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Autor Thema: Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?  (Gelesen 138429 mal)

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Offline sternenmeer

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #180 am: 13. Januar 2012, 16:33:18 »
@RR-E-ft (Zitat von Ihnen v. 25.01.2010):

\"Bei jeder Klage ist der Ausgang deshalb grundsätzlich vollkommen neu of-
fen.
Etwas anderes verhält es sich mit der Übertragbarkeit von Urteilen,soweit
es sich um RECHTSFRAGEN,etwa die Wirksamkeit von in Erdgas-Sonderverträgen einbezogene Preisänderungsklauseln geht.\"

1.Ist aber nicht auch eine gerichtlich festgestellte,rechtswidrige Preisän-
   derungsklausel in ALLEN anderen FW-Verträgen (§ 1 Abs. 1 AVBFernwär-
   meV,gleichartige Abnehmer,gl. Satzungsgebiet) unwirksam?
2.M.E. trägt ein FW-Versorger das wirtschaftliche Risiko für die von ihm
   selbst festgelegten,unwirksamen Preisänderungsklauseln.Er hat zu-
   dem die Pflicht,diese unwirksame Klausel im Rahmen von Neuverhand-
   lungen durch eine kartellrechtlich zulässige Klausel zu ersetzen,wenn
   im Vertrag folgender Passus aufgeführt ist:
   \"Sollten einzelne Bestimmungen des Vertrages rechtlich unwirksam sein
   oder werden,so bleibt der Vertrag im übrigen gültig.Die Vertragspartner
   verpflichten sich für diesen Fall,die ungültigen Bestimmungen durch
   rechtsgültige Vereinbarungen zu ersetzen,die ihnen im wirtschaftlichen
   Erfolg möglichst nahe kommen.\"Liege ich da falsch?
3.Ist hier nicht die vertraglich festgelegte Vereinbarung das Naheliegende,
   ja das Verpflichtende gegenüber einer Kündigung?Was sagt das BGB
   hierzu?Darf man sich nicht auf vertragliche Vereinbarungen verlassen?

Offline RR-E-ft

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #181 am: 17. Januar 2012, 11:04:56 »
Was das BGB sagt bzw. nicht sagt, kann jeder selbst nachlesen. Auf eine unwirksame Preisänderungsklausel als vertragliche Vereinbarung kann sich der Verwender gerade nicht verlassen.  Eine sog. Salvatorische Klausel richtet sich nicht gegen den Klauselverwender, sondern gegen den anderen Vertragsteil. Dehalb verwendet der Verwender sie überhaupt nur in seinem Klauselwerk. Eine solche Klausel, die dem Klauselverwender etwa auch dann zu einem Preisänderungsrecht verhelfen soll, wenn ein solches wegen Klauselunwirksamkeit nicht besteht,  trägt in der Regel wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion (BGH, Urt. v. 21.12.11 VIII ZR 262/09 Rn. 24) nicht weiter.  Im Übrigen verbleibt es dabei, dass eine Berufung - unter vielem anderen -  nur dann Erfolg hat, wenn die gestellten Anträge nach der Überzeugung des Gerichts nicht nur zulässig, sondern auch  begründet sind, und man sich darüber mit dem Anwalt unterhält, der die gerichtliche Vertretung im Berufungsverfahren übernommen hat.

Offline sternenmeer

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #182 am: 17. Januar 2012, 15:11:12 »
RR-E-ft
In dem von Ihnen angeführten BGH-Urteil ging es um eine unangemessene
ABG,die ersatzlos entfällt und somit eine geltungserhaltene Reduktion nicht
in Betracht kommt.
In o.a. Fall geht es nicht um eine ersatzlose Klausel,sondern gerade um ei-
ne gem § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV sowie vertraglicher Abmachung (s.o.)
notwendigerweise zu ersetzende Preisänderungsklausel,die gem §242 BGB
anstelle einer Kündigung geboten gewesen wäre.

Offline RR-E-ft

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #183 am: 17. Januar 2012, 15:58:17 »
Und ich dachte, es ginge vorliegend um eine unwirksame Preisänderungsklausel im Zusammenspiel mit einer sog. salvatorischen Klausel, die sich ebenfalls in den AGB des Versorgers findet.
Wie hätte man sich eigentlich das Neuverhandeln einer Preisänderungsklausel im Falle eines kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots vorzustellen?

