Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Mindermeinung: gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers aus EnWG
RR-E-ft:
@Black
Es ist doch aber nunmal so, dass den Grundversorger eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht trifft und die Erfüllung dieser Verpflichtung einer Ausübungskontrolle bedarf, welche sie nur in § 315 BGB findet.
Soweit die Billigkeitskontrolle einer einseitigen Tarifänderung unstreitig ist, überzeugen die Argumente, die gegen eine Billigkeitskontrolle des Tarifs angebracht werden, nicht wirklich.
Denn bei Lichte betrachtet unterscheiden sich doch die Folgen (bis auf den "Preissockel") gar nicht so sehr voneinander. Hier wie dort kann die Billigkeitskontrolle zum Ergebnis haben, dass die getroffene Leistungsbestimmung nicht der Billigkeit entspricht, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB.
BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06, juris Rn. 17
--- Zitat ---Allgemeine, für jedermann geltende Tarife schließen eine Billigkeitsprüfung gemäß § 315 BGB nicht von vornherein aus. Zwar ist richtig, dass es bei der Bestimmung der Billigkeit auf die Interessenlage beider Parteien und eine umfassende Würdigung des Vertragszwecks ankommt (Senatsurteil vom 2. Oktober 1991 - VIII ZR 240/90, NJW-RR 1992, 183, unter III 1). Die Berücksichtigung der typischen Interessenlage beider Parteien und eine umfassende Würdigung des Vertragszwecks sind aber auch bei einem Massengeschäft möglich (vgl. BGHZ 115, 311 zu Abwasserentgelten und BGH, Urteil vom 5. Juli 2005 - X ZR 60/04, NJW 2005, 2919 zur Abfallentsorgung).
--- Ende Zitat ---
Dabei betrifft die Billigkeitskontrolle insbesondere auch solche Tarife, für welche keine staatliche Preisgenehmigungspflicht besteht. Zu individuellen Tarifen kann es bei der Billigkeitskontrolle wohl nur kommen, wenn man contra legem auf individuelle Preiswidersprüche und hierdurch angeblich individuell gebildete Preissockel abstellt.
BGH, Urt. 18.10.05 KZR 36/04, juris Rn. 10:
--- Zitat ---Aber auch das zum Zeitpunkt des Vertragschlusses von dem Netzbetreiber geforderte Entgelt ist regelmäßig ein nach dem Willen der Vertragsparteien einseitig bestimmtes Entgelt, das der Netzbetreiber zu bestimmten Zeitpunkten ermittelt und das - schon zur Vermeidung einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung - für eine bestimmte Zeitdauer sämtlichen Vertragsbeziehungen mit gleichen Nutzungsprofilen unabhängig davon zugrunde liegen soll, wann der Vertrag geschlossen wird. Auch dann, wenn das Entgelt betragsmäßig bereits feststellbar ist, wird - wie im Streitfall der Verweis auf die "jeweils geltende Anlage 3" verdeutlicht - nicht dieser Betrag als Preis vereinbart. Der Betrag gibt vielmehr lediglich das für einen bestimmten Zeitpunkt ermittelte Ergebnis des gleichen Preisbestimmungsverfahrens wieder, das dem Netzbetreiber auch für die Zukunft zustehen soll, an dem der Netznutzer nicht teilnimmt, dessen konkrete preisbestimmende Faktoren ihm nicht bekannt sind und dessen Ergebnis er weder nachvollziehen noch beeinflussen kann. Es ist daher nicht weniger einseitig bestimmt als die künftige Höhe des Entgelts. Es wäre eine künstliche Aufspaltung der äußerlich und inhaltlich einheitlichen Preisvereinbarung und führte zu Zufallsergebnissen, wollte man einen vereinbarten Anfangspreis von (vom Zeitpunkt der ersten ausdrücklich oder stillschweigend vorgesehenen Neuberechnung an maßgeblichen) einseitig bestimmten Folgepreisen unterscheiden.
--- Ende Zitat ---
Der Maßstab bei der Billigkeitskontrolle eines aufgrund der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht vom EVU gebildeten Tarifs ist kein individueller, so wie schon die Preisbestimmung des Versorgers keine individuelle gegenüber einzelnen Kunden war. Schließlich muss der Prüfungsmaßstab dem Prüfungsgegenstand (hier: der Allgemeinen Preisbestimmung/ Bestimmung des Allgemeinen Preises für einen typischen Abnahmefall) entsprechen.
BGH, Urt. v. 4.3.08 KZR 29/06, juris Rn. 21:
--- Zitat ---Die energiewirtschaftsrechtlichen Kriterien für das zulässige Netznutzungsentgelt stehen damit, wie der Senat bereits entschieden hat (BGHZ 164, 336, 341 – Stromnetznutzungsentgelt I; BGH WuW/E DE-R 1730, 1731 f. – Stromnetznutzungsentgelt II), einem Verständnis der Preisbestimmung als Bestimmung des billigen Entgelts im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Der Maßstab der Billigkeit und Angemessenheit ist lediglich kein individueller, sondern muss aus der typischen Interessenlage des Netznutzungsverhältnisses und den für dessen Ausgestaltung maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben gewonnen werden (vgl. BGHZ 115, 311, 317 ff.; BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17).
--- Ende Zitat ---
Wer davon ausgeht, dass die Versorger (seit Monopolzeiten!) berechtigt waren, durch einseitige Preisänderungen ihre Margen zu wahren, der muss erkennen, dass er es somit zulässt, Monopolrenditen in die Gegenwart fortzuschreiben, obschon solche Renditen wohl unzweifelhaft gegen §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG verstoßen.
