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Würzburger Energiepreise vor gerichtlicher Billigkeitsprüfung und mehr ...

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Lothar Gutsche:
@ Stubafü

In der Berufungserwiderung vom 10.08.2011, die uns am 17.08.2011 zugegangen ist, stellen die Stadtwerke Würzburg als Klägerin nach § 148 ZPO den Antrag, das Verfahren auszusetzen, bis der Gerichtshof der Europäischen Union über den Vorlagenbeschluss VIII ZR 211/10 des BGH vom 29.06.2011 entschieden hat. Die Klägerin verfälscht jedoch den Sachverhalt, der vom Gerichtshof der Europäischen Union überhaupt zu klären ist. Die Klägerin reduziert die vom BGH gestellte Frage darauf, „inwieweit es reicht, Preisänderungen mit einer angemessenen Frist im Voraus bekannt zu geben und der Kunde die Möglichkeit hat, den Anbieter zu wechseln.“ Damit verändert die Klägerin die vom BGH gestellte Frage ganz wesentlich und erweckt den Eindruck, als könne die Tatsache, dass ich als der Beklagte seine Kündigungsmöglichkeiten nicht wahrgenommen habe, mein Recht auf eine Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB beeinträchtigen oder gar verwirken.

In den Verfahren VIII ZR 211/10 vom 29.06.2011 und VIII ZR 71/10 vom 18.05.2011 prüft der BGH nur, ob eine bestimmte gesetzliche Regelung über die Änderung von Strompreisen den europarechtlichen „Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz“ aus der Strom-Richtlinie 2003/54/EG oder der Gas-Richtlinie 2003/55/EG genügt oder nicht. Mit anderen Worten, es geht um die Frage, ob der Stromversorger für Tarifkunden überhaupt eine Berechtigung zur einseitigen Änderung der Preise hat. In juris-Randnummer 9 der Leitsatzentscheidung VIII ZR 211/10 vom 29.06.2011 wird nochmals hervorgehoben, dass die Entscheidung von der Frage abhängt, ob dem Stromlieferanten ein wirksames gesetzliches Preisänderungsrecht aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBEltV bzw. § 5 Abs. 2 StromGVV zustand. Nach juris-Randnummer 6 der Leitsatzentscheidung VIII ZR 71/10 vom 18.05.2011 hängt die Entscheidung von der Frage ab, ob in einem Gasliefervertrag mit einem Haushaltskunden das in § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV enthaltene gesetzliche Preisänderungsrecht wirksam ist.  

Im vorliegenden Fall ist das einseitige Preisänderungsrecht der Stadtwerke überhaupt nicht strittig. Weder bei der Gas- noch bei Strom- oder Trinkwasserversorgung bezweifle ich das Recht der Klägerin, ihre Preise einseitig zu ändern. Das wurde auch mehrfach von meinem Rechtsanwalt schriftlich so vorgetragen. Die vom BGH in zwei Leitsatzentscheidungen gefällten Vorlagebeschlüsse zu der Frage, ob überhaupt ein Preisänderungsrecht für Strom- oder Gaspreise besteht, sind für das vorliegende Verfahren überhaupt nicht vorgreiflich. Denn die Existenz eines Rechts der Stadtwerke zur einseitigen Preisänderung wird bislang weder von den Stadtwerken noch von mir bestritten. Beide Seiten sind sich darüber einig, dass die Stadtwerke einseitig die Preise für Strom, Gas und Trinkwasser ändern dürfen. Selbst wenn der Gerichtshof der Europäischen Union die beiden vom BGH gestellten Fragen verneint und ein Preisänderungsrecht ablehnt, so würde ich in meinen individuellen Vertragsverhältnissen mit den Stadtwerken das Recht zur einseitigen Preisänderung anerkennen.

