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Autor Thema: Verjährung von Rückforderungsansprüchen der Sondervertragskunden - Zeit der Gegenrechnungen  (Gelesen 191060 mal)

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Offline Gas-Rebell

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@ reblaus

Sodass es darauf ankäme, zunächst einmal Argumente dafür zu finden, dass kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis abgegeben wurde. Denn andernfalls könnte der Verbraucher ja Rückforderungsansprüche nur in Bezug auf die Zeit erheben, ab der er erkannt hat (z.B. aufgrund von Medienberichten über das BGH-Urteil vom 29.04.2008 ), dass auch seine Preisklausel ggf. unwirksam sein könnte und er deshalb die in der folgenden Jahresrechnung ausgewiesenen erhöhten Preise entsprechend zum ersten Mal gerügt hat.

Offline reblaus

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Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis hat als zwingende Voraussetzung, dass Streit oder zumindest eine subjektive Ungewissheit über das Bestehen der Schuld, die durch Zahlung anerkannt wird, besteht. Es wird somit keine abstrakte Vereinbarung über die Schuld getroffen, sondern die Vereinbarung basiert auf den konträren Ansichten über das Bestehen oder Nichtbestehen der Schuld. Hierfür ist aber unbedingt notwendig, dass beiden Parteien dieser Streit bzw. die subjekive Ungewissheit positiv bekannt sind.

Diese positive Kenntnis besteht aber nur bezüglich der Billigkeit oder Unbilligkeit der unterjährigen Preiserhöhung, nicht jedoch über die Wirksamkeit der Preiserhöhungsklausel. Es wird somit vereinbart, dass die unterjährige Preiserhöhung auch für die Zukunft gelten soll. Diese Preiserhöhung ist aber tatsächlich gar nicht existent. Es wird daher eine Vereinbarung über nicht vorhandenes getroffen, die Willenserklärungen gehen dadurch ins Leere.

Offline Gas-Rebell

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Wie würden Sie das formulieren, wenn Sie ein Gericht in der Klageschrift prophylaktisch von der Fehlerhaftigkeit der vom LG Köln vertretenen Auffassung überzeugen wollten, dass mit dem widerspruchslosen Weiterbezug von Gas in der Jahresrechnung ausgewiesene erhöhte Preise auch dann konkludent akzeptiert seien, wenn für die Forderung und Zahlung aufgrund einer unwirksamen Preisanpassungsklausel kein Rechtsgrund bestand?

Ließe sich da ggf. über einen Umkehrschluss des § 814 herleiten, dass das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete jedenfalls zurückgefordert werden kann, wenn der Leistende nicht gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war?

Offline reblaus

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@Gas-Rebell
Das ist doch gerade der Tatbestand des § 812 BGB.

Offline Gas-Rebell

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@ reblaus
Ist mir schon klar. Aber dem LG Köln offenbar nicht. Denn wie kann es sonst sein, dass man dort ungeachtet der Nichtkenntnis des Verbrauchers zu dem Urteil kommt, dass  in der Jahresrechnung ausgewiesene erhöhte Preise bei widerspruchsloser Zahlung und Weiterbezug von Gas auch dann konkludent akzeptiert seien, wenn für die Forderung und Zahlung aufgrund einer unwirksamen Preisanpassungsklausel kein Rechtsgrund bestand.

Da auch andere Gerichte offenbar eine gewisse (politische?) Neigung zu gleicher Rechtsprechung zeigen, tut es m.E. dringend not, schon in der Klageschrift prophylaktisch darauf hinzuweisen, dass etwaige Rechtsüberlegungen, die den Aspekt des Wissens des Verbrauchers um den fehlenden Rechtsgrund außer Acht lassen, fundamental fehl gehen.

Konkret stellt sich die Frage, wie man das am besten vortragen würde. Sinnvoll erscheint es mir, den Kenntnisaspekt, der in § 812 BGB nicht explizit zur Sprache kommt, über den Umweg eines Umkehrschlusses des § 814 BGB aufs Tapet zu bringen.

Offline reblaus

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Es geht nicht um Bereicherungsrecht in dieser Frage.

Die Kernfrage ist, ob dem Verbraucher bei der Zustimmung ein unbeachtlicher Motivirrtum unterlaufen ist. Dies wäre der Fall, wenn er eine abstrakte Preisvereinbarung getroffen hätte. Dann ist es irrelevant aus welchen Gründen er seine Zustimmung erteilt hat, und ob er über alle rechtlichen Umstände informiert war.

Eine abstrakte Preisvereinbarung kommt aber nach meiner Ansicht nicht in Frage.

Würde abstrakt ein neuer Preis vereinbart, wäre sofort die Frage zu stellen, warum? Es gibt schließlich ein vertragliches einseitiges Preisanpassungsrecht des Versorgers. Wird von diesem Recht abgewichen, beinhaltet dies, dass dieses Recht aufgegeben werden soll. So hat der Versorger die Gasentnahme des Kunden aber nicht verstanden, da er bei der nächsten Preiserhöhung von diesem Recht wieder Gebrauch macht.

Daher kann kein abstrakter Preis vereinbart sondern lediglich eine Vereinbarung darüber getroffen worden sein, dass die einseitige Preisfestsetzung des Versorgers in vertraglicher Weise vorgenommen wurde, und dieser Preis zum Vertragspreis werden soll. In diesem Fall wirkt sich der Irrtum über die Vertragsgrundlage direkt auf den vereinbarten Preis aus. Es gibt ihn nämlich gar nicht, und über nicht existente Dinge können keine Vereinbarungen getroffen werden.

Offline Gas-Rebell

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Zitat
Original von reblaus
Es geht nicht um Bereicherungsrecht in dieser Frage.

Die Kernfrage ist, ob dem Verbraucher bei der Zustimmung ein unbeachtlicher Motivirrtum unterlaufen ist.
Da tun sich für mich folgende Fragen auf:

1. Aus welchen Gründen ist das Bereicherungsrecht hier subsidiär zur Frage eines evtl. Motivirrtums zu sehen?
 
2. Kann die Nichtbeanstandung einer Rechnung mit erhöhten Preisen unter Weiterbezug von Gas überhaupt irgendeinen schlüssigen Erklärungsgehalt im Sinne von Zustimmung haben? (Stichworte: Angebot, Annahme, Erklärungsbewusstsein)

3. Als gesetzlich geregelte Ausnahme zur Unbeachtlichkeit des Motivirrtums wird ein Irrtum über wesentliche Eigenschaften angesehen. Gehen beide Parteien bei ihren Handlungen nicht davon aus, dass eine wesentliche Eigenschaft des Erhöhungsverlangens in dessen Rechtmäßigkeit besteht? Zum Beispiel auf Basis einer vermeintlich gültigen, jedoch sich im Nachhinein als unwirksam herausstellenden Preisanpassungsklausel?

4. Gab es da nicht auch mal (ich glaube in BGH X ZR 60/04) den Gedanken, dass Zahlungen auf Verbrauchsabrechnungen immanent unter einem konkludenten Vorbehalt erfolgen?

Zitat
Würde abstrakt ein neuer Preis vereinbart, wäre sofort die Frage zu stellen, warum? Es gibt schließlich ein vertragliches einseitiges Preisanpassungsrecht des Versorgers. Wird von diesem Recht abgewichen, beinhaltet dies, dass dieses Recht aufgegeben werden soll. So hat der Versorger die Gasentnahme des Kunden aber nicht verstanden, da er bei der nächsten Preiserhöhung von diesem Recht wieder Gebrauch macht. .... Daher kann kein abstrakter Preis vereinbart sondern lediglich eine Vereinbarung darüber getroffen worden sein, dass die einseitige Preisfestsetzung des Versorgers in vertraglicher Weise vorgenommen wurde, und dieser Preis zum Vertragspreis werden soll.
Das verstehe ich nicht. Ich dachte, der Versorger habe aufgrund der unwirksamen Klausel gerade KEIN vertragliches Preisanpassungsrecht?

Offline reblaus

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Das Bereicherungsrecht ist bei diesem Rechtsproblem nicht subsidiär sondern nicht einschlägig. Hier geht es um die Frage, ob und wenn ja wie ein Vertrag geändert wurde. Das Bereicherungsrecht ist nur anzuwenden, wenn klar ist, dass es keinen Rechtsgrund gab.

Eine Erfüllungshandlung kann nur im Rahmen eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses eine Erklärung beinhalten. Dies nur dann, wenn Streit über die zu erfüllende Leistung besteht, oder zumindest eine beiden Seiten bekannte Ungewissheit vorliegt. Dann sagt der Erfüllende, dass er mit der Erfüllung diesen Streit beilegen oder die Ungewissheit beseitigen möchte. In der Einforderung der Leistung liegt das Angebot. Aufgrund von § 2 GasGVV überträgt der BGH diese Rechtsprechung bezüglich einer solchen Erfüllungshandlung auch auf Grundversorgungsverträge.

Der BGH hat entschieden, dass \"der zuvor einseitig erhöhte Preis\" zum Vertragspreis wird. Aufgrund der Einschränkungen bei der Auslegung von Erfüllungshandlungen ist dies nur dahingehend zu verstehen, dass der vereinbarte Preis die wesentliche Eigenschaft haben muss, zuvor einseitig erhöht worden zu sein. Es ist schließlich der Kern der Vereinbarung, dass die einseitige Preiserhöhung akzeptiert wird. Der BGH wiederholt diese Voraussetzungen im übrigen in drei Entscheidungen viermal. Diese wesentliche Eigenschaft ist auch deshalb erforderlich, weil ansonsten die Preisvereinbarung in der Grundversorgung dazu führen würde, dass das gesetzliche Preisanpassungsrecht nicht mehr angewendet würde. Mit der erstmaligen Vereinbarung eines abstrakten Preises würden die Parteien das bisherige Grundversorgungsverhältnis in ein Sondervertragsverhältnis umwandeln, weil sie vom gesetzlichen Preisänderungsrecht abweichen würden.

Zum Zeitpunkt der beabsichtigten Preisvereinbarung gehen beide Seiten davon aus, dass ein vertragliches Preisanpassungsrecht besteht. Diese Fehlinformation muss bei der Auslegung ihrer Willenserklärung berücksichtigt werden.

Offline Christian Guhl

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Zitat
Original von Gas-RebellIch dachte, der Versorger habe aufgrund der unwirksamen Klausel gerade KEIN vertragliches Preisanpassungsrecht?
Das sehen die Versorger anders. Vor einigen Stunden konnte man beim LG Hamburg einen ellenlangen Vortrag von Herrn Dr.Tüngler anhören, in dem doch tatsächlich behauptet wurde, auch bei unwirksamer Preisanpassungsklausel könnten die Versorger zumindest die gestiegenen Beschaffungskosten an die Kunden weitergeben. :rolleyes:

Offline Gas-Rebell

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@ Christian Guhl

Sie meinen wahrscheinlich den Dr. Stefan Tüngler von Freshfields Bruckhaus Deringer. Welches Verfahren wurde da am LG verhandelt? Und was war die Begründung für seine Ansicht?

@ reblaus

Was bedeutet das nun summarisch in Bezug auf Streitigkeiten um Sonderverträge mit unwirksamer Preisanpassungsklausel?

Offline Christian Guhl

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Genau dieser Dr.Tüngler war es. Die Verhandlung war die Sammelklage gegen Eon-Hanse. Als Begründung wurde angeführt, dass kein Festpreis vereinbart war. Den Kunden war von vornherein klar, dass sich die Preise ändern würden. Für diese Ansicht würde auch sprechen, dass einige Kunden freiwillig einen Aufschlag von 2% gezahlt hätten.

Offline Gas-Rebell

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@ Christian Guhl

Und was meint das Gericht?

Offline reblaus

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@Gas-Rebell
So ein ganz normaler Gasverbraucher, der sich etwas in die Materie eingearbeitet hat, sind Sie definitiv nicht. Ich habe ja früher schon anklingen lassen, dass ich den Eindruck habe, dass man mich hier testen will, wieviel Ahnung ich tatsächlich habe.

Im Ergebnis sehe ich meine Theorie Wort für Wort in der Begründung des BGH bestätigt.

Der Sockelpreis kommt folgendermaßen zustande. Der Kunde bezahlt die Jahresabrechnung und wartet eine angemessene Frist ab, ohne zu widersprechen. Mit dieser Handlung erkennt er den zuvor einseitig erhöhten Preis als in vertragsgemäßer Weise verändert für die Abrechnungsperiode an. Wenn er danach auch weiterhin Gas aus dem Netz entnimmt, erstreckt sich die Vereinbarung des einseitig geänderten Preises auch auf die Zukunft.

Bei Sonderverträgen mit unwirksamer Preisanpassungsklausel ist diese Rechtsprechung allein deshalb nicht anwendbar, weil es wegen der unwirksamen Klausel keinen einseitig erhöhten Preis gibt. Die Bemühung des Versorgers, den Preis unterjährig zu erhöhen, geht mangels wirksamer Vereinbarung ins Leere. Da es keinen einseitig erhöhten Preis gibt, gehen auch die folgenden \"Erklärungen\" der Parteien aus der Abrechnung bzw. der Zahlung und Gasentnahme ins Leere.

Der anfängliche Vertragspreis bleibt über die gesamte Vertragslaufzeit unverändert.

Offline Christian Guhl

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@gas-rebell
Urteilsverkündung ist am 27.Oktober. Dann werden wir es wissen.

Offline Gas-Rebell

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Zitat
Original von reblaus
@Gas-Rebell
So ein ganz normaler Gasverbraucher, der sich etwas in die Materie eingearbeitet hat, sind Sie definitiv nicht. Ich habe ja früher schon anklingen lassen, dass ich den Eindruck habe, dass man mich hier testen will, wieviel Ahnung ich tatsächlich habe.
Sie können sich ganz entspannt zurücklehnen. Ich habe nicht die Absicht, Sie hier zu testen, sondern möchte das Thema schlicht unter möglichst vielen verschieden Aspekten beleuchten, um zu einem möglichst rechtssicheren Ergebnis zu gelangen.

Zitat
Bei Sonderverträgen mit unwirksamer Preisanpassungsklausel ist diese Rechtsprechung allein deshalb nicht anwendbar, weil es wegen der unwirksamen Klausel keinen einseitig erhöhten Preis gibt. Die Bemühung des Versorgers, den Preis unterjährig zu erhöhen, geht mangels wirksamer Vereinbarung ins Leere. Da es keinen einseitig erhöhten Preis gibt, gehen auch die folgenden \"Erklärungen\" der Parteien aus der Abrechnung bzw. der Zahlung und Gasentnahme ins Leere.   Der anfängliche Vertragspreis bleibt über die gesamte Vertragslaufzeit unverändert.
Wenn ich Sie recht verstehe, heißt das, dass eine konkludente Annahmeerklärung durch widerspruchslose Zahlung (für die Vergangenheit) und weitere Gasentnahme (für die Zukunft) nur dann möglich ist, wenn die Forderung eines erhöhten Preises, auf die sie sich bezieht, gerechtfertigt ist, der erhöhten Preisforderung also entweder aufgrund eines gesetzlich zugestandenen oder vertraglich wirksam vereinbarten Preisanpassungsrechts, ein Recht zur Erhebung zugrunde liegt.

Aber kann nicht auch eine Forderung wirksam (explizit oder konkludent) angenommen werden, die unberechtigt, mithin ohne Rechtsgrund erhoben wurde? Wie z.B. im einfachsten Fall, wenn ich zu jemandem sagte \"Gib mir 500 Euro.\" und dieser meiner Forderung ohne weiteres Folge leistet (unbeachtlich des evtl. Motivirrtums, dass er dies tat, weil er XY dachte)? Oder auch, wenn beide Parteien bei ihren Handlungen sich in irrtümlichem Konsens darüber befinden, dass die Forderung zu Recht erhoben und bedient wird (wie z.B. hier aufgrund einer sich im Nachhinein als unwirksam herausstellenden Preisanpassungsklausel)?

@ Christian Guhl
Hat das Gericht im Termin tatsächlich keinerlei eigene Sachverhalts- und Rechtseinschätzung geäußert und nur auf die Urteilsverkündung verwiesen?

 

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