Nicht nur die Stromversorger hatten seit dem Urteil des BGH vom 28.03.07 Az. VIII ZR 144/06 immer wieder damit argumentiert, dass Strompreise gar keiner gerichtlichen Billigekitskontrolle mehr unterlägen, weil der Kunde den Anbieter wechseln kann.
Dies betrifft jedoch selbst nach jener Entscheidung nur einen nach der Senatsrechtsprechung als vereinbart geltenden (Anfangs-) Preis. Die Frage der Kontrolle einer einseitigen Preisänderung ließ der Senat hingegen ausdrücklich offen (BGH, aaO. Rn. 16).
BGH, Urt. v. 28.03.07 Az. VIII ZR 144/06 Rn. 16, juris:
Anders mag es dagegen bei Preiserhöhungen liegen, die ein Versorgungsunternehmen im Rahmen eines bereits abgeschlossenen Vertrages gemäß § 4 Abs. 1, 2 AVBEltV vornimmt, weil diese einseitig in Ausübung eines gesetzlichen Leistungsänderungsrechts erfolgen. Darum geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht.
In der Entscheidung vom 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10 Rn. 17 stellt der Senat auch für Strom heraus, dass der Preis insoweit einer Billigkeitskontrolle unterliegt, als dieser vom Versorger
aufgrund eines wirksam eingeräumten Rechts einseitig festgesetzt wurde und ein solcher so einseitig festgesetzter Preis nicht dadurch (nachträglich) zum
vereinbarten Preis wurde, dass der Kunde der Preisänderung oder einer darauf beruhenden Verbrauchsabrechnung nicht in angemessener Frist widersprochen hatte.
BGH, B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10 Rn. 17, juris:
Ist einem Energieversorger aufgrund Gesetzes oder vertraglicher Vereinbarung ein Preisanpassungsrecht eingeräumt, so unterliegt eine auf der Grundlage dieses Rechts erfolgte Preiserhöhung als einseitige Leistungsbestimmung der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB, sofern und soweit es sich nicht um vereinbarte Preise handelt (st. Rspr. des Senats; zuletzt Beschlüsse vom 18. Mai 2011 - VIII ZR 71/10, aaO unter III 2 a; vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 162/09, WM 2011, 850 Rn. 18; jeweils mwN).
Den Regelungen in § 4 Abs.1 und 2 AVBGasV, § 5 Abs. 2 StromGVV, § 4 Abs. 1 und 2 AVBEltV, § 5 Abs. 2 StromGVV kann jeweils entnommen werden, dass Energieversorgungsunternehmen das Recht zusteht, Preise nach billigem Ermessen zu ändern.
Davon ist offenbar auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat darüber hinaus ohne Rechtsfehler angenommen, dass es sich bei den ab 2005 von der Beklagten verlangten Preisen nicht um vereinbarte Preise handelt, da der Kläger die jeweiligen Jahresabrechnungen der Beklagten beanstandet und die (erhöhten) Preise nur noch unter Vorbehalt gezahlt hat. Dem weiteren Strom- und Gasbezug durch den Kläger konnte daher nicht der Erklärungswert zukommen, er sei mit den (erhöhten) Preisen einverstanden.
Nachdem nunmehr die
wirksame Einäumung eines gesetzlichen Preisänderungsrechts für Grundversorger in Frage steht (hierzu BGH, B. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10 und B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10, sind die Chancen betroffener Kunden sogar noch gestiegen.
BGH, B. v. 29.06.11 Az. 211/10 Rn. 9 ff., juris:
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Hinsichtlich der von der Beklagten verlangten Strompreise für die Jahre 2005 bis 2008 und der Gastarife für 2008 komme eine gerichtliche Kontrolle der Billigkeit nicht in Betracht, da der Anwendungsbereich des § 315 BGB nicht eröffnet sei. § 315 BGB sei ein Kontrollmechanismus, der den der Leistungsbestimmung eines Dritten Unterworfenen vor einem Missbrauch der dem Dritten durch Gesetz oder Vertrag eingeräumten einseitigen Gestaltungsmacht schützen solle. Dieses Schutzes habe der Kläger hinsichtlich der erhöhten Strompreise für die Jahre 2005 bis 2008 sowie des Gastarifs für das Jahr 2008 nicht bedurft, da es ihm freigestanden habe, die Versorgungsverträge mit der Beklagten zu beenden und mit einem anderen Anbieter zu kontrahieren. Der Kläger habe auf dem während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums liberalisierten Strommarkts die Möglichkeit gehabt, den Anbieter zu wechseln; gleiches gelte für den Gasbereich ab dem Jahr 2008. Es wäre nicht sachgerecht und dem Zweck des § 315 BGB nicht entsprechend, wenn ein Energiekunde den Versorger zur Offenlegung betriebswirtschaftlicher Interna, wie der Bezugspreise und der Kostenentwicklung in anderen Bereichen der Energieversorgung, zwingen könnte, obwohl er sich jederzeit ohne nennenswerten Aufwand vom Vertrag lösen und mit einem anderen Versorger kontrahieren könne.
