Auch wenn es nur von den Grünen ist, es könnte doch etwas davon stimmen.
Datum: 21.04.2008
Beschluss Parteirat: Die Stromlücken-Lüge
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Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
anbei möchten wir Ihnen den heutigen Beschluss des Parteirates von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter dem Titel \"Die Stromlückenlüge\" zum Thema 
drohende Stromlücke und der in diesem Zusammenhang viel diskutierten 
Studie der Deutschen Energie-Agentur (dena) zur Kenntnis geben.
Der Beschluss wurde einstimmig gefasst.
Mit freundlichen Grüßen
Sigrid Wolff
Anhang: Beschluss Parteirat im Wortlaut
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Beschluss des Parteirats
21. April 2008, Berlin
Die Stromlücken-Lüge
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1. Eine aktuell viel diskutierte Studie der Deutschen Energie-Agentur 
(dena), die zu einem beachtlichen Teil von den großen Energiekonzernen 
finanziert wird, behauptet, dass in Deutschland eine Stromlücke 
entstehen würde, sollten nicht neue Kohlekraftwerke gebaut oder der 
Ausstieg aus dem Atomausstieg organisiert werden. Fakt ist, die Studie 
operiert mit falschen Zahlen um die Lüge von der Stromlücke zu 
untermauern. Die Annahmen wurden so gewählt, dass das
gewünschte Ergebnis herauskam: Es gibt eine Stromlücke, und die soll 
nach der dena entweder durch die Verlängerung der Restlaufzeiten für 
AKWs oder durch neue Kohlekraftwerke gefüllt werden.
2. Um zu dem Ergebnis zu kommen, dass – je nach Szenario – im Jahr 2020 
entweder 11.000 MW neue Kraftwerke (Szenario \"Energieprogramm der 
Bundesregierung\") oder über 20.000 MW neue Kraftwerke (Szenario 
\"Atomausstieg mit gesteigertem Stromverbrauch\") muss man bestimmte 
Annahmen treffen. Diese sind jeweils so getroffen, dass es zugunsten der 
Stromlücke ausgeht.
3. Zentrale Annahmen sind hierbei insbesondere:
- Wie hoch ist die Lebensdauer der fossilen Kraftwerke? Die dena geht 
von einer durchschnittlichen Betriebsdauer fossiler Kraftwerke 
(Braunkohle, Steinkohle, Gas) von ca. 40-45 Jahren aus, mit der Folge, 
dass bis 2010 etwa 4.000 MW und bis 2020 etwa 28.000 MW fossile 
Kraftwerke stillgelegt werden. Öko-Institut/DIW/Fraunhofer ISI (2007) 
gehen dagegen von durchschnittlichen Betriebsdauern von 50 Jahren aus, 
da diese Kraftwerke an ihrem \"goldenen Ende\" laufen und hoch profitabel 
sind,  d.h. dass bis 2010 etwa 5.000 MW und bis 2020 etwa 19.000 MW 
fossiler Kraftwerke stillgelegt werden. Im Monitoring-Bericht 2007 der 
Bundesnetzagentur  wird nach einer Befragung der Kraftwerksbetreiber 
sogar nur von einer Stillegung von 2.400 MW bis 2020 ausgegangen. Allein 
dieser Fakt lässt die \"Stromlücke\" schon auf Null sinken.
- Wie hoch wird die \"gesicherte verfügbare Leistung\" der Erneuerbaren 
Energien gewertet?  Die dena geht von sehr niedrigen gesicherten 
Leistungen der Erneuerbaren Energien aus, so gehen z.B. Windkraftanlagen 
nur zu 5% in die gesicherte Leistung ein. Bei weiterem Wind-Ausbau und 
insbesondere bei Wind-Offshore-Anlagen kann aber von deutlich höherem 
dauerhafter gesicherter Leistung ausgegangen werden.
- Was ist mit dem Stromexport? Deutschland ist seit Jahren ein 
Netto-Stromexporteur (2007: 19 Terrawattstunden), auch zum Zeitpunkt der 
Jahreshöchstlast 2007 waren allein 2.000 MW für die Deckung der 
Nachfrage aus dem Ausland notwendig. In der dena-Studie wird dies 
fortgeschrieben, d.h. die Stromlücke ist auch teilweise dazu da, um 
Nachfrage aus dem Ausland zu befriedigen.
