Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Der VIII. Zivilsenat, der EuGH oder doch der Große Senat für Zivilsachen des BGH  (Gelesen 98624 mal)

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„Vor dem VIII. Zivilsenat und auf hoher See ...

ist man in Gottes Hand“. So könnte man vielleicht meinen, wenn man die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats in Sachen Gaspreiserhöhungen in den letzten Jahren intensiver verfolgt hat.

Skepsis war spätestens seit der Entscheidung des VIII. Zivilsenats vom 15.07.2009 (VIII ZR 56/08) angebracht, mit der die hohen Herrschaften in Karlsruhe mal so eben per „obiter dictum“ (ohne dass es also für die Entscheidung der damaligen Revision auch nur in Ansätzen von Bedeutung und damit angezeigt gewesen wäre) von der Transparenzrechtsprechung anderer BGH Senate abwichen und dabei wissen ließen, intransparente Verordnungen, denen ein Preisanpassungsrecht zu entnehmen sei (GasGVV/AVBGasV), könnten ohne weiteres in die Verträge mit Sondervertragskunden übernommen werden, wenn sie nur mit dem Verordnungstext inhaltlich übereinstimmten bzw. von diesem nicht abwichen (Übernahmerechtsprechung“).

Damals wurde auch hier im Forum fast zwangsläufig die Frage gestellt, ob der VIII. Zivilsenat damit nicht seine Kompetenzen überschritten hatte, wo er doch möglicherweise wegen seiner von der Transparenz-Rechtsprechung anderer Zivilsenate des BGH abweichenden Rechtsansicht vor einer eigenen Entscheidung in der Sache den Großen Senat hätte anrufen müssen.

Gleichzeitig wurde hier vereinzelt auch die europäische Dimension gesehen und die Frage aufgeworfen, ob nicht europäisches Recht einer so weitgehenden Aushöhlung der BGH-Transparenzrechtsprechung entgegensteht, wie sie der VIII. Zivilsenat mit seiner Entscheidung aus Juli 2009 zu Lasten des Verbraucherschutzes betrieben hat.

Mein Beitrag soll diese beiden Aspekte, die in den zur Entscheidung anstehenden EWE-Revisionsverfahren aktueller denn je erscheinen - zum einen die „Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof (EuGH)“, zum anderen die „Vorlagepflicht an den beim Bundesgerichtshof gebildeten Großen Senat für Zivilsachen“ - noch einmal näher ins Bewusstsein rücken und dabei genauer unter die Lupe nehmen.

Vorab sei gesagt, dass entsprechende Vorlagepflichten aus meiner Sicht bislang zwar noch nicht bestanden, sich dieses jetzt aber in Sachen EWE wohl ganz anders darstellen dürfte.

Man darf also gespannt sein, wie der VIII. Zivilsenat insbesondere die Revisionen gegen die Entscheidung des OLG Oldenburg behandeln wird. Dabei wird sich nämlich endgültig zeigen, mit welchem Selbstverständnis des VIII. Zivilsenat des BGH Recht spricht:

Trifft er eine am materiellen wie prozessualen Recht orientierte Entscheidung und dokumentiert damit seine richterliche Unabhängigkeit in alle Richtungen (also auch gegenüber Lobbyvertretern der Versorgungsunternehmen)?

Oder ist der VIII. Zivilsenat jetzt tatsächlich willens, den schon mit der eingangs erwähnten Obiter-Dictum-Entscheidung vom 15.07.2009 vorgezeichneten Weg (alleine) weiterzugehen und so endgültig den rechtsstaatlichen \"Offenbarungseid\" zu leisten?

Um nachvollziehbar zu machen, warum der EuGH bzw. der Große Senat jetzt meiner Ansicht nach am Zuge sind, wenn der VIII. Zivilsenat an seiner Ansicht aus seiner („Übernahme“-)Entscheidung vom 15.07.2009 festhalten will, was er ja in der mündlichen Verhandlung zumindest in Erwägung gezogen hat, muss ich auf einige Punkte noch einmal ausdrücklich zurückkommen, die hier im Forum in der Vergangenheit schon wiederholt diskutiert wurden und so für viele Leser bereits bekannt sein dürften. Dieses Vorgehen führt dann aber leider zugleich dazu, dass der Umfang meines Beitrags den ursprünglich vorgesehenen bei weitem sprengt. Ich hoffe, niemand nimmt mir das allzu übel!

Es geht hier aus meiner Sicht um die zentrale Frage, ob der VIII. Zivilsenat vor einer endgültigen Revisionsentscheidung in Sachen EWE seiner Pflicht nachkommt und europäisches Recht (insbesondere die EU-Klauselrichtlinie sowie die EU-Gasrichtlinie) beachtet, ggf. dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die hier bedeutende Rechtsfrage in einem Vorabentscheidungsverfahren vorlegt bzw. - wie nach deutschem Recht angezeigt - den beim BGH gebildeten Großen Senat für Zivilsachen anruft.

Das Transparenzgebot des BGB

Europäisches wie deutsches Recht stehen einer Entscheidung entgegen, die den Verbraucherschutz in einem wesentlichen Punkt substanziell beschneidet. Es geht um das auch hier oft angesprochene „Transparenzgebot“ gem. § 307 BGB. Diese bürgerlich-rechtliche Verbraucherschutz-Vorschrift verbietet es „ohne Wenn und Aber“, dass Vertragsklauseln in „Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)“ eines Unternehmers „nicht klar und verständlich“ - also intransparent - formuliert sind. Bestehen derartige Unklarheiten, trifft § 307 Abs. 1 BGB zugleich eine Bestimmung über das Schicksal solch intransparenter Vertragsklauseln: Sie sind „unwirksam“.

Zitat
§ 307 Abs. 1 BGB
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.


In den EWE-Verfahren geht es nun nicht zuletzt um die Wirksamkeit der von der EWE per AGB in den Versorgungsvertrag einbezogenen „Preisanpassungsklauseln“. Zu den tatbestandlichen Anforderungen, denen solche Klauseln mit Blick auf ihre Klarheit und Verständlichkeit zu genügen haben, um wirksam zu sein, um also ein einseitiges Preisanpassungsrecht zu begründen, liegt eine umfangreiche - im wesentlichen gleichlautende - Rechtsprechung der verschiedener BGH-Zivilsenate vor, die sich unter dem Oberbegriff „Transparenzrechtsprechung des BGH“ zusammenfassen lässt.

Geltung des Preisänderungsrechts aus der Verordnung

Während sich ein Energieversorgungsunternehmen (EVU) gegenüber seinen Kunden, die von ihm im Rahmen der Versorgungspflicht als „Tarifkunden“ oder Kunden der „Grundversorgung“ mit Erdgas beliefert werden, unmittelbar auf ein gesetzliches Preisänderungsrecht berufen kann - auf 4 AVBGasV, die bis zum 07.11.2006 in Kraft war, seitdem auf § 5 GasGVV -, gelten diese Vorschriften ihrem Wortlaut nach für Kunden, die mit dem Versorger einen „Sondervertrag“ abgeschlossen haben, gerade nicht.

Mit Sondervertragskunden muss das EVU also ein Preisänderungsrecht WIRKSAM einzelvertraglich vereinbart haben, will es etwa Kostensteigerungen, denen es selbst ausgesetzt war, an sie weitergeben.

Der Unterscheidung des jeweiligen Vertragstypus - Sondervertragskunde hier, Grundversorgungskunde da - kommt also von daher grundlegende Bedeutung für die Frage zu, ob „mein“ EVU mir gegenüber überhaupt zur Preisänderung berechtigt ist.

Welchem Vertragstypus der jeweilige Versorgungsvertrag nun konkret folgt, ob insbesondere ein Sondervertrag vorliegt, muss naturgemäß in jedem Einzelfall entschieden werden. Das Instanzgericht wird folglich an diesem Punkt sehr genau hinzusehen haben. Dabei ist keinesfalls unerheblich, dass EVU im Allgemeinen - und so auch die EWE im Besonderen - im „Massengeschäft Energielieferung“ mit einer Vielzahl von Kunden regelmäßig gleichlautende Verträge abschließen bzw. abgeschlossen haben. Derartige Gasverträge, in denen die EWE mit ihren Kunden etwa den Tarif „SI (Sondervereinbarung“) vereinbarte, der später dann in „erdgas classic“ umbenannt wurde, sind vom OLG Oldenburg bereits im Jahre 2008 als Sonderverträge eingestuft worden. Jeder Gaskunde kann also daraus unmittelbar und hinreichend verlässlich ableiten, ob er schon von daher (Norm)Sonderkunde der EWE ist. Im Zweifelsfall ist aber selbstverständlich immer Rechtsrat einzuholen!

Ohne an dieser Stelle die Abgrenzungskriterien Grundversorgungsvertrag/Sondervertrag noch einmal herunterzubeten, so sei doch auf Folgendes kurz hingewiesen: Welche Bedeutung der VIII. Zivilsenat schon dem Wortlaut des angebotenen Tarifs beimisst, macht er mit seiner Entscheidung vom 15.07.2009 -VIII ZR 225/07 - (vgl. zu den Abgrenzungskriterien insbesondere Rd.-Nrn. 13-16) sehr deutlich. Die Feststellung des OLG Oldenburg, beim EWE-Tarif „Sondervereinbarung SI“ (später umbenannt in „erdgas classic“) sei von einem Sondervertrag auszugehen, weicht von den Kriterien, die der VIII. Zivilsenat in seiner e.g. Entscheidung aufgestellt hat, auch nicht substanziell ab. Der EWE wird es dann auch kaum gelingen, SI-(Norm)Sondervertragskunden zu Grundversorgungskunden umzudefinieren, nur um sich so unmittelbar auf das gesetzliche Preisänderungsrecht berufen zu können. Das sieht wohl auch die EWE selbst so, denn deren Prozessvertreter, Prof. Krämer, stellte in der Revisionsverhandlung bezüglich eines Verfahrens, das das LG Oldenburg entschieden hatte, nun ausdrücklich unstreitig, dass es sich bei den zugrundeliegenden SI-Verträgen sämtlich um Sonderverträge handele. Dem ging ja gem. dem Verhandlungsbericht von „ESG-Rebell“ der Hinweis des Senatsvorsitzende Ball voraus, dass es sich entgegen der widersprüchlichen Feststellungen des LG Oldenburg tatsächlich wohl um Sonderverträge handeln könnte.

Da im Verfahren vor dem OLG Oldenburg die Parteien zudem übereinstimmend von der Normsonderkundeneigenschaft sämtlicher verfahrensbeteiligter Sammelkläger mit SI-Vertrag (und später „erdgas classic“) ausgingen, der Vertragstypus also dort völlig außer Streit stand, wird der VIII: Zivilsenat zumindest in diesen beiden Verfahren die (Norm)Sonderkundeneigenschaft der Sammelkläger auch seiner Rechtsfindung zugrunde legen.

Die Übernahme des Preisänderungsrechts aus der Verordnung in den Sondervertrag

Die Frage, die sich deshalb mit Blick auf die vorliegenden Sonderverträge vor dem VIII. Senat aktuell stellt:

Konnte die EWE im Falle fehlender individueller Aushandlung eines Preisänderungsrechts mit ihren Sondervertragskunden ein gesetzlich nicht unmittelbar eingreifendes Preisanpassungsrecht etwa durch einen einfachen und allgemein gehaltenen AGB-Hinweis auf die Geltung der Gasverordnung (AVBGasV) wirksam in den Versorgungsvertrag einbeziehen (die EWE-Klausel lautete: „Das Vertragsverhältnis richtet sich nach der AVBGasV“)?

Darüber, wie der VIII. Zivilsenat diese Frage beantworten möchte, gibt die angesprochene Übernahmeentscheidung des VIII. Zivilsenats vom 15.07.2009 Auskunft:

Damals hatte der VIII. Zivilsenat in einem nicht nur hier im Forum heftig diskutierten - und kritisierten - Urteil mal so eben nebenbei per obiter dictum Feststellungen getroffen, welche die Revisionsverfahren in Sachen EWE in nicht unerheblicher Weise zum Nachteil der prozessbeteiligten Verbraucher beeinflussen könnten.

Der VIII. Zivilsenat stellte dort nämlich erstmalig die These auf, eine gesetzliche Preisänderungsklausel, wie sie § 4 AVBGasV darstelle und auf die sich der Gasversorger gegenüber seinen Kunden im Tarif- bzw. Grundversorgungskundenverhältnis zur Preisänderung berufen könne, dürfe unbeachtet seiner Intransparenz wirksam in einen formularmäßigen Erdgassondervertrag einbezogen werden. Voraussetzung sei lediglich, dass das bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht unverändert übernommen werde.

Entgegenstehendes deutsches Recht (Transparenzrechtsprechung des BGH)

Das Problem dabei liegt nun aber darin, dass § 307 BGB einem solchen Ergebnis schon seinem Wortlaut nach entgegensteht. Denn - wie festgestellt - lautet die klare gesetzliche Regel: eine nicht klare und verständliche Klausel = unwirksam. Und so machte auch das OLG Oldenburg in seiner Entscheidung vom 12.09.2008 (12 U 49/07) sehr nachvollziehbar deutlich, dass das Preisänderungsrecht der Verordnungen nichts anderes darstelle, als einen \"nichts sagenden Verordnungstext\" und damit zugleich intransparent im Sinne von § 307 BGB sei.

