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Autor Thema: Sondervertrag gekündigt: Wie geht\'s weiter?  (Gelesen 180837 mal)

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Offline reblaus

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Sondervertrag gekündigt: Wie geht\'s weiter?
« Antwort #60 am: 22. August 2009, 12:32:32 »
@hby
Ich räume ein, dass ich mich hier geirrt habe. An meiner Analyse halte ich nach wie vor fest. Es macht für die Versorgerwirtschaft keinen Sinn, die Verbraucher beständig auf ihre Rechtsirrtümer hinzuweisen. Im Gegenteil wäre die Strategie weit erfolgversprechender, wenn die Kunden in falschen Ansichten bestärkt würden, damit könnte man dazu beitragen, dass die Gegenseite vor Gericht.entscheidende Fehler begeht.

Das Wirken von Black und Ronny nutzt daher auch den Verbrauchern. Dienen sie doch als Sparringspartner.

Vielleicht sind die beiden es einfach leid, in den Versorgerinformationszirkeln die immer gleichen Versorgerargumente nach links und rechts zu wenden. Das ist ebenso spannend wie RR-E-ft zuzujubeln, wenn er den 8. Zivilsenat ein ums andere Mal kritisiert.

Ich für meinen Teil habe meine Konflikte in der Vergangenheit stets nur deshalb gewonnen, weil ich mich in die Gegenseite hineinversetzt habe. Die Figur des advocatus diaboli halte ich deshalb für das beste, was man haben kann. Wenn die Versorger das selber übernehmen, umso besser.

Vielleicht haben die beiden einfach nur die Einsicht gewonnen, dass die Versorger auch in Zukunft auf Kunden angewiesen sein werden, und es auf Dauer keinen Sinn macht, diesen Konflikt immer weiter zu spinnen. Ich für meinen Teil weiß, dass ich auch in Zukunft jemanden benötige, der mir Gas liefert.

Offline bolli

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Sondervertrag gekündigt: Wie geht\'s weiter?
« Antwort #61 am: 22. August 2009, 13:37:49 »
Zitat
Original von reblaus
Das Wirken von Black und Ronny nutzt daher auch den Verbrauchern. Dienen sie doch als Sparringspartner.
Umgekehrt genauso. Zum einen hat die Vergangenheit gezeigt, dass die ganze Materie doch sehr komplex ist und daher selbst von einem Fachanwalt nicht ganz leicht zu bewältigen ist (mal abgesehen davon, dass wir Verbraucher nicht immer direkt erkennen können, ob ein \"sogenannter\" Fachanwalt auch tatsächlich einer ist. Da ist es schon besser, dass man auch selbst ein wenig weiss, worum es geht und welche Stichworte ich dem Anwelt nennen muss) und zum anderen ist der Austausch der verschiedenen Argumente und ein mögliches abwägen, wie erfolgversprechend sie sein könnten, doch auch sehr hilfreich.

Dieses trotz der Tatsache, dass man der Gegenseite damit pauschal natürlich schon mal einige Argumente liefert, zu denen sie sich eine Strategie überlegen kann. Aber einige Dinge sind halt zumindest mal rückwirkend auch bei denen nicht mehr zu ändern. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass auch die Versorger manchmal sehr behäbig in ihrer Umsetzung neuer Erkenntnisse sind. Das wäre dann halt unsere Chance.

Zitat
Original von reblaus
 Ich für meinen Teil weiß, dass ich auch in Zukunft jemanden benötige, der mir Gas liefert.
Das gilt auch für mich. Aber da ich weiss, dass auch der Versorger das weiss, möchte ich vermeiden, dass er sich aus seiner Monopolstellung eine übermäßige ungerechtigtigte Bereicherung zieht. Zumindest solange, wie kein funktionierender Wettbewerb da ist.
Aus diesen Grund ist für mich das Sockelpreisprinzip bei der gesetzlichen Grundversorgung unter Berücksichtigung des Billigkeitsgrundsatzes auch nicht akzeptabel.
Aber Sie haben natürlich recht, dass man einen passenden Fall haben muss. Dazu müssen aber erstmal die Argumente ausgetauscht werden, welche Merkmale da zugehören.