Auch in Bezug auf die Preiserhöhungen im Bereich der Gasversorgung für die Jahre 2005 bis 2007, hinsichtlich der die Beklagte ein Monopol gehabt habe, scheide eine Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB aus, denn der Kläger habe die gerichtliche Kontrolle nicht rechtzeitig herbeigeführt. Eine der einseitigen Leistungsbestimmung eines Dritten unterworfene Partei könne mit dem Unbilligkeitseinwand nur durchdringen, wenn sie innerhalb angemessener Zeit eine gerichtliche Überprüfung herbeiführe; andernfalls seien die verlangten Preise als vereinbart anzusehen. So liege es hier. Vorliegend habe der Kläger erst am 30. Dezember 2008 seine Klage eingereicht, die am 2. Februar 2009 rechtshängig geworden sei. Damit habe der Kläger seit dem 1. Januar 2005 ca. vier Jahre und seit der letzten innerhalb des streitgegenständlichen Zeitraums erfolgten Preiserhöhung vom 1. Mai 2007 immerhin noch mehr als eineinhalb Jahre verstreichen lassen. Dies sei kein angemessener Zeitraum mehr.
III.
Die Entscheidung über die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche hängt vorrangig von der Frage ab, ob der Beklagten hinsichtlich der von ihr einseitig erhöhten Preise für Gas- und Stromlieferungen ein wirksames gesetzliches Preisänderungsrecht aus § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676 - AVBGasV, für die Gaspreiserhöhungen 2005 und 2006) be-ziehungsweise § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz vom 26. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2391 - Gasgrundversorgungsverordnung - GasGVV, für die Gaspreiserhöhungen in den Jahren 2007 und 2008] sowie § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 684 - AVBEltV, für die Strompreiserhöhungen in den Jahren 2005 und 2006) beziehungsweise § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedin-gungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz vom 26. Oktober 2006 (Stromgrundversorgungsverordnung - StromGVV, BGBl. I S. 2391, für die Strompreiserhöhung im Jahr 2008] zustand.
Dies wiederum hängt, da die genannten Vorschriften hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang des dem Versorgungsunternehmen zustehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrechts keine näheren tatbestandlichen Konkretisierungen enthalten, davon ab, ob solche tatbestandlichen Konkretisierungen bei Gaspreiserhöhungen von Art. 3 Abs. 3 Satz 4 bis 6 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. EU Nr. L 176 S. 57, im Folgenden Gas-Richtlinie, aufgehoben zum 3. März 2011 durch Art. 53 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EU Nr. L 211 S. 94) sowie bei Strompreiserhöhungen von Art. 3 Abs. 5 Satz 3 bis 5 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b oder c der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. EU Nr. L 176 S. 37, im Folgenden Strom-Richtlinie, aufgehoben zum 3. März 2011 durch Art. 48 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. EU Nr. L 211 S. 55) gefordert werden.
Der BGH macht dabei ganz klar, dass es auf die Erwägungen des Berufungsgerichts, der Kunde könne seinen Versorger leicht wechseln, gerade nicht ankommt!
Es komme vielmehr darauf an, ob dem Versorger überhaupt wirksam ein Preisänderungsrecht eingeräumt wurde.
Wurde dem Versorger wirksam ein Preisänderungsrecht eingeräumt, soll es auf eine Billigkeitskontrolle ankommen, sofern der einseitig geänderte Preis nicht in Folge eines unterlassenen Widerspruchs zum vereinbarten Preis wurde.
Zunächst stellt sich doch die Frage, ob Gerichte, welche die Billigkeitskontrolle wegen mangelnder Monopolstellng des Versorgers ablehnen, überhaupt bisher in den Prozessen mit dieser jüngsten klaren Entscheidung des BGH konfrontiert wurden!
Erst danach stellt sich die Frage, wie sich die Gerichte mit dieser neueren höchstrichterlichen Entscheidung des BGH auseinandergesetzt haben.
Der vorstehende Beitrag \"
Grundversorgung: Probleme beim Preisprotest\" suggeriert vielleicht unzutreffend, dass die Gerichte diese aktuelle Entscheidung des BGH zwar zur Kenntnis genommen, sich jedoch bewusst über diese hinweggesetzt hätten.
Dann könnte beim Leser ein falscher Eindruck darüber entstehen, wie es derzeit um solche Prozesse vor Gericht steht.
Es handelt sich deshalb eher um ein
Kommunikationsproblem.
Zutreffend ist:
Die Chanchen der betroffenen Kunden haben sich nicht verschlechtert, sondern verbessert.Dies folgt aus der Entscheidung des
BGH vom 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein einseitig geänderter Preis nur dann aufgrund eines unterbliebenen Widerspruchs nachträglich zum vereinbarten Preis werden, wenn die einseitige Preisänderung auf einem wirksam eingeräumten Preisänderungsrecht basiert (BGH, Urt. v. 14.07.10 Az. VIII ZR 246/08 Rn. 57, 59), so dass die Frage, ob eine wirksame Einräumung eines solchen Rechts überhaupt vorliegt - über Vorstehendem hinaus - sogar noch mehr an Relevanz gewinnen kann.