Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Mindermeinung: gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers aus EnWG
Black:
--- Zitat von: RR-E-ft am 11. November 2014, 12:47:08 ---@Black
Meine Überlegungen haben den Zweck der Grundversorgung als Ausgangspunkt:
Die Gewährleistung einer möglichst preisgünstigen Versorgung für besonders schutzbedürftige Kunden.
--- Ende Zitat ---
Das wäre vielleicht ein sozialstaatlich löbliches Ziel, aber so ist die Grundversorgung derzeit nicht gestaltet. Die Grundversorgung stellt in erster Linie einen Kontrahierungszwang des GV dar, um jedem Bürger grundsätzlich Zugang zur Energieversorgung zu gewähren.
Die Preisgünstigkeit nach § 1 EnWG ist nur eines von sehr vielen dort genannten Zielen des EnWG, wobei diese Ziele auch noch miteinander in Konkurrenz stehen, weil zum Beispiel Versorgungssicherheit oder Umweltfreundlichkeit auch zu Lasten der Preisgünstigkeit gehen können (und umgekehrt).
Daraus lässt sich kein einklagbares Recht herleiten, ein Gericht möge die Preisgünstigkeit prüfen, genau so wie ein Gericht nicht die Umweltfreundlichkeit oder Verbraucherfreundlichkeit (alles Ziele des § 1 EnWG). Bei der Preisgünstigkeit versuch die Mindermeinung daher ja auch den "Umweg" über das BGB zu nehmen, namentlich § 315 BGB, der aber nur auf einseitige Änderungen des ursprünglichen Anfangspreises anwendbar ist.
Dem Gesetzgeber ist im Übrigen die Sockelrechtsprechung des BGH - immerhin nun schon einige Jahre ständige Praxis der Rechtsprechung - bekannt. Wenn der BGH den Gesetzgeber lediglich "falsch verstanden hat", wäre es ein Leichtes für den Gesetzgeber gewesen, im Zuge einer der bisherigen Änderungen des EnWG z.B. im Rahmen des § 36 EnWG klarzustellen, dass der Gesamtpreis der gerichtlichen Kontrolle unterliegt.
Der Gesetzgeber hätte dies auch im Zuge der gerade vollzogenen Novellierung der Preisanpassungsregelungen in der Strom/GasGVV klarstellend regeln können. Auch das ist nicht passiert.
Schon vor diesem Hintergrund halte ich es für abwegig zu behaupten, der BGH habe das gesetzgeberische Ziel der Grundversorgung und die daraus vom Gesetzgeber gewollten resultierenden Kontrollpflichten der Rechtsprechung falsch verstanden.
PLUS:
--- Zitat von: Black am 14. November 2014, 15:18:35 ---
--- Zitat von: RR-E-ft am 11. November 2014, 12:47:08 ---@Black
Meine Überlegungen haben den Zweck der Grundversorgung als Ausgangspunkt:
Die Gewährleistung einer möglichst preisgünstigen Versorgung für besonders schutzbedürftige Kunden.
--- Ende Zitat ---
Das wäre vielleicht ein sozialstaatlich löbliches Ziel, aber so ist die Grundversorgung derzeit nicht gestaltet.
--- Ende Zitat ---
Wenn die Grundversorgung so nicht gestaltet ist, dann stellt sich die Frage deren Verfassungswidrigkeit im Sozial- und Rechtsstaat Deutschland. Die Grundversorgung ist verpflichtende Daseinsvorsorge und für die Erfüllung ist im Sozial- und Rechtsstaat der Staat verantwortlich.
--- Zitat ---Daseinsvorsorge
Unter Daseinsvorsorge (auch „öffentliche Daseinsvorsorge“) versteht man elementare Leistungen, Dienstleistungen und Infrastruktur, die der Staat oder ein öffentlich-rechtlicher Träger allen BürgerInnen als „Grundversorgung“ zur Verfügung stellt. Die Definition, wie umfangreich diese Grundversorgung sein muss, kann variieren. In der Regel zählen zur Daseinsvorsorge aber mindestens: Ver- und Entsorgung (Gas, Wasser, Strom, Abfall), Bildungseinrichtungen, Gesundheitseinrichtungen, Verkehrswege, öffentliche Verkehrsmittel und eine funktionierende öffentliche Verwaltung.
--- Ende Zitat ---
Quelle: DGB-Lexikon
Eine Rechtspflicht der öffentliche Hand zur Daseinsvorsorge die mit Art 1 Abs. 1 GG beginnt. Und dann beginnt ein weites Feld mit vielen Artikeln und §§ ...
Gewinnerzielungsabsicht und deren Grenzen im Bereich der Daseinsvorsorge, Kostenüberschreitungsverbot, Quersubventionierung, zweckentfremdete Verwendung der Mittel etc.... Aber ja, auch dazu findet sich schon einiges im Forum.
uwes:
--- Zitat von: Black am 14. November 2014, 15:18:35 ---Dem Gesetzgeber ist im Übrigen die Sockelrechtsprechung des BGH - immerhin nun schon einige Jahre ständige Praxis der Rechtsprechung - bekannt.
