Nachdem die Urteilsbegründung von BGH Beschl. v. 10.02.2009 Az. KVR 67/07 nun veröffentlicht wurde, ergibt sich für kartellrechtswidrige Gasbezugsverträge folgender Tatbestand.
Ein Vertrag muss eine Laufzeit von mehr als zwei Jahren haben und eine Bezugsmenge von mindestens 80% des Gesamtbezuges umfassen,
oder die Laufzeit muss mehr als vier Jahre betragen und der Vertrag eine Bezugsmenge von mindestens 50% des Gesamtbezuges umfassen.
Es muss auf dem sachlich und örtlich maßgeblichen Markt ein Bündel solcher Verträge, die mindestens 30% Marktanteil ausmachen, abgeschlossen worden sein.
Sachlich maßgeblich ist der Markt zur Belieferung von Orts- und Regionalgasunternehmen zur Belieferung an Endverbraucher.
Örtlich maßgeblich ist das Marktgebiet der Ferngasunternehmen, der durch deren Leitungsnetz bestimmt wird.
Liegen diese Voraussetzungen vor, verstößt jeder einzelne Vertrag gegen Art. 81, 82 EG, § 1 GWB, und ist nichtig.
Verbraucher deren Gasversorger im Marktgebiet der E.on Ruhrgas ansässig ist, müssen damit nur noch die individuellen Voraussetzungen des einzelnen Bezugsvertrages nachweisen. Für die Voraussetzung der Marktdurchdringung solcher Verträge können sie sich auf die Verfügung des Bundeskartellamts in Verbindung mit der BGH-Entscheidung berufen.
Preiserhöhungen, die auf solchen unzulässigen Verträgen beruhen, sind nicht nur unbillig sondern nichtig. Dies hat zur Folge, dass sie auch Kunden gegenüber, die nicht rechtzeitig widersprochen haben, keine Wirkungen erzeugen.
Diesen Verbrauchern steht auch eine Schadensersatzklage gegen die E.on Ruhrgas offen.
Bei allen Verbrauchern außerhalb des Marktgebietes der E.on Ruhrgas erhöhen sich die Beweisschwierigkeiten aufgrund der 30%-Grenze beim Marktanteil solcher Verträge. Soweit eine Verpflichtung des Bundeskartellamtes zur Offenlegung der allgemeinen Marktverhältnisse im jeweiligen Marktgebiet nach dem Informationsfreiheitsgesetz nicht durchgesetzt werden kann, dürfte eine erfolgreiche Beweisführung ausgeschlossen sein.
Allenfalls im Marktgebiet der Gasversorgung Süddeutschland bestehen geringe Aussichten die Marktverhältnisse nachzuweisen, da dieses Marktgebiet mit dem Land Baden-Württemberg nahezu identisch ist, und deshalb auf Daten des Landeskartellamtes zurückgegriffen werden kann. Auch haben die beiden größten regionalen Gasversorger Badenova und EnBW zusammen einen Marktanteil von über 30%. Bei der Badenova ist nachweisbar, dass sie bis zum 30.09.2007 über einen solchen lang laufenden Bezugsvertrag über ihre Gesamtmenge verfügte. Ob sich dies bei der EnBW ebenso verhält steht zwar zu vermuten, konkrete Nachweisquellen sind im Internet aber nicht zu finden.
Abgesehen von der Frage der Nichtigkeit von Preiserhöhungen führt ein kartellrechtswidriger Bezugsvertrag zur Nichtigkeit der Preisänderungsklausel im Bezugsvertrag. Hierzu hat der BGH Urt. vom 9.07.2009 Az. VIII ZR 314/07 folgendes ausgeführt
Tz. 28
Dafür, dass es sich bei den von der Beklagten geltend gemachten Bezugskostensteigerungen um im vorgenannten Sinne \"unnötige\" Kosten handelt, ergeben sich aber keine durchgreifenden Anhaltspunkte. Wenn sich die Beklagte, wie sie vorträgt, als kommunales Gasversorgungsunternehmen mit geringer Nachfragemacht der - branchenüblichen - Ölpreisbindung nicht entziehen konnte, scheidet die Möglichkeit eines Gasbezugs ohne eine solche Preisbindung als günstigere Beschaffungsalternative aus, sofern eine solche nach den Marktgegebenheiten überhaupt besteht. Ob die Ölpreisbindung in dem Vorlieferantenverhältnis korrekt umgesetzt worden ist, die Beklagte die von ihr geltende gemachte Preiserhöhung durch den Vorlieferanten nach den Bezugsverträgen also tatsächlich schuldete, wird im Rahmen der Beweisaufnahme über die von der Beklagten behauptete Bezugskostensteigerung zu klären sein (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 44).
Diese Aussage lege ich dahingehend aus, dass die Beweislast, ob der Versorger die behauptete Bezugskostensteigerung überhaupt schuldete, beim Versorger liegt. Will er seine Bezugskosten weiterreichen, hat er nachzuweisen, dass der Bezugsvertrag kartellrechtskonform vereinbart wurde. Eine rechtskonforme Vertragsgestaltung wird gesetzlich nicht vermutet.
Der Verbraucher wird jedoch gehalten sein, seine Zweifel an der kartellrechtskonformen Ausgestaltung substantiiert darzulegen. Behauptungen ins Blaue hinein dürften unbeachtlich bleiben.
Hierzu ist ein Hinweis auf die Verfügung des Bundeskartellamtes gegen E.on Ruhrgas vom 13.01.2006 Az. B 8 – 113/03 – 1 hilfreich. Unter III. Vertragssituation Nr. 1 haben die Untersuchungen von Bezugsverträgen, die 75% der belieferten Unternehmen und 90% des an diese Unternehmen insgesamt gelieferten Erdgases ausmachen, ergeben, dass 70% dieser Verträge Gesamtbezugsverträge mit Laufzeiten von mehr als zwei Jahren sind. Somit sind 67,5% der in diesem Bereich abgesetzten Gasmengen mit potentiell kartellrechtswidrigen Verträgen abgesetzt worden.
Selbst wenn dem Verbraucher der Nachweis der Kartellrechtswidrigkeit nicht gelingt, dürfte sich diese rechtswidrige Vertragspraxis in vielen Fällen als erfolgreicher Einwand gegen die Billigkeit von Preisfestsetzungen herausstellen.