Offline sternenmeer

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #184 am: 17. Januar 2012, 17:07:49 »
Ich nenne mich nicht \"Ball\",um darüber zu entscheiden,in welcher Form ein
FVU eine rechtswidrige Preisänderungsklausel durch eine gesetzeskonfon-
me zu ersetzen hat.
In erster Linie ist das FVU gefragt,diesen gesetzwidrigen Zustand zu besei-
tigen.Wenn es allein bei mir die gesetzliche Kündigungsfrist eingehalten hat und vorsorglich gekündigt hat,dann war es ihm auch möglich ALLEN an-
deren,gleichartigen Kunden im Versorgungsgebiet (alle gleiche Verträge)
zu kündigen und zeitnah eine neue Klausel einzuführen.
Nur dem einzigen Protestler zu kündigen und ihn anschließend auf der Basis des § 2 Abs. 2 AVBFernwärmeV mit Fernwärme zu versorgen,ist ein
Verstoss gegen § 19 Abs. 1 GWB (Gleichbehandlungsgrundsatz).
Auch die weitere Rechnungsstellung auf der Basis rechtswidriger Preisän-
derungsklauseln ist ein Verstoss gegen § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV sowie
ein missbräuchliches Verhalten eines Monopolisten (§ 19 GWB).

Offline sternenmeer

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #185 am: 18. Januar 2012, 19:37:33 »
zum Thema:Änderung von Preisänderungsklauseln; s.Kommentar zu den Allg. Versorgungsbedingungen:Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer,Band II,
1984,S. 973:
Hermann,Zitat:\"Zwar sind Preisänderungsklauseln als Allgemeine Versorgungsbedingungen im Sinne des § 4 Abs. 1 AVBFernwärmeV anzusehen,in der Wirkung ist eine einseitige Änderung der vereinbarten Preisänderungsklausel jedoch nichts anderes als eine unzulässige einsei-
tige Preisänderung.\" Weiter unten:
\"Will das FVU die Preisänderungsklausel nachträglich modifizieren,so kann es dies mit Hilfe einer Änderungskündigung oder im Einvernehmen mit dem Kunden tun.\"

Offline sternenmeer

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #186 am: 22. Januar 2012, 16:30:42 »
Zum Thema:Zivilrechtliche Feststellung einer unwirksamen Preisänderungs-
klausel
Zitat:\"Hinzu kommt,dass die Rechtsstreitigkeiten ,die in einem solchen Zi-
vilprozess zur Entscheidung anstehen,nicht nur den einzelnen Abnehmer
sondern alle Abnehmer eines Fernwärmeversorgungsunternehmens treffen,
weil sie alle aufgrund der gleichen Verträge versorgt werden.\"
Axel-Ulrich Maier:Zivil- und kartellrechtliche Probleme der Absatzsicherung
in der Fernwärmeversorgungswirtschaft,Hartung-Gorre-Verlag,Konstanz 1987
D.h., eine gerichtlich festgestellte,rechtswidrige Preisänderungsklausel gilt
für alle gleichartigen Fernwärmeverträge in dem entsprechenden
Satzungs-/Versorgungsgebiet,wenn ein Versorgungsverhältnis nach
§ 1 Abs. 1 AVBFernwärmeV vorliegt, also kein Versorgungsverhältnis nach
§ 1 Abs. 3 AVBFernwärmeV (\"Norm-Sondervertrag\").

Offline sternenmeer

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #187 am: 25. Januar 2012, 11:39:43 »
Zitat von RA Thomas Fricke:
\"Monopolistische FVU unterliegen jedoch einem kartellrechtlichen Diskrimi-
nierungsverbot gem. §§ 826 BGB,20 GWB vgl. Urteil OLG Brandenburg v.
26.03.2002,Az.: Kart U 5/01).
Deshalb darf ein solches Unternehmen ALLEN VERGLEICHBAREN Kunden
nur die gleichen Vertragsbedingungen einräumen,so dass deshalb grundsätzlich kein Verhandlungsspielraum auch hinsichtlich nachträglicher
Vertragsänderungen besteht.\"
M.E. gilt dann auch bei Fernwärme-Endkunden:Einem EINZELNEN Kunden
darf nicht aufgrund eines berechtigten Widerspruches vorsorglich der
Fernwärmevertrag ordentlich gekündigt werden (Verstoss gegen den
kartellrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 19 Abs. 1 GWB,so-
fern die tatbestandlichen Vorraussetzungen einer Monopolstellung gegeben sind),während ALLE ANDEREN VERTRÄGE mit einer gesetzwidrigen
Preisänderungsklausel weiterlaufen.