Unabhängig davon, wie der Gerichtshof der Europäischen Union die Vereinbarkeit der gesetzlichen Preisänderungsrechte für Strom und Gas mit EU-Richtlinien beurteilt, steht mir das Recht auf eine Billigkeitskontrolle der Preise nach § 315 BGB zu. Mit ihren sinnentstellenden Erklärungen zu der Leitsatzentscheidung VIII ZR 211/10 versuchen die Stadtwerke Würzburg offensichtlich, den Beklagten und das Gericht in die Irre zu führen. Nach Auffassung der Stadtwerke hätte ich durch das Unterlassen einer Kündigung mein Recht auf eine Billigkeitskontrolle der Preise verwirkt. Und genau diese - falsche - Auffassung würde auch der BGH mit seinen beiden Vorlagenbeschlüssen vertreten, behaupten die Stadtwerke in ihrer aktuellen Berufungserwiderung.

In ihrer Berufungserwiderung am OLG Nürnberg versuchen die Stadtwerke sogar, bei Strom- und Gasversorgung ihre Bindung an kommunalrechtliche Vorgaben abzustreiten. Wegen des Wettbewerbs in der Energieversorgung seien sie völlig frei in ihrer Preisgestaltung und dürften deshalb beliebig hohe Gewinne mit Strom und Gas erwirtschaften. Es wird spannend, wie sich der Kartellsenat des OLG Nürnberg morgen zu dem Antrag der Stadtwerke und zu den zahlreichen übrigen Fragen stellen wird. In seiner früheren Rechtsprechung hat das OLG Nürnberg die Preissockeltheorie unterstützt und die Quersubvention nicht als Unbilligkeitsgrund zugelassen.

Viele Grüße
Lothar Gutsche
Email: Lothar.Gutsche@arcor.de

Lothar Gutsche:
OLG Nürnberg, Fürther Straße 110, 90429 Nürnberg
Sitzungssaal 318, 3. Stock, Dienstag, 23.8.2011, 9.30 – 11.00 Uhr
Stadtwerke Würzburg AG gegen Lothar Gutsche wegen Forderung Strom, Gas und Trinkwasser, Aktenzeichen 1 U 605/11


Vorsitz: Richter am OLG Peter Hilzinger
1. Beisitzer: Richter am OLG Thomas Koch
2. Beisitzer: Richter am OLG Joachim Heublein


Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB
Beim Strom liegt ein Sondervertrag mit unwirksamer Preisänderungsklausel vor. Falls sich beide streitenden Parteien einig wären, könnte man ein einseitiges Preisänderungsrecht unterstellen. Nach dem Kommentar von Staudinger zu § 315 BGB ist sogar eine einseitige Unterwerfung unter ein einseitiges Preisänderungsrecht möglich. Der Beklagte bietet schon schriftsätzlich an, ein einseitiges Preisänderungsrecht der Klägerin anzuerkennen. Die Stadtwerke-Vertreter schweigen zu der Frage des Gerichts, ob beim Strom ein einseitiges Preisänderungsrecht vorliegt.

Das OLG weist auf seine Rechtsauffassung hin, dass es den bei Vertragsabschluss vereinbarten Preis keiner Billigkeitskontrolle unterzieht und insoweit der Preissockeltheorie des BGH folgt. Auf den Einwand des Beklagten, beim BGH sei zwischen Kartellsenat und VIII. Zivilsenat und auch den übrigen Senaten zu unterscheiden – wie am Beispiel der Billigkeitskontrolle von Bankzinsen zu sehen sei, behauptet das Gericht, der § 315 BGB sei durch die Rechtsprechung des BGH für Energie eingeschränkt.

Beim Gas liegt ein Grundversorgungsvertrag vor. Dabei sind die Vorlagenbeschlüsse des BGH beim Gerichtshof der Europäischen Union einschlägig, seien aber im vorliegenden Fall möglicherweise irrelevant. Die Anfangspreise bei Vertragsabschluss und die später nicht widersprochenen Preise sieht das Gericht als vereinbart an, sie seien einer Billigkeitsprüfung entzogen.

Beim Trinkwasser liegt eine Grundversorgung mit Monopolstellung der Stadtwerke vor. Das Parteigutachten zum Wasserpreis, das die Klägerin vorgelegt habe, ist substantiiert bestritten worden und kein Beleg für die Billigkeit.