Hinsichtlich der tatbestandlichen Anforderungen, denen in den Vertrag einbezogene Preisänderungsklauseln generell genügen müssen, um nicht als unwirksam verworfen zu werden, lag zudem schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des VIII. Zivilsenats am 15.07.2009 die gefestigte Transparenzrechtsprechung der verschiedener Senate des BGH vor. Preisanpassungsklauseln müssen danach näher konkretisieren, bei welchem Anlass, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das einseitige Preisänderungsrecht des Verwenders gegeben sein soll. Da das gesetzliche Preisanpassungsrecht der Verordnungen derartige Konkretisierungen aber eindeutig nicht enthält, müsste eine Klausel, die lediglich den Verordnungstext in den Versorgungsvertrag einbezieht, unter Zugrundelegung der einhelligen Transparenzrechtsprechung des BGH (eigentlich) unwirksam sein. Das sieht der VIII. Zivilsenat aber anders, wie seine Entscheidung vom 15.07.2009 zeigt.

Mit seiner Entscheidung vom 15.07.2009 wich der VIII. Zivilsenat also zum einen von der Transparenzrechtsprechung anderer Zivilsenate ab, die sich bisher mit Preisänderungsklauseln zu befassen hatten.

Betroffene europäische Rechtsmaterien

Zum anderen lag und liegt der VIII. Zivilsenat mit seinem Ergebnis aus Juli 2009 auch quer zur EU-Klauselrichtlinie 93/13/EWG vom 5. April 1993 sowie insbesondere zur EU-Gasrichtlinie 2003/55/EG vom 26.06.2003, die den EU-Staaten ausdrücklich aufgibt, dafür Sorge zu tragen, dass im Rahmen von Gasversorgungsverträgen mit Endkunden, „ein hoher Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen“, herrscht.

Diese abweichende Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats in dieser doppelten Hinsicht (EU-Richtlinien/Transparenzrechtsprechung) ist zumindest bemerkenswert.

Vorlageverfahren an den EuGH/Großen Senat für Zivilsachen des BGH

Zur EU-weiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung der einzelstaatlichen Gerichte kommt gem. Art. 234 EU-Vertrag dem EuGH wesentliche Bedeutung zu. Hängt eine Entscheidung von der Auslegung (Bedeutung und Reichweite) einer europäischen Vorschrift - wie hier von einer EU-Richtlinie - ab, dann ist nicht das einzelstaatliche Gericht zu deren Auslegung berufen, sondern ausschließlich der Europäische Gerichtshof. Handelt es sich beim erkennenden Gericht um ein Gericht, dessen Entscheidung nicht mehr mit einem Rechtsmittel angegriffen werden kann (der VIII. Zivilsenat als letzte Instanz), dann MUSS die europarechtlich bedeutsame Auslegungsfrage dem Europäischen Gerichtshof vom Revisionsgericht in einem sog. Vorabentscheidungsverfahren zwingend zur Entscheidung vorgelegt werden.

Ganz ähnlich verhält es sich auf deutscher Ebene: Um eine einheitliche Rechtsprechung der verschiedenen Senate des BGH in Grundsatzfragen sicherzustellen, hat der Gesetzgeber mit § 132 GVG eine Regelung getroffen, nach der ein Zivilsenat, der von der Entscheidung eines anderen Zivilsenats abweichen will, die Sache dem beim BGH gebildeten Großen Senat für Zivilsachen vorzulegen hat, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, an seiner Rechtsauffassung festhalten will.

Hätte der VIII. Zivilsenat dann aber nicht schon im Vorfeld des Verfahrens, das unter Ausblendung der EU-Gasrichtlinie am 15.07.2009 zu einer Abweichung von der Transparenzrechtsprechung der anderen Senate des BGH geführt hat, den EuGH bzw. den Großen Senat des BGH einschalten müssen?

Die Vorlage an den EuGH/Großen Senat für Zivilsachen steht im Einzelfall nicht im freien Ermessen des Revisionsgerichts. Liegen die Voraussetzungen für eine entsprechende Vorlage erkennbar vor, muss das Revisionsgericht diesen Weg auch einschlagen. Würde sich im vorliegenden Fall der VIII. Zivilsenat etwa eine Entscheidung über eine Frage anmaßen, die in die ausschließliche Entscheidungskompetenz des EuGH bzw. des Großen Senats fällt, so kann darin ein Verstoß gegen Art. 101 GG liegen. Art. 101 GG verbürgt den Anspruch eines jeden Einzelnen auf den gesetzlichen (gesetzlich bestimmbaren) Richter als grundrechtsgleiches Recht. Eine Entscheidung, die unter willkürlicher Missachtung von Art. 101 GG zustande gekommen ist, kann ggf. mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht werden.

Die Frage, ob im Einzelfall der EuGH oder der Große Senat des BGH angerufen werden muss, stellt sich dem erkennenden Senat aber von Gesetzes wegen immer nur dann, wenn von der Klärung der (Vor-)Frage die Entscheidung des zugrundeliegenden Rechtstreits abhängt. Sowohl in der Entscheidung vom 15.07.2009 als auch in den nachfolgenden, mit denen der VIII. Senat seine Rechtsprechung zur „unveränderten Übernahme eines gesetzlichen Preisänderungsrechts in einen Sondervertrag“ aus Juli 2009  bestätigte, war diese Thematik kein einziges Mal wesentlich für die Entscheidung der jeweiligen Revision (stellte also auch nur eine mehr oder weniger fallunabhängige Rechtsansicht des Senats dar, die in einem Revisionsurteil nicht unbedingt etwas zu suchen hat). Eine Vorlage an den Großen Senat des BGH oder den EuGH war also deshalb bisher nicht erforderlich, wäre wahrscheinlich sogar wegen der „nicht gegebenen Entscheidungserheblichkeit“ unzulässig gewesen.

Dieses sieht nun aber wohl anders aus, weil es für die Entscheidung der Revision - zumindest soweit die Entscheidung des OLG Oldenburg betroffen ist - darauf ankommen dürfte, ob ein „nichtssagender Verordnungstext“ (hier die AVBGasV) trotz des Transparenzgebots gem. § 307 BGB in einen Sondervertrag überhaupt wirksam einbezogen werden kann. Da sich die Entscheidung dieser Frage vom VIII. Zivilsenats nun (wohl) auch nicht mehr so ohne weiteres per „obiter dictum“ abhandeln lässt, dürfte die Vorlage an den EuGH bzw. den Großen Senat vorgezeichnet sein.

Es stellt sich hier also gerade auch mit Blick auf die vom Anwalt der EWE-Gegner, Rechtsanwalt Peter Wassermann, in der mündlichen Verhandlung vor dem VIII. Zivilsenat am 17.03.2010 ins Spiel gebrachte Aufforderung an den VIII. Senat, die europäische(n) Richtlinie(n) zu beachten sowie ggf. den Großen Senat für Zivilsachen anzurufen, die Frage:

Unter welchen Voraussetzungen ist der VIII. Zivilsenat des BGH konkret in Sachen EWE verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, und wann muss er vor einer letztinstanzlichen Entscheidung des Revisionsgerichts zunächst den Große Senat des BGH anrufen!?

Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Äußerung des Senatsvorsitzenden Ball in der mündlichen Verhandlung, dass unter Zugrundelegung der besagten Übernahmerechtsprechung des VIII. Zivilsenats vom 15.07.2010 auch in Sachen EWE evtl. von einer wirksamen Einbeziehung der AVBGasV in die zugrunde liegenden Sonderverträge auszugehen sei.

Widerspruch gegen einschlägige EU-Richtlinien

Eine solche streitentscheidende Feststellung könnte der VIII. Zivilsenat im Revisionsurteil in Sachen EWE aber nicht so ohne weiteres treffen. Daran ist er zum einen gehindert durch die besagten EU-Richtlinien, nämlich die Klauselrichtlinie 93/13/EWG (sie ist offiziell bezeichnet als „Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen“) sowie die Gas-Richtlinie 2003/55/EG (\"Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG“).

Zum anderen ist er für eine solche das AGB-Recht - insbesondere das darin zum Ausdruck kommende Transparenzgebot gem. § 307 BGB - in einem wesentlichen Bereich der Daseinsvorsorge (Gasbezug) völlig über den Haufen werfende Feststellung nicht zuständig, weil er damit von der einschlägigen Rechtsprechung anderer Senate des BGH zur AGB-Kontrolle im Rahmen von Preisanpassungsklauseln abweichen müsste und infolgedessen zuvor unbedingt den Großen Senat des BGH anzurufen hätte: Eine Entscheidung im Sinne der Übernahme-Rechtsprechung würde nicht zuletzt abweichen von der Rechtsprechung des Kartellsenats (Urteil vom 29.04.2008 - KZR 2/07), insbesondre aber von der jüngsten Transparenzrechtsprechung des Bankensenats (Urteil vom 21.04.2009 - XI ZR 78/08 ).

Die seit Juli 2007 geltenden EWE-AGB

Bei der EWE ist am 1. Juli 2007 eine Zäsur eingetreten. Seit dem Tag gelten neue Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die der EWE auf neuer Grundlage ein Preisänderungsrecht einräumen sollen.

Für die Zeit vor dem 1. Juli 2007 beruft sich die EWE auf die Geltung - die wirksame Einbeziehung - der AVBGasV, um ihr Preisänderungsrecht gegenüber ihren Sondervertragskunden zu begründen.

Bezüglich der Preisanpassungsregelungen der neuen AGB seit Juli 2007 dürfte die hier zu erläuternde europarechtliche Frage bzw. Anrufung des Großen Senats keine wesentliche Rolle spielen; deshalb hier lediglich ein kurzer Ausblick auf die dabei zu erwartende Entscheidung des VIII. Zivilsenats.

Die neuen Preisanpassungsregelungen der EWE werden noch nicht einmal den einfachen Voraussetzungen, die der VIII. Zivilsenat in seiner besagten Übernahmeentscheidung vom 15.07.2009 an eine wirksame Einbeziehung einer Preisänderungsvorschrift aus der Verordnung knüpft, gerecht:

Es liegt schon keine unveränderte Übernahme der Verordnung vor. Darauf wurde die EWE in der mündlichen Verhandlung am 17.03.2010 nach dem Verhandlungsbericht von „ESG-Rebell“ ja auch vom Senatsvorsitzenden Ball ausdrücklich hingewiesen.

Die Regelung weicht zum Nachteil der Kunden von der gesetzlichen Regelung, wie sie in der GasGVV normiert ist, ab.

Spätestens seit seiner Entscheidung vom 27.01.2010 (VIII ZR 326/08 ), die ja mittlerweile im Wortlaut vorliegt, hat der VIII. Zivilsenat wohl nur einen äußerst geringen Spielraum, die \"neuen\" AGB der EWE unbeanstandet durchzuwinken, so dass nicht zu erwarten ist, dass diese Klauseln den Termin der Urteilsverkündung überdauern werden:

In Ziffer 4 ihrer AGB von 2007 (\"Preisänderung\") stellt die EWE unter wesentlicher Abweichung von § 5 Abs. 2 Satz 1 GasGVV klar, wann Preisänderungen wirksam werden sollen, nämlich mit ihrer Veröffentlichung. Dabei verzichtet die EWE in ihren AGB insbesondere auf den Hinweis, dass als  wesentliches Wirksamkeitserfordernis zeitgleich mit der Veröffentlichung eine briefliche Mitteilung über die Preisänderung an den Kunden zu versenden ist.

Der VIII. Zivilsenat hat bei in dieser Hinsicht vergleichbaren AGB eines EVU in seiner eben genannten Entscheidung aus Januar 2010 dann auch festgestellt, dass in derartigen Fällen bei kundenfeindlichster Auslegung davon auszugehen sei, dass die gesetzlichen Mitteilungspflichten nicht gelten sollen. Derartige Preisänderungsklauseln sind also als kundenbenachteiligend zu werten und damit unwirksam.

Die vor dem 1. Juli 2007 geltenden EWE-AGB

Soweit sich die Preisanpassungen auf die Zeit vor dem 1. Juli 2007 beziehen - wo die neuen AGB der EWE noch nicht anzuwenden waren, sich die EWE zur Preisanpassung auf die wirksame vertragliche Einbeziehung der AVBGasV beruft, hat der VIII. Zivilsenat die Wirkungen der EU-Gasrichtlinie auf § 307 BGB zu beachten. Daneben ist zu beachten, dass nunmehr \"zwingend\" der Große Senat des BGH zuständig wäre, wenn der VIII. Zivilsenat auch in Sachen EWE an seiner bisher praktizierten Übernahme-Rechtsprechung festhalten will und in streitentscheidender Weise die Einbeziehung von nicht transparenten Verordnungen in Versorgungsverträge mit Sondervertragskunden ohne weiteres als wirksames Preisanpassungsrecht gelten lassen will.

