ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSv § 315 Abs. 1 BGB einräumen. Dies verstieße gegen Denkgesetze (vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 24/04).

Im Falle der vertraglichen Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts unterliegt der Preis von Anfang an insgesamt der Billigkeitskontrolle (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.2007- VIII ZR 36/06 Tz. 32; BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 10).

Warum es anders sein sollte/könnte, wenn sich das einseitige Leistungsbetimmungsrecht eines Vertragsteils aus einem Gesetz ergibt, leuchtet mir nicht recht ein.

Erst recht darf § 315 BGB nicht dazu dienen, einen entgegen §§ 1 Abs.1, 2 Abs. 1 EnWG überhöhten Gewinnanteil (als vorgefasstes Äquivalenzverhältnis) für die Zukunft weiter zu sichern und zu erhalten (a.A. BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07).

Bei bestehendem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des einen Vertragsteils bezüglich der vertraglichen Hauptleistungspflicht seines Vertragspartners  ist der entsprechend Berechtigte jederzeit (aus § 315 BGB gesetzlich) verpflichtet, die Leistung (unter Berücksichtigung der naturgemäß gegenläufigen Interessen beider Vertragsteile und unter umfassender Würdigung des Vertragszwecks) der Billigkeit entsprechend festzusetzen (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2007 - III ZR 277/06 Tz. 20;BGH, Urt. v. 07.02.2006 -KZR 8/05; BGH, Urt. v. 05.07.2005 - X ZR 60/04; BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90).

Offline Black

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« Antwort #138 am: 05. Juni 2009, 09:45:47 »
Zitat
Original von RR-E-ft

Man kann sich nicht auf einen Preis bzw. ein vertragliches Äquivalenzverhältnis einigen und zugleich dem einen Vertragsteil vertraglich ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSv § 315 Abs. 1 BGB einräumen. Dies verstieße gegen Denkgesetze (vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 24/04).

Wir haben Vertragsfreiheit. Zwei Parteien können sich auf alles einigen, was nicht verboten oder sittenwidrig ist. Es gibt daher keinen Grund, warum nicht vereinbart werden kann \"Preis X gilt jetzt (Anfangspreis) kann aber zu einem späteren Zeitpunkt des Dauerschuldverhältnis durch einen noch (einseitig) zu bestimmenden Preis ersetzt werden\"
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

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« Antwort #139 am: 05. Juni 2009, 15:41:46 »
@Black

Ich meine, dass eine solche vertragliche Regelung wegen § 154 I BGB nichtig ist (vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2007 - KZR 24/04)

a)

Eine Preisvereinbarung ist gem. § 433 II BGB  für beide Vertagsteile gleichermaßen bindend.

b)

Die vertragliche Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des einen Vertragsteils führt hingegen  zu dessen gesetzlicher Verpflichtung aus § 315 BGB, das vertraglich geschuldete Entgelt (erst noch) - unter Beachtungs der naturgemäß gegenläufigen objektiven wirtschaftlichen Interessen beider Vertragsteile und umfassender Würdigung des Vertragszwecks -  zu bestimmen.

Die vertragliche Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts hat immer zur Folge, dass der Gesamtpreis von Anfang an einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 III BGB unterliegt und für den anderen Teil insgesamt nur verbindlich ist, wenn er der Billigkeit entspricht (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 Tz. 32; BGH Urt. v. 05.07.2005 - X ZR 60/04 unter II 1; BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90).

c)

Ein vertraglich vereinbartes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht  ist deshalb mit der vertraglichen Bindungen eines vereinbarten Preises schlichtweg denknotwendig unvereinbar.

Denn:
Ein vertraglich vereinbartes Äquivalenzverhältnis lässt keinerlei Gestaltungsspielraum zu. Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hat aber gerade einen bestehenden Gestaltungsspielraum zur Voraussetzung.

Beides zusammen geht deshalb denknotwendig nicht zugleich.