Kartellrechtliche Prüfung nach § 19 GWB
Kartellrechtlich ist bis Mitte 2008 nach dem Vortrag des Klägers in Übereinstimmung mit Feststellungen der Bundesnetzagentur, des Bundeskartellamtes und der Monopolkommission von regionalen Märkten für Strom und für Gas auszugehen, die regional abgegrenzt sind auf das Netzgebiet der Stadtwerke. Die hohen Marktanteile aus den Durchleitungsmengen bei der Mainfranken Netze GmbH und die hohen Marktanteile aus dem Interview des Stadtwerke-Vorstandes Prof. Menke belegen Marktanteile von 80 % bis über 90 % und liegen deutlich über den 33% aus dem Vermutungstatbestand des § 19 GWB. Damit und mit den übrigen Angaben z. B. zu den extrem niedrigen Kundenwechselquoten und zur Eigenkapitalrendite ist von einer marktbeherrschenden Stellung im streitgegenständlichen Zeitraum von 2004 – 2008 auszugehen.

Die Eigenkapitalverzinsung mit 28 – 38 % , die Verluste aus Zinsswap-Geschäften, die Preisspaltung zwischen grundversorgten Kunden und Sondervertragskunden sowie Geschäftskunden sowie der überteuerte Gaseinkauf sind laut Gericht schwerwiegende Indizien für einen Preismissbrauch im Sinne des § 19 GWB. Die überhöhten Netzkosten und das Thema Mehrerlösabschöpfung wollte das Gericht nicht in den Kostennachweis einbeziehen. Falls die Energiepreise sich als missbräuchlich erweisen, könnten dem Beklagten nach Ansicht des OLG Nürnberg Schadenersatzansprüche nach § 33 GWB zustehen.

Mögliche Verstöße gegen Kommunalrecht seien bei der Kommunalaufsicht oder beim Verwaltungsgericht geltend zu machen, sie spielen weder bei der Billigkeitsprüfung noch bei der Kartellrechtsprüfung eine Rolle. Denn das Kommunalrecht schützt nicht Verbraucher im Sinne von § 134 BGB, sondern allenfalls Wettbewerber der kommunalen Unternehmen.


Fortgang des Verfahrens
Das Gericht setzt Dienstag, den 13.9.2011 um 9.30 Uhr am OLG Nürnberg in Sitzungssaal 318, 3. Stock, Fürther Straße 110, 90429 Nürnberg als Termin zur Verkündung. Dabei ist aber kein Urteil zu erwarten, sondern es wird genaue Vorgaben über den weiteren Vortrag der Stadtwerke zu ihren Kosten und ihren Preisen geben, insbesondere zu den Vorwürfen des Preismissbrauchs im Sinne von § 19 GWB.

Das Gericht machte deutlich, dass als nächstes teure Gutachten erforderlich werden. Ferner vertrat das Gericht die Ansicht, dass ein Preis von Null nicht in Frage käme, da hätte man schon in früheren Verfahren gute Schätzungen vorgenommen. An die Stadtwerke gewandt wurden Preisabschläge von 20 % und mehr in Aussicht gestellt. Der Hinweis auf die Gutachterkosten und der Hinweis auf die möglichen Preisreduktionen war vermutlich Teil der letztlich gescheiterten Versuche, beide Parteien zu einer gütlichen Einigung zu bewegen.


Viele Grüße
Lothar Gutsche
Email: Lothar.Gutsche@arcor.de

RR-E-ft:
Handelt es sich um einen Stromlieferungsvertrag ohne wirksame Preisänderungsklausel, stellt sich der Kunde, der ein einseitiges Preisänderungsrecht einräumt, schlechter, da dem Versorger Preisänderungen im Rahmen der Billigkeit zugebilligt werden, obschon ein solches Recht eigentlich gar nicht besteht.

Zwar kann der Kunde dem Versorger einseitig ein einseitiges Preisänderungsrecht zubilligen.
Er kann jedoch nicht einseitig für den Versorger eine einseitige Preisbestimmungspflicht begründen, deren Ausübung der gerichtlichen Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 BGB unterliegt.