--- Ende Zitat ---
Die Sockelpreisrechtsprechung dürfte nach EuGH vom 23.10.2014 Geschichte sein. Ohne Preisänderungsrecht auch keine Zustimmung durch Schweigen zu einem neuen "Vertragspreis". Die Begrenzung der Rückwirkung wurde schon vom EuGH abgelehnt. Somit kann der BGH an dieser Rechtsprechung, die eine solche Begrenzung bewirken soll, nicht festhalten. Ein Festhalten hieran wäre europarechtswidrig.
RR-E-ft:
--- Zitat von: Black am 14. November 2014, 15:18:35 ---
--- Zitat von: RR-E-ft am 11. November 2014, 12:47:08 ---@Black
Meine Überlegungen haben den Zweck der Grundversorgung als Ausgangspunkt:
Die Gewährleistung einer möglichst preisgünstigen Versorgung für besonders schutzbedürftige Kunden.
--- Ende Zitat ---
Das wäre vielleicht ein sozialstaatlich löbliches Ziel, aber so ist die Grundversorgung derzeit nicht gestaltet. Die Grundversorgung stellt in erster Linie einen Kontrahierungszwang des GV dar, um jedem Bürger grundsätzlich Zugang zur Energieversorgung zu gewähren.
--- Ende Zitat ---
@Black
Wenn ich Sie recht verstanden habe, sind Sie der Meinung, Haushaltskunden hätten bisher keinen (klagbaren) Anspruch auf Versorgung zu angemessenen Preisen gegenüber dem Grundversorger.
Haushaltskunden sind schutzbedürftige Kunden, weil sie keinen direkten Zugang zum Großhandel haben. Diesen muss deshalb durch einen Versorger letzter Instanz (in Deutschland: "Grundversorger") eine Versorgung zu angemessenen Preisen gewährleistet werden.
Auf eine soziale Bedürftigkeit kommt es dafür, dass es sich bei den Haushaltskunden gem. § 3 Nr. 22 EnWG in ihrer Gesamtheit um solche schutzbedürftigen Kunden handelt, überhaupt nicht an.
Entscheidend ist wohl, dass sie aufgrund ihres geringen Jahresverbrauchs nicht am Großhandel teilnehmen können und deshalb auf einen "Vermittler" angewiesen sind, damit auch sie an den Früchten des Wettbewerbs auf dem Großhandelsmarkt teilhaben können.
Siehe auch EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. 359/11 Tz. 39 ff.:
--- Zitat ---39 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Zweck der genannten Richtlinien die Verbesserung der Funktionsweise des Elektrizitäts- und des Gasbinnenmarkts ist. Ein nichtdiskriminierender, transparenter und zu angemessenen Preisen gewährleisteter Netzzugang ist Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb und von größter Bedeutung für die Vollendung des Elektrizitäts- und des Gasbinnenmarkts (vgl. in diesem Sinne Urteil Sabatauskas u. a., C‑239/07, EU:C:2008:551, Rn. 31).
40 Den Bestimmungen der Richtlinien 2003/54 und 2003/55 liegen Belange des Verbraucherschutzes zugrunde (vgl. in diesem Sinne Urteil Enel Produzione, C‑242/10, EU:C:2011:861, Rn. 39, 54 und 56). Diese Belange stehen in engem Zusammenhang sowohl mit der Liberalisierung der in Rede stehenden Märkte als auch mit dem ebenfalls mit diesen Richtlinien verfolgten Ziel, eine stabile Elektrizitäts- und Gasversorgung zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil Essent u. a., C‑105/12 bis C‑107/12, EU:C:2013:677, Rn. 59 bis 65).
41 Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2003/54 und Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 enthalten insoweit die Bestimmungen, die die Erreichung des in der vorstehenden Randnummer angeführten Ziels ermöglichen.
42 Zum einen geht aus dem Wortlaut dieser Vorschriften hervor, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden ergreifen und insbesondere dafür Sorge tragen, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, wozu auch Maßnahmen gehören, mit denen diesen Kunden geholfen wird, einen Ausschluss von der Energieversorgung zu vermeiden. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten nach dem jeweiligen Art. 3 Abs. 3 der genannten Richtlinien einen Versorger letzter Instanz benennen.
43 Vorliegend handelt es sich bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Lieferverträgen, wie die deutsche Regierung in ihren Erklärungen geltend macht, um Verträge, die von Versorgern geschlossen wurden, die gegenüber den Kunden, die darum ersucht haben, als Versorger letzter Instanz handeln.
--- Ende Zitat ---
Dass den schutzbedürftigen Endkunden( die der deutsche Gesetzgeber als "Haushaltskunden" in § 3 Nr. 22 EnWG legaldefiniert hat) eine Versorgung zu angemessenen Preisen zu gewährleisten ist und dafür ein Versorger letzter Instanz bestimmt werden kann (den der deutsche Gesetzgeber "Grundversorger" genannt hat), ergibt sich wohl bereits aus den EU- Richtlinien.
