Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

Vertragsänderung wg. BGH-Urteil, was nun?

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jroettges:

--- Zitat ---Regelmäßig ist davon auszugehen, dass im Abschluss des für die Durchführung der Grundversorgung erforderlichen Verträgen mit Netzbetreibern ein Angebot des Grundversorgers auf Abschluss eines Grundversorgungsvertrages liegt, dass vom Kunden durch Inanspruchnahme der Belieferung angenommen wird.

Morell, Kommentar zur GasGVV, 2009, zu § 2, Rdn. 1.
BGH, 15.02.2006, WM 2006, 1442
BGH, Beschl. vom 20.12.2005, WuM 2006, S. 2007
--- Ende Zitat ---

??? Einzahl / Mehrzahl, dass /das ???

Hoffentlich ist das Zitat nur saumäßig schlecht abgeschrieben.

Bitte, wer macht mir den Satz mal verständlich?

Black:
Für unsere kleine Gäste:

Soetwas nennen Juristen einen Meinungsstreit. Wobei in der Regel die Meinung, die  von der überwiegenden Anzahl der Juristen vertreten wird oft als \"herrschende Meinung\" bezeichnet wird. Die Gegenfraktion nennt man dann \"Mindermeinung\".

Wenn diese Gegenfraktion dann noch sehr sehr klein ist - und auch im Rahmen der Meinungsverkündung nicht durch einen sehr gewichtigen Ruf (z.B. aufgrund eines eigenen Kommentars etc.) auffällt  - spricht man sogar von \"absoluter Mindermeinung\".

Nun kann natürlich eine \"Mindermeinung\" auch mal zur \"herrschenden Meinung\" mutieren. Dafür müssen nur genügend Vertreter von der herrschenden Meinung abfallen (oder wegsterben, gab es auch schon). Aus diesem Grund ist es natürlich schon aus selbsterhaltungstrieb notwendig möglichst laut zu \"trommeln\".

RR-E-ft:
Beispiel für eine herrschende, lange bestehende, nicht aussterben wollende Meinung, die unerschütterlich fest auf §§ 145 ff. BGB gründet:


--- Zitat ---Ein Vertragsabschluss vermittels Annahme durch sog. sozialtypisches Verhalten setzt zunächst ein inhaltlich hinreichend bestimmtes Vertragsangebot, das alle vertragswesentlichen Punkte umfassen muss, voraus. Sonst geht es eben nicht mit einem Vertragsabschluss.
--- Ende Zitat ---

Brox (BGB AT 16.A. Rn. 199) schreibt zutreffend zum Vertragsabschluss durch sog. sozialtypisches Verhalten, dass es abzulehnen ist, dass ein Vertrag ohne Angebot und Annahmeerklärung zustande kommen könne.  Eine entsprechende Auffassung finde im Gesetz keine Stütze, das für einen Vertragsabschluss Angebot und Annahme verlangt.  Man brauche die sog. Lehre vom sozialtypischen Verhalten auch nicht. Meist könne in der Inanspruchnahme einer Leistung eine (konkludente) Willenserklärung erblickt werden.

Freilich bedarf es eines entsprechend bestimmten Angebotes, welches so überhaupt nur angenommen werden kann.


--- Zitat ---I. Die Lehre vom faktischen Vertrag bzw. vom sozialtypischen Verhalten wird mittlerweile von der überwiegenden Meinung abgelehnt. Die Vertreter der ablehnenden Meinung sehen sie als Systembruch innerhalb des BGB an. Auch der BGH scheint in der neueren Rechtsprechung dieser Linie zu folgen; allerdings lässt er es in BGHZ 95, 393 (= NJW 86, 177) „dahinstehen“, ob und unter welchen Voraussetzungen aus § 242 unmittelbar eine vertragliche Forderung als „an sich“ nicht bestehendes Recht begründet werden kann. Larenz hat die Lehre vom sozialtypischen Verhalten später aufgegeben (vgl. Larenz, AT 7. A., § 28 II, S. 536).
II. Das sozialtypische Verhalten stellt vielmehr regelmäßig eine konkludente Willenserklärung dar.
--- Ende Zitat ---

Quelle: http://www.rewi.euv-frankfurt-o.de/de/lehrstuhl/br/intrecht/lehre/LV_WS_2008_2009/GK_I_Mat/faktVertr.doc


--- Zitat ---Die Lehre vom sozialtypischen Verhalten wird jedoch von der ganz hM abgelehnt.  Dies wird zunächst damit begründet, daß sie keine Stütze im Gesetz finde.  Denn im Gesetz wird für den Vertragsschluß Angebot und Annahme verlangt.  Auch wird die Lehre als unnötig angesehen, da in der Inanspruchnahme meist eine konkludente Willenserklärung zu sehen ist.  
--- Ende Zitat ---

Quelle: http://www.jurawelt.com/studenten/skripten/zivr/1791

Die Entnahme von Strom und Gas aus dem Verteilnetz, ohne dass die Belieferung einem bestehenden Vertragsverhältnis zugeordnet werden kann, führt aus genannten Gründen regelmäßig nicht (mehr) zu einem konkludenten Vertragsabschluss, sondern zu einem zeitlich befristeten gesetzlichen Ersatzversorgungsverhältnis gem. § 38 EnWG.

Prof. Säcker, HU Berlin:


--- Zitat ---Ein Vertragsschluss erfolgt grundsätzlich durch die Abgabe von zwei korrespondierenden Willenerklärungen, Angebot und Annahme (vgl. §§ 145, 147 BGB). Allerdings handelt es sich vorliegend um ein Massengeschäft des täglichen Lebens. Nach einer Ansicht soll der Vertrag in diesen Fällen nicht durch rechtgeschäftliche Erklärung, sondern aufgrund der tatsächlichen Inanspruchnahme der angebotenen Leistung zustande kommen (sog. Lehre vom faktischen Vertrag oder Lehre vom sozialtypischen Verhalten). Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass sie gegen den Grundsatz der Privatautonomie verstößt, da der Vertragsschluss nicht mehr vom Willen der Parteien abhängt.
--- Ende Zitat ---



--- Zitat ---Vgl. RGZ 102, S. 344 ff.; BGHZ 6, S. 378 ff.; Flume, AT II § 5, 3 b.
Mit der Neufassung des EnWG 2005 wurde die Entnahme von Energie durch Letztverbraucher ohne vorangehenden ausdrücklichen Vertragsschluss gesetzlich geregelt (sog. Ersatzversorgung). Gem. §
38 Abs. 1 EnWG kann das Energieversorgungsunternehmen von dem Abnehmer die von ihm für den Fall der Ersatzversorgung veröffentlichen Allgemeinen Preise verlangen.
--- Ende Zitat ---



Erfolgt darüber hinaus eine Belieferung ohne Vertragsabschluss dann werden sich gegenseitige Ansprüche wohl nur aus den bereicherungsrechtlichen Vorschriften ergeben. Der Versorger, der bereicherungsrechtliche Ansprüche erhebt, wird wohl darzulegen und zu beweisen haben, dass gerade er es war, der eine Leistung erbracht hat, um welche die andere Partei ungerechtfertigt bereichert sein soll.

Black:
@R-E-ft

Sie möchten also folgendes Bild der Rechtslage vermitteln:

- Die Grundversorgung bedarf keines Vertrages. Der Kunde hat auch ohne Vertragsschluss einen gesetzlichen Anspruch auf Belieferung.

- Wenn ein Kunde einfach Strom oder Gas entnimmt, kommt dadurch kein Grundversorgungsvertrag zustande, da es an einem entsprechenden Angebot des Grundversorgers fehlt. Die Bezahlung der Energie kann hier nur bereicherungsrechtlich erfolgen, sofern der Grundversorger beweisen kann, dass gerade seine Energie verbraucht wurde.



Habe ich Sie da richtig verstanden?

RR-E-ft:
@Black

Wenn der Grundversorger durch die Veröffentlichung Allgemeiner Preise der Grundversorgung für Haushaltskunden diesen gegenüber ein Angebot unterbreitetet und ein Haushaltskunde hiernach ohne vorherigen Vertragsabschluss Strom oder Gas aus dem örtlichen Verteilnetz entnimmt, dann kann dadurch gerade wegen der gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 2 GVV ein Grundversorgungsvertrag zustande kommen. Der gesetzliche Anspruch auf Grundversorgung besteht bereits vor einem solchen Vertragsabschluss.

Wo es durch die Entnahme von Strom und Gas  nicht zu einem solchen Vertragsabschluss eines Grundversorgungsvertrages kommt, erfolgt die Belieferung zunächst im Rahmen einer zeitlich befristeten Ersatzversorgung, auf welche ebenso ein gesetzlicher Anspruch besteht.

Endet diese zeitlich befristete Ersatzversorgung und kommt es zuvor zu keinem Vertragsabschluss, so richten sich hiernach die gegenseitigen Ansprüche nach den bereicherungsrechtlichen Bestimmungen. In einem Zahlungsprozess des EVU gelten die allgemeinen Regeln zur Darlegungs- und Beweislast, auch hinsichtlich etwaiger bereicherungsrechtlicher Ansprüche.

Anerkannt ist, dass unter Umständen  ein Dissens nur über den Preis von Energielieferungen bei Vertragsabschluss entgegen § 154 Abs. 1 BGB über ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des EVU gem. §§ 315, 316 BGB überwunden werden kann - welches der gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterliegt - (BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90).

Da bin ich u.a. mit Säcker einer Meinung.

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