EU-Richtlinien und die Vorlage an den EuGH (Grundlagen)

Die europäischen Rechtsmaterien berühren in zunehmendem Maße Bereiche, die in der Vergangenheit der nationale Gesetzgeber alleine geregelt hat oder regeln konnte. Auf der europäischen Ebene gibt es neben den Verträgen (das primäre Gemeinschaftsrecht) insbesondere zwei Arten von \"Gesetzen\", die auf gemeinschaftsstaatlicher Ebene die Rechtslage, denen alle EU-Bürger unterworfen sind -  (mit-)prägen, nämlich die EU-Verordnungen sowie - hier von besonderer Bedeutung - die EU-Richtlinien. Während die europäischen Verordnungen unmittelbar geltendes Recht darstellen, aus denen alle EU-Bürger Rechte unmittelbar ableiten können, stellen Richtlinien eher Handlungsanweisungen an den Mitgliedsstaat dar. Den Staaten wird durch die Richtlinie vorgegeben, bis zu einem in der Richtlinie festgesetzten Zeitpunkt dafür zu sorgen, dass die darin geregelte Materie in Übereinstimmung mit den in der Richtlinie niedergelegten Bestimmungen in nationales Recht umgesetzt wird. Dabei gibt die Richtlinie den Mitgliedsstaaten oft einen mehr oder weniger großen Entscheidungsspielraum, wie (weitgehend) sie die Richtlinie umsetzen wollen.

Wenn in einem Mitgliedsstaat ein Gerichtsverfahren anhängig ist, dann ist immer das nationale Gericht (nie der EuGH) für die Auslegung und Anwendung einzelstaatlichen (nationalen) Rechts zuständig.

Da das Gemeinschaftsrecht Vorrang vor dem nationalen genießt (Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts) und kollidierendes nationales Recht vom staatlichen Gericht nicht(!) anzuwenden ist, kann es im Bereich eines Widerspruchs zwischen der nationalen Vorschrift und der europarechtlichen (z.B. einer Richtlinie) erforderlich sein, die nationale Vorschrift so auszulegen, dass diese nicht (mehr) gegen die Richtlinie verstößt. Für eine solche geltungserhaltende richtliniekonforme Auslegung des einzelstaatlichen Rechts muss man als nationaler Richter aber natürlich einschätzen können, was mit der EU-Richtlinie in welchem Umfange eigentlich konkret geregelt ist. Da auch Richtlinien oft verallgemeinern und mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeiten, kann es erforderlich sein, zunächst die Richtlinie selbst auszulegen, um zu erfassen, wie weit ihr tatbestandlicher Regelungsgehalt eigentlich geht. Die Auslegung einer Richtlinie fällt aber nicht mehr in den Aufgabenbereich des einzelstaatlichen Gerichts. Für die Auslegung von europarechtlichen Vorschriften ist ausschließlich der EuGH in Luxemburg zuständig. Liegt zu einer auf eine noch zu treffenden Entscheidung einwirkende Richtlinie noch keine Auslegung (klarstellende Entscheidung) des EuGH vor, ist es Aufgabe des nationalen Gerichts, eine \"Vorabentscheidung\" des EuGH einzuholen. Dabei entscheidet der EuGH nicht den zugrundeliegenden einzelstaatlichen Rechtsstreit; er beantwortet lediglich die ihm gestellte Frage. Diese \"Antwort\" muss dann das vorlegende Gericht seiner noch zu treffenden Entscheidung auch zugrunde legen.

Das Vorabentscheidungsverfahren

Das Vorabentscheidungsverfahren ist geregelt in Artikel 234 des EU-Vertrages.

Zitat
Artikel 234 EU-Vertrag
(1) Der Gerichtshof entscheidet im Wege der Vorabentscheidung            
(a)    über die Auslegung dieses Vertrags,
(b)    über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft und der EZB,  
(c)    über die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen, soweit   diese Satzungen dies vorsehen.  
 
(2) Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlaß seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.
   
(3) Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet.


Artikel 234 Abs. 1 besagt also, dass dem EuGH von nationalen Gerichten europäische Richtlinien (= \"Handlungen der Organe der Gemeinschaft\"- Artikel 234 Abs. 1 lit. b) zwecks Auslegung vorgelegt werden können, wenn ein Gericht, dessen Entscheidung noch mit Rechtsmitteln (insbesondere also mit der Berufung und Revision) angegriffen werden kann, dieses für erforderlich hält.

Also nicht erst in der \"letzten Instanz\" kommt ein Vorabentscheidungsverfahren in Betracht. Selbst ein engagiertes Amtsgericht, gegen dessen Entscheidung die Berufung möglich ist, kann den EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahern bitten, eine Richtlinie auszulegen, wenn es das für die Entscheidung des ihm vorliegenden Rechtsstreites für erforderlich hält.

Dabei ist die Frage, wann ein Gericht die Vorlage an den EuGH für erforderlich hält, nicht in sein völlig freies Ermessen gestellt bzw. seiner willkürlichen Entscheidung unterworfen. Wirkt eine Richtlinie - zumindest potenziell -  auf eine nationale Vorschrift ein, die das nationale Gericht seiner Entscheidung zugrundelegen will oder muss, stellt sich immer die Frage, ob das Auslegungsmonopol des EuGH hinsichtlich des primären wie sekundären Gemeinschaftsrecht die Vorlage nicht rechtfertigt.

Ist ein schwebendes Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht anhängig, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des EuGH verpflichtet (Artikel 234 Abs. 3 EU-Vertrag). Der BGH als die Letztentscheidungsinstanz muss also ohne Wenn und Aber ein Vorabentscheidungsverfahren einleiten, wenn eine europäische Richtlinie (möglicherweise) gegen die eigene Rechtsfindung spricht.

Die in Gaspreisverfahren zu beachtenden EU-Richtlinien

In Sachen EWE kommt es dabei - wie bereits gesagt - auf die Klauselrichtlinie 93/13/EWG an (insbesondere auf Artikel 5 der Klausel-RL), daneben aber auch in entscheidender Weise auf die Gasrichtlinie 2003/55/EG (insbesondere auf Artikel 3 der Gas-RL):

Bedeutung der Klausel-RL 93/13/EWG in den EWE-Revisionsverfahren

Zitat
Artikel 5  
Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und  verständlich abgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. [...]

Schon nach dieser europäischen Vorschrift, die in § 307 BGB aufgegangen ist, dürfte es höchst zweifelhaft sein, ob durch eine solche rein pauschale Bezugnahme auf die GasGVV überhaupt ein einseitiges Preisanpassungsrecht vertraglich festgelegt werden kann. Das OLG Oldenburg hat in seiner Entscheidung, die Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, eindringlich darauf hingewiesen, dass selbst der juristisch vorgebildete Kunde aus § 4 AVBGasV sowie § 5 Abs. 2 GasGVV nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen könne, dass der Versorger hiermit ein einseitiges Preisanpassungsrecht zu seinen Gunsten begründen wollte.

Da es hier also schon hinsichtlich der Bedeutung der Klausel erhebliche Zweifel gibt, müsste der VIII. Zivilsenat das deutsche Recht (§ 307 BGB) auch im Lichte dieser Richtlinienbestimmung (richtlinienkonform) auslegen und zugunsten der Verbraucher davon ausgehen, ein einseitiges Preisanpassungsrecht sei der EWE damit vertraglich nicht eingeräumt worden.

Ansonsten müsste der VIII. Zivilsenat in einem Vorabentscheidungsverfahren den EuGH darüber befinden lassen, ob die Klauselrichtlinie einer Senatsentscheidung entgegensteht, die eine Klausel gelten lassen will, obwohl diese ein einseitiges Preisänderungsrecht zugunsten der EWE nicht zweifelsfrei erkennen lässt.

Bedeutung der Gas-RL 2003/55/EG in den EWE-Revisionsverfahren

Zitat
KAPITEL II  
ALLGEMEINE VORSCHRIFTEN FÜR DIE ORGANISATION DES SEKTORS  
Artikel 3  
Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und Schutz der Kunden    

(3) Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen  Verbraucherschutzes [...] Sie gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen  Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren. [...]

Die Gasrichtlinie 2003/55/EG hebt also in Artikel 3 (3) den \"Schutz der Endkunden\", also solcher Kunden, die Erdgas für den Eigenbedarf kaufen, als ein wesentliches Ziel des gemeinschaftlichen Handelns ausdrücklich hervor.

Dabei gibt die Richtlinie den Mitgliedsstaaten vor, bis zur Umsetzungsfrist (01.07.2004) dafür Sorge zu tragen, dass nach den jeweils zur Anwendung kommenden staatlichen Vorschriften sämtliche dem Endkunden vom EVU gestellten Vertragsbedingungen ein \"hohes\" Transparenzniveau aufweisen. Dieses gilt notwendigerweise auch für \"Preisanpassungsklauseln\", die in den Versorgungsvertrag einbezogen werden sollen.

Die Gasrichtlinie wurde schließlich mit dem \"Energiewirtschaftsgesetz vom 7. Juli 2005\" in nationales Recht umgesetzt. Darin gehen bis heute neben der besagten Gasrichtlinie auch die Elektrizitätsrichtlinie (2003/54/EG) sowie die Endenergieeffizienz- und Energiedienstleistungsrichtlinie (2006/32/EG) auf.

Das Energiewirtschaftsgesetz macht jedoch keine wesentlichen Vorgaben hinsichtlich des in der Gasrichtlinie besonders hervorgehobenen Transparenzgebots in Bezug auf die allgemeinen Vertragsbedingungen. Dieses war auch überhaupt nicht erforderlich, weil das BGB in den §§ 305 ff. (für Verträge der Gasversorgungswirtschaft mit Sonderabnehmern insbesondere in § 307 BGB) ein in sich geschlossenes Regelwerk aufweist, das darüber Auskunft gibt, welche Anforderungen an die Ausgestaltung von Allgemeine Geschäftsbedingungen zu stellen sind.

Nach der Transparenzrechtsprechung des BGH müssen Preisanpassungsklauseln - wie bereits erwähnt - klare Festlegungen enthalten, bei welchem Anlass, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das einseitige Leistungsbestimmungsrechts zur Preisänderung berechtigen soll. Der Verpflichtete muss also schon im Vorfeld einer Preisänderung aus der Klausel in hinreichendem Maße ableiten können, was auf ihn wann zukommt. Dass die AVBGasV, welche die EWE ja als eigenständige Preisanpassungsklausel wirksam in den Vertrag einbezogen sehen möchte, eine derartige Transparenz vermissen lässt, hat der VIII. Zivilsenat mit seiner Entscheidung vom 15.07.2009 - VIII ZR 225/07 - bemerkenswerterweise auch ausdrücklich festgestellt (vgl. dort Rd.-Nr. 23):

Zitat
\"Eine § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV nachgebildete vertragliche Preisanpassungsklausel genügt allerdings nicht den Anforderungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung in anderen Fällen an die tatbestandliche Konkretisierung von Anlass, Voraussetzungen und Umfang eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts stellt (BGH, Urteil vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08, WM 2009, 1077, Tz. 25; BGHZ 164, 11, 26 f.; Urteil vom 13. Dezember 2006 - VIII ZR 25/06, NJW 2007, 1054, Tz. 21; Urteil vom 21. September 2005, aaO, unter II 2). § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV regelt nur, dass das Gasversorgungsunternehmen Gas zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen zur Verfügung stellt und Änderungen der allgemeinen Tarife erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden. Die Vorschrift lässt nicht erkennen, dass das Versorgungsunternehmen bei der Preisanpassung das Äquivalenzverhältnis wahren muss und sie nicht dazu nutzen darf, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben, um nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (BGHZ 178, 362, Tz. 25). Sie lässt den Kunden weiter im Unklaren darüber, dass aufgrund der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen mit dem Recht des Versorgungsunternehmens zur Abwälzung von Kostensteigerungen auf seine Kunden die Pflicht einhergeht, Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und diese nach denselben Maßstäben an die Kunden weiterzugeben (BGHZ 176, 244, Tz. 26). \"

Damit hat der VIII. Zivilsenat der Preisanpassungsregel aus § 4 AVBGasV im Ergebnis sogar jegliche(!) Transparenz abgesprochen. Aber merke: Intransparenz und § 307 BGB passen nicht zusammen.

Wenn der VIII. Zivilsenat wie in seiner Entscheidung vom 15.07.2009 im Wege einer einschränkenden Auslegung von § 307 BGB zu dem Ergebnis kommt, die Norm stehe entgegen ihrem Wortlaut einer unveränderten Übernahme dieser - wie nun höchstrichterlich festgestellt - völlig intransparenten AVBGasV dennoch nicht im Wege, dann stellt sich natürlich sogleich die entscheidende Frage, wie er eine solche Auslegung eines nationalen Gesetzes (§ 307 BGB) mit der europäischen Gasrichtlinie auch nur in Ansätzen vereinbaren will - einer Vorschrift immerhin, die den europäischen Einzelstaaten nach ihrem klaren Wortlaut doch sogar „ein hohes“ Transparenzniveau der AGB in Gasverträgen vorschreibt. Eine Auseinandersetzung mit dieser europäischen Vorgabe findet sich im Urteil vom 15.07.2009 aber nicht.

Der VIII. Zivilsenat beruft sich zur Stützung seiner Ansicht, die unveränderte Übernahme der Gasverordnung begründe ein wirksames vertragliches Preisanpassungsrecht, auf einen gesetzgeberischen Willen, Tarifkunden und Sondervertragskunden gleich zu behandeln. Er erblickt den Willen des Gesetzgebers, den EVU freizustellen, ihre AGB mit Sonderabnehmern entsprechend den Allgemeinen Versorgungsbedingungen für Tarifkunden (AVBGasV) auszugestalten.

