Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

Kartellrecht

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reblaus:
@Schmidol
Ich gebe Ihnen insoweit Recht, dass diese Diskussion auch auf sachlicher Ebene geführt werden könnte. Diesem Anspruch stehen aber mitunter (auf beiden Seiten) menschliche Unzulänglichkeiten entgegen, deren Ergebnis bei einem Teil der Leser auf Ablehnung bei einem anderen auf entrüstetes oder auch amüsiertes Interesse stoßen wird.

Soweit Sie vom sachlichen Teil dieser Diskussion ein für den Verbraucher verwertbares Ergebnis einfordern, müssen Sie sich noch länger gedulden. Sämtliche zivilrechtlichen Auswirkungen eines Kartellverstoßes sind noch weithin unberührtes Rechtsgebiet. Es gibt zwar einige europarechtliche Entscheidungen zur Schadensersatzpflicht, so die oben zitierte Entscheidung. Der gesetzliche Schadensersatzanspruch des § 33 GWB ist aber erst 2005 erlassen worden. Es sind daher in der Vergangenheit nur in wenigen Fällen Entscheidungen zu zivilrechtlichen Auswirkungen von Kartellverstößen ergangen, so dass die Erfolgsaussichten einer Argumentation mit kartellrechtswidrigen Bezugsverträgen bisher nicht seriös prognostiziert werden kann.

Als Verbraucher würde ich mich beim derzeitigen Stand der Diskussion daher nicht auf ein Verfahren einlassen, bei dem ein Rückforderungsanspruch gegen den Versorger allein auf Basis eines kartellrechtswidrigen Bezugsvertrages geltend gemacht werden soll. Soweit Sie aber von einer Zahlungsklage betroffen sind, und Sie die Zahlung aus den anerkannten Rechtsgründen wie Unbilligkeit der Preiserhöhung oder Unwirksamkeit der Preisbestimmungsklausel verweigern, ist die zusätzliche Argumentation mit dem Kartellrecht sehr zu empfehlen. Sie dürfen nämlich bei Gericht mit verschiedenen Rechtsgründen argumentieren, selbst wenn sie sich im Einzelfall gegenseitig ausschließen sollten. Für die Entscheidung ist nur wichtig, dass schlussendlich mindestens ein Rechtsgrund tatsächlich vorliegt, nachdem Sie die Zahlung verweigern durften.

@RR-E-ft
Ich bin auf diese Frage bereits früher eingegangen.


--- Zitat ---reblaus vom 6.03.2009 (Kartellrecht)
Den Schlüssel zur Lösung sehe ich in Art. 81 EG. Der EuGH gesteht diesem eine privilegierte Stellung innerhalb der Kartellnormen zu, weil in Absatz 2 ausdrücklich bestimmt ist, dass Verstöße nach Absatz 1 nichtig sind. Das findet sich so weder in Art. 82 EG noch im GWB. Die Nichtigkeit von Handlungen gegen diese Verbote bemisst sich nach den jeweiligen nationalen Normen. Aus diesem Umstand liest der EuGH heraus, dass es die Verfasser des Art. 81 EG als besonders vordringliche Aufgabe ansahen, Verstöße gegen Art. 81 EG zu bekämpfen und zu verhindern.

Dies bedeutet dass die Bildung des Kartells strenger verfolgt werden muss, als die ökonomischen Folgen z. B durch überhöhte Preise, die es verursacht. Das trägt der ökonomischen Realität Rechnung. Es soll niemandem verboten werden Mondpreise zu verlangen. Wenn Sie auf Ihr T-Shirt dick „Chanel“ drucken, können Sie es für 160,00 € veräußern, wenn im Etikett „H & M„ steht halt nur für 20,00 € (bei gleicher Qualität!). Deshalb ist im Prinzip auch gegen die Preisbindung an leichtes Heizöl nichts einzuwenden. Solange der Markt funktioniert, soll es jedem unbenommen bleiben, sein überteuertes Gas mit wundervollen Versprechungen und tollem Namen unters Volk zu bringen. In einem funktionierenden Markt werden genügend Anbieter von den gigantischen Gewinnspannen angelockt werden, und sich mit günstigeren Preisen Marktanteile sichern.