Aus meinem Aufsatz geht auch hervor, dass der Gesetzgeber mit §§ 108, 103, 102 EnWG gerade eine Konzentrationswirkung bei bestimmten Spruchkörpern erreichen wollte, um eine Zerfaserung der Rechtsprechung zu vermeiden.
So können immer wieder die gleichen, spezialisierten KfH bei den Landgerichten oder zuständig für mehrere Landgerichtsbezirke ausschließlich zuständig sein für die Billigkeitskontrolle von Netzentgelten und Grundversorgertarifen im Energiebereich.
bolli:
--- Zitat von: RR-E-ft am 04. November 2014, 20:09:07 ---Aus meinem Aufsatz geht auch hervor, dass der Gesetzgeber mit §§ 108, 103, 102 EnWG gerade eine Konzentrationswirkung bei bestimmten Spruchkörpern erreichen wollte, um eine Zerfaserung der Rechtsprechung zu vermeiden.
So können immer wieder die gleichen, spezialisierten KfH bei den Landgerichten oder zuständig für mehrere Landgerichtsbezirke ausschließlich zuständig sein für die Billigkeitskontrolle von Netzentgelten und Grundversorgertarifen im Energiebereich.
--- Ende Zitat ---
Bedauerlicherweise gefiel dem BGH aber wohl die Rechtsprechung seines Kartellsenats nicht. Denn während in der Anfangszeit Streitigkeiten über die Preise in der Grundversorgung an den LG und OLG konsequenterweise gemäß § 102 EnWG an den Kammern für Handelssachen bzw den Kartellsenaten verhandelt wurden, wurde die Rechtssprechung in diesen Fällen beim BGH entgegen seiner Geschäftsordnung relativ schnell an den VIII Senat abgegeben (da es angeblich um privatrechtliche vertragliche Vereinbarungen ging) der dann auch alsbald in 2007 seine "Preissockeltheorie" aufstellte, die noch heute zur Anwendung kommt. >:(
Mittlerweile haben auch schon Amtsgerichte über Fragen zur Billigkeit entschieden, obwohl die Preisbestimmungspflicht sich aus dem EnWG und den daraus ergangenen GVV ergibt und somit eine Zuständigkeit gem. § 102 EnWG gegeben sein sollte.
.
RR-E-ft:
Die Meinung, dass die Billigkeitskontrolle einer einseitigen Änderung des Tarifpreises keine Streitigkeit im Sinne des § 102 EnWG ist, scheint in der [in meinem Aufsatz aufgeführten] obergerichtlichen Rechtsprechung einhellig. Der BGH hatte ersichtlich nie Gelegenheit, diese Rechtsprechung der OLG zu überprüfen.
Einzig mit einem Beschluss v. 20.08.07 Az. X ZR 247/07 wurde über eine Gersichtsstandszuständigkeit nach § 106 EnWG in einem energierechtlichen Verwaltungsverfahren die Netzentgeltgenehmigung betreffend vom BGH entschieden.
Black:
--- Zitat von: RR-E-ft am 04. November 2014, 20:09:07 ---@Black
Es ist doch aber nunmal so, dass den Grundversorger eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht trifft und die Erfüllung dieser Verpflichtung einer Ausübungskontrolle bedarf, welche sie nur in § 315 BGB findet.
--- Ende Zitat ---
Ob von dieser einseitigen Bestimmungspflicht auch der Anfangspreis des Neukunden betroffen ist oder nicht, besteht gerade der bekannte Streit, in dessen Rahmen Sie eine Mindermeinung vertreten.
--- Zitat von: RR-E-ft am 04. November 2014, 20:09:07 ---Denn bei Lichte betrachtet unterscheiden sich doch die Folgen (bis auf den "Preissockel") gar nicht so sehr voneinander. Hier wie dort kann die Billigkeitskontrolle zum Ergebnis haben, dass die getroffene Leistungsbestimmung nicht der Billigkeit entspricht, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB.
--- Ende Zitat ---
Bei einer Gesamtpreiskontrolle müsste das Gericht - anders als bei der jetzt praktizierten Preiskontrolle einzelner Anpassungen - auch die Gewinnmarge des Versorgers festlegen. Der Unterschied wäre also erheblich.
PLUS:
Energiewirtschaftsgesetz
§ 1
Zweck des Gesetzes
(1) Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht.
§ 2
Aufgaben der Energieversorgungsunternehmen
(1) Energieversorgungsunternehmen sind im Rahmen der Vorschriften dieses Gesetzes zu einer Versorgung im Sinne des § 1 verpflichtet.
Diese Verpflichtung im Gesetz entspricht der "Mindermeinung" und bezieht sich zweifelsfrei auf die Gesamtleistung und somit auch auf den Gesamtpreis. Unangemessene nicht betriebswirtschaftlich erforderliche Gewinnmargen neben diversen Quersubventionen entsprechen insbesondere bei Stadtwerken aber auch bei allen anderen Energieversorgern erkennbar nicht dem Sinne des Gesetzes.
Was sich hier entwickelt hat bedarf der Korrektur. Selbst ein Bundesminister AD ist mit der Auslegung und Handhabung der Gesetze nicht einverstanden.
EINSPRUCH!
--- Zitat von: Norbert Blüm, Bundesminister AD: ---Wenn der frühere Präsident des Bundesgerichtshofs, Günter Hirsch, sagt, Richter sollen Gesetze nicht nur danach auslegen, was sich der Gesetzgeber bei Erlass der Gesetze dachte, sondern auch, was er vernünftigerweise gedacht haben sollte, dann machen die Gerichte sich zur Gouvernante der Gesetzgebung. Das geht gegen die Gewaltenteilung.
--- Ende Zitat ---
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