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Autor Thema: Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?  (Gelesen 112485 mal)

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Offline Black

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #105 am: 24. Februar 2009, 18:51:45 »
Zitat
Original von RR-E-ft
Wer sich darüber keine Gedanken macht, kann darüber auch nicht irren.
Gedankenlosigkeit schließt den Irrtum aus, womit ich nicht der Gedankenlosigkeit das Wort reden will.  ;)

Wer gedankenlos (und ohne Fahrschein) in eine Straßenbahn steigt unterfällt auch den AGB des Nahverkehrsberteibers. Es sei denn er unterlag unkontrollierbaren Reflexen. Die große teleologische Herleitung der Grundsätze des konkludenten Vertragsschlusses müssen wir hier nicht wiederholen. Dafür gibt es Lehrbücher.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #106 am: 24. Februar 2009, 19:07:41 »
@Black

Die Sachverhalte sind schon vom Ansatz her nicht vergleichbar:

Die gesetzliche Beförderungspflicht und die dafür zu zahlenden behördlich genehmigten Entgelte und Beförderungsbedingungen ergeben sich dabei u.a. aus §§ 22, 39 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz.

Das Angebot im Sinne von § 145 BGB , welches gem. § 151 BGB nur konkludent angenommen werden kann, ist dadurch bereits vollständig bestimmt.

Im Energiebereich gibt es außerhalb der Grund- und Ersatzversorgung keine gesetzliche Versorgungspflicht und auch keine feststehenden Preise und Vertragsbedingungen.

Und auch bei den Vertragspartnern ist es nicht klar:

Wer gedankenlos in eine Straßenbahn des Städtischen Nahverkerhrs steigt, schließt den Beförderungsvertrag mit diesem Unternehmen ab. Wer gedankenlos auf den Gleisen der Deutschen Bahn AG spaziert, kann aber schon nicht sicher sein, dass er auch von einem Zug dieses Unternehmens und nicht etwa vom Zug eines Konkurrenzunternehmens überrollt wird.

Wer aus einem örtlichen Energieverteilnetz Elektrizität oder Gas entnimmt, weiß auch nicht, von welchem Lieferanten  die entnommene Energie stammt und mit wem deshalb ein Vertrag zu welchen Bedingungen geschlossen wird.

Dafür gibt es ja gerade den § 38 EnWG, der nunmehr die Lieferung im vertragslosen Zustand regelt und somit auch jeder Analogie im Wege steht.

Offline Black

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« Antwort #107 am: 24. Februar 2009, 19:28:37 »
§ 38 EnWG erfasst aber weder den Kunden, der einen Grundversorgungsvertrag wollte und bei dem sich nach einem Jahr erst herausstellt, dass er die 10.000 kWh Grenze überschritten hat, noch den Kunden der sich fehlerhaft von Anfang an für grundversorgungsberechtigt hielt und auch vom Versorger als grundversorgt bestätigt wurde.
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Offline RR-E-ft

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« Antwort #108 am: 24. Februar 2009, 19:31:38 »
@Black

Von so einem Fall aus der Praxis habe ich noch nie gehört. Das heißt nicht, dass es so etwas nicht geben kann. Es wird aber nicht der Regelfall sein.

Auch in dem von Ihnen genannten Fall wurde ja ein Grundversorgungsvertrag abgeschlossen, obschon dessen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.

Will man diesen Vertrag als Sondervertrag fortsetzen und ggf. AGB einbeziehen, bedarf es einer vertraglichen Neuvereinbarung gem. §§ 145 ff. BGB.

Aus o.g. Gründen ist der konkludente Abschluss eines Sondervertrages nicht (mehr) möglich, (frühere Rechtslage vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183; OLG München, NJW-RR 1999, 421)

Offline Black

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #109 am: 24. Februar 2009, 19:37:33 »
Dieser Fall wird auftauchen, sobald der erste Tarifkunde behauptet, vom bezogenen Energiemix würden 12.000 kWh im Jahr auf seinen kleinen Gewerbebetrieb den er neuerdings nebenher zu Hause ausübt sein und deswegen sei er Sonderkunde und es fehle am Preisanpassungsrecht.
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Offline RR-E-ft

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #110 am: 24. Februar 2009, 19:41:51 »
@Black

Leben denn im Jahre 2009 überhaupt noch Tarifkunden in freier Wildbahn oder gibt es nur noch grund- und ersatzversorgte Kunden sowie Sondervertragskunden?

Wir bewegen uns zu weit weg vom Thema.