- Wie wird die Stromeinsparung gewertet? Die dena nimmt im 
\"Energieprogramm-Szenario\" eine Stromeinsparung von 7% bis 2020 an, dies 
führt zu einer Reduktion der Jahreshöchstlast (und damit der benötigten 
gesicherten Leistung) um lediglich 4%. Tatsache ist aber, dass es das 
Ziel der Bundesregierung ist, den Stromverbrauch bis 2020 um 11% zu 
senken und es keinen Grund gibt, warum damit die Jahreshöchstlast nicht 
auch um 11% sinken sollte. Allein dieser Faktor würde die Stromlücke im 
Energieprogramm-Szenario halbieren.
- Wie wird mit dem Thema \"Lastmanagement\" umgegangen? Es gibt 
prinzipiell zwei Wege, um mit Nachfragespitzen umzugehen: Entweder man 
stellt hierfür zusätzliche Kraftwerke bereit, oder man findet Wege, die 
Nachfragelast \"zu verschieben\", d.h. die Stromnachfrage zu einem anderen 
Zeitpunkt zu befriedigen. So können z.B. viele große Stromverbraucher 
(z.B. Kühlanlagen, etc.) durchaus ihren Strombedarf ohne Probleme auch 
eine oder zwei Stunden später befriedigen, wenn dies erforderlich ist. 
Notwendig ist hierfür ein geeignetes Lastmanagement, das nicht nur 
Kraftwerke, sondern auch Stromnachfrager in das System des 
Lastausgleichs einbezieht. Damit wären sicherlich 5.000 MW Last 
verschiebbar.
- Innovative Technologien fehlen: Neue, innovative Technologien der 
Stromspeicherung (Druckluftspeicher, neue Batteriesysteme) werden völlig 
ausgeblendet. Hier findet derzeit intensive Forschung statt, die bis 
2020 sicherlich weiterentwickelt und zur Anwendung kommen wird. Zudem 
gibt es die (begrenzte) Möglichkeit, neue Pumpspeicherkraftwerke zu 
errichten.
Stattdessen wird in der dena-Studie jedoch so getan, als würde 2020 
alleine die heutige Technologie zur Anwendung kommen.
Fazit: Wie bei jeder Studie, steckt das Ergebnis schon in den gewählten 
Annahmen. Insbesondere die Frage der Laufzeit der bestehenden Kraftwerke 
ist für die dena-Studie die zentrale Annahme – sobald man hier 
realistischere Werte ansetzt, verschwindet die ganze \"Stromlücke\" im 
Nichts. Aber auch die anderen Annahmen sind so gewählt, dass eine 
Stromlücke existiert. Denn Fakt ist: Im Jahr 2007 standen monatelang 
vier große Atomkraftwerke still, ohne dass es auch nur einen merkbaren 
Einfluss auf die Stromversorgung in Deutschland gegeben hätte.
Insofern stellt sich die Frage: Cui bono? Wessen Interessen werden durch 
diese interessengeleitete Studie bedient? Die Antwort ist klar: Von der 
Diskussion um die \"Stromlücke\" profitieren
potenziell zwei:
- Die Atomkraftwerksbetreiber, da sie bei einer Verlängerung der 
Restlaufzeiten der AKWs einen zusätzlichen Reingewinn von 1 Mio. EUR pro 
Tag pro AKW erwarten können.
- Die Projektierer von geplanten Kohlekraftwerken, da die 
Stromlücken-Diskussion mit der Forderung verknüpft wird, neue Kraftwerke 
von der vorgesehenen Vollauktionierung von CO2-Emissionsrechten ab 2013 
auszunehmen. Dies würde auf eine Betriebssubventionierung neuer 
Kohlekraftwerke durch ein klimapolitisches Instrument hinauslaufen – ein 
absoluter Treppenwitz der Klima- und Energiepolitik.
Es gibt allerdings tatsächlich einen Trade-Off: Nämlich zwischen der 
Steigerung der Energieeffizienz und Verlängerung der Restlaufzeiten der 
Atomkraftwerken. D.h. es gibt – jenseits aller schöner 
Energieeffizienz-Werbespots von RWE, E.on, Vattenfall und EnBW – ein 
massives Interesse daran, dass die bisherige Politik des \"Wir reden viel 
von der Energieeffizienz, aber handeln nicht\" so weiter geht. Was man 
tun müsste, liegt auf der Hand: Einführung von Energiemanagementsystemen 
in der Industrie, Durchsetzung hoher Energieverbrauchsstandards bei 
elektrischen Geräten, Austauschprogramme für alte Motoren, 
Haushaltsgeräten, flächendeckende verpflichtende Einführung von neuen, 
intelligenten Stromzählern (Smart Meters).