Eine einseitige  Preisbestimmungspflicht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB muss bei Vertragsabschluss vereinbart werden oder sich aus dem Gesetz ergeben. Ausdrücklich vertraglich vereinbart wurde eine Preisbestimmungspflicht wohl nicht, so dass sie sich allenfalls aus einem Gesetz ergeben kann. Aus dem Gesetz kann sich die Preisbestimmungspflicht jedoch nur bei der Grundversorgung ergeben.    

Siehe auch:

BGH, Urt. v. 13.07.11 VIII ZR 342/09 Erdgas- Sondervertrag, Wasserpreise

Lothar Gutsche:
@ RR-E-ft
Das, was Sie hier schreiben, haben in ähnlicher Form gestern auch die OLG-Richter ausgedrückt. Da fehlt offenbar noch Überzeugungsarbeit von meiner Seite, dass die Preissockel-Theorie nicht haltbar ist, weder vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Kartellsenats noch logisch mit dem Billigkeitsbegriff. Falls auch die Stadtwerke Würzburg ein einseitiges Preisänderungsrecht anerkennen, dann kann eine Billigkeitsprüfung des Gesamtpreises - ohne Preissockel - auch zu einer Senkung desjenigen Preises führen, der bei Vertragsabschluss vereinbart wurde. Nach meinem Verständnis ist die entscheidende Frage, die gestern auch das Gericht den Stadtwerken Würzburg stellte, ob der Preis nach Vertragsabschluss durch die Stadtwerke einseitig bestimmt werden soll. Diese Frage blieb aber gestern unbeantwortet.

Der von Ihnen genannte Link führt auf den Thread BGH, Urt. v. 13.07.11 VIII ZR 342/09 Erdgas- Sondervertrag, Wasserpreise zu dem Leitsatzurteil VIII ZR 342/09 des BGH vom 13.07.11 zum Thema \"Erdgas- Sondervertrag, Wasserpreise\". In der Vorinstanz handelte es sich um eine Kartellsache unter Aktenzeichen U 781/08 (Kart) am OLG Koblenz. Laut Ihrem Beitrag vom 20.03.2009 20:09 sollte die Revision gegen das Urteil des OLG Koblenz am BGH unter dem Aktenzeichen KZR 13/09 geführt werden, d. h. am Kartellsenat, siehe im Thread zur Vorinstanz am OLG Koblenz unter OLG Koblenz, Urt. v. 12.02.2009 Az. U 781/08 (Kart)- Viele Fragen . Wie lässt sich der Wechsel des zuständigen Senats am BGH erklären?

Mit freundlichen Grüßen
Lothar Gutsche
Email: Lothar.Gutsche@arcor.de

RR-E-ft:
Die aktuelle Geschäftsverteilung am BGH, die dazu führt, dass Sachen, die eigentlich nach der gesetzlichen Regelung  in die Zuständigkeit des Kartellsenats gehören, in die Zuständigkeit des VIII. Zivilsenats gelangen, wurde bereits diskutiert.

Bei dem Stromsondervertrag ist kein Platz für eine Billigkeitskontrolle des Gesamtpreises, da bei Vertragsabschluss ein zunächst feststehender Preis vereinbart wurde (vgl. BGH VIII ZR 320/07 Rn. 46). Es wurde deshalb nicht vereinbart, dass der Versorger den Preis erst nach Vertragsabschluss einseitig bestimmen soll. Es erscheint deshalb halbwegs töricht, ein einseitiges Preisänderungsrecht zuzubilligen, wodurch sich eine Preisbestimmungspflicht jedoch jedenfalls nicht begründen lässt.

Für eine Billigkeitskontrolle ist grundsätzlich nur dann Raum, wenn vertraglich eine einseitige Preisbestimmungpflicht wirksam vereinbart wurde oder sich die Preisbestimmungspflicht des Versorgers aus dem Gesetz ergibt (vgl. auch Fricke, ZNER 15/2/2011 S. 130 ff.).

Wurde bei  Vertragsabschluss ein Preis vereinbart, so wurde keine einseitige Preisbestimmungspflicht vertraglich vereinbart (vgl. BGH VIII ZR 36/06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16). In der Grundversorgung besteht eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Versorgers, welche m. E. vertragliche Preisvereinbarungen in diesem Bereich ausschließt.

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