Offline sternenmeer

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #188 am: 12. Februar 2012, 11:33:00 »
siehe auch:Stephan Brinkmeier,Kontrahierungszwang in der Wasserwirt-
schaft,Münster LIT,2002,S. 75
Zitat:
\"Eine Kündigung durch das WVU wäre in der Mehrzahl der Fälle zwar ange-
sichts der ihnen obliegenden Abschlusspflicht als unzulässige Rechtsausü-bung nach § 242 BGB (\"dolo agit,qui petit,quod statim redditurus est\") zu
qualifizieren und im Hinblick hierauf unwirksam\".
Dieses lässt sich m.E auch auf ein FVU übertragen (Monopol,Kontrahie-
rungszwang).

Offline sternenmeer

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #189 am: 19. Februar 2012, 11:20:29 »
Wenn eine Preisänderungsklausel gem. BGH eine Allgemeine Geschäftsbe-
dingung (§ 305 BGB) in einem Fernwärme-Versorgungsvertrag (§ 1 Abs.1
AVBFernwärmeV) darstellt,auf welcher rechtlichen Basis kann dann ein FVU
in einem laufenden Vertragsverhältnis eine neue Preisänderungsklausel
einseitig ohne Zustimmung der Fernwärme-Kunden einführen?

Offline sternenmeer

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #190 am: 25. Februar 2012, 19:23:50 »
Eine Zusatzfrage:Wie ist die einseitige Festlegung einer neuen Preisän-
derungsklausel durch das FVU in einem laufenden Vertragsverhältnis ohne
Zustimmung der Fernwärmekunden rechtlich zu bewerten,wenn in diesem Fernwärmevertrag eine Klausel vereinbart worden ist,die wie folgt lautet:

\"Sollten einzelne Bestimmungen des Vertrages rechtlich unwirksam sein oder werden,so bleibt der Vertrag im übrigen gültig.Die Vertragsparteien
verpflichten sich für diesen Fall,die ungültigen Bestimmungen durch rechtsgültige Vereinbarungen zu ersetzen,die ihnen im wirtschaftlichen Er-
folg möglichst nahe kommen.\"

1.Wenn sich das FVU nicht an diese vertragliche Klausel hält,ist dann
   grundsätzlich JEDE einseitige Festlegung rechtswidrig?
2.Oder ist diese Klausel nicht so streng auszulegen,sodass bei einseitiger
   Festlegung ohne Zustimmung der FW-Kunden nur ein Widerspruchsrecht
   gem. § 315 BGB gegeben ist,wenn die Billigkeit/Rechtmässigkeit dieser
   neuen Klausel bestritten wird (Monopolstellung des FVU).

Es wäre nett,wenn die Rechtsexperten hier im Forum (FW/Kartellrecht/Ver-
tragsrecht) einmal hierzu eine Stellungnahme abgeben könnten.

Offline RR-E-ft

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #191 am: 28. Februar 2012, 11:46:30 »
Möglicherweise findet sich eine Antwort in ZNER 15/6/2011 S. 597 ff.

Wie steht es denn um das Berufungsverfahren?
Sind Berfungsbegründung und -erwiderung bereits erfolgt und wurde schon terminiert?
Gibt es etwaig bereits einen Hinweis des Berufungsgerichts oder gar eine Entscheidung?

Offline sternenmeer

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #192 am: 28. Februar 2012, 14:06:24 »
RR-E-ft
1.Leider habe ich keinen Zugriff auf die ZNER.
2.Berufungsverfahren: OLG Stuttgart,Az.: 2 U 122/11
3.Temin für mdl. Verhandlung:15.03.2012
4.Vorschlag der Beklagten für einen aussergerichtlichen Vergleich wurde
   vom Kläger abgelehnt (Kartellrechtliche Problematik).

Offline RR-E-ft

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« Antwort #193 am: 28. Februar 2012, 14:12:48 »
Viel Erfolg!

Zugriff auf ZNER gibt es u.a. auch im freien Buchhandel.

Offline sternenmeer

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« Antwort #194 am: 28. Februar 2012, 20:17:02 »
Viele Dank!
Siehe auch hier (Zitat v. RR-E-ft v. 26.04.2011):
\"Im Falle der Unwirksamkeit der vom EVU allgemein verwendeten Preisän-
derungsklauseln in den Verträgen mit solchen anderen Kunden schuldeten
jene vergleichbaren anderen Kunden selbst nur den bei ihrem eigenen Vertragsabschluss vereinbaten Preis,so dass jener dann wohl auch als Anfangspreis im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 2 AVBFernwärmeV zu gelten hat
(vgl. Klotz,RdE 2011,88ff.).\"

Nach m.M. wäre auch ein anderer (erhöhter) Preis kartellrechtswidrig.
(Gleichbehandlungsgrundsatz).

 

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