Die Vertragsfreiheit überwindet nicht die geltenden Denkgesetze.

d)

Und jedenfalls entspricht der weite Spielraum der Billigkeit  auch nicht den Anforderungen, die an die Beschränkung und Konkretisierung einer Preisänderungsklausel nach § 307 BGB zu stellen sind (vgl. BGH, Urt. v. 21.04.2009 - XI ZR 78/08; BGH Urt. v. 13.07.2004 - KZR 10/03 unter II.6).

Offline Black

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #140 am: 05. Juni 2009, 16:35:05 »
Nach wiederholter Rechtsprechung des BGH existiert im Grundversorgungsbereich bereits eine Kombination von vertraglich vereinbartem Anfangspreis und einseitigem (gesetzlichen) Preisänderungsrecht.

Wenn also eine Kombination von Vereinbarung und einseitiger Festsetzung bereits möglich ist, das kann dies auch auf rein vertraglicher Ebene erfolgen wenn das Festsetzungsrecht, dass beim grundversorgten Kunden aus dem Gesetz folgt hier einvernehmlich vereinbart wird.

Ein Verstoss gegen Denkgesetzte ist nicht erkennbar.

Man darf nicht vergessen, dass es sich beim Energieliefervertrag ja nicht um einen einmaligen Kaufvertrag nach § 433 BGB handelt, wo eine Preisvereinbarung mit einer einseitigen Preisbestimmung direkt kollidiert, sondern dass ein Dauerschuldverhältnis vorliegt.

Der Kunde kann also durchaus z.B. zunächst 1 Jahr Energie zum vereinbarten Preis beziehen bevor durch Ausübung des Preisfestsetzungsrechts ein veränderter Preis für die zukunft gilt.
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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #141 am: 05. Juni 2009, 16:56:09 »
@Black

Dass der VIII. Zivilsenat mit seiner Rechtsprechung zur fingierten Einigung davor gefeit wäre, gegen Denkgesetze zu verstoßen, habe ich schon nicht behauptet.

Sie \"unterschlagen\" zudem die Aussage des VIII. Zivilsenats des BGH zum vertraglich vereinbarten einseitigen Leistungsbestimmungsrecht in BGH, Urt. v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 Tz. 32:

Zitat
Die unmittelbare Anwendung des § 315 BGB setzt voraus, dass die Parteien vereinbart haben, eine von ihnen solle nach Abschluss des Vertrags die Leistung bestimmen (BGHZ 128, 54, 57).

An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn sich der bei Abschluss des Gaslieferungsvertrags von dem Versorgungsunternehmen geforderte Preis für die Gaslieferung aus dem jeweiligen allgemeinen Tarif für die leitungsgebundene Versorgung mit Gas ergab (vgl. § 10 Abs. 1 EnWG 1998; § 4 Abs. 1 AVBGasV).

Der BGH sagt klar, dass dann, wenn man sich bei Vertragsabschluss auf einen bereits feststehenden Preis geeinigt hat, gerade  kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht vertraglich vereinbart wurde, wonach der eine Vertragsteil nach Abschluss des Vertrages die Leistung bestimmen soll !

Das verstieße ja auch gegen Denkgesetze. Es läge ein Dissens gem. § 154 BGB vor.

Nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats ist folglich zwischen einem vertraglichen einseitigen Leistungsbestimmungsrecht und einem gesetzlichen Leistungsbestimmungsrecht klar zu unterscheiden.

Ohne eine solche Unterscheidung hätte der Senat das gesetzliche einseitige Leistungsbestimmungsrecht wie ein vertraglich vereinbartes Leistungsbestimmungsrecht zu behandeln gehabt mit der Folge der unmittelbaren Anwendung des § 315 BGB auf den Gesamtpreis (VIII ZR 36/06 Tz. 32). Dies hätte ich für konsequenter gehalten. Letzteres entspricht zudem der Rechtsprechung des Kartellsenats des BGH (vgl. nur BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 10 f., Urt. v. 07.02.2006 - KZR 8/05; Urt. v. 04.03.2008 - KZR 29/06).

