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Autor Thema: Rückforderung überzahlter Gaspreise gestaltet sich zäh  (Gelesen 27474 mal)

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Offline khh

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Re: Rückforderung überzahlter Gaspreise gestaltet sich zäh
« Antwort #15 am: 17. Oktober 2013, 13:19:51 »
Eon-Avacon versucht sich nun um die Rückzahlung zu drücken, in dem behauptet wird, dass sich das Urteil nur auf die Klausel aus der AVBGasV bezieht. Diese sei aber nicht Vertragsbestandteil, da sie durch die GasGVV ersetzt worden sei.

Diese Auffassung von E.ON Avacon zum BGH-Urteil VIII ZR 162/09 vom 31.07.2013 ist aber nicht vereinbar mit der Information des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) im Newsletter vom 17.10.2013  –  Auszug:
Zitat
... ist das Urteil ... auch auf Normsonderkundenverträge mit Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung übertragbar, soweit diese in ihren AGB auf die alte ABVEltV oder auf die heutigen Gas- und Strom-Grundversorgungsverordnung (GasGVV bzw. StromGVV ) Bezug nehmen. ...
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Offline khh

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Re: Rückforderung überzahlter Gas-(und Strom-)preise gestaltet sich zäh
« Antwort #16 am: 23. Januar 2014, 18:55:12 »
Im Board "Stadtwerke Kaiserslautern > SW Kaiserslautern verklagen weitere Kunden" wurde heute der sehr interessante nachstehende Beitrag eingestellt :):
Rechtsstreit vor dem Landgericht Kaiserslautern Az: HK O 11/08

Terminsbericht:

1. Die Parteien haben die mündliche Verhandlung vom 21.01.2014 vor dem Landgericht Kaiserslautern wahrgenommen. Es gab einen neuen Vorsitzenden. Dieser hat sehr informiert in den Sach- und Streitstand eingeführt. Er hat die Parteien auf Folgendes hingewiesen:

2. Die Klägerin, ehemalige Gasanstalt Kaiserslautern heutige Stadtwerke Kaiserslautern haben keine Preisänderungsbefugnis in ihren ehemaligen Sondervertragsverhältnissen im Bezug der Sonderpreistarife. Dies ist geklärt seit der Entscheidung des BGH vom 31.07.2013.

3. [...]

Das sollte doch alle Gas- und Stromkunden ermuntern, ihre aktuellen und vormaligen Sonderverträge der letzten 3 bis 4 Jahre dahingehend zu prüfen, ob Rückforderungsansprüche geltend gemacht werden (mindestens aber ein erstmaliger Widerspruch eingelegt wird), sofern allein eine AGB-Preisänderungsklausel analog § 5 Abs. 2 der Gas- bzw. StromGVV verwendet wurde/wird.
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Offline Ingelore

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Re: Rückforderung überzahlter Gaspreise gestaltet sich zäh
« Antwort #17 am: 20. März 2014, 11:27:06 »
Das ist ja mal wieder typisch. Bei Rückständen beim Verbraucher werden sofort harte Bandagen angelegt. Aber sobald die Konzerne was zurück zahlen müssen, zögern die das bis zum Sankt Nimmerleinstag hinaus. Da bleibt nur, hartnäckig zu sein, und alle möglichen rechtlichen Schritte einzuleiten.

Offline khh

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Re: Rückforderung überzahlter Gaspreise gestaltet sich zäh
« Antwort #18 am: 20. März 2014, 12:30:14 »
... Da bleibt nur, hartnäckig zu sein, und alle möglichen rechtlichen Schritte einzuleiten.

Hallo Ingelore,

genau richtig. Und haben Sie schon die AGB zu Ihrem Gas- und Stromvertrag geprüft,
ob diese womöglich die besagte unwirksame Preisanpassungsklausel beinhalten,
was Rückforderungsansprüche für die zurückliegenden Jahre begründen würde ?

Gruß, khh
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Offline Ingelore

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Re: Rückforderung überzahlter Gaspreise gestaltet sich zäh
« Antwort #19 am: 21. März 2014, 09:49:27 »
@khh: nein, das habe ich tatsächlich noch nicht gemacht. Aufgrund Ihres Beitrags wollte ich nachschauen und habe festgestellt, dass ich die AGBs gar nicht habe. Jedenfalls kann ich sie auf die Schnelle nicht finden. Dort, wo sie sein sollten, sind sie nicht. Entweder habe ich sie verlegt, was ich nicht glaube, oder ich habe tatsächlich keine erhalten. Darum muss ich mich die nächsten Tage kümmern.