Auch bei den früher möglichen Interimsfällen wurden die Bestimmungen der AVBV nicht von sich heraus Vertragsbestandteil.

Offline Black

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #111 am: 24. Februar 2009, 19:49:22 »
Zitat
Original von RR-E-ft
@Black

Leben denn im Jahre 2009 überhaupt noch Tarifkunden in freier Wildbahn oder gibt es nur noch grund- und ersatzversorgte Kunden sowie Sondervertragskunden?

Jetzt kommen Sie mir nicht so  :D Tarifkunde tippt sich schneller als \"Kunde in der Grundversorgung\". Zumal nach der KAV der Tarifkunde noch lebt.

Auch nach § 116 EnWG dürfte es noch \"Alt-Tarifkunden\" geben.
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Offline RR-E-ft

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« Antwort #112 am: 24. Februar 2009, 19:54:47 »
@Black

Mit Rücksicht auf § 116 Satz 2 EnWG und die Kommentierung von Salje dazu bestehen Zweifel, ob wirklich noch Tarifkunden existieren.

Tarifkunden im Sinne der KAV sind möglicherweise eine andere Spezies.
Da gelten laut Fiktion im Strombereich auch Kanarienvögel als Kaninchen.  ;)

Offline Black

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Leitbildfunktion der AVB/GVV - Doppelte Verneinung = Bejahung?
« Antwort #113 am: 25. Februar 2009, 10:16:13 »
Zitat
Original von RR-E-ft
Tarifkunden im Sinne der KAV sind möglicherweise eine andere Spezies.
Da gelten laut Fiktion im Strombereich auch Kanarienvögel als Kaninchen.  ;)

Salje meinte mal vor einiger Zeit bei einem Vortrag scherzhaft: \"Weihnachtsmann im Sinne dieser Verordnung ist auch der Osterhase\"...
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Offline RR-E-ft

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« Antwort #114 am: 25. Februar 2009, 14:33:08 »
@Black

Mancher mag in diesem Zusammenhang \"Weihnachtsmann\" synonym für \"Tarifkunde\" verwenden, ein anderer \"Kaninchen\".
Es liegt im Auge des Betrachters, im Freud´schen Sinne vielleicht auch etwas hinter der Stirn. ;)

Uns ging es in diesem Thread darum, wie eine wirksame Preisänderungsklausel in einem Sondervertrag zu gestalten sei.

Meine Auffassung dazu ist die, dass zumindest diejenigen, die über die Befähigung zum deutschen Richteramt verfügen, eine entsprechende Klausel anhand der ständigen Rechtsprechung des BGH zu beurteilen haben, was zwingend eine entsprechende juristische Prüfung voraussetzt, die man wiederum nicht unbedingt einem Referendar überlassen sollte.

In diesem Punkt sind wir bisher leider noch nicht weiter vorangeschritten.

Offline jofri46

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« Antwort #115 am: 25. Februar 2009, 18:58:11 »
Ich fürchte, an der Frage, wie eine wirksame Preisanpassungsklausel in einem Sondervertrag zu gestalten sei, werden sich selbst diejenigen, die über die Befähigung zum deutschen Richteramt verfügen, seien sie auch noch so qualifiziert, \"die Zähne ausbeißen\".

Aus meiner beruflichen Praxis weiß ich, dass sich seit der wohl grundsätzlichen BGH-Entscheidung vom 12.07.1989 (NJW 1990, 115) sowohl firmeninterne Volljuristen als auch hochspezialisierte externe Anwälte an der Formulierung einer praktikablen und gerichtsfesten Preisanpassungsklausel für formularmäßig abgeschlossene Dauerschuldverhältnisse versucht haben. \"In den Krieg ziehen\" mit  den dabei gemachten Vorschlägen wollte keiner der Herren Volljuristen.

Offline eislud

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« Antwort #116 am: 25. Februar 2009, 19:38:37 »
Sofern man sich auf Kostenelementeklauseln beschränkt und alle benannten Kostenelemente für den Klauselgegner öffentlich zugänglich sind und gewichtet sind, sollte es doch möglich sein, eine wirksame Preisanpassungsklausel in einem Sondervertrag zu gestalten.

Hier muß der Klauselverwender dann unter Umständen darauf verzichten alle Kostenelemente variabel zu benennen. Das gilt für diejenigen Kostenelemente, die dem Klauselgegner eben nicht öffentlich zugänglich sind, wie beispielsweise Verwaltungskosten des Versorgers. Solche Kostenelemente könnten in der Klausel als fixer Kostenbestandteil benannt werden. Damit behält der Versorger ein gewisses Risiko bei ausufernden Kosten in diesen Bereichen, kann auf der anderen Seite aber auch seinen Gewinn erhöhen, wenn er diese Kosten drücken kann.