Schließlich war das einseitige Leistungsbestimmungsrecht bei Tarifkunden von Anfang an Vertragsinhalt und somit das Leistungsbetimmungsrecht vertraglicher Natur (vgl. §§ 1 Abs. 1 Satz 2, 4 AVBGasV). Nicht anders verhält es sich in der Grundversorgung. Der VIII. Zivilsenat hat ganz  tief in die Trickkiste gegriffen. Zur Begründung hat er sich auch auf Entscheidungen des Bankensenats (XI. Zivilsenat) gestützt, die der Benkensenat nun aber ausdrücklich aufgegeben hat (vgl. BGH, Urt. v. 21.04.2009 - XI ZR 55/08 und XI ZR 78/08].

Nach Auffassung des Kartellsenats des BGH unterliegt der Gastarif von Anfang an insgesamt dem Maßstab der Billigkeit, was die Verpflichtung zu Preissenkungen einschließt (vgl. nur BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 Tz. 26).

Zitat
Aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172, 315 Tz. 16 f.) ergibt sich nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen, so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist

Siehe auch hier zum Dauerschuldverhältnis.

Offline tangocharly

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #142 am: 05. Juni 2009, 17:33:24 »
Zitat
Original von RR-E-ft
[...]Im Falle der vertraglichen Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts unterliegt der Preis von Anfang an insgesamt der Billigkeitskontrolle (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.2007- VIII ZR 36/06 Tz. 32; BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 10).

Damit keine Mißverständnisse entstehen, sollte zum Zitat (\"BGH, Urt. v. 13.06.2007- VIII ZR 36/06 - Tz. 32\") klarstellend hinzugefügt werden, dass der VIII. Senat für die Tarifkunden dies gerade so nicht sagt, sondern dass man dies aus dessen Argumentation heraus lesen muß (Anm.: das Lesen zwischen den Zeilen ist die Kunst).

Denn der VIII. Senat sagt ja in Tz. 32: \"Nein, nein. Das sei ja hier ganz anders. Denn der Kunde der das Gasnetz des Versorgers anzapft, ist entweder Wunderknabe oder verfügt über hellseherische Fähigkeiten. Deshalb weil das so sei, wisse der Gaskunde ganz genau, nämlich in der berühmten \"juristischen Sekunde\" in der er den Gashahn aufdreht, wie die Tarifbedingungen des Versorgers lauten und wieviel Cent-Euronen er schon ab der nächsten kWh zu bezahlen hat. Und dass dies so richtig sei ergäbe sich daraus, dass das Tarifwerk des (Grund-)Versorgers ja öffentlich bekannt gemacht worden sei.\"

Hypothese auf Hypothese. Und schließlich ist der Gaskunde einfach der Dumme, weil er sich nicht vorher erkundigt hat. Warum wohl hat sich der Verordnungsgeber darüber Gedanken gemacht, dass es notwendig sei, dem Kunden den Vertragsschluß zu bestätigen ? Eben doch wohl, weil diese Hypothesen des BGH nicht der Lebenswirklichkeit entsprechen.

Im AGB-Recht läge der Versorger mit seinen nachgeschobenen Allg. Vertragsbedingungen völlig auf dem Bauch. Bei der Grundversorgung soll er einen vom Verordnungsgeber ausgestellten Freibrief haben (und das soll auch so gewollt worden sein ??).
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Offline RR-E-ft

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #143 am: 05. Juni 2009, 17:38:50 »
@tangocharly

Siehste hier.

So mancher ist noch in einem Land groß geworden, wo man permanent zwischen den Zeilen lesen musste, wenn man nicht beim (Zeitung-) Lesen einschlafen wollte.  ;)

Offline Black

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #144 am: 15. Juli 2009, 12:39:54 »
Nun hat der BGH entschieden, ob in Sonderverträgen ein Preisanpassungsrecht nach dem Leitbild der AVB/GVV bzw. eine Übernahme des gesetzlichen Anpassungsrechts der Grundversorgung zulässig ist.