Der freie Marktzutritt ist die fundamentale Regulierungsvoraussetzung in einer Marktwirtschaft. Wenn genügend Kunden mit ihren Anbietern unzufrieden sind, eröffnet sich eine Marktlücke für ein Unternehmen, dass die Leistung besser anbietet. Dann rennen die Kunden zur Konkurrenz und nicht vor Gericht. Vielleicht sollte man den unwilligen Amtsrichtern klar machen, dass sie ohne freien Marktzutritt die vielen Verbraucherklagen auch bei 20 Stundenschichten nicht würden abarbeiten können.
(…)
Die Vorstellung von der Wichtigkeit gut funktionierender Märkte ist in der Rechtsprechung z. B. bei Unterlassungsansprüchen wegen Wettbewerbsverstößen verwendet worden. Außergerichtliche Anwaltskosten können mit Hinweis auf die Geschäftsführung ohne Auftrag auf den Gegner abgewälzt werden, weil auch dieser als Marktteilnehmer ein elementares Interesse an einem funktionieren Wettbewerb hat. Was spricht dagegen, diese Idee auf die Marktabschottung anzuwenden. Dem redlichen Gasversorger eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten in einem funktionierenden Markt sein Geschäft auszuweiten. Er hat daher ein elementares Interesse daran, dass die Märkte funktionieren.

Schließlich ist der freie Marktzutritt auch durch Art. 12 GG geschützt. Er ist sogar die entscheidende Grundvoraussetzung, dass ein freies Gewerbe überhaupt entstehen und weiterexistieren kann. Ohne freien Marktzutritt kann niemand Geschäfte abschließen, es sei denn, er ist Teil der privilegierten Marktteilnehmer. Ohne Aussicht auf Geschäftsmöglichkeiten sind aber Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse völlig wertlos. Es ist daher kontraproduktiv die Bekämpfung von Kartellen zu erschweren, in dem man dem Schutzerfordernis für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse größere Bedeutung zuweist.
--- Ende Zitat ---

Mit den vom Bundeskartellamt untersagten Bezugsverträgen wird der Markt zur Belieferung von Regionalversorgern mit Erdgas abgeschottet (OLG Düsseldorf vom 20.10.2006 Az. VI-2 Kart 1/06 (V)). Dadurch verhindern die Ferngasgesellschaften gemeinsam mit den beteiligten Regionalversorgern den freien Marktzutritt anderer potentieller Erdgaslieferanten unter anderem auch einzelner größerer Regionalversorger. Damit verletzen sie deren Recht auf freie Ausübung eines Gewerbes.

Das durch Art. 12 GG geschützte Geschäftsgeheimnis entsteht auch erst dann, wenn dem Unternehmen der Zugang zum Markt offen steht. Ohne Geschäftsmöglichkeit kein Geschäftsgeheimnis. Dadurch ergibt sich, dass sich niemand auf seine Geschäftsgeheimnisse berufen kann, wenn diese darin bestehen, zu verheimlichen dass und wie anderen der Marktzugang verwehrt wird.

Oder wollten Sie mit Ihrer Frage etwa nur testen, ob ich durch die Benutzung des Wortes \"verletzen\" der unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten das Wort reden wollte? Dann lesen Sie bei \"verletzen\" einfach \"beeinträchtigen\".

tangocharly:
@reblaus

Sie meinen wahrscheinlich Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Nicht das Grundrecht definiert  den Begriff \"Geschäftsgeheimnis\", sondern setzt seine Existenz voraus.
Und wenn Sie in BGH, 19.11.2008, Az.: VIII ZR 138/07, Tz. 46,47 nachlesen, dann sehen Sie, wie sich der VIII. Senat mit dieser sensiblen Thematik befaßte:


--- Zitat ---46
Sollte es im weiteren Verlauf des Rechtsstreits darauf ankommen, rügt die Revision allerdings zu Recht, dass das Berufungsgericht ohne Weiteres da-von ausgeht, die Beklagte müsse im Rechtsstreit uneingeschränkt ihre gesamte Kalkulation offen legen. Insofern lässt das angefochtene Urteil eine Klärung der Frage vermissen, bezüglich welcher Daten im Einzelnen ein durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Interesse der Beklagten an der Geheimhaltung dem Gericht, einem Sachverständigen, dem Kläger oder der Öffentlichkeit gegen-über besteht und inwiefern für die Beweisführung - auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse der beantragten Zeugenvernehmung - gerade solche geschütz-ten Daten einem Sachverständigen zugänglich gemacht werden müssten. Dafür bedarf es gegebenenfalls weiteren substantiierten Sachvortrags der Beklagten dazu, bei Offenlegung welcher konkreten Geheimnisse sie welche Nachteile zu befürchten hätte. Es ist jedoch rechtsfehlerhaft, jegliches Geheimhaltungsinte-resse der Beklagten von vornherein mit der Begründung zu verneinen, dass eine vergleichbare umfassende Offenlegungspflicht alle Versorgungsunterneh-men treffe. Eine etwaige Grundrechtsrelevanz des Verlangens nach Offenle-gung der gesamten Kalkulation auf Seiten der Beklagten wird nicht dadurch beseitigt, dass alle Energieversorgungsunternehmen gleichermaßen zur Offen-legung grundrechtlich geschützter Daten verpflichtet werden, zumal diese Ver-pflichtung nur von solchen Versorgungsunternehmen zu erfüllen wäre, deren Kunden wie der Kläger eine gerichtliche Billigkeitskontrolle der Preise bzw. Preiserhöhungen nach § 315 BGB begehren.

47
Unterstellt, die Beklagte müsste im Rahmen der Beweiserhebung Daten offen legen, an denen sie ein verfassungsrechtlich geschütztes Geheimhal-tungsinteresse hat, bedürfte es sodann einer - auch im Rahmen einer Billig-keitskontrolle nach § 315 BGB erforderlichen - Abwägung zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem verfassungsrechtlichen Schutz von Be-triebs- und Geschäftsgeheimnissen (BVerfGE 101, 106, 128 ff.; 115, 205, 232 ff.; BVerfG, Beschluss vom 28. Dezember 1999 - 1 BvR 2203/98, VersR 2000, 214, 215; Senatsurteil vom 18. Juli 2007 - VIII ZR 236/05, WM 2007, 1901, Tz. 28 ff.; BGHZ 116, 47, 58 ), die auf einen weitestgehenden Ausgleich zwischen den betroffenen Verfassungsgütern gerichtet sein muss. Dabei ist zunächst eine Inanspruchnahme der prozessualen Möglichkeiten des Aus-schlusses der Öffentlichkeit und der - strafbewehrten (§ 353d Nr. 2 StGB) - Ver-pflichtung der Prozessbeteiligten zur Geheimhaltung nach § 172 Nr. 2, § 173 Abs. 2, § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG in Betracht zu ziehen. Es ist nicht von vorn-herein ausgeschlossen, dass ein solches Vorgehen geeignet ist, den Schutz der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu gewährleisten, insbesondere, weil es sich bei der Gegenpartei nicht um einen Wettbewerber der Beklagten, son-dern um einen Kunden handelt und folglich nicht schon die Bekanntgabe der Geheimnisse selbst eine Geheimnisverletzung zur Folge hätte.
--- Ende Zitat ---

Welche Versorgungsunternehmen sich aber auf Art. 12 GG berufen können, ist aber noch zudem eine ganz andere Frage.

nomos:

--- Zitat ---Original von tangocharly
Welche Versorgungsunternehmen sich aber auf Art. 12 GG berufen können, ist aber noch zudem eine ganz andere Frage.
--- Ende Zitat ---
@tangocharly, der Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg sieht da bei den Stadtwerken \"ganz überwiegend Geschäftsgeheimnisse\".