Da die EVUs derzeit ja gerade reichlich Verbraucher aus den Sonderverträgen schmeißen, da diese den neuen Verträgen nicht zustimmen, haben wir sicher eine gute Möglichkeit, einige passende Fälle zu bekommen, wenn wir die notwendigen Maßstäbe (er)kennen.

Offline RA Lanters

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Sondervertrag gekündigt: Wie geht\'s weiter?
« Antwort #62 am: 22. August 2009, 14:02:13 »
es gibt keinen fachanwalt für energierecht. einen solchen sieht die fachanwaltsordnung nicht vor...

letztendlich zeigt die diskussion aber, dass sich der bgh in eine situation reinmanöveriert, deren ausgang unabsehbar ist.

bin mal gespannt, wie sich die rechtsprechung auf andere rechtsgebiete, z.B. das Mietrecht auswirkt...
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Offline jofri46

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Sondervertrag gekündigt: Wie geht\'s weiter?
« Antwort #63 am: 22. August 2009, 15:53:13 »
Nun nicht gleich den laienhaft gebrauchten Begriff \"Fachanwalt\" strapazieren. Ein Anwalt mit Tätigkeitsschwerpunkt \"Energierecht\" tuts auch. Leider gibts die für Verbraucherinteressen noch nicht flächendeckend.

Offline courage

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Sondervertrag gekündigt: Wie geht\'s weiter?
« Antwort #64 am: 22. August 2009, 18:35:50 »
Um diese interessante Diskussion nachvollziehen zu können, sollte man die vom 8. Senat des BGH zur Freude der Versorger entworfene \"Theorie des Preissockels\" kennen; sie wurde zwar bereits unter verschiedenen Themen erörtert, trotzdem hier nochmal deren Kern zum besseren Verständnis für Nicht-Juristen anhand eines einfachen Beispiels:

Kunde 1 schloss zum 01.01. einen Grundversorgungsvertrag zum Preis von 5 Cent je kWh Gas ab. Zum 01.04., also 3 Monate später, erhöhte der Versorger den Preis von 5 auf 6 Cent. Gleichzeitig rügte Kunde 1 zurecht die Unbilligkeit der Preiserhöhung.
Die Theorie des Preissockels besagt nun, dass der Anfangspreis von 5 Cent wie in Stein gemeißelt feststehe und nicht mehr angreifbar sei, denn Kunde 1 und der Versorger hätten sich auf 5 Cent Preissockel geeinigt. Nur die gerügte Preiserhöhung von 1 Cent unterliege der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB.

Jetzt kommt Kunde 2 ins Spiel: dieser schloss beim gleichen Versorger ebenfalls zum 01.01. einen Grundversorgungsvertrag zum gleichen Preis ab. Im Gegensatz zu Kunde 1 hat Kunde 2 die Preiserhöhung zum 01.04. jedoch nicht zeitnah als unbillig gerügt.
Die Theorie des Preissockels besagt nun, dass aus dem anfänglichen Sockelpreis von 5 Cent zuzüglich der akzeptierten Preiserhöhung von 1 Cent ein neuer Preissockel von 6 Cent erwachsen sei, der ebenso wie in Stein gemeißelt feststehe.

Fazit:
Nach der Preissockel-Theorie gab es zum Zeitpunkt 01.04. bei diesem Versorger zwei Preissockel, nämlich einen von 5 Cent (Kunde 1) und einen von 6 Cent (Kunde 2).

Wer die Preissockel-Theorie verstanden hat, kann folgende kleine Denksportaufgabe lösen:
Wie viele verschiedene Preissockel kann es danach bei ein- und demselben Grundversorger geben?

Und weiter die Preissockel-Theorie auf dem Prüfstand der Lebenswirklichkeit:
Zum 01.07., also wiederum 3 Monate später, senkte der Versorger den Preis von 6 auf 4 Cent.  Kunde 1 rügte die Preissenkung als unzureichend und deshalb als unbillig. Kunde 2 äußerte sich nicht.
Die Theorie des Preissockels besagt, dass es nun auch einen dritten Preissockel von 4 Cent gibt.

Fragen:
1. Wie hoch war der Preissockel zum 01.07. für Kunde 1, wie hoch war er für Kunde 2?
2. Wie viele verschiedene Preissockel sind aus rechtlicher Sicht bei ein- und demselben Grundversorger erlaubt?