Die Verbraucherfraktion hatte dies bisher immer als undenkbar abgelehnt.

Zitat
Original von RR-E-ft
Zitat
Original von Ronny
Daraus ergibt sich doch sehr deutlich, unter welchen Bedingungen Preisanpassungsklauseln in Verträgen mit Sonderkunden wirksam sein können.

Eine Preisanpassungsklausel, die die Regelungen des § 4 Abs. 2 ABVGasV oder § 5 Abs. 2 GasGVV nachbildet, wird wirksam sein.

Warum informieren Sie die Forumsteilnehmer hier nicht neutral?
@Ronny

Ich weiß nicht, wer Sie ggf. nicht neutral informiert hat.

Ihre Folgerung ist nicht zutreffend.

Der achte Senat hat es ausdrücklich offen gelassen, ob solche Klauseln zulässig sein können. Aus der Pressemitteilung des BGH ist im dortigen Thread zitiert:

(...)

Der Senat müsste - wenn er von der Rechtsprechung der anderen Senate abweichen wollte - den Großen Senat anrufen.

In der Entscheidung vom 28.03.2007 - VIII ZR 144/06 Rn. 16 hatte der Senat noch ausdrücklich offen gelassen, ob einseitige Stromtariferhöhungen gem. § 4 AVBEltV der gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterliegen. Einige hatten aus dieser Entscheidung sogleich geschlossen, Strompreiserhöhungen unterlägen keiner Billigkeitskontrolle. Nun weiß man es - hoffentlich - besser, nachdem eine Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 BGB bei Bestehen eines gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts Anwendung findet.

(...)

Der Kartellsenat des BGH hat zutreffend entschieden, dass § 4 AVBGasV keine Leitbildfunktion für eine Preisänderungsklausel in einem Sondervertrag zukommt (vgl. BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07).



Der BGH sagt nun:

Zitat
BGH Pressemitteilung 153/2009

Nach Auffassung des Senats hält allerdings eine Preisanpassungsklausel, die das im Tarifkundenverhältnis bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV unverändert in einen Normsonderkundenvertrag übernimmt, also davon nicht zum Nachteil des Kunden abweicht, einer Inhaltskontrolle stand. Den Vorschriften in § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV kommt insoweit eine \"Leitbildfunktion im weiteren Sinne\" auch im Hinblick auf Preisanpassungsklauseln in Normsonderkundenverträgen zu. Der Gesetzgeber des AGB-Gesetzes (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 AGBG, jetzt § 310 Abs. 2 Satz 1 BGB) wollte es den Versorgungsunternehmen freistellen, ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Sonderabnehmern entsprechend den Allgemeinen Versorgungsbedingungen auszugestalten, weil Sonderabnehmer, auch wenn sie Verbraucher sind, keines stärkeren Schutzes bedürfen als Tarifabnehmer.


und

Zitat
BGH Pressemitteilung 152/2009
(Der Senat) hat weiter entschieden, dass eine Preisanpassungsklausel, die das im Bereich der Grundversorgung bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 5 Abs. 2 GasGVV unverändert in einen Normsonderkundenvertrag übernimmt, also davon nicht zum Nachteil des Kunden abweicht, einer Inhaltskontrolle standhält. § 5 Abs. 2 GasGVV kommt ebenso wie § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV für Sonderkundenverträge mit Haushaltskunden \"Leitbildfunktion im weiteren Sinne\" zu. Der Gesetzgeber des AGB-Gesetzes (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 AGBG, jetzt § 310 Abs. 2 Satz 1 BGB) wollte es den Versorgungsunternehmen freistellen, ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Sonderabnehmern entsprechend den Allgemeinen Versorgungsbedingungen auszugestalten, weil Sonderabnehmer, auch wenn sie Verbraucher sind, keines stärkeren Schutzes bedürfen als Tarifabnehmer.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline Opa Ete

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« Antwort #145 am: 15. Juli 2009, 13:35:21 »
@Black

Sie sind bestimmt Politiker, die halten sich auch nach der größten  Wahlniederlage immer noch für Gewinner.