Oder würde eine solche Kostenelementeklausel schon dadurch scheitern, daß nicht alle Kostenelemente in variabler Gewichtung benannt sind und der Versorger sich dann gegebenenfalls Zusatzgewinne bescheren kann, siehe oben?    
Oder ist das einfach nur zu laienhaft?

Offline RR-E-ft

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« Antwort #117 am: 25. Februar 2009, 19:51:56 »
@jofri46

Ich teile diese Befürchtung nicht. Den Dentisten seien die Zusatzaufträge der Privatpatienten herzlich  vergönnt. ;)

@eislud

Die genannten Urteile des III. Zivilsenats aus Oktober und November 2007 geben eine Antwort. Die Latte hängt zurecht sehr hoch, weil sich der Klauselverwender vorbehält, entgegen § 433 BGB selbst nicht an den vertraglich vereinbarten Preis gebunden zu sein. Man könnte schon die Frage stellen, ob eine solche Klausel überhaupt zulässig ist, wo sich der Klauselverwender sowieso kurzfristig durch ordnungsgemäße Kündigung aus dem Vertragsverhältnis lösen kann. Denn zunächst stellt sich ja die Frage nach der inneren Rechtfertigung, ob eine solche Klausel überhaupt notwendig ist. Notwendig ist sie ohne Frage, wo für den Klauselverwender kein Recht zur ordnungsgemäßen Kündigung besteht.

Es ist nicht unsere Aufgabe, eine solche Klausel zu entwickeln. Dafür werden andere fürstlich bezahlt.

Offline eislud

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« Antwort #118 am: 25. Februar 2009, 20:18:17 »
@RR-E-ft
So wie es mir im Gedächtnis ist, sieht der BGH im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen durchaus eine Notwendigkeit, Preise im laufenden Vertrag anzupassen.

Zitat
Original von RR-E-ft:
Es ist nicht unsere Aufgabe, eine solche Klausel zu entwickeln. Dafür werden andere fürstlich bezahlt.
Wohl wahr. Und es wäre mir auch nicht dienlich, und vielen Anderen wohl auch nicht (mal abgesehen von Black), wenn hier eine wirksame Preisanpassungsklausel entwickelt werden würde. Schließlich benutzen wir unwirksame Preisanpassungsklauseln nur als Mittel zum Zweck, um uns gegen die vorherrschende Gewinnmaximierung zur Wehr zu setzen - zumindest ist das mein Zweck.

Offline jofri46

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« Antwort #119 am: 25. Februar 2009, 20:54:58 »
@Eislud
Eine Kostenelementeklausel, die es dem Verwender ermöglicht, seinen im einmal vereinbarten Preis enthaltenen Gewinnanteil zu erhöhen, halte ich nach den Vorgaben der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung für unwirksam.
Bei einer (zulässigen) Kostenelementeklausel müsste der Verwender im Falle einer Preisanpassung alle Preisbestandteile offenlegen und darlegen, ggf. unter Beweis stellen, dass sein Gewinnanteil unverändert geblieben ist und sich nur die von der laufenden Kostenentwicklung abhängigen Bestandteile erhöht haben.

@RR-E-ft
Ergibt sich die innere Rechtfertigung für eine solche Klausel nicht schon aus der Natur des Vertrages, der ja nicht (wie ich es bei § 433 BGB sehe) auf einmaligen, sondern dauernden Leistungsaustausch gerichtet ist? Ich kann mir vorstellen, dass auch der Verwender nicht alle preisbildenden Faktoren vorhersehen, einschätzen und abwägen kann. Und wenn sich die Frage nach der Zulässigkeit einer solchen Klausel stellt, wenn sich der Verwender sowieso kurzfristig durch ordentliche Kündigung vom Vertrag lösen kann, gilt das dann nicht auch für den Verbraucher, wenn er durch die Klausel ansonsten unangemessen benachteiligt wäre? Ich weiss, dass Sie das unter Hinweis auf die diverse Urteile anders sehen. Wenn ich mich recht erinnere, war der Sachverhalt dieser Urteile aber so, dass das Kündigungsrecht nicht unmittelbar und bedingungslos mit der Preisanpassungsklausel verknüpft war.

 

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