Der Aufsatz von Prof. Büdenbender (Kanzlei Clifford Chance, ehemals RWE- Vorstand)Schon die Überschrift suggeriert das Falsche.
\"Die Bedeutung der Preismissbrauskontrolle nach § 315 BGB in der Energiewirtschaft\"Über § 315 BGB erfolgt keine Preismissbrauchskontrolle, sondern eine
feinfühlige Angemessenheitskontrolle unter
Abwägung der widerstreitenden, konfligierenden Interessen der konkreten Vertragspartner, um Einzelfall- und Austauschgerechtigkeit im konkreten Vertragsverhältnis zu bewerkstelligen. Man mag sich dabei getrost eine Apothekerwaage vorstellen. Nicht alles, was (nur) unangmessen ist, stellt auch schon einen Missbrauch dar. Missbrauch ist ein grober Begriff für grobe Sachverhalte.
Die Angemessenheitskontrolle aufgrund von eingräumter Rechtsmacht einseitig festgelegter Preise hat in der Energiewirtschaft nicht mehr und nicht weniger Bedeutung als in allen anderen Bereichen des Rechtsverkehrs. Es gibt insoweit keinerlei Sonderrolle der Energiewirtschaft. Energiewirtschaftsrecht steht nicht außerhalb der übrigen Rechtsordnung.
Der Kartellsenat (NJW 2006, 684) hat klar gesagt, dass im Falle eines bestehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrechts sich die einheitliche Preisvereinbarung nicht künstlich in einen vereinbarten Anfangspreis und einen einseitig bestimmten Folgepreis aufspalten lässt, dies zu willkürlichen Ergebnissen führt.
Wo
Büdenbender einen vereinbarten Anfangspreis und die Berechtigung des Leistungsbestimmungsberechtigten, die Preise in der Zukunft einseitig neu festzulegen, sieht, stellt sich die Frage, wann die Zukunft beginnt.
Die Zukunft beginnt in dem Augenblick, in dem die Gegenwart vorbei ist, also schon in der nächsten Sekunde. Deshalb ist bei einem bestehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrecht der Preis wohl allenfalls für eine juristische Sekunde nicht einseitig bestimmt. Der Kartellsenat hat deshalb recht. Alles andere ist vollkommen gekünstelt.
Aus der Sicht des Zeitpunktes des Vertragsabschlusses sind
alle Preise innerhalb der sich unmittelbar anschließenden Vertragsdurchführungsphase
zukünftige Preise, die also dem einseitigen Preisfestsetzungsrecht des EVU unterliegen, so dass diese Preise
jederzeit ab Vertragsbaschluss einseitig festgelegt sind.
Deshalb hat der Kartellsenat zutreffend die künstliche Aufspaltung der einheitlichen Preisvereinbarung in einen vereinbarten Anfangspreis und einseitig festgesetzte Folgepreise abgelehnt, weil dies innerhalb der Billigkeitskontrolle zu willkürlichen Zufallsergebnissen führt (vgl. BGH NJW 2006, 684 ff. Rn. 9/10;
Schwintowski, N&R 2005, 92 ff.).
Nähere Nachweise siehe
hier Seite 7 bis 15.
Der VIII. Zivilsenat ist deshalb von der Rechtsprechung des Kartellsenats abgewichen und es hätte deshalb der Entscheidung des Großen Senats des BGH bedurft (vgl. auch RinBGH
Ambrosius, ZNER 2007, 95 [97]).
Bei einseitigen Leistungsbestimmungsrechten, die sich aus dem Gesetz ergeben, also § 36, 38 EnWG i.V.m. § 5 StromGVV/ GasGVV muss natürlich das Interesse des Kunden an einer möglichst preisgünstigen, effizienten leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität und Gas bei der umfassenden Würdigung des Vertragszwecks Berücksichtigung, welches in § 2 Abs. 1 EnWG rechtlich anerkannt ist (vgl. BGH NJW-RR 1992, 183). Möglichst preisgünstig und effizient heißt eben, so preisgünstig und effizient wie nur gerade möglich.
Auf die umfassende Würdigung des Vertragszwecks und der Abwägung der naturgemäß konfligierenden Interessen beider Vertragspartner kommt es bei der Billigkeitsentscheidung gem. § 315 BGB an.