Offline khh

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Re: Rückforderung überzahlter (Strom- und) Gaspreise gestaltet sich zäh
« Antwort #20 am: 07. November 2014, 08:05:34 »
Die Verbraucherzentrale Hamburg hat eine (allerdings leider wohl nicht vollständige) Liste der Gasanbieter zusammengestellt, die ähnliche Klauseln haben bzw. hatten, wie sie im RWE-Urteil des EuGH v. 21.03.2013
(Az. C-92/11) und des BGH v. 31.07.2013 (Az. VIII ZR 162/09) für unwirksam erklärt wurden  -  siehe hier: http://www.vzhh.de/energie/341163/Liste%20Gasanbieter.pdf !

Dazu ein aktuelles Urteil des Landgericht Hamburg vom 04.11.2014, Az. 312 O 17/14 (Sammelklage VZ ./. Vattenfall)  -  siehe hier:  http://www.vzhh.de/energie/354346/vattenfall-gaspreisklausel-unwirksam.aspx !


Die Sondervertragskunden Gas und Strom, deren EVU ebenfalls diese sogen. "GVV-Klausel" als AGB-Preisänderungsklausel verwenden/verwendet haben, sollten Ihre Rückforderungsansprüche jetzt unverzüglich gegenüber dem Versorger geltend machen, bevor Forderungen aus 2011 zum Jahresende 2014 verjähren!

Zur Erinnerung: Widerspruch ist möglich gegen alle Preiserhöhungen, die in Verbrauchsabrechnungen enthalten sind, welche innerhalb der zurückliegenden drei Jahre zugegangen sind (Beispiel: erstmaliger Widerspruch des Kunden am 07.11.2014, Eingang bei EVU am 10.11.2014 = Widerspruch möglich gegen die seit dem 10.11.2011 beim Kunden zugegangene Abrechnungen). 
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Offline uwes

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Re: Rückforderung überzahlter (Strom- und) Gaspreise gestaltet sich zäh
« Antwort #21 am: 07. November 2014, 16:00:55 »
Die Sondervertragskunden Gas und Strom, deren EVU ebenfalls diese sogen. "GVV-Klausel" als AGB-Preisänderungsklausel verwenden/verwendet haben, sollten Ihre Rückforderungsansprüche jetzt unverzüglich gegenüber dem Versorger geltend machen, bevor Forderungen aus 2011 zum Jahresende 2014 verjähren!
Ergänzung:

Nur die gerichtliche Geltendmachung (keine Feststellungsklage!)  kann den Eintritt der Verjährung von Forderungen aus überzahlten Rechnungen des Versorgers verhindern.

Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline khh

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Re: Rückforderung überzahlter Gas- und Strompreise der Sondervertragskunden
« Antwort #22 am: 07. November 2014, 17:19:45 »
Danke für diese Ergänzung. Notfalls kann die Verjährung der Rückforderungsansprüche aus 2011 also auch mit einem noch rechtzeitig in 2014 beantragten gerichtlichen Mahnbescheid für ca. 1/2 Jahr gehemmt werden (u.U. erreicht man das für die Dauer des Verfahrens sogar mit einem in 2014 gestellten Schlichtungsantrag bei der Schlichtungsstelle Energie e.V.?).

Fast wichtiger als eine Verjährungsvermeidung für die Ansprüche aus 2011 ist m.E., dass man sich einen möglichst weit zurückliegenden "vereinbarten" Preis sichert. Dazu ein Beispiel: In unserer Region werden die Strom-Sonderverträge des Grundversorgers (E.ON) immer Mitte Dez. des Jahres abgerechnet. Wenn hiesige Kunden kurzfristig den unwirksamen Preiserhöhungen erstmalig widersprechen, dann entfaltet dieser Widerspruch noch Wirkung auf die Mitte Dez. 2011 zugegangene Jahresrechnung und somit auch für eine bspw. am 01.01.2011 erfolgte Preiserhöhung. Für Rückforderungsansprüche aus 2012 und ggf. Folgejahre ist dann der vor dem 01.01.2011 geltende Preis zugrunde zu legen.

Also nochmals mein Appell an alle Gas- und Strom-Sondervertragskunden: Die AGB der eigenen Verträge dahingehend prüfen, ob der Versorger in den zurückliegenden Jahren (oder immer noch) die sogen. "GVV-Preis-änderungsklausel" verwendet (hat). Falls ja, dann zumindest den Widerspruch zügig auf den Weg bringen !!!
« Letzte Änderung: 08. November 2014, 09:02:59 von khh »
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Offline uwes

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Re: Rückforderung überzahlter Gas- und Strompreise der Sondervertragskunden
« Antwort #23 am: 13. November 2014, 17:03:57 »
Wenn hiesige Kunden kurzfristig den unwirksamen Preiserhöhungen erstmalig widersprechen, dann entfaltet dieser Widerspruch noch Wirkung auf die Mitte Dez. 2011 zugegangene Jahresrechnung und somit auch für eine bspw. am 01.01.2011 erfolgte Preiserhöhung. Für Rückforderungsansprüche aus 2012 und ggf. Folgejahre ist dann der vor dem 01.01.2011 geltende Preis zugrunde zu legen.

Ich sehe das - jetzt - nach der EuGH Entscheidung anders.
http://forum.energienetz.de/index.php/topic,18993.msg111685.html#msg111685

Mit den Entscheidungen vom 14.7.2010 VIII ZR 246/08 und – wichtig – vom 9.2.2011 VIII ZR 295/09 (EWE Oldenburg) hat der VIII. Zivilsenat des BGH nämlich ausgeführt, dass sich die (in der Entscheidung genannten) Fälle nicht auf Sachverhalte übertragen ließen, in denen es gänzlich an einem Preisänderungsrecht fehle. Dort fände eine Billigkeitskontrolle für Erhöhungen gar nicht statt, wenn diese unwirksam sind. Eine Billigkeitskontrolle der bei Vertragsschluss vereinbarten Preise käme ebenfalls nicht in Betracht.

Dazu lässt sich meines Erachtens folgendes festhalten.

Preisänderungen seit dem 1.7.2004 (Ablauf der Umsetzungsfrist oder – falls der Vertragsschluss später erfolgte – seit Vertragsbeginn) sind unwirksam, ohne dass es auf einen Widerspruch des Kunden ankam.
Eine Rückwirkung  kann im Falle eines fehlenden Widerspruchs des Kunden nicht auf den 3- Jahres – Zeitraum beschränkt werden, weil zum einen der EuGH  diese Rechtsfrage bereits in der Entscheidung vom 23.10.2014 abschließend ausgeurteilt hat und der VIII Senat in den o.g. Entscheidungen ausdrücklich diese Besonderheiten seiner Rechtsprechung (Vertrag durch Schweigen des Verbrauchers) berücksichtigt hat und dem Widerspruch des Tarifkunden (nur) dann Bedeutung im Sinne einer Rechtsfolge zukommen ließ, wenn der Versorger überhaupt ein Preisanpassungsrecht hatte.

Somit kann der Kunde einer Preisänderung auch nicht durch Schweigen zugestimmt haben, wenn der (Grund-)versorger sich gar nicht auf eine Änderungsmöglichkeit im Sinne der GasGVV berufen kann.

Hat der Kunde den einseitig auf der Basis der o.g. Verordnungen vom Versorger vorgenommenen Preisänderungen widersprochen, stellt sich diese Frage ohnehin nicht, weil alle Preisänderungen seit Ablauf der Umsetzungsfrist unwirksam waren und  der EuGH eine Begrenzung der Rückwirkung abgelehnt hat.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline khh

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Re: Rückforderung überzahlter Gas- und Strompreise der Sondervertragskunden
« Antwort #24 am: 13. November 2014, 18:20:28 »
... Eine Rückwirkung  kann im Falle eines fehlenden Widerspruchs des Kunden nicht auf den 3- Jahres – Zeitraum beschränkt werden, weil ... der VIII Senat in den o.g. Entscheidungen ausdrücklich diese Besonderheiten seiner Rechtsprechung (Vertrag durch Schweigen des Verbrauchers) berücksichtigt hat und dem Widerspruch des Tarifkunden (nur) dann Bedeutung im Sinne einer Rechtsfolge zukommen ließ, wenn der Versorger überhaupt ein Preisanpassungsrecht hatte.
Somit kann der Kunde einer Preisänderung auch nicht durch Schweigen zugestimmt haben, wenn der (Grund-)versorger sich gar nicht auf eine Änderungsmöglichkeit im Sinne der GasGVV berufen kann.
Hat der Kunde den einseitig auf der Basis der o.g. Verordnungen vom Versorger vorgenommenen Preisänderungen widersprochen, stellt sich diese Frage ohnehin nicht, weil alle Preisänderungen seit Ablauf der Umsetzungsfrist unwirksam waren und der EuGH eine Begrenzung der Rückwirkung abgelehnt hat.

