Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

Mindermeinung: gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers aus EnWG

(1/16) > >>

RR-E-ft:
In einem Aufsatz "Die gerichtliche Kontrolle von Preisbestimmungspflichten im Energiebereich: § 315 BGB - eine inhaltlich auch vom BGH verkannte Norm", veröffentlicht in ZNER 2011, S. 130 ff. habe ich meine Mindermeinung darzulegen versucht:

- Grundversorger unterliegen einer gesetzlichen Preisbestimmungspflicht hinsichtlich der Allgemeinen Preise aus §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG.
- Die Preisbestimmung muss deshalb so erfolgen, dass sie den betroffenen Kunden eine möglichst preisgünstige Versorgung gewährleisten.
- Diese gesetzliche Preisbestimmungspflicht aus dem EnWG wird gem. §§ 6 Abs. 1 Satz 2, 1 Abs. 1 StromGVV/ GasGVV in die Grundversorgungsverträge implementiert.
- Die Preishauptabrede im Grundversorgungsvertrag besteht  deshalb in einer Preisbestimmungspflicht des Versorgers
   unter Beachtung der Bestimmungen des EnWG.
- Demgegenüber sind (konkludente) individuelle Preisvereinbarungen mit grundversorgten Kunden (die zu einem "vereinbarten Preissockel" führen)
  gesetzlich unzulässig, § 36 Abs. 1 EnWG.
- Preisaneubestimmungen sind insbesondere  infolge und im Umfange steigender Kosten möglich und gesunkener Kosten zwingend.
- Preis(neu)bestimmungen dienen nicht der Wahrung eines bereits bestehenden Äquivalenzverhältnisses,
  sondern dienen jeweils  der Schaffung eines vertragsgemäßen Äquivalenzverhältnisses.
- Der Allgemeine Preis ist wegen der vertraglich implementierten Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers von Anfang an an den Maßstab der Billigkeit gebunden
  und unterliegt deshalb der gerichtlichen Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB.
- Bei der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB erfolgt eine Kontrolle darüber, ob der Allgemeine Preis vertragsgemäß ist,
  d.h. ob er den betroffenen Kunden tatsächlich eine möglichst preisgünstige, effiziente Versorgung zu verbraucherfreundlichen Bedingungen gewährleistet.
- Eine Billigkeitskontrolle des vom Grundversorger mit der Verbrauchsabrechnung beanspruchten Allgemeinen Preises kann allenfalls verwirken.
- Eine Verwirkung vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist von Rückforderungsansprüchen des Kunden
  kann nur noch unter besonderen Umständen angenommen werden.
- Der Grundversorger trägt die Darlegungs- und Beweislast für Zeit- und Umstandsmoment und der besonderen Umstände für eine Verwirkung.
- Der Grundversorger hat kein anzuerkennedes schützwürdiges Interesse an gesetzwidrig zu hoch kalkulierten Allgemeinen Preisen,
  vielmehr kann das Zur-Abrechnung-stellen-lassen zu hoch kalkulierter Allgemeiner Preise eine Betrugsstrafbarkeit der Verantwortlichen begründen (BGH 5 StR 394/08).
- Ein gesetzwidrig zu hoch kalkulierter Allgemeiner Preis, der den betroffenen Kunden eine möglichst preisgünstige Versorgung nicht gewährleistet,
  ist gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB für die betroffenen Kunden unverbindlich und deshalb nicht geschuldet, vgl. auch § 17 StromGVV/ GasGVV.

Eine unter die gerichtliche Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 1 BGB fallende Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers ergibt sich
nicht aus § 4 AVEltV/AVBGasV bzw. § 5 StromGVV/ GasGVV, sondern unmittelbar aus §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG i.V.m. §§ 6 Abs. 1 Satz 2, 1 Abs. 1 Satz 2 StromGVV/GasGVV .

Der Streit darüber, ob der Grundversorger diese Preisbestimmungspflicht in Bezug auf den vom Kunden zu zahlenden Allgemeinen Preis vertragsgemäß erfüllt hat,
gehört deshalb gem. §§ 108, 102 EnWG in die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte.

Möglicherweise kommt nach dem Urteil des EuGH vom 23.10.14 Rs. C-359/11 und C-400/11 nun doch noch eine Diskussion darüber zustande.       

userD0010:
Das kann ja noch lustiges Berechnen und Verhandeln werden (von wem auch immer), wenn es darum gehen sollte, die jährlich mögliche preisgünstgste Versorgung der grundversorgten Endverbraucher festzustellen und diesen durch die LG zuzubilligen. Wie viele Verhandlungsjahre wird es denn erfordern, bis jeweils zuständige Landgerichte ihre Kalkulationen mit den Versorgern verhandelt und abgestimmt haben?

PLUS:

--- Zitat von: h.terbeck am 29. Oktober 2014, 14:19:26 ---Das kann ja noch lustiges Berechnen und Verhandeln werden (von wem auch immer), wenn es darum gehen sollte, die jährlich mögliche preisgünstgste Versorgung der grundversorgten Endverbraucher festzustellen und diesen durch die LG zuzubilligen. Wie viele Verhandlungsjahre wird es denn erfordern, bis jeweils zuständige Landgerichte ihre Kalkulationen mit den Versorgern verhandelt und abgestimmt haben?
--- Ende Zitat ---
@h.terbeck, lustig ist da nichts. Was sich hier deutsche Politiker, explizit der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber beim Verbraucherschutz leistet und geleistet hat ist eher ein Trauerspiel.

Die Berechnung ist zwar mit einem gewissen Aufwand verbunden. Wenn für die einseitigen Preisänderungen der Energieversorger seit 2004 die Rechtsgrundlage fehlt ist der Preis 2004 der Ausgangspunkt. Jetzt braucht man halt noch die jeweiligen Abrechnungen aus der Grundversorgung bis heute, dann ist die Rechnung eine leichte Übung.

Die von RR-E-ft vertretene Mindermeinung zeigt Sachverstand und tiefe Kenntnis der Materie und sie ist insgesamt nachvollziehbar und für Energieverbraucher höchst wertvoll. Bei mancher vertretenen "herrschenden Meinung" ist das nicht so.

userD0010:
@PLUS
Vll. hätte ich statt "lustiges" besser lustvolles schreiben sollen. Da wird doch jeder Beteiligte an dem Seilchen zu seinen Gunsten zerren. Und die Leistung unserer sog. Politiker ist doch insgesamt ein Trauerspiel, nicht nur beim Verbraucherschutz.

RR-E-ft:
Bei Lichte betrachtet ist wohl zu hinterfragen, was sich aus der Unwirksamkeit der Bestimmungen der §§ 4 AVBEltV/AVBGasV bzw. §§ 5 StromGVV/GasGVV wegen Verstoßes gegen EU- Richtlinien (vgl. EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11) überhaupt für Folgen ergeben, wenn jene Bestimmungen schon von Anfang an nicht die der Billigkeitskontrolle unterliegende Preisbestimmungspflicht der Grundversorger enthielten, sondern sich diese Preisbestimmungspflicht der Grundversorger nach wie vor aus §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG iVm. § 6 Abs. 1 Satz 2, 1 Abs. 1 Satz 2 StromGVV/GasGVV ergibt.

Wir müssen wohl geistig flexibel bleiben.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln