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Kartellrecht

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reblaus:
@Cremer
Wenn an diesen Tarifen lediglich die Stadtwerke Kreuznach beteiligt waren, handelte es sich mit Sicherheit um einen Verstoß gegen § 19 GWB. Dann hat dieses einzelne Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung auf dem örtlichen Markt missbraucht.

Immer wenn es sich um Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen handelt, die nicht dem gleichen Konzern angehören, spricht man von Kartellen. Solche Vereinbarungen sind nach Art. 81 EG, bzw. § 1 GWB (deutsche Entsprechung) verboten. Sollten die beteiligten Unternehmen zusätzlich über eine marktbeherrschende Stellung verfügen, so kann gleichzeitig ein Missbrauch derselben vorliegen.

Lothar Gutsche:
@ reblaus

Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Sie sind hier unbestritten der Kartellrechtsexperte, zumindest für mich als Nicht-Jurist.

Ihre Antwort verstehe ich noch nicht ganz, zumindest was die Schlussfolgerung für Endkundenpreise angeht. Denn Sie übertragen die vom 8. Zivilsenat des BGH begründete Aufspaltung des Gesamtpreises in einen Preissockel und spätere Preiserhöhungen auch auf kartellrechtliche Auseinandersetzungen.

Bei wirksamen Wettbewerb hätte das Stadtwerk die überhöhten Vorleistungspreise des Ferngaslieferanten nicht an die Endkunden überwälzen können. Indem das Stadtwerk das aber tut, nutzt es seine regional marktbeherrschende Stellung missbräuchlich aus: es fordert Entgelte, \"die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden\". Wenn sich das regionale Stadtwerk im Sinne von § 19 Absatz 4 GWB selbst kartellrechtswidrig verhält, dann ist der Vertrag des Stadtwerks mit den Endverbrauchern und mit ihm die Gesamtpreisforderung nichtig. Der Kartellsenat des BGH hat sich bislang deutlich gegen die Auffassung ausgesprochen, dass der Gesamtpreis sich in eine kartellrechtskonformen Preissockel und kartellrechtswidrige Preiserhöhungen aufspalten ließe. Statt dessen hielt der Kartellsenat eine solche Aufspaltung für künstlich und für die Ursache von Zufallsergebnissen, siehe z. B. das BGH-Urteil KZR 36/04 vom 18.10.2005.

Auf welche Gesetzesgrundlage oder auf welche Rechtsprechung also stützen Sie Ihre Aufspaltung eines kartellrechtswidrigen Gesamtpreises in einen angeblich  kartellrechtskonformen Preissockel und kartellrechtswidrige Preiserhöhungen?


Ihre Ansicht zu den Kapitalbeteiligungen überzeugt mich nicht, denn die meisten Stadtwerke, an denen sich potentielle Vorlieferanten beteiligt haben, kaufen ihre Vorleistungen \"zufällig\" bei diesem Minderheits- oder Mehrheitsgesellschafter zu überteuerten Konditionen ein. Das Bundeskartellamt stellt in dem Beschwerdeverfahren E.ON/Stadtwerke Eschwege fest:

„Bei jeweils über 70 % ihrer Minderheitsbeteiligungen im Strombereich hatten die Verbundunternehmen E.ON, RWE und EnBW in 2003 und 2004 eine Vorlieferantenposition inne, lediglich Vattenfall weicht mit einem Prozentwert von rd. 50 % davon ab. Dieser Abweichung darf aber durch die geringe Zahl der von Vattenfall gehaltenen Minderheitsbeteiligungen im Strombereich keine besondere Bedeutung beigemessen werden. Damit wird auch deutlich, dass E.ON und RWE in besonderem Maße aber auch EnBW und Vattenfall Strategien der Absatzsicherung über die Beteiligung an Elektrizitäts- bzw. Gasversorgungsunternehmen verfolgen und nutzen.“

Quelle: „Die Strommärkte in Deutschland 2003 und 2004- Erhebung des Bundeskartellamtes im Zusammenhang mit dem Beschwerdeverfahren E.ON Mitte / Stadtwerke Eschwege (B 8 – 21/03 – B)“, Seite 345 – 356 in der Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER), Heft 4/2008

Deshalb bleibt meine Frage nach einem Hardcore-Kartell im Sinne des § 1 GWB weiter im Raum, das durch die Kapitalbeteiligung und gleichzeitige Abstimmung zum Einkauf von Vorleistungen geschaffen wird.

Mit freundlichen Grüßen
Lothar Gutsche

reblaus:
@Lothar Gutsche

--- Zitat ---Original von Lothar Gutsche Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Sie sind hier unbestritten der Kartellrechtsexperte, zumindest für mich als Nicht-Jurist.
--- Ende Zitat ---

Wenn das so sein sollte, wünsche ich Ihnen, dass Sie nie einen Kartellrechtsrechtsstreit führen müssen. Das ist tatsächlich ein hochkomplexes Thema bei dem es vermutlich nur eine Handvoll Experten in Deutschland gibt.

Die Aufteilung in Sockelpreis und Preisänderung hat nichts mit der Rechtsprechung des BGH zur Billigkeitskontrolle zu tun.


--- Zitat ---Art. 81 EG-Vertrag
(1) Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, insbesondere
   a)    die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;
   b)    die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen;
   c)    die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen;
   d)    die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden;
   e)    die an den Abschluß von Verträgen geknüpfte Bedingung, daß die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen.

(2) Die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig.
(...)
--- Ende Zitat ---

Verboten sind daher nur Vereinbarungen oder Verhaltensweisen zwischen Unternehmen. Diese Verträge sind insgesamt nichtig. Zwischen dem Vorlieferanten und dem Regionalgasunternehmen wurde überhaupt kein Preis für das gelieferte Gas vereinbart.

Der zwischen dem Regionalgasunternehmen und dem Verbraucher abgeschlossene Vertrag fällt aber nicht unter Art. 82 EG. Er ist daher auch nicht nichtig. Der EuGH hat aber entschieden, dass die Nichtigkeit des zwischen den Unternehmen abgeschlossenen Vertrages alle Wirkungen umfasst, die aus dieser verbotenen Vereinbarung resultieren. Wenn daher das Regionalgasunternehmen die (nichtige) Bezugskostensteigerung zum Anlass nimmt, seine Endkundenpreise anzuheben, so ist diese Preiserhöhung ein Resultat des nichtigen Vertrages und ebenfalls nichtig. Erhöht das Regionalgasunternehmen seine Endkundenpreise hingegen, weil die Personalkosten gestiegen sind, hat dies mit dem verbotenen Treiben des Unternehmens nichts zu tun. Diese Preisänderung ist wirksam.

Wird zwischen dem Verbraucher und dem Regionalgasunternehmen ein neuer Vertrag abgeschlossen, und der Versorger hat den vereinbarten Tarif aufgrund seiner nichtigen Bezugskostenvereinbarung kalkuliert, halte ich es für denkbar, dass dann die gesamte Preisvereinbarung nichtig ist, da die Preisfestsetzung des Versorgers teilweise auf den nichtigen Bezugspreisen basiert. Rechtsprechung gibt es hierzu aber mit Sicherheit nicht, so dass das nur Theorie ist.

Wurde der Vertrag mit dem Verbraucher bereits vor dem 28.04.1998 abgeschlossen, zu einem Zeitpunkt als diese Bezugsverträge noch erlaubt waren, kann sich das verbotene Treiben nur auf spätere Vertragsänderungen bzw. Preisänderungen auswirken.

Nimmt man nun an, dass die Abwälzung solcher nichtigen Bezugskostensteigerungen gleichzeitig eine Ausbeutung einer marktbeherrschenden Stellung darstellt, ist die Rechtsfolge die gleiche. Nur die Rechtshandlungen, die ursächlich auf der verbotenen Handlung beruhen, sind nichtig.

Bei Art. 82, § 19 GWB folgt die Nichtigkeit im übrigen \"nur\" aus dem § 134 BGB.

Sie müssen beim Kartellrecht strikt zwischen dem Kartell und der marktbeherrschenden Stellung unterscheiden. Das Kartell kann von mehreren Unternehmen verabredet werden, die jedes für sich keine marktbeherrschende Stellung innehaben. Durch ihr gemeinsames Handeln nutzen sie eine gemeinsame starke Marktposition, um den Markt zu manipulieren. Ein Hardcore-Kartell wird ausschließlich durch Absprachen zwischen unterschiedlichen Unternehmen gegründet. Es kommt nicht darauf an, ob diese Unternehmen kapitalmäßig miteinander verbunden sind. Kapitalbeteiligungen nutzen solchen Absprachen natürlich indirekt. Man kennt sich.

Wenn aber ein Unternehmen eine beherrschende Stellung durch die Kapitalmehrheit besitzt, treten diese beiden Unternehmen als einheitlicher Konzern am Markt auf. Das Mutterunternehmen darf dem Tochterunternehmen genau vorschreiben, mit wem und zu welchen Konditionen es Geschäfte zu betreiben hat. Erst wenn der Konzern mit Dritten unerlaubte Abreden trifft, stellt sich wieder die Kartellfrage. Oft hat es lediglich organisatorische Gründe, dass ein Energieversorger z. B. eine separate Vertriebsgesellschaft gründet und seine Kraftwerkskapazitäten in einer anderen Gesellschaft bündelt. Nach außen dürfen diese Gesellschaften als einheitliches Unternehmen tätig werden.

Münsteraner:
@ reblaus

Sie schreiben weiter oben:


--- Zitat ---Es sind daher in der Vergangenheit nur in wenigen Fällen Entscheidungen zu zivilrechtlichen Auswirkungen von Kartellverstößen ergangen, so dass die Erfolgsaussichten einer Argumentation mit kartellrechtswidrigen Bezugsverträgen bisher nicht seriös prognostiziert werden kann.  
Als Verbraucher würde ich mich beim derzeitigen Stand der Diskussion daher nicht auf ein Verfahren einlassen, bei dem ein Rückforderungsanspruch gegen den Versorger allein auf Basis eines kartellrechtswidrigen Bezugsvertrages geltend gemacht werden soll.
--- Ende Zitat ---

Wenn ich das recht verstehe, hielten Sie es gleichwohl für sinnvoll, bei einer eigenen Rückforderungsklage den Anspruch nicht nur auf die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel zu stützen, sondern zumindest hilfsweise auch auf kartellrechtliche Gründe. Mir ist allerdings nicht ganz klar, wie genau da die Argumentation wäre.

Frage ebenfalls: Man munkelt, im Münsteraner Raum habe man im Hinblick auf das dortige Marktgebiet der E.ON Ruhrgas AG gute Chancen mit kartellrechtlichen Einwänden. Könnten Sie das näher erläutern?

reblaus:
@münsteraner
Eine ordentliche Verteidigung gegen die Zahlungsklage eines Versorger sollte grob so aufgebaut sein.

1. Sie bestreiten, dass der Versorger überhaupt berechtigt ist, seine Preise zu erhöhen, weil ein Sondervertragsverhältnis vorliegt und die Preisanpassungsklausel entweder gar nicht vorhanden oder aber unwirksam ist.

2. Sie legen dar, dass die vorgenommenen Preisanpassungen nichtig sind, weil die Preiserhöhungen aus Bezugskostensteigerungen resultieren, die kartellrechtswidrig vereinbart wurden. Das müssen Sie beweisen. Wenn es sich um das Marktgebiet der Eon Ruhrgas handelt, und Ihre Lieferantin keine Tochter der Eon ist, reicht es aus, dass Sie nachweisen, dass der Versorger einen langlaufenden Bezugsvertrag mit der Eon hatte, der mindestens 50% bzw. 80% der gesamten bezogenen Gasmenge ausmachte. Weiterhin legen Sie dann die Verfügung des Bundeskartellamtes gegen E.on Ruhrgas vor, verweisen auf die höchtsrichterliche Entscheidung zu dieser Verfügung und legen dar, dass nach § 33 GWB der Tatrichter an diese Feststellungen gebunden ist. In allen anderen Marktgebieten haben die Ferngasgesellschaften freiwillige Verpflichtungszusagen abgegeben, die als Beweis nicht taugen.

3. Sie bestreiten, dass die Preiserhöhungen der Billigkeit entsprechen. Da der Versorger nur Kostensteigerungen weiterreichen darf, und ihm wegen des nichtigen Bezugsvertrages überhaupt keine Bezugskostensteigerungen entstanden sind, ist die Preiserhöhung unbillig. In diesem Punkt muss der Versorger beweisen, dass er einen wirksamen Bezugsvertrag hat. Schließlich tragen Sie vor, dass die Preiserhöhungen auch deshalb unbillig gewesen sind, weil der Versorger seine Rabatte, Marketingzuschüsse etc. bei der Kostenberechnung nicht berücksichtigt hat, die Kalkulation auf der nominalen Kostenentwicklung und nicht auf der mengenmäßigen Gewichtung beruht, er lediglich das bezogene Kommunalgas zu Grunde gelegt hat, statt den gesamten Gasbezug incl. Industriegas zu berücksichtigen, dass er sich nicht um billigere Lieferanten gekümmert hat etc. etc.

In der Theorie ganz einfach. In der Praxis sind die meisten Klagen so es auf die Billigkeit ankam bisher gescheitert, weil die Versorgerbuchhalter mit den Verbrauchern Schlitten fahren, man sich darauf beruft, dass alles außer dem Namen des Unternehmens sowieso geheim sei, und so weiter.

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