Die Frage, welcher Preissockel denn korrekterweise anzusetzen wäre, wird u.a. dann relevant, wenn der Versorger einen Sondervertrag kündigt und den widerspenstigen Kunden gegen seinen erklärten Willen in die Grundversorgung einsortiert.

Siehe auch:
 
Zitat
Original von bolli
... Da die EVUs derzeit ja gerade reichlich Verbraucher aus den Sonderverträgen schmeißen, da diese den neuen Verträgen nicht zustimmen, haben wir sicher eine gute Möglichkeit, einige passende Fälle zu bekommen, wenn wir die notwendigen Maßstäbe (er)kennen.

Offline Münsteraner

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Sondervertrag gekündigt: Wie geht\'s weiter?
« Antwort #65 am: 22. August 2009, 19:00:22 »
Zitat
Original von courage

Die Frage, welcher Preissockel denn korrekterweise anzusetzen wäre, wird u.a. dann relevant, wenn der Versorger einen Sondervertrag kündigt und den widerspenstigen Kunden gegen seinen erklärten Willen in die Grundversorgung einsortiert.

Stimmt auffallend. ;)

Ebenso wie wohl, dass Preissockel der zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns vom Versorger angebotene Grundversorgungspreis ist. Und nu?

\"Gegen seinen Willen\" geht aber wohl nicht. Der Verbraucher kann ja widersprechen. So wie es aussieht, kommt dann aber kein Grundversorgungsvertrag zustande, sondern es findet für 3 Monate Ersatzversorgung statt. Und dann?

Offline reblaus

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Sondervertrag gekündigt: Wie geht\'s weiter?
« Antwort #66 am: 22. August 2009, 19:09:59 »
...dann kommen Sie halt nach drei Monaten in die Grundversorgung.

Zitat
§ 2 GasGVV Vertragsschluss

(2) Kommt der Grundversorgungsvertrag dadurch zustande, dass Gas aus dem Gasversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung entnommen wird, über das der Grundversorger die Grundversorgung durchführt, so ist der Kunde verpflichtet, dem Grundversorger die Entnahme von Gas unverzüglich in Textform mitzuteilen. Die Mitteilungspflicht gilt auch, wenn die Belieferung des Kunden durch ein Gasversorgungsunternehmen endet und der Kunde kein anschließendes Lieferverhältnis mit einem anderen Gasversorgungsunternehmen begründet hat.

Offline Münsteraner

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Sondervertrag gekündigt: Wie geht\'s weiter?
« Antwort #67 am: 22. August 2009, 19:34:44 »
Genau. Und zwar zu dem dann gültigen Anfangspreis - den ich dann zwar nicht als billig ansehe, aber trotzdem keine Rügemöglichkeit nach 315 BGB haben soll, da ich diesen Sockel ja lt. BGH konkludent vereinbart habe.

Und schon sind wir wieder mittendrin in der zentralen Frage: Welche Rechtsargumentation lässt sich der unseligen Entscheidung des 8. Zivilsenats entgegen setzen?

Denn ohne eine solche dürfte es ein Husarenritt werden, in Bezug auf den Gesamtpreis dennoch Billigkeitsrüge zu erheben, die Preise zu kürzen und sich auf einen Rechtsstreit mit dem Versorger einzulassen.

Offline nomos

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« Antwort #68 am: 22. August 2009, 20:31:38 »
Zitat
Original von Münsteraner

Und schon sind wir wieder mittendrin in der zentralen Frage: Welche Rechtsargumentation lässt sich der unseligen Entscheidung des 8. Zivilsenats entgegen setzen?
    @Münsteraner, die Argumentation ist eigentlich simpel, der Rest ist schwierig:

    Dieser Senat hat einen gesetzeswidrigen Kardinal-Irrtum begangen:

Kardinal-Irrtum: § 315 BGB zur Wahrung eines Äquivalenzverhältnisses?

Die Motive und der Wille des Gesetzgebers wurden nicht beachtet. [/list]

Offline reblaus

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« Antwort #69 am: 22. August 2009, 20:51:10 »
@nomos
Der BGH hat sich an das Gesetz gehalten. Sie wissen nur nicht an welches.