Gilt das auch für Sonderverträge (Thema dieses Threads) mit der GVV-Regelung als AGB-Preisänderungsklausel (Urteile EuGH v. 21.03.2013 und BGH v. 31.07.2013) ? 
« Letzte Änderung: 16. November 2014, 18:58:21 von khh »
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Offline uwes

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Re: Rückforderung überzahlter Gas- und Strompreise der Sondervertragskunden
« Antwort #25 am: 18. November 2014, 17:18:33 »
Gilt das auch für Sonderverträge (Thema dieses Threads) mit der GVV-Regelung als AGB-Preisänderungsklausel (Urteile EuGH v. 21.03.2013 und BGH v. 31.07.2013) ?

Diese Frage ist angesichts der bisher entgegenstehenden Rechtsprechung des BGH wie folgt zu beantworten.

Der VIII. Zivil(rechtserfindungs-)senat hat zuletzt in seiner Entscheidung vom 23.1.2013 Az. VIII ZR 305/11 ausgeführt:

Zitat
Wie der Senat - nach Erlass des Berufungsurteils - entschieden hat, ist diese Lücke im Vertrag (gemeint ist der "planwidrige Wegfall eines Preisänderungsrechts - meine Anm.) im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO Rn. 21 ff., und VIII ZR 93/11, aaO Rn. 26 ff.; jeweils mwN).

Der Senat hatte einen "Normsonderkundenvertrag" zu beurteilen und sich von der Vorstellung leiten lassen, die Parteien hätten eine Preisklausel vereinbart. Er führt aus:

Zitat
Denn die Aufnahme eines Preisänderungsrechts zeigt den Willen der Parteien, dass der Kunde - und nicht das Versorgungsunternehmen - Preisänderungen tragen soll, die etwa auf Veränderungen der Brennstoffbezugskosten oder der Lohn- und Materialkosten zurückgehen.

Letztlich hatte das Urteil zum einen den Zweck, die dem Versorgungsunternehmen drohenden Nachteile durch die rückwirkende Beseitigung des Preisänderungsrechts etwas zu reduzieren, mithin die Rückwirkung zu begrenzen- und zum anderen  den Parteien zu verdeutlichen, dass sie ja ein Preisänderungsrecht vereinbaren wollten.

Nun muss diese Rechtsprechung aber erneut auf den Prüfstand.

Der EuGH  hat in beiden Entscheidungen, die Normsonder- und Tarifkunden betreffen, die "Begrenzung der Rückwirkung" aber abgelehnt. Markert http://files.enreg.eu/material/2013/06.05.2013.Markert.pdf sagt hierzu richtig:
Zitat
Eine „Heilung“ durch Begrenzung dieser Rechtsfolge auf die Zeit nach der gerichtlichen Entscheidung ist den nationalen Gerichten verwehrt. Nur der EuGH selbst kann in seltenen Ausnahmefällen die Wirkung seiner Auslegung in dieser Weise begrenzen, was er jedoch in seinem Urteil vom 21.3.2013 ausdrücklich abgelehnt hat. Da die nationalen Gerichte über die Wirksamkeit von Vertragsbestimmungen immer nur fallbezogen entscheiden können, scheidet eine entsprechende Kompetenz von vornherein aus. Eine geltungserhaltende Reduktion unwirksamer AGB-Bestimmungen durch Verkürzung des Zeitraums ihrer Durchsetzbarkeit ist schon im deutschen AGB-Recht ausgeschlossen.

Nun gibt es natürlich noch den § 306 BGB. Hiernach ist ein Vertrag unwirksam, wenn das Festhalten an ihm für eine Partei eine unzumutbare Härte darstellen würde. Das wäre u.U. der Fall, wenn sich ein Kunde auf den Energiepreis vom 1.7.2004 (Ende der Umsetzungsfrist der Strom- und Gasrichtlinien der EG) berufen sollte für Zeiträume, in denen das EVU vielleicht selbst höhere Beschaffungskosten hätte. Allerdings vertritt Herr Markert die m.E. richtige Auffassung:
Zitat
Nach dem EuGH-Urteil vom 14.6.2012, C–618/10, ist auch die„Fristenlösung“ des VIII. Zivilsenats des BGH EU-rechtlich nicht haltbar. Denn nach diesem Urteil ist es nach Art. 6 Abs. 1 der Klauselrichtlinie 13/93 den nationalen Gerichten verwehrt, den Inhalt einer nach dieser Richtlinie unwirksamen Klausel abzuändern, anstatt „schlicht deren Anwendung gegenüber dem Verbraucher auszuschließen.“ (Rn. 71 - Hervorhebung hinzugefügt). Der BGH meint zwar in seinen Urteilen vom 23.1.2013, damit sei nur die geltungserhaltende Reduktion unwirksamer Klauseln ausgeschlossen und hat deshalb zur ergänzenden Vertragsauslegung im Sinne seiner „Fristenlösung“ von einer Vorlage an den EuGH abgesehen. Da dies aber nur der EuGH selbst verbindlich beantworten kann, hat der Senat
damit gegen seine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verstoßen. Nach Art. 6 Abs. 1 Halbs. 2 RL 13/93 bleibt der Vertrag ohne die missbräuchliche Klausel für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend, wenn er ohne diese Klausel bestehen kann. Dies schließt in aller Regel auch die Anwendung des § 306 Abs. 3 BGB wegen unbilliger Härte aus, dessen Anwendbarkeit aber ohnehin schon nach deutschem AGB-Recht auf seltene Ausnahmefälle begrenzt ist.

Nach dieser - für mich richtigen - Auffassung ist es daher einem Normsonderkunden nicht verwehrt, sich auf den vertraglichen "Anfangspreis" zu berufen auch wenn dieser außerhalb eines Zeitraums von 3 Jahren vereinbart wurde und der Kunde die nachfolgenden Preisänderungen nicht beanstandet hat. (vgl. auch http://www.pontepress.de/pdf/u2_201302.pdf Markert, ZNER 2013, 156

Ist sicherlich etwas kompliziert aber nach den eindeutigen Entscheidungen des EuGH die rechtlich logische Konsequenz.

« Letzte Änderung: 18. November 2014, 19:28:57 von uwes »
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline khh

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Re: Rückforderung unwirksamer Gas- und Strompreiserhöhungen
« Antwort #26 am: 18. November 2014, 19:32:05 »
Hallo Uwes,

vielen Dank für diese sehr ausführliche und fundierte Stellungnahme. Es ist nunmehr Sache der (vermutlich vielfach) betroffenen Gas- und Stromkunden, berechtigte Rückforderungsansprüche jetzt geltend zu machen!

Gruß, khh
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Offline userD0010

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Re: Rückforderung überzahlter Gaspreise gestaltet sich zäh
« Antwort #27 am: 19. November 2014, 07:34:53 »
Da ist es dann wohl allerhöchste Zeit, noch im Jahr 2014 die jeweiligen Rückforderungsansprüche für die vergangenen 10 Jahre zu stellen, da in 2004 wohl die danach folgenden stärksten Preissprünge festzustellen waren. Überlegenswert ist aber noch, ggf.bei Sonderverträgen sämtliche seit Vertragsabschluss geforderten Preiserhöhungen zurückzuverlangen, oder ?

Offline Energietourist

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Re: Rückforderung überzahlter Gaspreise gestaltet sich zäh
« Antwort #28 am: 19. November 2014, 14:06:39 »
nun ja, 10 Jahre sind ein langer Zeitraum. In diesen 10 Jahren wurden mit Sicherheit einige Preisprotestler vor Amtsgerichten zur Zahlung verurteilt und die Leute zahlten. Wie man jetzt weiß, waren diese Urteile "falsch". Können diese Leute auch noch was tun, oder haben sie einfach Pech gehabt?

Offline Didakt

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Re: Rückforderung überzahlter Gaspreise gestaltet sich zäh
« Antwort #29 am: 19. November 2014, 15:33:09 »
nun ja, 10 Jahre sind ein langer Zeitraum. In diesen 10 Jahren wurden mit Sicherheit einige Preisprotestler vor Amtsgerichten zur Zahlung verurteilt und die Leute zahlten. Wie man jetzt weiß, waren diese Urteile "falsch". Können diese Leute auch noch was tun, oder haben sie einfach Pech gehabt?

Sie haben einfach Pech gehabt! >:( Das lag aber nicht nur an der damaligen Gesetzes-/Rechtslage, sondern auch an inkompetenten Richtern, die wenig Ahnung vom Energierecht hatten!

Zitat
Prozessuale Wirkung gerichtlicher Entscheidungen (Urteil, Beschluss)

Mit dem Eintritt der Rechtskraft wird die im Urteil niedergelegte Entscheidung endgültig.
Die formelle Rechtskraft ist Voraussetzung für die materielle Rechtskraft.
Durch die materielle Rechtskraft ist das Urteil für die Zukunft bindend.
Ein zweiter Prozess über denselben Streitgegenstand ist unzulässig.
Weitere Einzelheiten siehe auch hier.
« Letzte Änderung: 19. November 2014, 15:48:09 von Didakt »

 

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