Aufgrund der normativen Wirkung der EU-Gasrichtlinie wäre ein solcher gesetzgeberischer Wille, wenn er denn dann tatsächlich bestünde, aber völlig unbeachtlich: Denn selbst, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich per Gesetz vorschreiben würde, ein im Ergebnis „nichtssagender Verordnungstext“ - wie früher § 4 AVBGasV bzw. jetzt § 5 GasGVV - könne als Preisanpassungsklausel in Sonderverträge ohne weiteres wirksam einbezogen werden, wäre damit der Verstoß gegen den Wortlaut der Richtlinie augenfällig. Ein Gericht müsste eine solche nationale Vorschrift wegen der Kollision mit Art. 3 der EU-Richtlinie als höherrangigem Recht ohne Weiteres unbeachtet lassen. Wenn dem so ist, dann kann der VIII. Zivilsenat dem Gesetzgeber auch nicht im Wege der Ermittlung eines mutmaßlichen gesetzgeberischen Willens unterstellen, er wolle es EVU ermöglichen, ihre AGB im Ergebnis richtlinienwidrig und damit gesetzeswidrig auszugestalten.

Mit einer de facto Aussetzung des § 307 BGB im Rahmen von Gassonderverträgen brächte der VIII. Zivilsenat Deutschland daneben aber ohne Not in gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht geradezu in „Teufels Küche“:

Wenn doch der Gesetzgeber auf eine fristgemäße Umsetzung des in der Gasrichtlinie enthaltenen Transparenzgebots gerade deshalb verzichtet hat (und auch verzichten durfte), weil mit § 307 BGB und der darauf beruhenden höchstrichterlichen Transparenzrechtsprechung ein entsprechend hohes Transparenzniveau in Deutschland hinsichtlich der Klauselklarheit bereits sichergestellt war, dann muss eine Entscheidung, die § 307 BGB im Rahmen von Erdgassonderverträgen quasi vollständig leerlaufen lässt, eine beachtliche Umsetzungslücke (spätester Umsetzungstermin: 15.07.2004 - s.o.) reißen. Eine endgültige Entscheidung des VIII. Zivilsenats im Sinne seiner Übernahmerechtsprechung setzte Deutschland im Anschluss daran dann also unmittelbar der konkreten Gefahr eines Vertragsverletzungsverfahrens aus, mit dem die EU-Kommission Deutschland nötigenfalls vor dem EuGH sogar zwingen müsste, dem Transparenzgebot der Richtlinie (endlich) gesetzlich Ausdruck zu verleihen.

Da der VIII. Zivilsenat dem Gesetzgeber weder einen europarechtswidrigen Willen unterstellen kann - und sicher auch nicht wollte -, deutet hier doch einiges darauf hin, dass er die Wirkungen der Richtlinien bei seiner Rechtsfindung völlig außer Acht gelassen, diese europäischen Regelungen also wohl wahrscheinlich übersehen hat. Dafür spricht zudem der Hinweis in seinem Urteil vom 15.07.2009, ohne dabei die Richtlinie auch nur in Ansätzen in den Blick genommen, geschweige denn auf ihre Relevanz hin überprüft zu haben:

Zitat
„Es ist nicht ersichtlich, dass dafür im Bereich von Sonderverträgen höhere Anforderungen an die Bestimmtheit und die Konkretisierung einer Preisanpassungsregelung gestellt werden müssten, als sie im Bereich der Grundversorgung durch § 5 GasGVV unmittelbar erfüllt werden“ ...

Die EU-RL wirken hier geradezu als Riegel gegen eine derart weitreichende Aushöhlung des § 307 BGB im Rahmen der Normauslegung. Um diese Sperrwirkung im Sinne des mit den Richtlinien beabsichtigten Verbraucherschutzes aber effektiv entfalten zu können, müssen die Richtlinien überhaupt erst einmal vom Gericht in ihrem Bedeutungsgehalt wahrgenommen und nicht - wie sich hier geradezu aufdrängt - völlig übersehen werden.

Zwar ist es eine Selbstverständlichkeit, dass einschlägiges europäisches Recht, das die nationale Rechtslage konkret mitprägt, von den Gerichten bei ihren Entscheidungsfindungen von Amts wegen immer zu berücksichtigen ist. Wenn aber ein Gericht solche übernationalen Vorschrift bei seinen Überlegungen (irrtümlicherweise) erkennbar ausklammert, dann kann es nicht schaden, wenn der Prozessvertreter einer Partei auf eine richtlinienkonforme Auslegung der deutschen Vorschriften drängt (so dankenswerterweise wohl geschehen durch Rechtsanwalt Peter Wassermann in der mündlichen Verhandlung vor dem VIII. Senat am 17.03.10).

Für den VIII. Zivilsenat sollte nicht zuletzt mit Blick auf die Gasrichtlinie dann wohl auch Diskussions- und Klärungsbedarf bestehen. Darauf, dass dem so ist und dem Senat die europarechtliche Problematik seiner Übernahmerechtsprechung aus dem Urteil vom 15.07.2009 mittlerweile bewusster geworden ist, könnte(?) die relativ lange Zeitspanne hindeuten, die der Senat für eine Entscheidung in Sachen EWE beansprucht (Verhandlungstermin 17.03.10; zunächst angestrebter Verkündungstermin: 16.06.10; jetzt schon 14.07.10).

Wollte der VIII. Zivilsenat also trotz des klaren Regelungsgehalts und Wortlauts der Gasrichtlinie die Übernahme intransparenter Verordnungen in Sonderverträge dennoch zulassen, wäre er gezwungen, vor einer abschließenden Entscheidung in der Sache zunächst den EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren anzurufen und von diesem vorab klären zu lassen, ob die besagten Richtlinien einem solchen Ergebnis rechtlich nicht entgegenstehen.

Die Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen (Grundlagen)

Wenn der VIII. Zivilsenat diese eben angesprochene europarechtliche Dimension des Rechtsstreits trotz alledem nicht hinreichend berücksichtigen „will“, stünde ihm der Weg, insbesondere dem OLG Oldenburg seine Entscheidung unter Berufung auf die eigene Übernahmerechtsprechung quasi um die Ohren zu hauen, dennoch nicht offen. Der Senat müsste in dem Fall nämlich zunächst gem. § 132 GVG wegen der wesentlichen Abweichung von der Rechtsprechung anderer BGH-Senate den beim BGH gebildeten „Großen Senat für Zivilsachen“ anrufen.

§ 132 GVG verfolgt das Ziel, die Rechtsprechung der Senate des BGH zu vereinheitlichen. Es soll im Interesse der Rechtssicherheit - aber auch des Rechtsfriedens - verhindert werden, dass verschiedene Senate im wesentlichen identische Rechtsfragen, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung erlangen können, völlig unterschiedlich beantworten.

Das GVG normiert die Vorlage zum einen unter bestimmten Voraussetzungen als Rechtspflicht, dessen Missachtung durch den erkennenden Senat (wie eingangs schon erwähnt) einen Verstoß gegen Art. 101 GG darstellen kann. Zum anderen „kann“ ein Senat, der dazu im konkreten Einzelfall nicht unbedingt verpflichtet wäre, dem Großen Senat trotzdem eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zur Beantwortung vorlegen.

Zitat
§ 132 GVG lautet im Wesentlichen:
   
(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. [....]
 
(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat [...] abweichen will.
 
(3) Eine Vorlage an den Großen Senat [...] ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. [...].
 
(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Jeder Senat des BGH muss sich also prinzipiell zu jeder Zeit im Klaren darüber sein (bzw. Klarheit verschaffen), ob er sich im Rahmen eines anhängigen Revisionsverfahrens mit der von ihm „bevorzugten“ Rechtsauslegung einer gesetzlichen Bestimmung, die für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung ist, in einen Widerspruch setzt zu einer von einem anderen Senat bereits getroffenen Entscheidung. Mit § 132 GVG wäre etwa die Haltung eines Senats „Was interessiert mich die Rechtsprechung eines anderen Senats; in meinem Aufgaben-/Zuständigkeitsbereich habe ich das alleinige Sagen“ nicht vereinbar.

Liegt eine entgegenstehende Rechtsprechung vor, muss der erkennende Senat den Großen Senat anrufen. Liegt eine solche zwar noch nicht vor, gibt es aber konkrete Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass ein anderer Senat hinsichtlich der zu beantwortenden Rechtsfrage anderer Ansicht ist, so kann (im Sinne von „sollte“) der erkennende Senat den Großen Senat anrufen, um eine „Rechtsprechungsdivergenz“ schon vor ihrer Entstehung zu vermeiden.

Die Bedeutung der Vorlagefrage in den EWE-Verfahren

Der Vorsitzende des VIII. Zivilsenats hat in Sachen EWE in der mündlichen Verhandlung am 17.03.2010 darauf aufmerksam gemacht, dass der Senat in Erwägung zieht, die bisher nicht streitentscheidende und deshalb nur per „obiter dictum“ getroffenen Feststellungen zur Übernahme einer Verordnung in einen Sondervertrag nun in Blei zu gießen und die dort aufgestellten Grundsätze auch auf die vorliegenden Revisionsverfahren anzuwenden. Insofern wird jetzt auch die Abweichung von der Rechtsprechung anderer BGH-Zivilsenate (erstmalig) virulent.

Die Übernahmerechtsprechung des VIII. Zivilsenats vom 15.07.2009 steht in wesentlichen Punkten in konkretem Widerspruch zur Rechtsprechung des Kartellsenats des BGH (Urteil vom 29.04.2008 - KZR 2/07) - daneben aber insbesondere zu einer Entscheidung des Bankensenats des BGH (Urteil vom 21.04.2009 - XI ZR 78/08 ). Legt der VIII. Zivilsenat seinen Revisionsentscheidungen in Sachen EWE nun wirklich die Grundsätze der Übernahmeentscheidung vom 15.07.2009 (und zwar dieses Mal nicht lediglich per obiter dictum, sondern in streitentscheidender Weise) zugrunde, dürfte die Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen zwingend erforderlich werden.

Die (kritisch zu betrachtende) Rechtsansicht des VIII. Zivilsenats

Wie man der Übernahmeentscheidung des VIII. Zivilsenats vom 15.07.2009 entnehmen kann, meint er, die Intransparenz der Verordnung führe nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Sonderkunden im Sinne von § 307, wenn die gesetzliche Regelung unverändert in einen Sonderkundenvertrag übernommen werde. Er stützt sich auf einen gesetzgeberischen Willen, es den EVU zu ermöglichen, ihre AGB mit Sonderabnehmern parallel zu den Allgemeinen Versorgungsbedingungen auszugestalten. Der VIII. Zivilsenat stellt dabei insbesondere auf eine mit der Verordnung untrennbar verbundene Leitbildfunktion ab, wonach der Verordnungsgeber mit dem Erlass der Verordnungen, die eigentlich nur für Kunden in der Grund- und Ersatzversorgung von rechtlicher Bedeutung sind, zugleich implizit zum Ausdruck bringe, was auch außerhalb der Grundversorgung etwa für die Vertragsverhältnisse mit Haushalts(sonder)kunden als angemessen zu betrachten sei. Nach dem gesetzgeberischen Willen solle der Schutz für Sonderabnehmer nicht weitergehen als für Tarifabnehmer. Daraus und insbesondere aus dem Umstand, dass es auch der Sondervertragskunde in der Hand habe, eine Preisänderung nach § 315 BGB auf ihre Billigkeit gerichtlich überprüfen zu lassen, ergebe sich, dass Preisänderungsklauseln, die den Verordnungen nachgezeichnet seien, von diesen nicht zum Nachteil des Kunden abwichen, keine unangemessene Benachteiligung der Sondervertragskunden mit sich brächten. Dieser Rechtfertigung aus § 315 BGB kommt besondere Bedeutung zu (siehe die Abweichung von der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats weiter unten).

Die gegenläufige Rechtsprechung des Kartellsenats

Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung, mit der der VIII. Zivilsenat die Inhaltskontrolle von Preisanpassungsklauseln in Gassonderverträgen gem. § 307 BGB weitestgehend ausschließen und damit leerlaufen lassen wollte, lag aber die in wesentlichen Punkten gegensätzliche Entscheidung des Kartellsenats vom 29.04.2008 (KZR 2/07) bereits seit über einem Jahr vor! Eine Beschäftigung mit dieser Entscheidung des Kartellsenats bot der VIII. Zivilsenat in seinem Urteil vom 15.07.2009 dennoch nicht.

Der Kartellsenat hob die Bedeutung der Inhaltskontrolle von Preisänderungsklauseln in Ergassonderverträgen gem. § 307 BGB ausdrücklich hervor, während der VIII. Zivilsenat mit Blick auf die Leitbildfunktion der Verordnung (AVBGasV) die Inhaltskontrolle in diesem Rahmen unter den eben genannten Voraussetzungen praktisch völlig ausschließen will.

Der Kartellsenat verneinte die Leitbildfunktion der AVBGasV im Hinblick auf die konkret zu beurteilende Preisanpassungsklausel in einem Sondervertrag und griff dabei implizit einen wesentlichen Grundsatz der Transparenzrechtsprechung der BGH-Zivilsenate auf, wonach Preisanpassungsregeln grundsätzlich Auskunft darüber zu geben haben, bei welchem Anlass, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das einseitige Preisänderungsrecht des Verwenders gegeben sein soll. Der Senat hielt das gesetzliche Preisänderungsrecht, wie es in § 4 AVBGasV zu erblicken sei, im Grundversorgungsverhältnis trotz seiner Intransparenz, obwohl darin keinerlei Vorgabe zu „Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen“ enthalten sei, nur deshalb für verbindlich, weil „Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen“. Damit hat der Kartellsenat Versorgern - wie hier der EWE - , die durch eine bloße Bezugnahme auf die GasGVV/AVBGasV ein einseitiges  Preisänderungsrecht begründen wollen, diesen Weg praktisch abgeschnitten. Wenn ein Versorger seinen Sondervertragskunden nämlich Gas nicht zu Sonderkonditionen liefern muss, sondern den zugrundeliegenden Sondervertrag praktisch jederzeit (unter Einhaltung der vorgesehenen Kündigungsfrist selbstverständlich) kündigen und so den Kunden in die Grundversorgung einreihen kann, entfällt nach der Ratio dieses Urteils des Kartellsenats die innere Rechtfertigung für eine (per Gesetzesverweis einbezogene) intransparente Preisänderungsregel in einem Sondervertrag.

Für den VIII. Zivilsenat war diese Vorgabe des Kartellsenats aber wohl nicht weiter der Rede wert. Ohne den Kartellsenat auch nur in Ansätzen zu erwähnen, heißt es in der Entscheidung vom 15.07.2009 lapidar:

Zitat
„Dem steht, anders als die Revision meint, nicht entgegen, dass den Versorger im Rahmen der Grundversorgung - anders als bei einem Sondervertrag - ein Kontrahierungszwang (§ 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG 2005) trifft und er nach § 20 Abs. 1 Satz 3 GasGVV zu einer Kündigung des Vertrages nur berechtigt ist, soweit eine Pflicht zur Grundversorgung nach § 36 Abs. 1 Satz 2 EnWG 2005 nicht besteht. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber bei der angestrebten Gleichbehandlung von Grundversorgungs- und Sonderkunden offensichtlich keine Bedeutung beigemessen“.  

Für die sich hier stellende Frage, ob diese Thematik eine Vorlage an den Großen Senat erfordert, kommt es aber nicht entscheidend darauf an, ob der Gesetzgeber diesem Umstand Bedeutung beigemessen hat, sondern ob eine gegensätzliche Rechtsansicht in entscheidungserheblicher Weise von einem anderen Zivilsenat - hier dem Kartellsenat - bereits geäußert wurde! Da dieses der Fall ist, ist die Vorlage angezeigt.

Der Prozessvertreter der EWE-Gegner - RA Wassermann - hat dann ja auch in der mündlichen Verhandlung vor dem VIII. Zivilsenat auf die entgegenstehende Rechtsprechung des Kartellsenats hingewiesen.

Entgegenstehende Rechtsprechung des Bankensenats

Daneben ist aber auch das zum Zeitpunkt der vom VIII. Zivilsenat getroffenen Übernahmeentscheidung bereits vorliegende Urteil des XI. Zivilsenats vom 21.04.2009 - XI ZR 78/08 - von mindestens gleichwertiger Bedeutung, weil es der Rechtsansicht des VIII. Senats in ganz entscheidender Weise entgegensteht. Leider wurde der VIII. Zivilsenat nach dem Verhandlungsbericht von „ESG-Rebell“ zu urteilen auf die Bedeutung dieser Bankensenatsentscheidung nicht hingewiesen. Dieses ist sehr schade!

Der VIII. Zivilsenat hat in seiner Übernahmeurteil aus Juli 2009 die eben genannte Entscheidung des Bankensenats nicht berücksichtigt, sondern wohl übersehen:

Der VIII. Zivilsenat stellt, wie bereits angesprochen, ausdrücklich klar, dass die Übernahme der unbestimmten Preisanpassungsregelung aus der Verordnung (AVBGasV oder GasGVV) in einen Sondervertrag die Anforderungen an die Verständlichkeit und Klarheit im Sinne der höchstrichterlichen Transparenzrechtsprechung nicht erfüllt.

Gleichwohl hält er eine inhaltsgleiche Einbeziehung in einen Sondervertrag entgegen dem Gesetzeswortlaut für möglich und lässt sie nicht an § 307 BGB scheitern, und zwar insbesondere deshalb, weil dem Sonderkunden ja schließlich genauso wie dem Grundversorgungskunden eine gerichtliche Überprüfung von Preisänderungen gem. § 315 BGB (Billigkeitskontrolle) offen stehe.

Diese Rechtfertigung über § 315 BGB, in den Vertrag einbezogene unklare Preisänderungsklauseln durchgehen zu lassen, wenn der Kunde die auf die Preisänderungsklausel gestützten Preisänderungen nachträglich einer Billigkeitskontrolle unterziehen kann, hat der Bankensenat mit seiner e.g. Entscheidung aber eine klare und unmissverständliche Absage erteilt.

Dem dortigen Verfahren lag eine Klausel zugrunde, die der Bank neben einem Preisfestsetzungsrecht ein einseitiges Preisänderungsrecht zubilligte. Der Preis sollte „nach gemäß § 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches nachprüfbarem Ermessen [...] geändert“ werden. Die AGB räumten dem Bankkunden also ausdrücklich das Recht ein, eine Preisänderung auf ihre Billigkeit gem. § 315 BGB gerichtlich nachprüfen zu lassen.

Der Bankensenat ließ diese Klausel dennoch an § 307 BGB scheitern und machte deutlich, dass die unangemessene Benachteiligung der Kunden hinsichtlich des Preisänderungsrechts nicht ausgeräumt wird durch die Möglichkeit, die Preisanpassung einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen:

Der XI. Zivilsenat stellt dazu in entscheidungserheblicher Form fest (sehr wichtig Rd.-Nr. 38 ):

Zitat
„Lässt eine Preis- und Zinsänderungsklausel weiter den Kunden darüber im Unklaren, ob und in welchem Umfang das Kreditinstitut zu einer Anpassung berechtigt oder zu seinen Gunsten verpflichtet ist, läuft auch die dem Kunden eingeräumte Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend leer. Kommt es erst gar nicht zu einer gebotenen Herabsetzung des Preises oder Zinssatzes, versagt sie für gewöhnlich, weil der Kunde mangels hinreichenden Anhalts schon eine solche Verpflichtung des Verwenders zumeist nicht zu erkennen vermag. Erfolgt eine Preis- oder Zinsanpassung zu seinen Ungunsten, fehlt ihm die Beurteilungsgrundlage, ob sich die Anpassung im Rahmen des der Bank zustehenden Gestaltungsspielraumes bewegt oder ein Verfahren nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB mit Erfolg betrieben werden kann“.

Diese prinzipiellen Erwägungen, die sich auf sämtliche Vertragstypen, bei denen sich ein Unternehmer per AGB ein einseitiges Preisänderungsrecht vorbehält, eins zu eins übertragen lassen - also insbesondere auch auf Gassonderverträge - steht also der vom VIII. Zivilsenat beschworenen Rechtfertigung einer wirksamen Einbeziehung völlig intransparenter (gesetzlicher) Preisanpassungregeln völlig entgegen.

Dieses erforderte unbedingt die Vorlage an den Großen Senat auch unter Berücksichtigung dieser einschlägigen Rechtsprechung des Bankensenats.

Schlussfolgerungen bei Nichtvorlage an den EuGH/Großen Senat

Legt der VIII. Zivilsenat die angesprochenen Rechtsfragen weder dem EUGH noch dem Großen Senat vor, obwohl dieses nicht nur möglich („kann“-Vorschrift) sondern sogar zwingend erforderlich ist („hat vorzulegen“), und entscheidet den Rechtsstreit in Sachen EWE in eigener „Machtvollkommenheit“ im Sinne seiner Übernahmerechtsprechung, so wäre damit den am Verfahren beteiligten Parteien wegen der Nichtzuständigkeit des VIII. Zivilsenats der gesetzliche Richter entzogen.

Ein solches Vorgehen reihte sich ein in eine Kette von Merkwürdigkeiten, die der VIII. Zivilsenat oder sein bedeutendster Protagonist (Senatsvorsitzender Ball) bisher schon abgeliefert hat,
    Vortragstätigkeit des Senatsvorsitzenden Wolfgang Ball im Jahre 2007 auf dem „Euroforum - The Conference Company“ mit dem Tagungsthema „§ 315 BGB und Gaspreise - Auswirkung des BGH-Urteils auf die Praxis. Tagungsmotto: „Gute Chancen für Gasversorger bei Gaspreiserhöhungen!“. Auf dieser Tagung standen die Referenten (u.a. Richter Ball) nach dem Programmheft für Tipps zur Verfügung, etwa auch zur Frage „Wie können Preisanpassungsklauseln rechtssicher formuliert werden?“ -  Klauseln, die er heute vielleicht auf ihre „rechtssichere Formulierung“ zu überprüfen hat ...
    Absehen des Senatsvorsitzenden Ball von derartigen Vortragstätigkeiten, solange noch entsprechende Verfahren vor dem BGH anhängig sind, erst auf „Anordnung“ des damaligen Präsidenten des BGH, Günter Hirsch, der durch eine solche Vortragspraxis wohl das Ansehen des BGH insgesamt gefährdet sah.
    Umfangreiche Stellungnahme des VIII. Zivilsenats im Gaspreisurteil vom 15.07.2009 per „obiter dictum“ zu Rechtsfragen, die für die Entscheidung der zugrundeliegenden Revision überhaupt keine Bedeutung hatten.
    Dabei ist keinerlei Bereitschaft des VIII. Zivilsenats zu erkennen, sich mit einschlägigen entgegenstehenden Entscheidungen anderer Zivilsenate auseinanderzusetzen, um so die Stichhaltigkeit der eigenen Ansicht hinreichend zu verifizieren (wobei lediglich die nicht gegebene Fallbedeutung der Obiter-Dictum-Entscheidung die Pflicht entfallen ließ, wegen des Widerspruchs zu den Feststellungen anderer Senate des BGH (Transparenzgebot) den Großen Senat für Zivilsachen einzuschalten.
    Statt sich äußerste Zurückhaltung bei der Beurteilung nicht revisionsrelevanter Rechtsfragen im Urteil aufzuerlegen, wurden die per obiter dictum getroffenen Anmerkungen aus seiner Entscheidung vom 15.07.2009 vom VIII. Zivilsenat sogar in den Leitsatz des Urteils aufgenommen. Zwar hat der Leitsatz, der von Obergerichten gerne einmal den Entscheidungen vorangestellt wird, keine eigenständige materiell-rechtliche Bedeutung. Er soll nur die wesentlichen Aspekte des Urteils kurz wiedergeben. Aber - zumindest wenn es sich um Leitsätze in BGH-Entscheidungen handelt - hat ein solcher Leitsatz auch Anleitungsfunktion gerichtet an die nachgeordneten Gerichte. Ein Instanzgericht, das einen Leitsatz aus einer Entscheidung des BGH zur Kenntnis nimmt, darf im Allgemeinen davon ausgehen, dass es sich dabei nicht lediglich um beiläufige (weniger bedeutsame) Meinungsäußerungen des BGH handelt, sondern eine wesentliche Rechtsfrage verbindlich entschieden wurde! Insofern sind solche „Obiter-Dictum-Leitsätze“ nicht so sehr Leitsätze im Wortsinne, sondern eher „Verleitsätze“. Es hat hier durchaus den Anschein, dass der VIII. Zivilsenat per obiter dictum die Rechtslage im Sinne der Versorgungswirtschaft verändern möchte, ohne sich zugleich der Gefahr auszusetzen, diesbezüglich vom Großen Senat gebremst zu werden.
und wäre geeignet, ernste Zweifel an der Unbefangenheit des VIII. Zivilsenats zu bekräftigen und so das Ansehen des Bundesgerichtshofs als unabhängiges Organ der Rechtsprechung insgesamt nachhaltig zu beschädigen. Aber so weit ist es ja noch nicht! Wir werden sehen ...

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Sie bringen die Probleme ausgezeichnet und vor allem allgemeinverständlich auf den Punkt.

Es gibt veröffentlichte Bestimmeungen der EWE zu den Sonderpreisregelungen, aus denen ausdrücklich hervorgeht, dass es sich bei den Sonderpreisregelungen um \"keine Allgemeinen Tarife im Sinne des Energiewirtschaftsgesetztes\" handelt. Diese liegen wohl auch dem BGH vor.

Damit stellt sich die Frage der Wirksamkeit von Preisänderungsklauseln gem. § 307 BGB.

Soweit ersichtlich hat der VIII.Senat in seinen mittlerweile fünf solcher obiter dicta (VIII ZR 225/07, VIII ZR 56/08, VIII ZR 320/07, VIII ZR 81/08, zuletzt VIII ZR 326/08 Rn. 41) auch schon die Entscheidung des Bankensenats vom 21.04.2009 (XI ZR 78/08] bereits mitzitiert (siehe VIII ZR 320/07 Rn. 33 !).

Bereits aus der Entscheidung des Kartellsenats vom 13.07.2004 Az. KZR 10/03 unter II.6) ergibt sich, dass der weite Spielraum der Billigkeit nicht den Anforderungen des Transparenzgebotes entsprechen kann.  

Zitat
BGH, Urt. v. 13.07.2004 KZR 10/03 unter II.6)

Die Unangemessenheit der Klausel läßt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht mit dem Argument ausräumen, eine einseitige Leistungsbestimmung habe gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen und sei andernfalls unverbindlich. § 315 BGB scheidet als unmittelbare Rechtfertigung einer Klausel schon deshalb aus, weil die Vorschrift eine wirksame Anwendungsvereinbarung bereits voraussetzt und die Entscheidung über die Wirksamkeit der Vertragsklausel sich ausschließlich nach den Angemessenheitsmaßstäben des § 307 BGB, § 9 AGBG richtet (BGHZ 89, 206, 213). Auch als inhaltliche Beschränkung des Anwendungsbereichs einer Klausel läßt sich der in § 315 BGB enthaltene Rechtsgedanke nicht verwerten, weil der weite Spielraum der Billigkeit nicht den an die Eingrenzung und Konkretisierung einer Formularbestimmung zu stellenden Anforderungen genügt (BGHZ 89 aaO).


Der VIII.Zivilsenat  stützt sich für seine abweichende Auffassung maßgeblich auf einen Willen des Gesetzgebers, den er aus der Gesetzesbegründung zu § 310 Abs. 2 BGB entnehmen möchte. Letztere Vorschrift spielt für die Entscheidungen anderer Senate gerade keine Rolle und deshalb war der VIII. Senat womöglich der Aufassung, dass wegen dieser Besonderheit eine Abweichung zur Rechtsprechung anderer Senate im Eigentlichen nicht vorliege, die die Anrufung des großen Senats erfordert hätte. Natürlich war die Frage auch nie entscheidungserheblich und für obiter dicta wäre die Vorlage an den Großen Senat wohl von Anfang an unzulässig gewesen.

Bemerkenswert ist indes, dass sich die Regelung des § 310 Abs. 2 BGB schon seinem Wortlaut nach überhaupt nicht zu § 307 BGB verhält (!), mithin wohl auch keine Einschränkung des (dem § 307 BGB immanenten) Transparenzgebots rechtfertigen kann.  

Mit dem Problem der Vereinbarkeit mit europäischem Recht wurde der VIII. Senat in diesem Verfahren wohl erstmals konfrontiert.

Nachdem der VIII. Senat sich mittlerweile fünfmal ungefragt obiter dicta (und letztlich unberufen) zu dieser Rechtsfrage in der geschilderten Art  geäußert hatte (zuletzt VIII ZR 326/08 Rn. 41), wird er sich - menschlich verständlich - mit einer Aufgabe derselben schwer tun. Es hat etwas von Gesichtsverlust. Warum sich der Senat allerdings selbst in diese Situation manövriert hat, ist schon nicht nachvollziehbar.  

Selbst wenn eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, ist eine Leitsatzbildung auch nicht in jedem Fall veranlasst.

Zitat
BGH, B. v. 13.04.10 VIII ZR 206/09 Rn. 2

Die Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze zur Fortbildung des Rechts ist nur dann veranlasst, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (st. Rspr.; vgl. etwa BGHZ 154, 288, 292 m.w.N.).

 


Ich meine mit dem OLG Oldenburg, dass sich das gesetzliche Leistungsbetimmungsrecht nicht erst aus § 4 AVBV/ 5 GVV ergibt, sondern bereits aus § 10 EnWG 1998 bzw. § 36, 38 EnWG (so auch BGH KZR 29/06).


Zitat
BGH Urt. v. 04.03.09 KZR 29/06 Rn. 20

Der jeweilige Netzbetreiber ist hiernach gehalten, nach Art eines Tarifs allgemeine Preise zu bilden, die den in vergleichbaren Fällen tatsächlich oder kalkulatorisch angesetzten internen Leistungsentgelten entsprechen und in den Verträgen mit externen Netznutzern nur unter-, aber nicht überschritten werden dürfen, wobei regelmäßig wegen des kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots auch eine Unterschreitung im Einzelfall ausscheidet. Ebenso wie der Gesetzgeber den Energieversorgern, die nach § 10 EnWG 1998 allgemeine, d.h. für jedermann geltende Tarife aufzustellen haben, hierdurch ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt hat (BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17), ist damit den Netzbetreibern, die allein über die für die Bestimmung des zulässigen Preises erforderlichen tatsächlichen Kenntnisse verfügen, das Recht gegeben worden, unter Beachtung der Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes und gegebenenfalls der durch Rechtsverordnung konkretisierten Kriterien allgemeine Entgelte für die Netznutzung zu bilden.

§ 4 AVBV/ § 5 GVV stellen in Bezug auf die Ausübung dieses anderweitig bereits bestehenden gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB lediglich eine Modifizierung gegenüber § 315 Abs. 2 BGB da. Anders als bei § 315 Abs. 2 BGB soll es für die Ausübung des einseitigen Leistungsbetimmungsrechts nicht auf den Zugang einer unwiderruflichen Willenserklärung des bestimmungsberechtigten Versorgers beim Kunden ankommen. Es wäre misslich, wenn der Versorger im Streitfall den Zugang im Sinne des § 130 BGB bei dem betroffenen Kunden beweisen müsste. Das wollte der Verordnungsgeber vermeiden. Um mehr ging es dabei eigentlich gar nicht.

Demnach wäre die Implementierung des Textes des § 4 AVBV/ 5 AVBV in einen Sondervertrag auch keine vertragliche Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts im Sinne des  § 315 Abs. 1  BGB.  

Die vertragliche Vereinbarung eines Leistungsbestimmungsrechts würde ja auch grundsätzlich die Billigkeitskontrolle des Gesamtpreises zur Folge haben (vgl. BGH VIII ZR 36/06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Zutreffend auch die Erwägungen in dem Hinweisbeschluss des LG Frankfurt/ Oder vom 11.05.10, wonach eine entsprechende Klausel bei unveränderter Übernahme des Verordnungstextes sich allenfalls  zur Änderung \"allgemeiner Tarife\", jedoch weder tatbestandlich noch rechtsfolgenseitig zur Änderung eines bei Vertragsabschluss zunächst feststehend vereinbarten Sonderpreises verhält.


Zitat
LG Frankfurt/ Oder, B. v. 11.05.10 Az. 14 O 162/09

§ 4 Abs. 1 und Abs. 2 AVBGasV sprechen von \"allgemeinen Tarife\" und gerade nicht von Sondertarifen. Insofern ist unklar, inwieweit durch den Verweis auf die AVBGasV auch auf die Preisänderungsmöglichkeit Bezug genommen werden sollte. Insofern ist gemäß § 305c Abs. 2 BGB davon auszugehen, dass ein Preisanpassungsrecht nicht vereinbart werden sollte.


Beim gesetzlichen Leistungsbetimmungsrecht, mithin im jetzigen Bereich der Grund- und Ersatzversorgung, wird m.E. bei Vertragsabschluss auch gar kein feststehender Preis vereinbart. Der Allgemeine Tarif ist von Anfang an an den Maßstab der Billigkeit gebunden (BGH VIII ZR 81/08 Rn. 18].

Zitat
BGH VIII ZR 81/08 Rn. 18

Aus der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folgt, dass das Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVB-GasV mit der Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung Kostensen-kungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhö-hungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Ver-sorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist (BGHZ 176, 244, Tz. 26; Senatsurteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, aaO, Tz. 28, und vom 28. Oktober 2009, aaO, Tz. 29).


Im Zeitpunkt der Begründung eines Grundversorgungsverhältnisses kann deshalb bereits gegenüber allen grundversorgten Kunden die Verpflichtung bestehen, die Preise zugunsten der grundversorgten Kunden anzupassen. Jene gesetzliche Verpflichtung kann und soll nicht durch individuelle Preisvereinbarungen mit einzelnen grundversorgten Kunden abbedungen werden, schließlich geht es um die Bestimmung Allgemeiner Preise der Grundversorgung. Die Unterscheidung in einen vertraglich vereinbarten Anfangspreis und einen einseitig bestimmten Folgepreis ist deshalb bei Preisbestimmungen in Form Allgemeiner Tarife nicht möglich, weil sie bei der Billigkeitskontrolle zwangsläufig zu willkürlichen Zufallsergebnissen führen muss (BGH KZR 36/04 Rn. 9 ff.).  


Zitat
BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Rn. 10  

Das Recht des Netzbetreibers, künftige Netznutzungsentgelte ohne Mitwirkung des Netznutzers festzusetzen, kann nicht anders behandelt werden. Aber auch das zum Zeitpunkt des Vertragschlusses von dem Netzbetreiber geforderte Entgelt ist regelmäßig ein nach dem Willen der Vertragsparteien ein-seitig bestimmtes Entgelt, das der Netzbetreiber zu bestimmten Zeitpunkten ermittelt und das - schon zur Vermeidung einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung - für eine bestimmte Zeitdauer sämtlichen Vertragsbeziehungen mit gleichen Nutzungsprofilen unabhängig davon zugrunde liegen soll, wann der Vertrag geschlossen wird. Auch dann, wenn das Entgelt betragsmäßig bereits feststellbar ist, wird - wie im Streitfall der Verweis auf die \"jeweils geltende Anlage 3\" verdeutlicht - nicht dieser Betrag als Preis vereinbart. Der Betrag gibt vielmehr lediglich das für einen bestimmten Zeitpunkt ermittelte Ergebnis des gleichen Preisbestimmungsverfahrens wieder, das dem Netzbetreiber auch für die Zukunft zustehen soll, an dem der Netznutzer nicht teilnimmt, dessen konkrete preisbestimmende Faktoren ihm nicht bekannt sind und dessen Ergebnis er weder nachvollziehen noch beeinflussen kann. Es ist daher nicht weniger einseitig bestimmt als die künftige Höhe des Entgelts. Es wäre eine künstliche Aufspaltung der äußerlich und inhaltlich einheitlichen Preisvereinbarung und führte zu Zufallsergebnissen, wollte man einen verein-barten Anfangspreis von (vom Zeitpunkt der ersten ausdrücklich oder still-schweigend vorgesehenen Neuberechnung an maßgeblichen) einseitig bestimmten Folgepreisen unterscheiden.



Die Revision des Urteils des OLG Oldenburg wird erwartungsgemäß keine Letztentscheidung sein, wenn der VIII. Senat an seinen bisherigen obiter dicta festhalten wollte. Denn dann bedürfte es zunächst einer Zurückverweisung zur Klärung der Frage der - bestrittenen - wirksamen Einbeziehung gem. Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB iVm. § 305 Abs. 2 BGB, die das OLG Oldenburg offen gelassen hatte.

Offline Opa Ete

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Hab ich das richtig verstanden?

Legt der VIII. Zivilsenat die angesprochenen Rechtsfragen weder dem EUGH noch dem Großen Senat vor, obwohl dieses nicht nur möglich („kann“-Vorschrift) sondern sogar zwingend erforderlich ist („hat vorzulegen“), und entscheidet den Rechtsstreit in Sachen EWE für EWE, dann bleibt nur noch der Gang vor das Bundesverfassungsgericht?

Gruß Opa Ete

Offline RR-E-ft

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Zitat
Original von Opa Ete
Hab ich das richtig verstanden?

Wohl eher nicht.

Offline energienetz

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Der BGH hat die Enscheidung in der EWE Sache nunmehr nochmals verschoben auf den 14. Juli. Das kann als Signal dafür gewertet werden, dass ihm die mit dieser Entscheidung verbundenen Probleme gewärtig sind.

Offline DieAdmin

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Offline uwes

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Zitat
Original von __hp__
„Vor dem VIII. Zivilsenat und auf hoher See ...

Dabei verzichtet die EWE in ihren AGB insbesondere auf den Hinweis, dass als  wesentliches Wirksamkeitserfordernis zeitgleich mit der Veröffentlichung eine briefliche Mitteilung über die Preisänderung an den Kunden zu versenden ist.

Ich sehe das - wohl mit dem Kollegen Fricke - anders. Die briefliche Mitteilung ist gem. § 5 Abs. 2 GasGVV nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Preisanpassung.

Die Lösung dieses Problems, dürfte sich allenfalls im Bereich des Schadenersatzes abspielen, der darin gesehen werden könnte, dass ein Kunde, der wegen unterlassener brieflicher Mitteilung den Vertrag nicht kündigt, so gestellt werden muss, als hätte er die Mitteilung einer  Preiserhöhung erhalten und rechtzeitig gekündigt.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline RR-E-ft

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@uwes

Die briefliche Mitteilung ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Ausübung des gesetzlichen Preisänderungsrechts in der Grundversorgung, sondern - aus oben genannten Gründen - allein die öffentliche Bekanntgabe gem. § 5 II GVV (zuvor § 4 AVBV).

Nach der Rechtsprechung des VIII.Zivilsenats in  BGH VIII ZR 326/08 ist jedoch die Verpflichtung zur vorherigen brieflichen Mitteilung (wie in § 5 Abs. 2 GVV)  innerhalb der Klausel Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Preisänderungsklausel innerhalb von AGB.

Ein kleiner, feiner Unterschied.

Deshalb erweist sich die von EWE seit 01.04.07 verwendete Klausel wohl jedenfalls als unwirksam, ebenso wie darauf gestützte einseitige Preisänderungen.
Um Schadensersatz im oben aufgezeigten Sinne geht es dann gerade nicht.


Zitat
Original von uwes
Die Lösung dieses Problems, dürfte sich allenfalls im Bereich des Schadenersatzes abspielen, der darin gesehen werden könnte, dass ein Kunde, der wegen unterlassener brieflicher Mitteilung den Vertrag nicht kündigt, so gestellt werden muss, als hätte er die Mitteilung einer  Preiserhöhung erhalten und rechtzeitig gekündigt.

Das sehe ich anders. Das ist gerade nicht der Fall.

Offline uwes

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@ RR-E-ft

Ich bin in der Regel auf Ihrer Seite, da ich Ihre Argumentationen und die schon legendären Rechtsprechungszitate außerordentlich schätze.

In der von Ihnen zitierten Entscheidung führt der BGH unter Rd.Nr. 36 ab Seite 21 aber ausdrücklich aus:

Zitat
Zwar ist - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - die Wirksamkeit der Änderung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 GasGVV nur an die öffentliche Bekanntgabe geknüpft worden und hängt nicht von der Erfüllung der in § 5 Abs. 2 Satz 2 GasGVV geregelten weiteren Pflichten des Versorgungsunternehmens ab (BR-Drs. 306/06 (Beschluss) S. 8 f.).
(Hervorhebung von mir!)

D.h. der BGH war sich durchaus der Pflichten des Versorgers bewusst, sah diese - mit Ausnahme der Veröffentlichungspflichten - jedoch nicht als \"Wirksamkeitsvoraussetzung\" für Preisanpassungen an.

Mir scheint, dass dies auch sinnvoll ist vor dem Hintergrund, dass der Zugang der Mitteilung ebenfalls nicht verpflichtend ist, sondern nur deren Versendung.

Die Gesetzesbegründung enthielt dann auch folgenden Text in der Beschlussdrucksache des Bundesrats:

Zitat
Begründung: Der Antrag greift die Zielsetzung der Ziffer 2 der Empfehlungen der Ausschüsse in BR-Drs. 306/1/06 auf. Auf Grund der speziellen Gegebenheiten bei der Grundversorgung (Vertragsschluss bereits durch Stromentnahme) ist es jedoch im Sinne der Rechtssicherheit erforderlich, die Wirksamkeit von Vertragsänderungen/Preisänderungen nicht vom Zugang an einen möglicherweise nicht bekannten Kunden (z. B. bei Mieterwechsel) abhängig zu machen, wie dies bei Umsetzung des Vorschlags in Ziffer 2 der BR-Drs. 306/1/06 der Fall wäre, sondern an die öffentliche Bekanntgabe zu knüpfen. Gleichwohl soll der Kunde eine briefliche Mitteilung erhalten, die u. U. das Preisbewusstsein des Kunden steigern und den Wettbewerb anregen kann.

Wie allerdings die Erhöhung im Sonderkundenvertrag ohne individuelle Mitteilung des Kunden erfolgen soll, bleibt etwas um dunklen; ist jedoch aus der Entscheidung nicht als verpflichtend im Sinne einer Wirksamkeitsvoraussetzung herauszulesen.

Wohl eher so: Verpflichtung ja, aber notwendig, um die Erhöhungen wirksam  herbeizuführen - nein.

Wahrscheinlich will der BGH dann seine Auffassung zu der gesetzlich nicht beabsichtigten unterschiedlichen Behandlung von Tarif und Normsonderkunden heranziehen.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Es geht u.a. um die Wirksamkeit der von der EWE seit 01.04.07 verwendeten Preisänderungsklausel.

Zitat
aus Pressemitteilung des BGH zum Verkündungstermin am 17.07.10 in dem Verfahren VIII ZR 246/08:

Seit 1. April 2007 verwendet die Beklagte \"Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Lieferung von Energie … außerhalb der Grundversorgung\".

Diese lauten auszugsweise wie folgt:  
\"1. Vertragsgrundlage für die Energielieferung  

Die Lieferung von Erdgas erfolgt auf der Grundlage der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz (Gasgrund-versorgungsverordnung – GasGVV vom 26.10.2006 (BGBl. I S. 2396)), …, sofern in diesen \"Allgemeinen Geschäftsbedingungen…\" sowie in den Ergänzenden Bedingungen der E. AG [= Beklagte] nichts anderes geregelt ist.  …  

3. Vertragslaufzeit und Kündigung  

…  Der Erdgaslieferungsvertrag hat eine Laufzeit von sechs Monaten gerechnet ab Lieferungsbeginn. Er verlängert sich automatisch jeweils um einen Monat, wenn er nicht von einer Vertragspartei gekündigt wird. Es gilt eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Ende des jeweiligen Ablaufs.   …  Die Möglichkeit zur Kündigung anlässlich von Preisanpassungen bzw. im Falle eines Umzugs gemäß … GasGVV bleibt unberührt.  …  

4. Preisänderung  

Der Erdgaspreis ändert sich, wenn eine Änderung der Preise der E. AG für die Grundversorgung eintritt; es ändert sich der Arbeitspreis um den gleichen Betrag in Cent/kWh, der Grundpreis um den gleichen Betrag in Euro/a. Die Preisänderung wird zu dem in der öffentlichen Bekanntgabe über die Änderung der Erdgaspreise genannten Zeitpunkt wirksam.  …  Im Falle einer Preisänderung hat der Kunde ein Sonderkündigungsrecht. Der Kunde ist berechtigt, das Vertragsverhältnis mit zweiwöchiger Frist zum Wirksamwerden der Preisänderung zu kündigen.\"


Jene wird sich auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Senats wohl gem. § 307 BGB als unwirksam erweisen (vgl. BGH VIII ZR 326/08 Rn. 36 f., Rnrn. 39 ff. <42!>). Erweist sich aber eine Preisänderungsklausel gem. § 307 BGB als unwirksam, so können einseitige Preisänderungen nicht darauf gestützt werden, sondern erweisen sich ihrerseits selbst als unwirksam (BGH KZR 2/07, VIII ZR 274/06, VIII ZR 225/07, VIII ZR 320/07, VIII ZR 81/08].

Obacht:

BGH VIII ZR 326/08 Rn. 36 f. betrifft nicht Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Belieferung außerhalb der Grundversorgung der EMB, sondern sog. Ergänzende Bedingungen der EMB für Gaslieferungen innerhalb der Grundversorgung (\"Ergänzende Bedingungen zur GasGVV\"). Anders jedoch die Entscheidungsgründe in Randnummern 39 ff., die sich zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen der EMB zu Gaslieferungen außerhalb der Grundversorgung (Sonderverträge) verhalten.

Man hat es also bei genauer Betrachtung in der dortigen Entscheidung mit zwei vollkommen unterschiedlichen Fallgestaltungen zu tun, die unterschiedliche rechtliche Konsequenzen zeitigen:

Erweisen sich Bestimmungen für die Grundversorgung im Rahmen Ergänzender Bestimmungen des Grundversorgers zur GasGVV als unwirksam, gelten für die Grundversorgung uneingeschränkt die Bestimmungen der GasGVV.

Erweisen sich hingegen Allgemeine Geschäftsbedingungen für Gaslieferungen außerhalb der Grundversorgung gemessen an § 307 BGB als unwirksam, gelten für die davon betroffenen Vertragsverhältnisse die Bestimmungen der GasGVV gerade nicht (BGH KZR 2/07, VIII ZR 274/06, VIII ZR 225/07, VIII ZR 320/07, VIII ZR 81/08].

Die Bestimmungen der Grundversorgungsverordnungen selbst unterliegen gar keiner Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB, weil es sich bei ihnen ja  um zwingende gesetzliche Regelungen für die Grund- und Ersatzversorgung (aber eben nur für diese!!!) handelt, § 1 GVV.

Allgemeine Geschäftsbedingungen für Energielieferungen außerhalb der Grund- und Ersatzversorgung unterliegen hingegen immer der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB.

Offline RR-E-ft

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A.

Selbst bei einer wirksamen Einbeziehung der Bestimmungen der AVBGasV als AGB ergäbe sich daraus kein Recht zur einseitigen Preisänderung für das Gasversorgungsunternehmen.

1.

Das einseitige Leistungsbestimmungsrecht des EVU hinsichtlich der Allgemeinen Tarife ergibt sich nicht aus § 4 AVBGasV (vgl. OLG Oldenburg, RdE 2009, 25). Es folgte vielmehr unmittelbar aus § 10 Abs. 1 EnWG 1998.


BGH, Urt. v. 04.03.2008 KZR 29/06 Rn. 20, juris:

Ebenso wie der Gesetzgeber den Energieversorgern, die nach § 10 EnWG 1998 allgemeine, d.h. für jedermann geltende Tarife aufzustellen haben, hierdurch ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt hat (BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17), ist damit den Netzbetreibern, die allein über die für die Bestimmung des zulässigen Preises erforderlichen tatsächlichen Kenntnisse verfügen, das Recht gegeben worden, unter Beachtung der Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes und gegebenenfalls der durch Rechtsverordnung konkretisierten Kriterien allgemeine Entgelte für die Netznutzung zu bilden.

2.

Bezüglich dieses bereits mit der gesetzlichen Versorgungspflicht untrennbar verbundenen einseitigen Leistungsbestimmungsrechts im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB trifft § 4 Abs. 2 AVBGasV lediglich eine besondere Regelung mit Rücksicht auf §§ 315 Abs. 2, 130 BGB. Für die Wirksamkeit der einseitigen Leistungsbestimmung sollte es nicht auf den Zugang einer entsprechenden unwideruflichen Willenserklärung des EVU gem. § 315 Abs. 2 BGB bei den einzelnen Kunden ankommen. Dies ist auch in § 5 Abs. 2 GasGVV so beibehalten worden.

BGH, Urt. v. 27.01.2010 VIII ZR 326/08 Rn. 36, juris:

Zwar ist - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - die Wirksamkeit der Änderung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 GasGVV nur an die öffentliche Bekanntgabe geknüpft worden und hängt nicht von der Erfüllung der in § 5 Abs. 2 Satz 2 GasGVV geregelten weiteren Pflichten des Versorgungsunternehmens ab (BR-Drs. 306/06 (Beschluss) S. 8 f.).
 
Somit kann die Implementierung einer Vertragsklausel, die die Bestimmungen der §§ 4 Abs. 2 AVBGasV/ 5 Abs. 2 GasGVV inhaltlich übernimmt, schon kein vertragliches  einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB begründen.

3.

Hinzu tritt, dass eine vertragliche Regelung inhaltsgleich § 4 Abs. 2 AVBGasV/ 5 GasGVV weder tatbestandlich noch rechtsfolgenseitig die Anpassung eines vereinbarten Gas- Sonderpreises regelt.

BGH, Urt. v. 29.04.2008 KZR 2/07 Rn. 29, juris:

An Stelle der unwirksamen Preisanpassungsklausel tritt entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung auch kein Preisänderungsrecht entsprechend § 4 AVBGasV. Die Verordnung gibt dem Versorger kein allgemeines Preisanpassungsrecht, sondern das Recht zur Bestimmung (und Änderung) derjenigen allgemeinen Tarife und Bedingungen, zu denen der Versorger nach § 6 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (1935) jedermann an sein Versorgungsnetz anzuschließen und zu versorgen hat (§ 1 Abs. 1 AVBGasV). Die Kläger sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedoch keine Tarif-, sondern Sondervertragskunden. Der Preis, den sie zu zahlen haben, ergibt sich nicht aus dem allgemeinen, für jedermann geltenden Tarif der Beklagten, sondern aus der vertraglichen Vereinbarung in § 2 Abs. 1 des Gasbezugsvertrages. Auf einen solchen vereinbarten Preis findet das Tarifbestimmungsrecht des Versorgers weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung.

§ 4 VBGasV spricht nur von „Allgemeinen Tarifen“, § 5 GasGVV nur von den „Allgemeinen Preisen“ (der Grund- und Ersatzversorgung.

Nach der Unklarheitenregel des Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB iVm.  § 305c Abs. 2 BGB kann bei kundenfeindlichster Auslegung nicht angenommen werden, dass damit eine Regelung in den Vertrag implementiert sei, die zur Anpassung eines vertraglich vereinbarten Sonderabkommen- Preises berechtigt.

So hat auch das LG Frankfurt/ Oder in einem Hinweisbeschluss vom 11.05.2010 zum Aktenzeichen 14 O 162/09 zu einer Zahlungsklage des Gasversorgers gegenüber einem kaufmännischem Gaskunden, bei dem die Bestimmungen der AVBGasV in einen Sondervertrag einbezogen seien, zutreffend auf folgendes hingewiesen:

Ein Preisanpassungsrecht dürften die Parteien wohl nicht wirksam vereinbart haben. Aus der Auftragsbestätigung selbst ergibt sich dies nicht. Auch durch den Verweis auf die Allgemeinen Versorgungsbedingungen dürfte dies nicht erfolgt sein.

§ 4 Abs. 1 und Abs. 2 AVBGasV sprechen von \"allgemeinen Tarife\" und gerade nicht von Sondertarifen. Insofern ist unklar, inwieweit durch den Verweis auf die AVBGasV auch auf die Preisänderungsmöglichkeit Bezug genommen werden sollte. Insofern ist gemäß § 305c Abs. 2 BGB davon auszugehen, dass ein Preisanpassungsrecht nicht vereinbart werden sollte.

4.

Zwar hat der achte Zivilsenat des BGH beginnend mit Urt. v. 15.07.2009 VIII ZR 56/08  in mehrfach obiter dicta seine Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht, dass eine Preisänderungsklausel in einem Erdgas- Sondervertrag, welches das gesetzliche Preisänderungsrecht inhaltsgleich übernimmt, der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB standhalten soll  (BGH, aaO, Rn. 21 ff.)

5.

Dem ist nicht zu folgen. Der Senat sagt selbst, dass eine solche Klausel nicht den Anforderungen genügt, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach dem Transparenzgebot gem. § 307 BGB an Preisänderungsklauseln zu stellen sind.

BGH, Urt. v. 21.04.2009 XI ZR 78/08 Rn. 38, juris:

Lässt eine Preis- und Zinsänderungsklausel weiter den Kunden darüber im Unklaren, ob und in welchem Umfang das Kreditinstitut zu einer Anpassung berechtigt oder zu seinen Gunsten verpflichtet ist, läuft auch die dem Kunden eingeräumte Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend leer. Kommt es erst gar nicht zu einer gebotenen Herabsetzung des Preises oder Zinssatzes, versagt sie für gewöhnlich, weil der Kunde mangels hinreichenden Anhalts schon eine solche Verpflichtung des Verwenders zumeist nicht zu erkennen vermag. Erfolgt eine Preis- oder Zinsanpassung zu seinen Ungunsten, fehlt ihm die Beurteilungsgrundlage, ob sich die Anpassung im Rahmen des der Bank zustehenden Gestaltungsspielraumes bewegt oder ein Verfahren nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB mit Erfolg betrieben werden kann (Habersack, WM 2001, 753, 757).

BGH, Urt. v. 21.04.2009 XI ZR 55/08 Rn. 32, juris:

Danach benachteiligt die angegriffene Klausel die Kunden auch insoweit unangemessen, als sie ein Zinsanpassungsrecht der Beklagten vorsieht. Auch ein solches benachteiligt die Kunden nur dann nicht unangemessen, wenn das Äquivalenzverhältnis gesichert ist, die Klausel mithin eine Bindung der Bank an den Umfang des Kostenanstiegs vorsieht und eine Verpflichtung der Bank enthält, Kostenminderungen an die Kunden weiter zu geben, ohne dass die Bank insoweit ein Ermessen hat (siehe schon BGHZ 97, 212, 217 f.; vgl. auch Staudinger/Kessal-Wulf, BGB (2004), § 492 Rn. 30 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird Nr. 17 Abs. 2 Satz 1 AGB nicht gerecht (siehe schon unter II 3 b cc).

 
6.

Der achte Zivilsenat begründet seine Rechtsauffassungen, die er obiter dicta äußerte, damit, dass sich entsprechendes aus § 310 Abs. 2 BGB ergäbe.

Bei genauer Betrachtung räumt jedoch § 310 Abs. 2 BGB den Versorgungsunternehmen gar keine Privilegierung bei der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB und somit bei der Beachtung des Transparenzgebotes ein, wie sich aus der Rechtsprechung des Senats selbst ergibt:

BGH, Urt. v. 15.07.2009 VIII ZR 56/08 Rn. 17, juris:

Bei (Sonder-)Verträgen der Gasversorgung findet zwar gemäß § 310 Abs. 2 BGB eine Inhaltskontrolle nach §§ 308 und 309 BGB nicht statt, soweit die Versorgungsbedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden mit Gas (AVBGasV) abweichen, an deren Stelle die Gasgrundversorgungsverordnung getreten ist.

Die beanstandete Preisanpassungsklausel unterliegt aber als Preisnebenabrede (st. Rspr.; vgl. Senatsurteil vom 21. September 2005 - VIII ZR 38/05, WM 2005, 2335, unter II 1 m.w.N.) in jedem Fall der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB (BGHZ 138, 118, 123 zu den Vorgängerregelungen in § 23 Abs. 2 Nr. 2 und § 9 AGBG).


7.

Eine entsprechende Auslegung verstößt zudem auch gegen zwingendes EU- Recht, welches transparente und angemessene Preise und Bedingungen für Energielieferungen an Haushaltskunden und Kleinkunden verlangt.

In der Vorb. Nr. 22 der RiLi 2003/55 heißt es ähnlich wie in Nr. 24 der RiLi 2003/54

(22) Es sollten weitere Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die Tarife für den Zugang zu Fernleitungen transparent und nichtdiskriminierend sind. Diese Tarife sollten auf alle Benutzer in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden.

RiLi 2003/54 (24)
„Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass Haushalts-Kunden und, soweit die Mitgliedstaaten dies für angezeigt halten, Kleinunternehmen das Recht auf Versorgung mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu leicht vergleichbaren, transparenten und angemessenen Preisen haben.“

Weiter heißt es in Art 3 der RiLi 2003/55

(3) Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, wozu auch geeignete Maßnahmen gehören, mit denen diesen Kunden geholfen wird, den Ausschluss von der Versorgung zu vermeiden. In diesem Zusammenhang können sie Maßnahmen zum Schutz von Kunden in abgelegenen Gebieten treffen, die an das Erdgasnetz angeschlossen sind. Sie können für an das Gasnetz angeschlossene Kunden einen Versorger letzter Instanz benennen. Sie gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren.

Umsetzung
(1) Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens am 1. Juli 2004 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.
(2) Die Mitgliedstaaten können die Umsetzung von Artikel 13 Absatz 1 bis zum 1. Juli 2007 zurückstellen. Die Anforderungen des Artikels 13 Absatz 2 bleiben hiervon unberührt.

In dem beim Bundesgerichtshof anhängigen Verfahren VIII ZR 246/08 und VIII ZR 327/07 kommt es nunmehr auf all diese Fragen erstmals an, insbesondere wurde der Senat in jenem Verfahren erstmals mit der Problematik des europäischen (Energie-) Verbraucherrechts konfrontiert.

Der Senat  hat die ursprünglich auf den 16.06.2010 anberaumten Verkündungstermine auf den 14.07.2010 verschoben.

In jenen für den 14.07.2010 erwarteten Entscheidungen geht es auch darum, ob die Preisneuvereinbarungsfiktion bei Tarifkunden (BGH VIII ZR 36/06, VIII ZR 138/07, VIII ZR 314/07) auch bei Sondervertragskunden gilt (entgegen BGH, Urt. v. 20.07.2005 VIII ZR 199/04).

B.

Unzutreffend ist die Auffassung des VIII. Zivilsenats des BGH, wonach durch die unbeanstandete Hinnahme einer einseitigen Tarifänderung und unbeanstandeten Zahlung durch den Kunden ein neuer Preis vertraglich vereinbart werde, der keiner Billigkeitskontrolle mehr unterliege (BGH VIII ZR 36/06, VIII ZR 138/07, VIII ZR 314/07).

1.

Dies folgt schon denknotwendig aus der zeitlich nachfolgenden Rechtsprechung des Senats selbst:

BGH, Urt. v. 18.10.2009 VIII ZR 320/07 Rn. 29, juris:

 Denn aus der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folgt, dass das Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVBGasV mit der Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist (Senatsurteil vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, aaO, Tz. 28 m.w.N.).

Die gesetzliche Verpflichtung zur Tarifabsenkung bei rückläufigen Kosten steht denknotwendig einer vertraglichen Preisvereinbarung mit dem einzelnen Tarifkunden, die eine Billigkeitskontrolle ausschließt, entgegen.

BGH, Urt. v. 13.06.2007 VIII ZR 36/06 Rn. 15 f., juris:

Um solche - vereinbarte - Preise handelt es sich im Verhältnis zwischen den Parteien bei den bis zum 30. September 2004 geltenden Tarifen.

Vertraglich vereinbart haben die Parteien hier zunächst den bei Abschluss des Gasversorgungsvertrages von der Beklagten geforderten Preis, auch wenn es sich bei diesem Preis um den allgemeinen Tarif der Beklagten für die leitungsgebundene Versorgung mit Gas handelte. Soweit die Beklagte in der Folgezeit gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV einseitig Preiserhöhungen vorgenommen hat, haben die Kläger die auf diesen Tarifen basierenden Jahresrechnungen unbeanstandet hingenommen. Indem sie weiterhin Gas bezogen haben, ohne in angemessener Zeit eine Überprüfung der Billigkeit etwaiger Preiserhöhungen nach § 315 BGB zu verlangen, ist entgegen der Auffassung der Revision auch über die von der Beklagten vor dem 1. Oktober 2004 geforderten - gegenüber dem bei Vertragsschluss geltenden allgemeinen Tarif er-höhten - Preise konkludent eine vertragliche Einigung der Parteien zustande gekommen (vgl. BGHZ 172, 315, Tz. 36; Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 16).

2.

Zudem hat der Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 09.06.2009 Az. 5 StR 394/08, juris zutreffend entschieden, dass ein Betrug vorliege, wenn ein Versorgungsunternehmen entgegen der gesetzlichen Bestimmungen einen unbillig kalkulierten Tarifpreis zur Abrechnung stellt, weil die Abrechnungsempfänger (konkludent) über die Ordnungsgemäßheit der Abrechnungen getäuscht werden und durch die Zahlung auf solche Abrechnungen unmittelbar einen Schaden erleiden.    

Auch damit ist es denknotwendig unvereinbar, dass beanstandungslose Zahlungen des Kunden zu einer Entgeltneuvereinbarung führen.

Offline tangocharly

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@Zitat RR-E-ft
Zitat
Allgemeine Geschäftsbedingungen für Energielieferungen außerhalb der Grund- und Ersatzversorgung unterliegen hingegen immer der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB.

Was aber nicht heißt, dass eine Individualvereinbarung ( § 305b BGB) zu einer einseitigen ermessensgebundenen Leistungsbestimmung durch eine der Parteien und damit zur Billigkeitskontrolle i.S.v. § 315 BGB führt.

Dieser Fall ist aber, wenn der Versorger klauselhaft die AVBGasV/GasGVV in das Sonderkundenverhältnis einbeziehen will (§ 305 Abs.2 BGB) nicht einschlägig, weil dann der Verordnungstext der Klauselkontrolle unterfällt. Diese Klauselkontrolle nimmt, da hat der VIII. Senat richtig fokussiert, keine Rücksicht auf die Bestimmungen gem. §§ 308 u. 309 BGB i.V.m. § 310 Abs. 2 BGB. Dies aber auch wiederum nur, soweit nicht zum Nachteil des Abnehmers (= nicht nur Verbraucher !) abgewichen wird.

Um dies beurteilen zu können, kommt es also nicht nur auf den einbezogenen Verordnungstext an, sondern auf das gesamte \"Vertrags-drum-herum\". Es klingt wie auf Holzstelzen flüssig, wenn man den Sondervertagskunden aus einem Rechtsgedanken gem. § 310 Abs. 2 BGB nicht schlechter und nicht besser stellen wollte, als Grundversorgte. Es stellt sich dann aber die Frage, wie dies beurteilt werden soll, wenn bei dieser Prüfung die in §§ 308 u. 309 BGB geregelten \"Klausel-Todsünden\" ausgeklammert würden.

Schon der \"Soweit-Satz\" in § 310 Abs. 2 S 1 BGB drückt ja schon aus, dass die §§ 308 u. 309 BGB nur dann nicht gelten, wenn nicht zum Nachteil abgewichen wurde. Dass der Gesetzgeber ganz bewußt die \"Klausel-Feinde\", d.h. den Transparenzmangel und die Unangemessenheit, gem. § 307 Abs. 1 S. 1 u. 2 BGB, offen gelassen hat, ist - und da hat @RR-E-ft sicherlich recht - offenkundig.

Schließlich hat der VIII. Senat bei seinen - dogmatisch fraglichen - Überlegungen ein weiteres übersehen. Denn gem. § 310 Abs. 3 Ziff. 3 BGB sind  bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen.

Dabei kommt es schon mal ergänzend darauf an, weshalb der Kunde zum Sondervertragskunden gewechselt ist. Wenn dem Kunden dabei z.B. ein Nachlaß angeboten wird, wenn er sich für eine bestimmte Laufzeit bände (lassen wir mal z.B. § 309 Ziff. 9 BGB außen vor), dann sieht der Abnehmer diese Vertragsbindung wegen des Nachlasses für gerechtfertigt an.  
Der Umstand, dass ihm als Sonderkunde - wegen einer wesentlich günstigeren Konzessionsabgabe (§ 2 Abs. 3 Ziff. 2 KAV) - ggf. sogar ein noch größerer Rabatt zustehen könnte, der nun nicht ihm, sondern dem Versorger zufließt, ist dabei besonders misslich.

Die etwas verquaste Gleichschaltung innerhalb und außerhalb der Allg. Versorgung ist weder theoretisch noch praktisch nachzuvollziehen.

Und wenn dann beim Sondervertrag auch noch, die bislang nach der zu sichtenden Materie kaum als rechtsstaatlich zu bezeichnden Billigkeits-Prüfungs-Praxis, der Maßstab des § 315 BGB über die \"ganze Suppe\" drüber gestülpt werden soll, dann kann ich mich nur dem XI. Senat (21.04.2009, XI ZR 78/08, Tz. 38 ) anschließen:

Zitat
(2) Lässt eine Preis- und Zinsänderungsklausel weiter den Kunden darüber im Unklaren, ob und in welchem Umfang das Kreditinstitut zu einer Anpassung berechtigt oder zu seinen Gunsten verpflichtet ist, läuft auch die dem Kunden eingeräumte Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend leer. Kommt es erst gar nicht zu einer gebotenen Herabsetzung des Preises oder Zinssatzes, versagt sie für gewöhnlich, weil der Kunde mangels hinreichenden Anhalts schon eine solche Verpflichtung des Verwenders zumeist nicht zu erkennen vermag. Erfolgt eine Preis- oder Zinsanpassung zu seinen Ungunsten, fehlt ihm die Beurteilungsgrundlage, ob sich die Anpassung im Rahmen des der Bank zustehenden Gestaltungsspielraumes bewegt oder ein Verfahren nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB mit Erfolg betrieben werden kann (Habersack, WM 2001, 753, 757).
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Offline marten

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@RR-E-ft

Was heisst D?

gruss
marten

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D steht synonym für das Unerklärliche, keiner weiteren Erkenntnis Zugängliche.

 

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