@Münsteraner
Prozesse die man nicht gewinnen kann, sollte man nicht führen. Sie werden keinen Sachverhalt vortragen können, der den BGH vielleicht nochmal umstimmen könnte. Sie sollten sich einfach mit dieser Rechtsprechung abfinden, und im Falle der Kündigung den Versorger wechseln.

Anderenfalls werden Sie böse auf die Nase fallen. Und glauben Sie nicht diesen Verschwörungstheorien, der BGH hielte sich nicht an das Gesetz. Dieses Urteil ist haarklein auf Grundlage des Gesetzes und auf Grundlage jahrzehntalter Rechtsgrundsätze ergangen. Diese wurden bisher lediglich nicht auf den Sachverhalt angewendet.

Offline courage

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« Antwort #70 am: 22. August 2009, 20:58:24 »
Zitat
Original von Black
... Den Sockel selber hat man nach Ansicht des BGH vertraglich vereinbart. ...
Danach wäre es doch wohl zutreffend, dass ein Kunde vor Abschluss des Vertrages ein Recht auf Preisverhandlungen hat mit dem Ziel, den billigen Preis zu vereinbaren.
Wie ist die rechtliche Lage, wenn der Versorger diese Preisverhandlung verweigert?

Offline reblaus

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Sondervertrag gekündigt: Wie geht\'s weiter?
« Antwort #71 am: 22. August 2009, 21:02:15 »
@Courage
Gehen Sie zu Ihrem Bäcker und sagen Sie ihm, dass Sie ein Recht hätten, den Brötchenpreis zu verhandeln, anderenfalls erginge es ihm schlecht. Der Bäcker wird Sie hochkant aus dem Laden werfen - zu Recht. Oder sind Sie anderer Ansicht?

Offline Münsteraner

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« Antwort #72 am: 22. August 2009, 21:03:34 »
Zitat
Original von nomos
Zitat
Original von Münsteraner

Und schon sind wir wieder mittendrin in der zentralen Frage: Welche Rechtsargumentation lässt sich der unseligen Entscheidung des 8. Zivilsenats entgegen setzen?
    @Münsteraner, die Argumentation ist eigentlich simpel, der Rest ist schwierig:

    Dieser Senat hat einen gesetzeswidrigen Kardinal-Irrtum begangen:

Kardinal-Irrtum: § 315 BGB zur Wahrung eines Äquivalenzverhältnisses?

Die Motive und der Wille des Gesetzgebers wurden nicht beachtet. [/list]

Da würde mich doch mal interessieren, wie wohl der 8. Senat reagieren würde, wenn ihm jemand schriftlich konkret darlegte, dass und aus welchen Gründen seine Entscheidung auf einem Kardinalirrtum beruhe und Motiv und Wille des Gesetzgebers nicht beachte.

Keine Reaktion? \"Missachtung des Gerichts\"? \"Der Richter ist frei in seiner Entscheidung\"? Oder irgendeine Auseinandersetzung mit dem Thema?

Offline reblaus

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« Antwort #73 am: 22. August 2009, 21:09:47 »
@Münsteraner
Da müsste einer der Vertreter dieser Theorie erst einmal konkret darlegen, dass und aus welchen Gründen die Entscheidung des BGH auf einem Kardinalirrtum beruhe und Motiv und Wille des Gesetzgebers nicht beachte.

Die Darlegung hätte zum Ergebnis, dass konkret feststünde, dass dieser Vertreter mangelhafte Gesetzeskenntnisse hätte. Dies könnte er dann dem BGH schriftlich darlegen  :D.

Offline courage

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« Antwort #74 am: 22. August 2009, 21:14:32 »
@reblaus
Ich bin anderer Ansicht:

Erstens: Der Brötchenpreis wird durch echten Wettbewerb im relevanten Markt reguliert, das ist beim Gasversorger anders. Den Brötchenpreis empfinde ich im übrigen bei meinem Bäcker als \"billig\". Deswegen habe ich dort kein Bedürfnis auf Preisverhandlungen.

Zweitens: Wenn ich als guter, treuer Kunde regelmäßig eine merkliche Anzahl Brötchen abnehme, könnte ich mir vorstellen, dass mich mein Bäcker nicht aus seinem Laden wirft, wenn ich mit ihm über den Brötchenpreis sprechen will. Das ist beim Gasversorger anders.

 

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