Deshalb muss
Büdenbender den Begriff der Billigkeit doch verwechselt haben , wenn er ihn mit dem recht und billigen im Sinne der Sittenwidrigkeit oder gar mit einem kartellrechtswidrigen Preismissbrauch gleichsetzen will.
Weil es um die konfliegierenden Interessen gerade der beiden Vertragspartner geht, kann auch gerade nicht auf das Vergleichsmarktkonzept abgestellt werden, welches ja die gegenläufigen Interessen der konkreten Vertragspartner vollständig außer Acht ließe, insbesondere das rechtlich anerkannte Interesse an einer möglichst preisgünstigen, effizienten leitungsgebundenen Versorgung zu verbraucherfreundlichen Bedingungen.
Unvertretbar ist auch die Verwirkung durch dreimaliges Abbuchen von Abschlägen, vor allem wenn man erst nach einem Jahr und nach Zahlung der Jahresverbrauchsabrechnung überhaupt davon erfährt, dass die Vorlieferantenpreise gesunken und die Preise deshalb abzusenken waren, die Nichtabsenkung zur Unbilligkeit der einseitigen Preisbestimmung führte.
Viele Kunden konnten nur bei aufmerksamster Kontrolle der Jahresverbrauchsabrechnung überhaupt davon erfahren, dass die Preise vereändert wurden, zumals wenn Abschläge und Rechnungsbeträge abgebucht werden. Schließlich sagt die Abschlagshöhe an sich gar nichts über den zu zahlenden Preis. Man weiß schon oft nicht, wie die Abschlagshöhe überhaupt zustande kommt, ob sie etwa gewürfelt wird.
Es gibt Gerichtsverfahren, versorgerseits speziell vertreten durch Kollegen
Kunth/ Tüngler, wo die klagenden Gaskunden erst durch Vorlage von Unterlagen des verklagten Versorgers in 2006 davon erfahren hatten, dass Ende 2003 die Vorliferantenpreise deutlich gefallen waren, Preissenkungen jedoch vollständig nicht weitergegeben wurden.
Unvertretbar ist es schließlich anzunehmen, der Lieferant könne entscheiden, ob und wann er eine bestehende Preisänderungsklausel ausschöpfe.
Wenn eine AGB- Klausel einen entsprechenden, nicht kontrollierbaren Gestaltungsspielraum beließe, verstieße die Klausel schon insgesamt gegen § 307 BGB und wäre somit insgesamt unwirksam mit der Folge, dass dann gar kein Preisänderungsrecht mehr besteht.
Es ist nicht etwa so, dass man auf dieses verbleibende Ermessen wiederum § 315 BGB anzuwenden hätte, sondern eine solche Klausel verstößt insgesamt gegen das Transparenzgebot.
Wirksam sind deshalb regelmäßig nur automatisch wirkende Preisgleitklauseln, mit festvereinbarten Terminen, zu denen die Berechnungsvorschrift ohne jedwedes Ermessen und \"ohne Wenn und Aber\" angewendet wird (so ausdrücklich BGH, Urt. v. 11.10.2006 - VIII ZR 270/05). Keinerlei Ermessen bedeutet dabei tatsächlich keinerlei Ermessen, so dass sich nichts nach Ermessen vollständig oder nur teilweise ausschöpfen ließe.
Der Lieferant hat nur dann die Rechtsmacht, den Vertragspreis einseitig festzulegen, wenn ihm eine solche eingeräumt wurde. Dies kann regelmäßig überhaupt nur durch Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts bei Vertragsabschluss oder durch Gesetz der Fall sein.
Liegt beides nicht vor, besteht kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB und somit kein Recht zur einseitigen Preisneufestsetzung nach billigem Ermessen.
AGB- Klauseln können
per se kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB einräumen, weil schon der
weite Spielraum der Billigkeit gerade nicht den Anforderungen an Konkretisierung und Begrenzung entspricht, den das Transparenzgebot gem. § 307 BGB erfordert (vgl. BGH KZR 10/03 unter II.6). Klauseln, die ein Ermessen einräumen, verstoßen also gegen § 307 BGB.
Eine vollkommen andere Frage als die Rechtsmacht zur einseitigen Festsetzung eines Vertragspreises ist die Frage der Marktmacht, die im Kartellrecht eine Rolle spielt.