Da muss der Datenschutzbeauftragte doch richtig neidisch werden, hier bei den Geschäftsgeheimnissen funktioniert der Datenschutz noch. Da wird von der Politik streng darüber gewacht. Da muss der Bundes-DSB nicht klagen wie  bei den personenbezogenen Daten.  ;) .

siehe hier:

Frage an die Landesregierung zur Gaspreisgestaltung der Stadtwerke Mühlacker

[/list]

RR-E-ft:
tangocharly verweist zutreffend darauf, dass zunächst zu prüfen ist, ob das betroffene Unternehmen überhaupt Grundrechtsträger bzw. grundrechtsfähig ist. Ist es schon kein Grundrechtsträger bzw. grundrechtsfähig, so kann es sich schon nicht auf einen entsprechenden Schutz berufen, vgl. schon hier. (Evitel2004 bitte ggf. Verlinkungen überarbeiten) Wenn das betroffene Unternehmen danach überhaupt Grundrechtsträger bzw. grundrechtsfähig ist, muss es geltend machen, welche für die Entscheidung erheblichen Daten weshalb Betriebsgeheimnisse sein sollen. Alle publizitätspflichtigen Daten etwa preisbildende Kostenfaktoren des sog. \"vereinbarten Preissockels\" (Konzessionsabgaben gem. § 4 KAV, Energiesteuer, Netzkosten gem. § 27 GasNEV, , Kosten der Messung und Abrechnung gem. § 40 EnWG) können demnachschon  keine Geschäftsgeheimnisse sein, ebenso wie Spartenabschlüsse gem. § 9a EnWG 1998 iVm. § 114 EnWG.

nomos liest am besten hier.


--- Zitat ---TELEKOM Randnummer 72
Die Grundrechtsfähigkeit der Beschwerdeführerin entfällt nicht deswegen, weil der Bund an dieser Anteile hält. Ein beherrschender Einfluss des Bundes auf die Unternehmensführung der Beschwerdeführerin, der die Beschwerdefähigkeit in Zweifel ziehen könnte, war schon auf Grund der Regelungen in § 3 des Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost vom 14. September 1994 (BGBl I S. 2325) und in § 32 der Satzung der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost vom 14. September 1994 (BGBl I S. 2331) ausgeschlossen und ist nach der Privatisierung erst recht nicht begründet worden; er wird auch von keinem der Beteiligten geltend gemacht.
--- Ende Zitat ---

Hat hingegen der Staat oder eine Gebietskörperschaft einen Mehrheitsanteil und/ oder  einen beherrschenden Einfluss auf die Unternehmensführung, wie das oft bei Stadtwerken der Fall sein kann, ist die Grundrechtsfähigkeit zweifelhaft. Der Grundrechtsschutz ist aber nicht das eigentliche Thema dieses Threads, Datenschutz erst recht nicht.

reblaus:
@tangocharly
Mir geht es im Zusammenhang mit Kartellrechtsfragen beim Geschäftsgeheimnis ausschließlich darum. die Beweisschwierigkeiten zu verringern, die sich dadurch ergeben können, dass die erforderlichen Informationen in zahlreichen Fällen von den Versorgern nicht veröffentlicht wurden.

Hier habe ich den Auskunftsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz vorgeschlagen, der aber in § 6 IFG ausgeschlossen ist, soweit Zugang zu Geschäftsgeheimnissen gewährt werden müsste. Es wäre daher nützlich, wenn man darauf hinweist, dass die Daten, die die Kartellrechtswidrigkeit eines Vertrages belegen, naturgemäß gar keine Geschäftsgeheimnisse darstellen können.

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