Gruß Opa Ete

Offline Black

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« Antwort #146 am: 15. Juli 2009, 14:48:44 »
Zitat
Original von Opa Ete
@Black

Sie sind bestimmt Politiker, die halten sich auch nach der größten  Wahlniederlage immer noch für Gewinner.

Gruß Opa Ete

Was für eine Niederlage?

Einfach mal hier

BGH,  Urt. v. 15.07.2009 VIII ZR 56/08 Unwirksamkeit einer Preisäänderungsklausel Gas (kgu)

oder

BGH entscheidet für Gaskunden

lesen.
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« Antwort #147 am: 15. Juli 2009, 14:57:59 »
Da hat der Senat offensichtlich obiter dicta contra legem entschieden, weil er ohne gesetzliche Grundlage das Transparenzgebot des § 307 BGB bei Normsonderverträgen für  nicht anwendbar erklärt.

Zugleich verstößt der Senat offensichtlich gegen Denkgesetze, wenn er aus der gesetzlichen Regelung eine Verpflichtung zur Preisabsenkung entnimmt, zugleich jedoch in seinen Entscheidungen vom VIII ZR 36/06 und VIII ZR 138/07 einen vereinbarten Preissockel postuliert, der eine solche Verpflichtung ausschließen soll.

Offline Black

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« Antwort #148 am: 15. Juli 2009, 15:22:24 »
Zwischen der Kontrolle des Gesamtpreises inkl. Preissockel wegen einseitiger Festsetzung von Anfang an und der Kontrolle, ob nicht zwischenzeitlich eine Absenkung hätte erfolgen müssen besteht ein Unterschied. Insoweit verstößt der BGH nicht gegen \"Denkgesetze\".
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« Antwort #149 am: 15. Juli 2009, 15:29:54 »
@Black

Von wegen.

Besteht ein Recht und eine Pflicht zur Tarifbestimmung und - änderung, ist der jeweils geltende Tarifpreis nicht das Ergebnis einer Preisvereinbarung mit einzelnen Kunden, sondern das Ergebnis der Ausübung des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Versorgers, mithin dessen Ermessensentscheidungen, den jeweiligen Tarif zu erhöhen, abzusenken oder aber stabil zu halten. Eine Frage der Logik.

Der Senat missachtet das  gem. § 307 BGB zu beachtende Transparenzgebot, wofür er sich nicht auf § 310 Abs. 2 BGB berufen kann, da sich diese Vorschrift ausdrücklich nicht zu § 307 BGB verhält.

Zitat
BGH, Urt. v. 21.04.2009 - XI ZR 78/08 Tz. 38

Lässt eine Preis- und Zinsänderungsklausel weiter den Kunden darüber im Unklaren, ob und in welchem Umfang das Kreditinstitut zu einer Anpassung berechtigt oder zu seinen Gunsten verpflichtet ist, läuft auch die dem Kunden eingeräumte Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend leer.

Kommt es erst gar nicht zu einer gebotenen Herabsetzung des Preises oder Zinssatzes, versagt sie für gewöhnlich, weil der Kunde mangels hinreichenden Anhalts schon eine solche Verpflichtung des Verwenders zumeist nicht zu erkennen vermag. Erfolgt eine Preis- oder Zinsanpassung zu seinen Ungunsten, fehlt ihm die Beurteilungsgrundlage, ob sich die Anpassung im Rahmen des der Bank zustehenden Gestaltungsspielraumes bewegt oder ein Verfahren nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB mit Erfolg betrieben werden kann (Habersack, WM 2001, 753, 757).

Der weite Spielraum der Billigkeit kann deshalb niemals den Anforderungen genügen, die nach Konkretisierung und Begrenzung an eine Preisänderungsklausel nach § 307 BGB zu stellen sind (vgl. nur BGH NJW 2000, 651; BGH, Urt. v. 13.07.04 - KZR 10/03 unter II.6)

 

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