Marktmacht, eine marktbeherrschende Stellung fängt auch nicht erst bei einer Monopolstellung an, wie
Büdenbender zu suggerieren sucht. Dieser will offensichtlich allein aus einer fehlenden Monopolstellung darauf schließen, das keine marktbherrschende Stellung also Marktbeherrschung vorliege, was eindeutig falsch ist, vgl. nur § 19 Abs. 3 GWB.
Marktmacht, egal wie groß diese auch sei und mag diese auch eine Monopolstellung sein, verleiht niemals die Rechtsmacht zur einseitigen Festlegung eines Vertragspreises.
Deshalb führt eine Monopolstellung auch niemals zur Begründung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts gem. § 315 BGB und zum
Recht, die Preise einseitig festzusetzen.
Solche
Rechtsmacht können nur der Vertragspartner bei Vertragsabschluss oder der Gesetzgeber einräumen. Besteht diese Rechtsmacht, bedarf sie jedenfalls einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle, auch wenn keinerlei Marktmacht vorhanden ist.
Manch einer mag aus der Tatsache, dass Marktbeherrscher zuweilen auch den Gesetzgeber beeinflussen, den falschen Schluss ziehen, der Marktbeherrscher schöpfe aus eigener Kraft Rechtsmacht.
Dies darf aber nicht sein und es ist Aufgabe des Staates, vor dem Missbrauch von Marktmacht zu schützen. Dies geschieht über die Bestimmungen des GWB.
Mit der gerichtlichen Billigkeitskontrolle hat dies
allenfalls soweit zu tun, als ein kartellrechtswidriger Preishöhenmissbrauch niemals eine der Billigkeit entsprechende Leistungsbestimmung gem. § 315 BGB darstellen kann. Die Unbilligkeit fängt aber weit früher an als ein kartellrechtswidriger Preishöhenmissbrauch, weil bei Letzterem auch Erheblichkeitszuschläge von bis zu 10 Prozent eine Rolle spielen.
Schließlich führt ein kartellrechtswidriger Preishöhenmissbrauch zur Nichtigkeit der Preisbestimmung gem. §§ 19, 20, 33 iVm. § 134 BGB wegen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot.
Rechtsfolge ist somit die
Nichtigkeit und nicht nur die (derzeitige)
Unverbindlichkeit.
Besteht also
keine Rechtsmacht zur einseitigen Leistungsbestimmung gem. § 315 Abs. 1 BGB, stellt der vereinbarte Preis jedoch einen kartellrechtswidrigen Preishöhenmissbrauch dar, so ist die Preisvereinbarung gem.
§ 134 BGB nichtig. So ähnlich verhält es sich auch beim sittenwidrigen Wucher gem. § 138 BGB, der keinerlei Marktmacht, sondern nur die Dummheit des übertölpelten Vertragsteils und deren sittenwidrige Ausnutzung bedarf.
Die Rechtsfolge eines kartellrechtswidrigen Preishöhenmissbrauchs oder eines sittenwidrigen Wuchers besteht eben gerade nicht darin, dass ein Gericht gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB eine der Billigkeit entsprechende Bestimmung treffen könnte.
Und deshalb sind die Voraussetzungen, Grenzen und Folgen einer zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle und einer kartellrechtlichen Preismissbrauchskontrolle wie auch des sittenwidrigen Wuchers nach wie vor vollständig voneinander verschieden, so dass auch die Methoden zur Feststellung eines kartellrechtswidrigen Preishöhenmissbrauchs methodisch untauglich sind, um eine zivilrechtliche Billigkeitskontrolle zu bewerkstelligen.
Insbesondere das Vergleichsmarktkonzept ist deshalb für eine zivilrechtliche Billigkietskontrolle vollkommen untauglich.
Ebenso taugt eine Lastwaage in einer Spedition nicht dazu, eine Apothekerwaage zu ersetzen, die ganz andere Aufgaben zu erfüllen hat. Wer´s nicht glaubt, probiere es aus.
Und deshalb hat man bei
Büdenbender den Eindruck, er wolle den mit § 315 BGB weniger Vertrauten, geleitet von den Interessen der Energiewirtschaft aufs Glatteis führen.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt