„Vor dem VIII. Zivilsenat und auf hoher See ...ist man in Gottes Hand“. So könnte man vielleicht meinen, wenn man die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats in Sachen Gaspreiserhöhungen in den letzten Jahren intensiver verfolgt hat.
Skepsis war spätestens seit der Entscheidung des VIII. Zivilsenats vom 15.07.2009 (
VIII ZR 56/08) angebracht, mit der die hohen Herrschaften in Karlsruhe mal so eben per „obiter dictum“ (ohne dass es also für die Entscheidung der damaligen Revision auch nur in Ansätzen von Bedeutung und damit angezeigt gewesen wäre) von der Transparenzrechtsprechung anderer BGH Senate abwichen und dabei wissen ließen, intransparente Verordnungen, denen ein Preisanpassungsrecht zu entnehmen sei (GasGVV/AVBGasV), könnten ohne weiteres in die Verträge mit Sondervertragskunden übernommen werden, wenn sie nur mit dem Verordnungstext inhaltlich übereinstimmten bzw. von diesem nicht abwichen (Übernahmerechtsprechung“).
Damals wurde auch hier im Forum fast zwangsläufig die Frage gestellt, ob der VIII. Zivilsenat damit nicht seine Kompetenzen überschritten hatte, wo er doch möglicherweise wegen seiner von der Transparenz-Rechtsprechung anderer Zivilsenate des BGH abweichenden Rechtsansicht vor einer eigenen Entscheidung in der Sache den Großen Senat hätte anrufen müssen.
Gleichzeitig wurde hier vereinzelt auch die europäische Dimension gesehen und die Frage aufgeworfen, ob nicht europäisches Recht einer so weitgehenden Aushöhlung der BGH-Transparenzrechtsprechung entgegensteht, wie sie der VIII. Zivilsenat mit seiner Entscheidung aus Juli 2009 zu Lasten des Verbraucherschutzes betrieben hat.
Mein Beitrag soll diese beiden Aspekte, die in den zur Entscheidung anstehenden EWE-Revisionsverfahren aktueller denn je erscheinen - zum einen die „Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof (EuGH)“, zum anderen die „Vorlagepflicht an den beim Bundesgerichtshof gebildeten Großen Senat für Zivilsachen“ - noch einmal näher ins Bewusstsein rücken und dabei genauer unter die Lupe nehmen.
Vorab sei gesagt, dass entsprechende Vorlagepflichten aus meiner Sicht bislang zwar noch nicht bestanden, sich dieses jetzt aber in Sachen EWE wohl ganz anders darstellen dürfte.
Man darf also gespannt sein, wie der VIII. Zivilsenat insbesondere die Revisionen gegen die Entscheidung des OLG Oldenburg behandeln wird. Dabei wird sich nämlich endgültig zeigen, mit welchem Selbstverständnis des VIII. Zivilsenat des BGH Recht spricht:
Trifft er eine am materiellen wie prozessualen Recht orientierte Entscheidung und dokumentiert damit seine richterliche Unabhängigkeit in alle Richtungen (also auch gegenüber Lobbyvertretern der Versorgungsunternehmen)?
Oder ist der VIII. Zivilsenat jetzt tatsächlich willens, den schon mit der eingangs erwähnten Obiter-Dictum-Entscheidung vom 15.07.2009 vorgezeichneten Weg (alleine) weiterzugehen und so endgültig den rechtsstaatlichen \"Offenbarungseid\" zu leisten?
Um nachvollziehbar zu machen, warum der EuGH bzw. der Große Senat jetzt meiner Ansicht nach am Zuge sind, wenn der VIII. Zivilsenat an seiner Ansicht aus seiner („Übernahme“-)Entscheidung vom 15.07.2009 festhalten will, was er ja in der mündlichen Verhandlung zumindest in Erwägung gezogen hat, muss ich auf einige Punkte noch einmal ausdrücklich zurückkommen, die hier im Forum in der Vergangenheit schon wiederholt diskutiert wurden und so für viele Leser bereits bekannt sein dürften. Dieses Vorgehen führt dann aber leider zugleich dazu, dass der Umfang meines Beitrags den ursprünglich vorgesehenen bei weitem sprengt. Ich hoffe, niemand nimmt mir das allzu übel!
Es geht hier aus meiner Sicht um die zentrale Frage, ob der VIII. Zivilsenat vor einer endgültigen Revisionsentscheidung in Sachen EWE seiner Pflicht nachkommt und europäisches Recht (insbesondere die EU-Klauselrichtlinie sowie die EU-Gasrichtlinie) beachtet, ggf. dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die hier bedeutende Rechtsfrage in einem Vorabentscheidungsverfahren vorlegt bzw. - wie nach deutschem Recht angezeigt - den beim BGH gebildeten Großen Senat für Zivilsachen anruft.
Das Transparenzgebot des BGBEuropäisches wie deutsches Recht stehen einer Entscheidung entgegen, die den Verbraucherschutz in einem wesentlichen Punkt substanziell beschneidet. Es geht um das auch hier oft angesprochene „Transparenzgebot“ gem. § 307 BGB. Diese bürgerlich-rechtliche Verbraucherschutz-Vorschrift verbietet es „ohne Wenn und Aber“, dass Vertragsklauseln in „Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)“ eines Unternehmers „nicht klar und verständlich“ - also intransparent - formuliert sind. Bestehen derartige Unklarheiten, trifft § 307 Abs. 1 BGB zugleich eine Bestimmung über das Schicksal solch intransparenter Vertragsklauseln: Sie sind „unwirksam“.
§ 307 Abs. 1 BGB
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
In den EWE-Verfahren geht es nun nicht zuletzt um die Wirksamkeit der von der EWE per AGB in den Versorgungsvertrag einbezogenen „Preisanpassungsklauseln“. Zu den tatbestandlichen Anforderungen, denen solche Klauseln mit Blick auf ihre Klarheit und Verständlichkeit zu genügen haben, um wirksam zu sein, um also ein einseitiges Preisanpassungsrecht zu begründen, liegt eine umfangreiche - im wesentlichen gleichlautende - Rechtsprechung der verschiedener BGH-Zivilsenate vor, die sich unter dem Oberbegriff „Transparenzrechtsprechung des BGH“ zusammenfassen lässt.
Geltung des Preisänderungsrechts aus der VerordnungWährend sich ein Energieversorgungsunternehmen (EVU) gegenüber seinen Kunden, die von ihm im Rahmen der Versorgungspflicht als „Tarifkunden“ oder Kunden der „Grundversorgung“ mit Erdgas beliefert werden, unmittelbar auf ein gesetzliches Preisänderungsrecht berufen kann - auf 4 AVBGasV, die bis zum 07.11.2006 in Kraft war, seitdem auf § 5 GasGVV -, gelten diese Vorschriften ihrem Wortlaut nach für Kunden, die mit dem Versorger einen „Sondervertrag“ abgeschlossen haben, gerade nicht.
Mit Sondervertragskunden muss das EVU also ein Preisänderungsrecht WIRKSAM einzelvertraglich vereinbart haben, will es etwa Kostensteigerungen, denen es selbst ausgesetzt war, an sie weitergeben.
Der Unterscheidung des jeweiligen Vertragstypus - Sondervertragskunde hier, Grundversorgungskunde da - kommt also von daher grundlegende Bedeutung für die Frage zu, ob „mein“ EVU mir gegenüber überhaupt zur Preisänderung berechtigt ist.
Welchem Vertragstypus der jeweilige Versorgungsvertrag nun konkret folgt, ob insbesondere ein Sondervertrag vorliegt, muss naturgemäß in jedem Einzelfall entschieden werden. Das Instanzgericht wird folglich an diesem Punkt sehr genau hinzusehen haben. Dabei ist keinesfalls unerheblich, dass EVU im Allgemeinen - und so auch die EWE im Besonderen - im „Massengeschäft Energielieferung“ mit einer Vielzahl von Kunden regelmäßig gleichlautende Verträge abschließen bzw. abgeschlossen haben. Derartige Gasverträge, in denen die EWE mit ihren Kunden etwa den Tarif „SI (Sondervereinbarung“) vereinbarte, der später dann in „erdgas classic“ umbenannt wurde, sind vom OLG Oldenburg bereits im Jahre 2008 als Sonderverträge eingestuft worden. Jeder Gaskunde kann also daraus unmittelbar und hinreichend verlässlich ableiten, ob er schon von daher (Norm)Sonderkunde der EWE ist. Im Zweifelsfall ist aber selbstverständlich immer Rechtsrat einzuholen!
Ohne an dieser Stelle die Abgrenzungskriterien Grundversorgungsvertrag/Sondervertrag noch einmal herunterzubeten, so sei doch auf Folgendes kurz hingewiesen: Welche Bedeutung der VIII. Zivilsenat schon dem Wortlaut des angebotenen Tarifs beimisst, macht er mit seiner Entscheidung vom 15.07.2009 -
VIII ZR 225/07 - (vgl. zu den Abgrenzungskriterien insbesondere Rd.-Nrn. 13-16) sehr deutlich. Die Feststellung des OLG Oldenburg, beim EWE-Tarif „Sondervereinbarung SI“ (später umbenannt in „erdgas classic“) sei von einem Sondervertrag auszugehen, weicht von den Kriterien, die der VIII. Zivilsenat in seiner e.g. Entscheidung aufgestellt hat, auch nicht substanziell ab. Der EWE wird es dann auch kaum gelingen, SI-(Norm)Sondervertragskunden zu Grundversorgungskunden umzudefinieren, nur um sich so unmittelbar auf das gesetzliche Preisänderungsrecht berufen zu können. Das sieht wohl auch die EWE selbst so, denn deren Prozessvertreter, Prof. Krämer, stellte in der Revisionsverhandlung bezüglich eines Verfahrens, das das LG Oldenburg entschieden hatte, nun ausdrücklich unstreitig, dass es sich bei den zugrundeliegenden SI-Verträgen sämtlich um Sonderverträge handele. Dem ging ja gem. dem Verhandlungsbericht von „ESG-Rebell“ der Hinweis des Senatsvorsitzende Ball voraus, dass es sich entgegen der widersprüchlichen Feststellungen des LG Oldenburg tatsächlich wohl um Sonderverträge handeln könnte.
Da im Verfahren vor dem OLG Oldenburg die Parteien zudem übereinstimmend von der Normsonderkundeneigenschaft sämtlicher verfahrensbeteiligter Sammelkläger mit SI-Vertrag (und später „erdgas classic“) ausgingen, der Vertragstypus also dort völlig außer Streit stand, wird der VIII: Zivilsenat zumindest in diesen beiden Verfahren die (Norm)Sonderkundeneigenschaft der Sammelkläger auch seiner Rechtsfindung zugrunde legen.
Die Übernahme des Preisänderungsrechts aus der Verordnung in den SondervertragDie Frage, die sich deshalb mit Blick auf die vorliegenden Sonderverträge vor dem VIII. Senat aktuell stellt:
Konnte die EWE im Falle fehlender individueller Aushandlung eines Preisänderungsrechts mit ihren Sondervertragskunden ein gesetzlich nicht unmittelbar eingreifendes Preisanpassungsrecht etwa durch einen einfachen und allgemein gehaltenen AGB-Hinweis auf die Geltung der Gasverordnung (AVBGasV) wirksam in den Versorgungsvertrag einbeziehen (die EWE-Klausel lautete: „Das Vertragsverhältnis richtet sich nach der AVBGasV“)?
Darüber, wie der VIII. Zivilsenat diese Frage beantworten möchte, gibt die angesprochene Übernahmeentscheidung des VIII. Zivilsenats vom 15.07.2009 Auskunft:
Damals hatte der VIII. Zivilsenat in einem nicht nur hier im Forum heftig diskutierten - und kritisierten - Urteil mal so eben nebenbei per obiter dictum Feststellungen getroffen, welche die Revisionsverfahren in Sachen EWE in nicht unerheblicher Weise zum Nachteil der prozessbeteiligten Verbraucher beeinflussen könnten.
Der VIII. Zivilsenat stellte dort nämlich erstmalig die These auf, eine gesetzliche Preisänderungsklausel, wie sie § 4 AVBGasV darstelle und auf die sich der Gasversorger gegenüber seinen Kunden im
Tarif- bzw. Grundversorgungskundenverhältnis zur Preisänderung berufen könne, dürfe unbeachtet seiner Intransparenz wirksam in einen formularmäßigen Erdgassondervertrag einbezogen werden. Voraussetzung sei lediglich, dass das bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht unverändert übernommen werde.
Entgegenstehendes deutsches Recht (Transparenzrechtsprechung des BGH)Das Problem dabei liegt nun aber darin, dass § 307 BGB einem solchen Ergebnis schon seinem Wortlaut nach entgegensteht. Denn - wie festgestellt - lautet die klare gesetzliche Regel: eine nicht klare und verständliche Klausel = unwirksam. Und so machte auch das OLG Oldenburg in seiner Entscheidung vom 12.09.2008 (
12 U 49/07) sehr nachvollziehbar deutlich, dass das Preisänderungsrecht der Verordnungen nichts anderes darstelle, als einen \"nichts sagenden Verordnungstext\" und damit zugleich intransparent im Sinne von § 307 BGB sei.
Hinsichtlich der tatbestandlichen Anforderungen, denen in den Vertrag einbezogene Preisänderungsklauseln generell genügen müssen, um nicht als unwirksam verworfen zu werden, lag zudem schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des VIII. Zivilsenats am 15.07.2009 die gefestigte Transparenzrechtsprechung der verschiedener Senate des BGH vor. Preisanpassungsklauseln müssen danach näher konkretisieren, bei welchem Anlass, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das einseitige Preisänderungsrecht des Verwenders gegeben sein soll. Da das gesetzliche Preisanpassungsrecht der Verordnungen derartige Konkretisierungen aber eindeutig nicht enthält, müsste eine Klausel, die lediglich den Verordnungstext in den Versorgungsvertrag einbezieht, unter Zugrundelegung der einhelligen Transparenzrechtsprechung des BGH (eigentlich) unwirksam sein. Das sieht der VIII. Zivilsenat aber anders, wie seine Entscheidung vom 15.07.2009 zeigt.
Mit seiner Entscheidung vom 15.07.2009 wich der VIII. Zivilsenat also zum einen von der Transparenzrechtsprechung anderer Zivilsenate ab, die sich bisher mit Preisänderungsklauseln zu befassen hatten.
Betroffene europäische RechtsmaterienZum anderen lag und liegt der VIII. Zivilsenat mit seinem Ergebnis aus Juli 2009 auch quer zur
EU-Klauselrichtlinie 93/13/EWG vom 5. April 1993 sowie insbesondere zur
EU-Gasrichtlinie 2003/55/EG vom 26.06.2003, die den EU-Staaten ausdrücklich aufgibt, dafür Sorge zu tragen, dass im Rahmen von Gasversorgungsverträgen mit Endkunden, „ein hoher Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen“, herrscht.
Diese abweichende Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats in dieser doppelten Hinsicht (EU-Richtlinien/Transparenzrechtsprechung) ist zumindest bemerkenswert.
Vorlageverfahren an den EuGH/Großen Senat für Zivilsachen des BGHZur EU-weiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung der einzelstaatlichen Gerichte kommt gem. Art. 234 EU-Vertrag dem EuGH wesentliche Bedeutung zu. Hängt eine Entscheidung von der Auslegung (Bedeutung und Reichweite) einer europäischen Vorschrift - wie hier von einer EU-Richtlinie - ab, dann ist nicht das einzelstaatliche Gericht zu deren Auslegung berufen, sondern ausschließlich der Europäische Gerichtshof. Handelt es sich beim erkennenden Gericht um ein Gericht, dessen Entscheidung nicht mehr mit einem Rechtsmittel angegriffen werden kann (der VIII. Zivilsenat als letzte Instanz), dann MUSS die europarechtlich bedeutsame Auslegungsfrage dem Europäischen Gerichtshof vom Revisionsgericht in einem sog.
Vorabentscheidungsverfahren zwingend zur Entscheidung vorgelegt werden.
Ganz ähnlich verhält es sich auf deutscher Ebene: Um eine einheitliche Rechtsprechung der verschiedenen Senate des BGH in Grundsatzfragen sicherzustellen, hat der Gesetzgeber mit § 132 GVG eine Regelung getroffen, nach der ein Zivilsenat, der von der Entscheidung eines anderen Zivilsenats abweichen will, die Sache dem beim BGH gebildeten Großen Senat für Zivilsachen vorzulegen hat, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, an seiner Rechtsauffassung festhalten will.
Hätte der VIII. Zivilsenat dann aber nicht schon im Vorfeld des Verfahrens, das unter Ausblendung der EU-Gasrichtlinie am 15.07.2009 zu einer Abweichung von der Transparenzrechtsprechung der anderen Senate des BGH geführt hat, den EuGH bzw. den Großen Senat des BGH einschalten müssen?
Die Vorlage an den EuGH/Großen Senat für Zivilsachen steht im Einzelfall nicht im freien Ermessen des Revisionsgerichts. Liegen die Voraussetzungen für eine entsprechende Vorlage erkennbar vor, muss das Revisionsgericht diesen Weg auch einschlagen. Würde sich im vorliegenden Fall der VIII. Zivilsenat etwa eine Entscheidung über eine Frage anmaßen, die in die ausschließliche Entscheidungskompetenz des EuGH bzw. des Großen Senats fällt, so kann darin ein Verstoß gegen Art. 101 GG liegen. Art. 101 GG verbürgt den Anspruch eines jeden Einzelnen auf den gesetzlichen (gesetzlich bestimmbaren) Richter als grundrechtsgleiches Recht. Eine Entscheidung, die unter willkürlicher Missachtung von Art. 101 GG zustande gekommen ist, kann ggf. mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht werden.
Die Frage, ob im Einzelfall der EuGH oder der Große Senat des BGH angerufen werden muss, stellt sich dem erkennenden Senat aber von Gesetzes wegen immer nur dann, wenn von der Klärung der (Vor-)Frage die Entscheidung des zugrundeliegenden Rechtstreits abhängt. Sowohl in der Entscheidung vom 15.07.2009 als auch in den nachfolgenden, mit denen der VIII. Senat seine Rechtsprechung zur „unveränderten Übernahme eines gesetzlichen Preisänderungsrechts in einen Sondervertrag“ aus Juli 2009 bestätigte, war diese Thematik kein einziges Mal wesentlich für die Entscheidung der jeweiligen Revision (stellte also auch nur eine mehr oder weniger fallunabhängige Rechtsansicht des Senats dar, die in einem Revisionsurteil nicht unbedingt etwas zu suchen hat). Eine Vorlage an den Großen Senat des BGH oder den EuGH war also deshalb bisher nicht erforderlich, wäre wahrscheinlich sogar wegen der „nicht gegebenen Entscheidungserheblichkeit“ unzulässig gewesen.
Dieses sieht nun aber wohl anders aus, weil es für die Entscheidung der Revision - zumindest soweit die Entscheidung des OLG Oldenburg betroffen ist - darauf ankommen dürfte, ob ein „nichtssagender Verordnungstext“ (hier die AVBGasV) trotz des Transparenzgebots gem. § 307 BGB in einen Sondervertrag überhaupt wirksam einbezogen werden kann. Da sich die Entscheidung dieser Frage vom VIII. Zivilsenats nun (wohl) auch nicht mehr so ohne weiteres per „obiter dictum“ abhandeln lässt, dürfte die Vorlage an den EuGH bzw. den Großen Senat vorgezeichnet sein.
Es stellt sich hier also gerade auch mit Blick auf die vom Anwalt der EWE-Gegner, Rechtsanwalt Peter Wassermann, in der mündlichen Verhandlung vor dem VIII. Zivilsenat am 17.03.2010 ins Spiel gebrachte Aufforderung an den VIII. Senat, die europäische(n) Richtlinie(n) zu beachten sowie ggf. den Großen Senat für Zivilsachen anzurufen, die Frage:
Unter welchen Voraussetzungen ist der VIII. Zivilsenat des BGH konkret in Sachen EWE verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, und wann muss er vor einer letztinstanzlichen Entscheidung des Revisionsgerichts zunächst den Große Senat des BGH anrufen!?
Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Äußerung des Senatsvorsitzenden Ball in der mündlichen Verhandlung, dass unter Zugrundelegung der besagten Übernahmerechtsprechung des VIII. Zivilsenats vom 15.07.2010 auch in Sachen EWE evtl. von einer wirksamen Einbeziehung der AVBGasV in die zugrunde liegenden Sonderverträge auszugehen sei.
Widerspruch gegen einschlägige EU-RichtlinienEine solche
streitentscheidende Feststellung könnte der VIII. Zivilsenat im Revisionsurteil in Sachen EWE aber nicht so ohne weiteres treffen. Daran ist er zum einen gehindert durch die besagten EU-Richtlinien, nämlich die Klauselrichtlinie 93/13/EWG (sie ist offiziell bezeichnet als „
Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen“) sowie die Gas-Richtlinie 2003/55/EG (\"
Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG“).
Zum anderen ist er für eine solche das AGB-Recht - insbesondere das darin zum Ausdruck kommende Transparenzgebot gem. § 307 BGB - in einem wesentlichen Bereich der Daseinsvorsorge (Gasbezug) völlig über den Haufen werfende Feststellung nicht zuständig, weil er damit von der einschlägigen Rechtsprechung anderer Senate des BGH zur AGB-Kontrolle im Rahmen von Preisanpassungsklauseln abweichen müsste und infolgedessen zuvor unbedingt den Großen Senat des BGH anzurufen hätte: Eine Entscheidung im Sinne der Übernahme-Rechtsprechung würde nicht zuletzt abweichen von der Rechtsprechung des Kartellsenats (Urteil vom 29.04.2008 -
KZR 2/07), insbesondre aber von der jüngsten Transparenzrechtsprechung des Bankensenats (Urteil vom 21.04.2009 -
XI ZR 78/08 ).
Die seit Juli 2007 geltenden EWE-AGBBei der EWE ist am 1. Juli 2007 eine Zäsur eingetreten. Seit dem Tag gelten neue Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die der EWE auf neuer Grundlage ein Preisänderungsrecht einräumen sollen.
Für die Zeit vor dem 1. Juli 2007 beruft sich die EWE auf die Geltung - die wirksame Einbeziehung - der AVBGasV, um ihr Preisänderungsrecht gegenüber ihren Sondervertragskunden zu begründen.
Bezüglich der Preisanpassungsregelungen der neuen AGB seit Juli 2007 dürfte die hier zu erläuternde europarechtliche Frage bzw. Anrufung des Großen Senats keine wesentliche Rolle spielen; deshalb hier lediglich ein kurzer Ausblick auf die dabei zu erwartende Entscheidung des VIII. Zivilsenats.
Die neuen Preisanpassungsregelungen der EWE werden noch nicht einmal den einfachen Voraussetzungen, die der VIII. Zivilsenat in seiner besagten Übernahmeentscheidung vom 15.07.2009 an eine wirksame Einbeziehung einer Preisänderungsvorschrift aus der Verordnung knüpft, gerecht:
Es liegt schon keine unveränderte Übernahme der Verordnung vor. Darauf wurde die EWE in der mündlichen Verhandlung am 17.03.2010 nach dem Verhandlungsbericht von „ESG-Rebell“ ja auch vom Senatsvorsitzenden Ball ausdrücklich hingewiesen.
Die Regelung weicht zum Nachteil der Kunden von der gesetzlichen Regelung, wie sie in der GasGVV normiert ist, ab.
Spätestens seit seiner Entscheidung vom 27.01.2010 (
VIII ZR 326/08 ), die ja mittlerweile im Wortlaut vorliegt, hat der VIII. Zivilsenat wohl nur einen äußerst geringen Spielraum, die \"neuen\" AGB der EWE unbeanstandet durchzuwinken, so dass nicht zu erwarten ist, dass diese Klauseln den Termin der Urteilsverkündung überdauern werden:
In Ziffer 4 ihrer AGB von 2007 (\"Preisänderung\") stellt die EWE unter wesentlicher Abweichung von § 5 Abs. 2 Satz 1 GasGVV klar, wann Preisänderungen wirksam werden sollen, nämlich mit ihrer Veröffentlichung. Dabei verzichtet die EWE in ihren AGB insbesondere auf den Hinweis, dass als wesentliches Wirksamkeitserfordernis zeitgleich mit der Veröffentlichung eine
briefliche Mitteilung über die Preisänderung an den Kunden zu versenden ist.
Der VIII. Zivilsenat hat bei in dieser Hinsicht vergleichbaren AGB eines EVU in seiner eben genannten Entscheidung aus Januar 2010 dann auch festgestellt, dass in derartigen Fällen bei kundenfeindlichster Auslegung davon auszugehen sei, dass die gesetzlichen Mitteilungspflichten nicht gelten sollen. Derartige Preisänderungsklauseln sind also als kundenbenachteiligend zu werten und damit unwirksam.
Die vor dem 1. Juli 2007 geltenden EWE-AGBSoweit sich die Preisanpassungen auf die Zeit vor dem 1. Juli 2007 beziehen - wo die neuen AGB der EWE noch nicht anzuwenden waren, sich die EWE zur Preisanpassung auf die wirksame vertragliche Einbeziehung der AVBGasV beruft, hat der VIII. Zivilsenat die Wirkungen der EU-Gasrichtlinie auf § 307 BGB zu beachten. Daneben ist zu beachten, dass nunmehr \"zwingend\" der Große Senat des BGH zuständig wäre, wenn der VIII. Zivilsenat auch in Sachen EWE an seiner bisher praktizierten Übernahme-Rechtsprechung festhalten will und in streitentscheidender Weise die Einbeziehung von nicht transparenten Verordnungen in Versorgungsverträge mit Sondervertragskunden ohne weiteres als wirksames Preisanpassungsrecht gelten lassen will.
EU-Richtlinien und die Vorlage an den EuGH (Grundlagen)Die europäischen Rechtsmaterien berühren in zunehmendem Maße Bereiche, die in der Vergangenheit der nationale Gesetzgeber alleine geregelt hat oder regeln konnte. Auf der europäischen Ebene gibt es neben den Verträgen (das primäre Gemeinschaftsrecht) insbesondere zwei Arten von \"Gesetzen\", die auf gemeinschaftsstaatlicher Ebene die Rechtslage, denen alle EU-Bürger unterworfen sind - (mit-)prägen, nämlich die EU-Verordnungen sowie - hier von besonderer Bedeutung - die EU-Richtlinien. Während die europäischen Verordnungen unmittelbar geltendes Recht darstellen, aus denen alle EU-Bürger Rechte unmittelbar ableiten können, stellen Richtlinien eher Handlungsanweisungen an den Mitgliedsstaat dar. Den Staaten wird durch die Richtlinie vorgegeben, bis zu einem in der Richtlinie festgesetzten Zeitpunkt dafür zu sorgen, dass die darin geregelte Materie in Übereinstimmung mit den in der Richtlinie niedergelegten Bestimmungen in nationales Recht umgesetzt wird. Dabei gibt die Richtlinie den Mitgliedsstaaten oft einen mehr oder weniger großen Entscheidungsspielraum, wie (weitgehend) sie die Richtlinie umsetzen wollen.
Wenn in einem Mitgliedsstaat ein Gerichtsverfahren anhängig ist, dann ist immer das nationale Gericht (nie der EuGH) für die Auslegung und Anwendung einzelstaatlichen (nationalen) Rechts zuständig.
Da das Gemeinschaftsrecht Vorrang vor dem nationalen genießt (Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts) und kollidierendes nationales Recht vom staatlichen Gericht nicht(!) anzuwenden ist, kann es im Bereich eines Widerspruchs zwischen der nationalen Vorschrift und der europarechtlichen (z.B. einer Richtlinie) erforderlich sein, die nationale Vorschrift so auszulegen, dass diese nicht (mehr) gegen die Richtlinie verstößt. Für eine solche geltungserhaltende richtliniekonforme Auslegung des einzelstaatlichen Rechts muss man als nationaler Richter aber natürlich einschätzen können, was mit der EU-Richtlinie in welchem Umfange eigentlich konkret geregelt ist. Da auch Richtlinien oft verallgemeinern und mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeiten, kann es erforderlich sein, zunächst die Richtlinie selbst auszulegen, um zu erfassen, wie weit ihr tatbestandlicher Regelungsgehalt eigentlich geht. Die Auslegung einer Richtlinie fällt aber nicht mehr in den Aufgabenbereich des einzelstaatlichen Gerichts. Für die Auslegung von europarechtlichen Vorschriften ist ausschließlich der EuGH in Luxemburg zuständig. Liegt zu einer auf eine noch zu treffenden Entscheidung einwirkende Richtlinie noch keine Auslegung (klarstellende Entscheidung) des EuGH vor, ist es Aufgabe des nationalen Gerichts, eine \"Vorabentscheidung\" des EuGH einzuholen. Dabei entscheidet der EuGH nicht den zugrundeliegenden einzelstaatlichen Rechtsstreit; er beantwortet lediglich die ihm gestellte Frage. Diese \"Antwort\" muss dann das vorlegende Gericht seiner noch zu treffenden Entscheidung auch zugrunde legen.
Das VorabentscheidungsverfahrenDas Vorabentscheidungsverfahren ist geregelt in Artikel 234 des EU-Vertrages.
Artikel 234 EU-Vertrag
(1) Der Gerichtshof entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
(a) über die Auslegung dieses Vertrags,
(b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft und der EZB,
(c) über die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen, soweit diese Satzungen dies vorsehen.
(2) Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlaß seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.
(3) Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet.
Artikel 234 Abs. 1 besagt also, dass dem EuGH von nationalen Gerichten europäische Richtlinien (= \"Handlungen der Organe der Gemeinschaft\"- Artikel 234 Abs. 1 lit. b) zwecks Auslegung vorgelegt werden können, wenn ein Gericht, dessen Entscheidung noch mit Rechtsmitteln (insbesondere also mit der Berufung und Revision) angegriffen werden kann, dieses für erforderlich hält.
Also nicht erst in der \"letzten Instanz\" kommt ein Vorabentscheidungsverfahren in Betracht. Selbst ein engagiertes Amtsgericht, gegen dessen Entscheidung die Berufung möglich ist, kann den EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahern bitten, eine Richtlinie auszulegen, wenn es das für die Entscheidung des ihm vorliegenden Rechtsstreites für erforderlich hält.
Dabei ist die Frage, wann ein Gericht die Vorlage an den EuGH für erforderlich hält, nicht in sein völlig freies Ermessen gestellt bzw. seiner willkürlichen Entscheidung unterworfen. Wirkt eine Richtlinie - zumindest potenziell - auf eine nationale Vorschrift ein, die das nationale Gericht seiner Entscheidung zugrundelegen will oder muss, stellt sich immer die Frage, ob das Auslegungsmonopol des EuGH hinsichtlich des primären wie sekundären Gemeinschaftsrecht die Vorlage nicht rechtfertigt.
Ist ein schwebendes Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht anhängig, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des EuGH verpflichtet (Artikel 234 Abs. 3 EU-Vertrag). Der BGH als die Letztentscheidungsinstanz muss also ohne Wenn und Aber ein Vorabentscheidungsverfahren einleiten, wenn eine europäische Richtlinie (möglicherweise) gegen die eigene Rechtsfindung spricht.
Die in Gaspreisverfahren zu beachtenden EU-RichtlinienIn Sachen EWE kommt es dabei - wie bereits gesagt - auf die Klauselrichtlinie
93/13/EWG an (insbesondere auf Artikel 5 der Klausel-RL), daneben aber auch in entscheidender Weise auf die Gasrichtlinie
2003/55/EG (insbesondere auf Artikel 3 der Gas-RL):
Bedeutung der Klausel-RL 93/13/EWG in den EWE-RevisionsverfahrenArtikel 5
Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. [...]
Schon nach dieser europäischen Vorschrift, die in § 307 BGB aufgegangen ist, dürfte es höchst zweifelhaft sein, ob durch eine solche rein pauschale Bezugnahme auf die GasGVV überhaupt ein einseitiges Preisanpassungsrecht vertraglich festgelegt werden kann. Das OLG Oldenburg hat in seiner Entscheidung, die Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, eindringlich darauf hingewiesen, dass selbst der juristisch vorgebildete Kunde aus § 4 AVBGasV sowie § 5 Abs. 2 GasGVV nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen könne, dass der Versorger hiermit ein einseitiges Preisanpassungsrecht zu seinen Gunsten begründen wollte.
Da es hier also schon hinsichtlich der Bedeutung der Klausel erhebliche Zweifel gibt, müsste der VIII. Zivilsenat das deutsche Recht (§ 307 BGB) auch im Lichte dieser Richtlinienbestimmung (richtlinienkonform) auslegen und zugunsten der Verbraucher davon ausgehen, ein einseitiges Preisanpassungsrecht sei der EWE damit vertraglich nicht eingeräumt worden.
Ansonsten müsste der VIII. Zivilsenat in einem Vorabentscheidungsverfahren den EuGH darüber befinden lassen, ob die Klauselrichtlinie einer Senatsentscheidung entgegensteht, die eine Klausel gelten lassen will, obwohl diese ein einseitiges Preisänderungsrecht zugunsten der EWE nicht zweifelsfrei erkennen lässt.
Bedeutung der Gas-RL 2003/55/EG in den EWE-RevisionsverfahrenKAPITEL II
ALLGEMEINE VORSCHRIFTEN FÜR DIE ORGANISATION DES SEKTORS
Artikel 3
Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und Schutz der Kunden
(3) Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes [...] Sie gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren. [...]
Die Gasrichtlinie
2003/55/EG hebt also in Artikel 3 (3) den \"
Schutz der Endkunden\", also solcher Kunden, die Erdgas für den Eigenbedarf kaufen, als ein wesentliches Ziel des gemeinschaftlichen Handelns ausdrücklich hervor.
Dabei gibt die Richtlinie den Mitgliedsstaaten vor, bis zur Umsetzungsfrist (01.07.2004) dafür Sorge zu tragen, dass nach den jeweils zur Anwendung kommenden staatlichen Vorschriften sämtliche dem Endkunden vom EVU gestellten Vertragsbedingungen ein \"hohes\" Transparenzniveau aufweisen. Dieses gilt notwendigerweise auch für \"Preisanpassungsklauseln\", die in den Versorgungsvertrag einbezogen werden sollen.
Die Gasrichtlinie wurde schließlich mit dem \"Energiewirtschaftsgesetz vom 7. Juli 2005\" in nationales Recht umgesetzt. Darin gehen bis heute neben der besagten Gasrichtlinie auch die Elektrizitätsrichtlinie (2003/54/EG) sowie die Endenergieeffizienz- und Energiedienstleistungsrichtlinie (2006/32/EG) auf.
Das Energiewirtschaftsgesetz macht jedoch keine wesentlichen Vorgaben hinsichtlich des in der Gasrichtlinie besonders hervorgehobenen Transparenzgebots in Bezug auf die allgemeinen Vertragsbedingungen. Dieses war auch überhaupt nicht erforderlich, weil das BGB in den §§ 305 ff. (für Verträge der Gasversorgungswirtschaft mit Sonderabnehmern insbesondere in § 307 BGB) ein in sich geschlossenes Regelwerk aufweist, das darüber Auskunft gibt, welche Anforderungen an die Ausgestaltung von Allgemeine Geschäftsbedingungen zu stellen sind.
Nach der Transparenzrechtsprechung des BGH müssen Preisanpassungsklauseln - wie bereits erwähnt - klare Festlegungen enthalten, bei welchem Anlass, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das einseitige Leistungsbestimmungsrechts zur Preisänderung berechtigen soll. Der Verpflichtete muss also schon im Vorfeld einer Preisänderung aus der Klausel in hinreichendem Maße ableiten können, was auf ihn wann zukommt. Dass die AVBGasV, welche die EWE ja als eigenständige Preisanpassungsklausel wirksam in den Vertrag einbezogen sehen möchte, eine derartige Transparenz vermissen lässt, hat der VIII. Zivilsenat mit seiner Entscheidung vom 15.07.2009 - VIII ZR 225/07 - bemerkenswerterweise auch ausdrücklich festgestellt (
vgl. dort Rd.-Nr. 23):
\"Eine § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV nachgebildete vertragliche Preisanpassungsklausel genügt allerdings nicht den Anforderungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung in anderen Fällen an die tatbestandliche Konkretisierung von Anlass, Voraussetzungen und Umfang eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts stellt (BGH, Urteil vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08, WM 2009, 1077, Tz. 25; BGHZ 164, 11, 26 f.; Urteil vom 13. Dezember 2006 - VIII ZR 25/06, NJW 2007, 1054, Tz. 21; Urteil vom 21. September 2005, aaO, unter II 2). § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV regelt nur, dass das Gasversorgungsunternehmen Gas zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen zur Verfügung stellt und Änderungen der allgemeinen Tarife erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden. Die Vorschrift lässt nicht erkennen, dass das Versorgungsunternehmen bei der Preisanpassung das Äquivalenzverhältnis wahren muss und sie nicht dazu nutzen darf, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben, um nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (BGHZ 178, 362, Tz. 25). Sie lässt den Kunden weiter im Unklaren darüber, dass aufgrund der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen mit dem Recht des Versorgungsunternehmens zur Abwälzung von Kostensteigerungen auf seine Kunden die Pflicht einhergeht, Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und diese nach denselben Maßstäben an die Kunden weiterzugeben (BGHZ 176, 244, Tz. 26). \"
Damit hat der VIII. Zivilsenat der Preisanpassungsregel aus § 4 AVBGasV im Ergebnis sogar jegliche(!) Transparenz abgesprochen. Aber merke: Intransparenz und § 307 BGB passen nicht zusammen.
Wenn der VIII. Zivilsenat wie in seiner Entscheidung vom 15.07.2009 im Wege einer einschränkenden Auslegung von § 307 BGB zu dem Ergebnis kommt, die Norm stehe entgegen ihrem Wortlaut einer unveränderten Übernahme dieser - wie nun höchstrichterlich festgestellt -
völlig intransparenten AVBGasV dennoch nicht im Wege, dann stellt sich natürlich sogleich die entscheidende Frage, wie er eine solche Auslegung eines nationalen Gesetzes (§ 307 BGB) mit der europäischen Gasrichtlinie auch nur in Ansätzen vereinbaren will - einer Vorschrift immerhin, die den europäischen Einzelstaaten nach ihrem klaren Wortlaut doch sogar
„ein hohes“ Transparenzniveau der AGB in Gasverträgen vorschreibt. Eine Auseinandersetzung mit dieser europäischen Vorgabe findet sich im Urteil vom 15.07.2009 aber nicht.
Der VIII. Zivilsenat beruft sich zur Stützung seiner Ansicht, die unveränderte Übernahme der Gasverordnung begründe ein wirksames vertragliches Preisanpassungsrecht, auf einen gesetzgeberischen Willen, Tarifkunden und Sondervertragskunden gleich zu behandeln. Er erblickt den Willen des Gesetzgebers, den EVU freizustellen, ihre AGB mit Sonderabnehmern entsprechend den Allgemeinen Versorgungsbedingungen für Tarifkunden (AVBGasV) auszugestalten.
Aufgrund der normativen Wirkung der EU-Gasrichtlinie wäre ein solcher gesetzgeberischer Wille, wenn er denn dann tatsächlich bestünde, aber völlig unbeachtlich: Denn selbst, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich per Gesetz vorschreiben würde, ein im Ergebnis „nichtssagender Verordnungstext“ - wie früher § 4 AVBGasV bzw. jetzt § 5 GasGVV - könne als Preisanpassungsklausel in Sonderverträge ohne weiteres wirksam einbezogen werden, wäre damit der Verstoß gegen den Wortlaut der Richtlinie augenfällig. Ein Gericht müsste eine solche nationale Vorschrift wegen der Kollision mit Art. 3 der EU-Richtlinie als höherrangigem Recht ohne Weiteres unbeachtet lassen. Wenn dem so ist, dann kann der VIII. Zivilsenat dem Gesetzgeber auch nicht im Wege der Ermittlung eines mutmaßlichen gesetzgeberischen Willens unterstellen, er wolle es EVU ermöglichen, ihre AGB im Ergebnis richtlinienwidrig und damit gesetzeswidrig auszugestalten.
Mit einer de facto Aussetzung des § 307 BGB im Rahmen von Gassonderverträgen brächte der VIII. Zivilsenat Deutschland daneben aber ohne Not in gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht geradezu in „Teufels Küche“:
Wenn doch der Gesetzgeber auf eine fristgemäße Umsetzung des in der Gasrichtlinie enthaltenen Transparenzgebots gerade deshalb verzichtet hat (und auch verzichten durfte), weil mit § 307 BGB und der darauf beruhenden höchstrichterlichen Transparenzrechtsprechung ein entsprechend hohes Transparenzniveau in Deutschland hinsichtlich der Klauselklarheit bereits sichergestellt war, dann muss eine Entscheidung, die § 307 BGB im Rahmen von Erdgassonderverträgen quasi vollständig leerlaufen lässt, eine beachtliche Umsetzungslücke (spätester Umsetzungstermin: 15.07.2004 - s.o.) reißen. Eine endgültige Entscheidung des VIII. Zivilsenats im Sinne seiner Übernahmerechtsprechung setzte Deutschland im Anschluss daran dann also unmittelbar der konkreten Gefahr eines Vertragsverletzungsverfahrens aus, mit dem die EU-Kommission Deutschland nötigenfalls vor dem EuGH sogar zwingen müsste, dem Transparenzgebot der Richtlinie (endlich) gesetzlich Ausdruck zu verleihen.
Da der VIII. Zivilsenat dem Gesetzgeber weder einen europarechtswidrigen Willen unterstellen kann - und sicher auch nicht wollte -, deutet hier doch einiges darauf hin, dass er die Wirkungen der Richtlinien bei seiner Rechtsfindung völlig außer Acht gelassen, diese europäischen Regelungen also wohl wahrscheinlich übersehen hat. Dafür spricht zudem der Hinweis in seinem Urteil vom 15.07.2009, ohne dabei die Richtlinie auch nur in Ansätzen in den Blick genommen, geschweige denn auf ihre Relevanz hin überprüft zu haben:
„Es ist nicht ersichtlich, dass dafür im Bereich von Sonderverträgen höhere Anforderungen an die Bestimmtheit und die Konkretisierung einer Preisanpassungsregelung gestellt werden müssten, als sie im Bereich der Grundversorgung durch § 5 GasGVV unmittelbar erfüllt werden“ ...
Die EU-RL wirken hier geradezu als Riegel gegen eine derart weitreichende Aushöhlung des § 307 BGB im Rahmen der Normauslegung. Um diese Sperrwirkung im Sinne des mit den Richtlinien beabsichtigten Verbraucherschutzes aber effektiv entfalten zu können, müssen die Richtlinien überhaupt erst einmal vom Gericht in ihrem Bedeutungsgehalt wahrgenommen und nicht - wie sich hier geradezu aufdrängt - völlig übersehen werden.
Zwar ist es eine Selbstverständlichkeit, dass einschlägiges europäisches Recht, das die nationale Rechtslage konkret mitprägt, von den Gerichten bei ihren Entscheidungsfindungen von Amts wegen immer zu berücksichtigen ist. Wenn aber ein Gericht solche übernationalen Vorschrift bei seinen Überlegungen (irrtümlicherweise) erkennbar ausklammert, dann kann es nicht schaden, wenn der Prozessvertreter einer Partei auf eine richtlinienkonforme Auslegung der deutschen Vorschriften drängt (so dankenswerterweise wohl geschehen durch Rechtsanwalt Peter Wassermann in der mündlichen Verhandlung vor dem VIII. Senat am 17.03.10).
Für den VIII. Zivilsenat sollte nicht zuletzt mit Blick auf die Gasrichtlinie dann wohl auch Diskussions- und Klärungsbedarf bestehen. Darauf, dass dem so ist und dem Senat die europarechtliche Problematik seiner Übernahmerechtsprechung aus dem Urteil vom 15.07.2009 mittlerweile bewusster geworden ist, könnte(?) die relativ lange Zeitspanne hindeuten, die der Senat für eine Entscheidung in Sachen EWE beansprucht (Verhandlungstermin 17.03.10; zunächst angestrebter Verkündungstermin: 16.06.10; jetzt schon
14.07.10).
Wollte der VIII. Zivilsenat also trotz des klaren Regelungsgehalts und Wortlauts der Gasrichtlinie die Übernahme intransparenter Verordnungen in Sonderverträge dennoch zulassen, wäre er gezwungen, vor einer abschließenden Entscheidung in der Sache zunächst den EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren anzurufen und von diesem vorab klären zu lassen, ob die besagten Richtlinien einem solchen Ergebnis rechtlich nicht entgegenstehen.
Die Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen (Grundlagen)Wenn der VIII. Zivilsenat diese eben angesprochene europarechtliche Dimension des Rechtsstreits trotz alledem nicht hinreichend berücksichtigen „will“, stünde ihm der Weg, insbesondere dem OLG Oldenburg seine Entscheidung unter Berufung auf die eigene Übernahmerechtsprechung quasi um die Ohren zu hauen, dennoch nicht offen. Der Senat müsste in dem Fall nämlich zunächst gem. § 132 GVG wegen der wesentlichen Abweichung von der Rechtsprechung anderer BGH-Senate den beim BGH gebildeten „
Großen Senat für Zivilsachen“ anrufen.
§ 132 GVG verfolgt das Ziel, die Rechtsprechung der Senate des BGH zu vereinheitlichen. Es soll im Interesse der Rechtssicherheit - aber auch des Rechtsfriedens - verhindert werden, dass verschiedene Senate im wesentlichen identische Rechtsfragen, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung erlangen können, völlig unterschiedlich beantworten.
Das GVG normiert die Vorlage zum einen unter bestimmten Voraussetzungen als
Rechtspflicht, dessen Missachtung durch den erkennenden Senat (wie eingangs schon erwähnt) einen Verstoß gegen Art. 101 GG darstellen kann. Zum anderen „kann“ ein Senat, der dazu im konkreten Einzelfall nicht unbedingt verpflichtet wäre, dem Großen Senat trotzdem eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zur Beantwortung vorlegen.
§ 132 GVG lautet im Wesentlichen:
(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. [....]
(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat [...] abweichen will.
(3) Eine Vorlage an den Großen Senat [...] ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. [...].
(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
Jeder Senat des BGH muss sich also prinzipiell zu jeder Zeit im Klaren darüber sein (bzw. Klarheit verschaffen), ob er sich im Rahmen eines anhängigen Revisionsverfahrens mit der von ihm „bevorzugten“ Rechtsauslegung einer gesetzlichen Bestimmung, die für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung ist, in einen Widerspruch setzt zu einer von einem anderen Senat bereits getroffenen Entscheidung. Mit § 132 GVG wäre etwa die Haltung eines Senats
„Was interessiert mich die Rechtsprechung eines anderen Senats; in meinem Aufgaben-/Zuständigkeitsbereich habe ich das alleinige Sagen“ nicht vereinbar.
Liegt eine entgegenstehende Rechtsprechung vor, muss der erkennende Senat den Großen Senat anrufen. Liegt eine solche zwar noch nicht vor, gibt es aber konkrete Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass ein anderer Senat hinsichtlich der zu beantwortenden Rechtsfrage anderer Ansicht ist, so kann (im Sinne von „sollte“) der erkennende Senat den Großen Senat anrufen, um eine „Rechtsprechungsdivergenz“ schon vor ihrer Entstehung zu vermeiden.
Die Bedeutung der Vorlagefrage in den EWE-VerfahrenDer Vorsitzende des VIII. Zivilsenats hat in Sachen EWE in der mündlichen Verhandlung am 17.03.2010 darauf aufmerksam gemacht, dass der Senat in Erwägung zieht, die bisher nicht streitentscheidende und deshalb nur per „obiter dictum“ getroffenen Feststellungen zur Übernahme einer Verordnung in einen Sondervertrag nun in Blei zu gießen und die dort aufgestellten Grundsätze auch auf die vorliegenden Revisionsverfahren anzuwenden. Insofern wird jetzt auch die Abweichung von der Rechtsprechung anderer BGH-Zivilsenate (erstmalig) virulent.
Die Übernahmerechtsprechung des VIII. Zivilsenats vom 15.07.2009 steht in wesentlichen Punkten in konkretem Widerspruch zur Rechtsprechung des Kartellsenats des BGH (Urteil vom 29.04.2008 -
KZR 2/07) - daneben aber insbesondere zu einer Entscheidung des Bankensenats des BGH (Urteil vom 21.04.2009 -
XI ZR 78/08 ). Legt der VIII. Zivilsenat seinen Revisionsentscheidungen in Sachen EWE nun wirklich die Grundsätze der Übernahmeentscheidung vom 15.07.2009 (und zwar dieses Mal nicht lediglich per obiter dictum, sondern in streitentscheidender Weise) zugrunde, dürfte die Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen zwingend erforderlich werden.
Die (kritisch zu betrachtende) Rechtsansicht des VIII. ZivilsenatsWie man der Übernahmeentscheidung des VIII. Zivilsenats vom 15.07.2009 entnehmen kann, meint er, die Intransparenz der Verordnung führe nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Sonderkunden im Sinne von § 307, wenn die gesetzliche Regelung unverändert in einen Sonderkundenvertrag übernommen werde. Er stützt sich auf einen gesetzgeberischen Willen, es den EVU zu ermöglichen, ihre AGB mit Sonderabnehmern parallel zu den Allgemeinen Versorgungsbedingungen auszugestalten. Der VIII. Zivilsenat stellt dabei insbesondere auf eine mit der Verordnung untrennbar verbundene Leitbildfunktion ab, wonach der Verordnungsgeber mit dem Erlass der Verordnungen, die eigentlich nur für Kunden in der Grund- und Ersatzversorgung von rechtlicher Bedeutung sind, zugleich implizit zum Ausdruck bringe, was auch außerhalb der Grundversorgung etwa für die Vertragsverhältnisse mit Haushalts(sonder)kunden als angemessen zu betrachten sei. Nach dem gesetzgeberischen Willen solle der Schutz für Sonderabnehmer nicht weitergehen als für Tarifabnehmer. Daraus und insbesondere aus dem Umstand, dass es auch der Sondervertragskunde in der Hand habe, eine Preisänderung nach § 315 BGB auf ihre Billigkeit gerichtlich überprüfen zu lassen, ergebe sich, dass Preisänderungsklauseln, die den Verordnungen nachgezeichnet seien, von diesen nicht zum Nachteil des Kunden abwichen, keine unangemessene Benachteiligung der Sondervertragskunden mit sich brächten. Dieser Rechtfertigung aus § 315 BGB kommt besondere Bedeutung zu (siehe die Abweichung von der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats weiter unten).
Die gegenläufige Rechtsprechung des KartellsenatsZum Zeitpunkt dieser Entscheidung, mit der der VIII. Zivilsenat die Inhaltskontrolle von Preisanpassungsklauseln in Gassonderverträgen gem. § 307 BGB weitestgehend ausschließen und damit leerlaufen lassen wollte, lag aber die in wesentlichen Punkten gegensätzliche Entscheidung des Kartellsenats vom 29.04.2008 (
KZR 2/07) bereits seit über einem Jahr vor! Eine Beschäftigung mit dieser Entscheidung des Kartellsenats bot der VIII. Zivilsenat in seinem Urteil vom 15.07.2009 dennoch nicht.
Der Kartellsenat hob die Bedeutung der Inhaltskontrolle von Preisänderungsklauseln in Ergassonderverträgen gem. § 307 BGB ausdrücklich hervor, während der VIII. Zivilsenat mit Blick auf die Leitbildfunktion der Verordnung (AVBGasV) die Inhaltskontrolle in diesem Rahmen unter den eben genannten Voraussetzungen praktisch völlig ausschließen will.
Der Kartellsenat verneinte die Leitbildfunktion der AVBGasV im Hinblick auf die konkret zu beurteilende Preisanpassungsklausel in einem Sondervertrag und griff dabei implizit einen wesentlichen Grundsatz der Transparenzrechtsprechung der BGH-Zivilsenate auf, wonach Preisanpassungsregeln grundsätzlich Auskunft darüber zu geben haben, bei welchem Anlass, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das einseitige Preisänderungsrecht des Verwenders gegeben sein soll. Der Senat hielt das gesetzliche Preisänderungsrecht, wie es in § 4 AVBGasV zu erblicken sei, im Grundversorgungsverhältnis trotz seiner Intransparenz, obwohl darin keinerlei Vorgabe zu „Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen“ enthalten sei, nur deshalb für verbindlich, weil „Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen“. Damit hat der Kartellsenat Versorgern - wie hier der EWE - , die durch eine bloße Bezugnahme auf die GasGVV/AVBGasV ein einseitiges Preisänderungsrecht begründen wollen, diesen Weg praktisch abgeschnitten. Wenn ein Versorger seinen Sondervertragskunden nämlich Gas nicht zu Sonderkonditionen liefern muss, sondern den zugrundeliegenden Sondervertrag praktisch jederzeit (unter Einhaltung der vorgesehenen Kündigungsfrist selbstverständlich) kündigen und so den Kunden in die Grundversorgung einreihen kann, entfällt nach der Ratio dieses Urteils des Kartellsenats die innere Rechtfertigung für eine (per Gesetzesverweis einbezogene) intransparente Preisänderungsregel in einem Sondervertrag.
Für den VIII. Zivilsenat war diese Vorgabe des Kartellsenats aber wohl nicht weiter der Rede wert. Ohne den Kartellsenat auch nur in Ansätzen zu erwähnen, heißt es in der Entscheidung vom 15.07.2009 lapidar:
„Dem steht, anders als die Revision meint, nicht entgegen, dass den Versorger im Rahmen der Grundversorgung - anders als bei einem Sondervertrag - ein Kontrahierungszwang (§ 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG 2005) trifft und er nach § 20 Abs. 1 Satz 3 GasGVV zu einer Kündigung des Vertrages nur berechtigt ist, soweit eine Pflicht zur Grundversorgung nach § 36 Abs. 1 Satz 2 EnWG 2005 nicht besteht. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber bei der angestrebten Gleichbehandlung von Grundversorgungs- und Sonderkunden offensichtlich keine Bedeutung beigemessen“.
Für die sich hier stellende Frage, ob diese Thematik eine Vorlage an den Großen Senat erfordert, kommt es aber nicht entscheidend darauf an, ob der Gesetzgeber diesem Umstand Bedeutung beigemessen hat, sondern ob eine gegensätzliche Rechtsansicht in entscheidungserheblicher Weise von einem anderen Zivilsenat - hier dem Kartellsenat - bereits geäußert wurde! Da dieses der Fall ist, ist die Vorlage angezeigt.
Der Prozessvertreter der EWE-Gegner - RA Wassermann - hat dann ja auch in der mündlichen Verhandlung vor dem VIII. Zivilsenat auf die entgegenstehende Rechtsprechung des Kartellsenats hingewiesen.
Entgegenstehende Rechtsprechung des BankensenatsDaneben ist aber auch das zum Zeitpunkt der vom VIII. Zivilsenat getroffenen Übernahmeentscheidung bereits vorliegende Urteil des XI. Zivilsenats vom 21.04.2009 -
XI ZR 78/08 - von mindestens gleichwertiger Bedeutung, weil es der Rechtsansicht des VIII. Senats in ganz entscheidender Weise entgegensteht. Leider wurde der VIII. Zivilsenat nach dem Verhandlungsbericht von „ESG-Rebell“ zu urteilen auf die Bedeutung dieser Bankensenatsentscheidung nicht hingewiesen. Dieses ist sehr schade!
Der VIII. Zivilsenat hat in seiner Übernahmeurteil aus Juli 2009 die eben genannte Entscheidung des Bankensenats nicht berücksichtigt, sondern wohl übersehen:
Der VIII. Zivilsenat stellt, wie bereits angesprochen, ausdrücklich klar, dass die Übernahme der unbestimmten Preisanpassungsregelung aus der Verordnung (AVBGasV oder GasGVV) in einen Sondervertrag die Anforderungen an die Verständlichkeit und Klarheit im Sinne der höchstrichterlichen Transparenzrechtsprechung nicht erfüllt.
Gleichwohl hält er eine inhaltsgleiche Einbeziehung in einen Sondervertrag entgegen dem Gesetzeswortlaut für möglich und lässt sie nicht an § 307 BGB scheitern, und zwar insbesondere deshalb, weil dem Sonderkunden ja schließlich genauso wie dem Grundversorgungskunden eine gerichtliche Überprüfung von Preisänderungen gem. § 315 BGB (Billigkeitskontrolle) offen stehe.
Diese Rechtfertigung über § 315 BGB, in den Vertrag einbezogene unklare Preisänderungsklauseln durchgehen zu lassen, wenn der Kunde die auf die Preisänderungsklausel gestützten Preisänderungen nachträglich einer Billigkeitskontrolle unterziehen kann, hat der Bankensenat mit seiner e.g. Entscheidung aber eine klare und unmissverständliche Absage erteilt.
Dem dortigen Verfahren lag eine Klausel zugrunde, die der Bank neben einem Preisfestsetzungsrecht ein einseitiges Preisänderungsrecht zubilligte. Der Preis sollte „nach gemäß § 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches nachprüfbarem Ermessen [...] geändert“ werden. Die AGB räumten dem Bankkunden also ausdrücklich das Recht ein, eine Preisänderung auf ihre Billigkeit gem. § 315 BGB gerichtlich nachprüfen zu lassen.
Der Bankensenat ließ diese Klausel dennoch an § 307 BGB scheitern und machte deutlich, dass die unangemessene Benachteiligung der Kunden hinsichtlich des Preisänderungsrechts nicht ausgeräumt wird durch die Möglichkeit, die Preisanpassung einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen:
Der XI. Zivilsenat stellt dazu in entscheidungserheblicher Form fest (
sehr wichtig Rd.-Nr. 38 ):
„Lässt eine Preis- und Zinsänderungsklausel weiter den Kunden darüber im Unklaren, ob und in welchem Umfang das Kreditinstitut zu einer Anpassung berechtigt oder zu seinen Gunsten verpflichtet ist, läuft auch die dem Kunden eingeräumte Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend leer. Kommt es erst gar nicht zu einer gebotenen Herabsetzung des Preises oder Zinssatzes, versagt sie für gewöhnlich, weil der Kunde mangels hinreichenden Anhalts schon eine solche Verpflichtung des Verwenders zumeist nicht zu erkennen vermag. Erfolgt eine Preis- oder Zinsanpassung zu seinen Ungunsten, fehlt ihm die Beurteilungsgrundlage, ob sich die Anpassung im Rahmen des der Bank zustehenden Gestaltungsspielraumes bewegt oder ein Verfahren nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB mit Erfolg betrieben werden kann“.
Diese prinzipiellen Erwägungen, die sich auf sämtliche Vertragstypen, bei denen sich ein Unternehmer per AGB ein einseitiges Preisänderungsrecht vorbehält, eins zu eins übertragen lassen - also insbesondere auch auf Gassonderverträge - steht also der vom VIII. Zivilsenat beschworenen Rechtfertigung einer wirksamen Einbeziehung völlig intransparenter (gesetzlicher) Preisanpassungregeln völlig entgegen.
Dieses erforderte unbedingt die Vorlage an den Großen Senat auch unter Berücksichtigung dieser einschlägigen Rechtsprechung des Bankensenats.
Schlussfolgerungen bei Nichtvorlage an den EuGH/Großen SenatLegt der VIII. Zivilsenat die angesprochenen Rechtsfragen weder dem EUGH noch dem Großen Senat vor, obwohl dieses nicht nur möglich („kann“-Vorschrift) sondern sogar zwingend erforderlich ist („hat vorzulegen“), und entscheidet den Rechtsstreit in Sachen EWE in eigener „Machtvollkommenheit“ im Sinne seiner Übernahmerechtsprechung, so wäre damit den am Verfahren beteiligten Parteien wegen der Nichtzuständigkeit des VIII. Zivilsenats der gesetzliche Richter entzogen.
Ein solches Vorgehen reihte sich ein in eine Kette von Merkwürdigkeiten, die der VIII. Zivilsenat oder sein bedeutendster Protagonist (Senatsvorsitzender Ball) bisher schon abgeliefert hat,
Vortragstätigkeit des Senatsvorsitzenden Wolfgang Ball im Jahre 2007 auf dem „Euroforum - The Conference Company“ mit dem Tagungsthema „§ 315 BGB und Gaspreise - Auswirkung des BGH-Urteils auf die Praxis. Tagungsmotto: „Gute Chancen für Gasversorger bei Gaspreiserhöhungen!“. Auf dieser Tagung standen die Referenten (u.a. Richter Ball) nach dem Programmheft für Tipps zur Verfügung, etwa auch zur Frage „Wie können Preisanpassungsklauseln rechtssicher formuliert werden?“ - Klauseln, die er heute vielleicht auf ihre „rechtssichere Formulierung“ zu überprüfen hat ...
Absehen des Senatsvorsitzenden Ball von derartigen Vortragstätigkeiten, solange noch entsprechende Verfahren vor dem BGH anhängig sind, erst auf „Anordnung“ des damaligen Präsidenten des BGH, Günter Hirsch, der durch eine solche Vortragspraxis wohl das Ansehen des BGH insgesamt gefährdet sah.
Umfangreiche Stellungnahme des VIII. Zivilsenats im Gaspreisurteil vom 15.07.2009 per „obiter dictum“ zu Rechtsfragen, die für die Entscheidung der zugrundeliegenden Revision überhaupt keine Bedeutung hatten.
Dabei ist keinerlei Bereitschaft des VIII. Zivilsenats zu erkennen, sich mit einschlägigen entgegenstehenden Entscheidungen anderer Zivilsenate auseinanderzusetzen, um so die Stichhaltigkeit der eigenen Ansicht hinreichend zu verifizieren (wobei lediglich die nicht gegebene Fallbedeutung der Obiter-Dictum-Entscheidung die Pflicht entfallen ließ, wegen des Widerspruchs zu den Feststellungen anderer Senate des BGH (Transparenzgebot) den Großen Senat für Zivilsachen einzuschalten.
Statt sich äußerste Zurückhaltung bei der Beurteilung nicht revisionsrelevanter Rechtsfragen im Urteil aufzuerlegen, wurden die per obiter dictum getroffenen Anmerkungen aus seiner Entscheidung vom 15.07.2009 vom VIII. Zivilsenat sogar in den Leitsatz des Urteils aufgenommen. Zwar hat der Leitsatz, der von Obergerichten gerne einmal den Entscheidungen vorangestellt wird, keine eigenständige materiell-rechtliche Bedeutung. Er soll nur die wesentlichen Aspekte des Urteils kurz wiedergeben. Aber - zumindest wenn es sich um Leitsätze in BGH-Entscheidungen handelt - hat ein solcher Leitsatz auch Anleitungsfunktion gerichtet an die nachgeordneten Gerichte. Ein Instanzgericht, das einen Leitsatz aus einer Entscheidung des BGH zur Kenntnis nimmt, darf im Allgemeinen davon ausgehen, dass es sich dabei nicht lediglich um beiläufige (weniger bedeutsame) Meinungsäußerungen des BGH handelt, sondern eine wesentliche Rechtsfrage verbindlich entschieden wurde! Insofern sind solche „Obiter-Dictum-Leitsätze“ nicht so sehr Leitsätze im Wortsinne, sondern eher „Verleitsätze“. Es hat hier durchaus den Anschein, dass der VIII. Zivilsenat per obiter dictum die Rechtslage im Sinne der Versorgungswirtschaft verändern möchte, ohne sich zugleich der Gefahr auszusetzen, diesbezüglich vom Großen Senat gebremst zu werden.
und wäre geeignet, ernste Zweifel an der Unbefangenheit des VIII. Zivilsenats zu bekräftigen und so das Ansehen des Bundesgerichtshofs als unabhängiges Organ der Rechtsprechung insgesamt nachhaltig zu beschädigen. Aber so weit ist es ja noch nicht! Wir werden sehen ...