Die Kontrolle der Preisgestaltung der Grundversorger scheint doch irgendwie Konsens zu sein.
Die meisten Grundversorger sind im VKU organisiert und dieser führt in seinem "Positionspapier zur Energielieferung für einkommensschwache Haushalte" vom 24.06.13 auf Seite 4/9 selbst aus:
--- Zitat ---Die Grundversorger sind insbesondere bei der Preisgestaltung nicht frei, sondern unterliegen der Preiskontrolle nach § 315 BGB. Die Kosten für einen gesonderten Tarif für einkommensschwache Haushalte können weder aus Wettbewerbsgründen noch aus Gründen des § 315 auf andere Kunden umgelegt werden.
--- Ende Zitat ---
Wenn Grundversorger in ihrer Preisgestaltung nicht frei sind, ihre Preisbestimmungen vielmehr der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterliegen, so richtet sich die Angemessenheit des vom - Grundversorger genannten- Energieversorgungsunternehmens gestalteten Allgemeinen Preises nach einer Abwägung der beiderseitigen Interessen, wobei die Verpflichtung aus §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG zwingend in die Betrachtung mit einbezogen werden muss (vgl. schon BGH, Urt. v. 2.10.1991 Az. VIII ZR 240/90 unter III. 2 a, Urt. v. 19.11.08 Az. VIII ZR 138/07 Rn. 43).
Die "Preissockelrechtssprechung" kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil sie in Abhängigkeit von individuellen Widersprüchen der Kunden zu angeblich mit dem Grundversorger unterschiedlich vereinbarten Preisen führt. Unterschiedlich hoch vereinbarte Preise verstoßen dabei jedoch gegen das gesetzliche Preisspaltungsverbot aus § 36 Abs. 1 EnWG. Gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG dürfen auch Bestands- und Neukunden in der Grundversorgung (unabhängig von individuellen Widersprüchen) nicht zu unterschiedlichen Preisen versorgt werden.
--- Zitat ---Energieversorgungsunternehmen haben für Netzgebiete, in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen und zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen.
--- Ende Zitat ---
Jeder Hausshaltskunde ist im Rahmen der Grundversorgung zu dem jeweiligen Allgemeinen Preis zu versorgen, den der Versorger entsprechend gesetzlicher Verpflichtung zunächst gestaltet, sodann öffentlich bekannt gegeben und im Internet veröffentlicht hat, so dass für individuelle Preisvereinbarungen in diesem Bereich keinerlei Raum bleibt.
Der Grundversorger nimmt bei der Gestaltung der jeweiligen Allgemeinen Preise, zu welcher er gesetzlich verpflichtet ist, keinerlei Rücksicht darauf, ob betroffene Kunden in der Vergangenheit einzelnen Preisfestsetzungen widersprochen hatten. Wenn der Grundversorger aber schon bei der Gestaltung der Allgemeinen Preise keinerlei Rücksicht auf Preiswidersprüche einzelner Kunden nimmt und nehmen darf, so darf auch die Billigkeitskontrolle der vom Grundversorger vorgenommenen Preisgestaltungen keine Preiswidersprüche einzelner Kunden berücksichtigen, weil sonst der Prüfungsmaßstab (Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB) nicht dem Prüfungsgegenstand (Gestaltung des Allgemeinen Preises durch den Grundversorger) entsprechen würde. Es verhielte sich so ähnlich, als wollte man eine Temperatur mit einem Zollstock kontrollieren.
Ein angemessener Schutz, wie ihn EU- Recht verlangt, besteht nicht schon dann, wenn die schutzbedürftigen Kunden überhaupt versorgt werden müssen. Wenn nämlich die vom Grundversorger gestalteten Allgemeinen Preise unangemessen überhöht sind, ist dies nicht der Fall.
Es muss deshalb gewährleistet sein, dass jeder Haushaltskunde, der in die Grundversorgung gerät, zu angemessenen Preisen versorgt wird. Dafür muss die Angemessenheit der jeweiligen Preise der Grundversorgung kontrollierbar sein und muss den betroffenen Kunden deshalb eine Kontrollmöglichkeit zur Verfügung gestellt werden, um die vom Grundversorger vorgenommene Preisgestaltung auf Angemessenheit kontrollieren zu können.
Angemessenheit steht synonym für Billigkeit iSd. § 315 BGB.
Black:
--- Zitat von: RR-E-ft am 14. November 2014, 21:14:19 ---Wenn ich Sie recht verstanden habe, sind Sie der Meinung, Haushaltskunden hätten bisher keinen (klagbaren) Anspruch auf Versorgung zu angemessenen Preisen gegenüber dem Grundversorger.
--- Ende Zitat ---
Nicht über § 315 BGB oder §§ 1, 2, 36 EnWG.
Der einzig denkbare Weg wäre vielleicht § 19 GWB mit den entsprechend hohen Anforderungen.
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