Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Wie gehen Widersprüchler langfristig mit der rasanten Erhöhung der Gaspreise um?
RR-E-ft:
@Black
Ich meine, dass ein Tarifkundenvertrag wegen des bestehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrechts immer ohne Preisvereinbarung abgeschlossen wird. Dass ein Tarifkundenvertrag ohne Preisvereinbarung abgeschlossen wird, ergibt sich m. E. aus der Entscheidung BGH, Urt. v. 30.04.2003 - VIII ZR 278/02 = NJW 2003, 3131, Urt. v. 30.04.2003 - VIII ZR 279/02).
Die Annahme einer Preisvereinbarung bei gleichzeitig bestehendem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des einen Vertagsteils verstößt gegen Denkgesetze, als das eine nach den Gesetzen der Logik das andere ausschließt. Den Hintergrund dazu hat m. E. Prof. Schwintowski von der HU Berlin in einem umfassenden Rechtsgutachten vgl. Seite 9 ff. zutreffend herausgearbeitet. Gezahlt werden soll nach Vertragsabschluss der Preis, der sich aus dem jeweiligen Preisblatt des Unternehmens ergibt, von dem der Kunde nicht weiß, wie er zustande kommt.
Es gibt keine Gesetze, was man denken darf, sondern Gesetze, wie man denken soll, nämlich die Gesetze der Logik. Ob diese von der Rechtsprechung eingehalten werden, kontrolliert u.a. auch der achte Zivilsenat des BGH (vgl. Urt. v. 29.11.2006 - VIII ZR 92/06 Tz. 21)
--- Zitat ---Ob der Verkäufer danach eine Garantie für die Beschaffenheit der Kaufsache übernommen hat, ist zwar eine Frage der tatrichterlichen Vertragsauslegung (vgl. Senat, Urteil vom 4. Oktober 1989 - VIII ZR 233/88, WM 1989, 1894, unter II 1 a; BGHZ 128, 111, 114; jeweils m.w.Nachw.), die revisionsrechtlich nur beschränkt auf die Verletzung von Auslegungsregeln, Denkgesetzen, Erfahrungssätzen und Verfahrensvorschriften überprüfbar ist (BGHZ 135, 269, 273; 131, 136, 138; jeweils m.w.Nachw.).
--- Ende Zitat ---
Der Versorger war gem. § 4 AVBV auch wenige Minuten nach Vertragsabschluss berechtigt, die Entgelte einseitig vollkommen neu festzusetzen (höher oder niedriger), so dass deshalb eben von einer bindenden Preisvereinbarung nicht ausgegangen werden kann. Der Versorger hat sich doch gerade an gar keinen Preis gebunden und war es auch zu keinem Zeitpunkt.
Eine Billigkeitskontrolle einer einseitig festgesetzten Entgelthöhe erfordert die Abwägung der objektiven wirtschaftlichen Interessen beider Vertragsteile unter umffassender Würdigung des Vertragszwecks, in die weitere Gesichtspunkte einfließen können (BGH, Urt. v. 18.10.2007 - III ZR 277/06 Tz. 20 m.w.N.)
--- Zitat ---Dem Inhaber des Bestimmungsrechts verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum, der Voraussetzung der richterlichen Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB ist (Senatsurteil BGHZ 115, 311, 319). Innerhalb des Spielraums stehen dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Prüfung, ob die Bestimmung der Höhe des Entgelts der Billigkeit entspricht, erfordert die Abwägung der objektiven wirtschaftlichen Interessen beider Vertragspartner und eine umfassende Würdigung des Vertragszwecks, in die weitere Gesichtspunkte einfließen können (Senatsurteil vom 24. November 1977 aaO S. 143 unter A. II. 2.; BGHZ 41, 271, 279; BGH, Urteil vom 2. Oktober 1991 - VIII ZR 240/90 - NJW-RR 1992, 183, 184 unter III. 1. m.w.N.; Clausen, Zivilgerichtliche Preiskontrolle über die Landeentgelte der Verkehrsflughäfen in Deutschland S. 76; Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts 3. Aufl. S. 581; jew. m.w.N.). Ziel dieser Prüfung ist nicht die Ermittlung eines \"gerechten Preises\" von Amts wegen. Vielmehr geht es darum, ob sich die getroffene Bestimmung in den Grenzen hält, die durch die Vorschrift des § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB gezogen werden (Senatsurteil vom 24. November 1977 aaO S. 143 unter A. II. 2.). Damit dient die anzustellende Billigkeitskontrolle der Sicherung elementarer Vertragsgerechtigkeit (Landgericht Berlin, ZLW 2001, 475, 481).
--- Ende Zitat ---
Die Billigkeitskontrolle muss also bei der Abwägung der objektiven wirtschaftlichen Interessen beider Vertragsteile ansetzen. Diese müssen also zunächst definiert werden. Dass der Vertragszweck in einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Versorgung liegt, dürfte klar sein. Worin liegt aber das objektive wirtschaftliche Interesse eines gesetzlich versorgungspflichtigen Energieversorgungsunternehmens?
Sie lassen offen, wie nach Ihrer Vorstellung unter Beachtung von Art. 20 II, 19 IV GG dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, der in § 2 Abs. 1 EnWG eine klare gesetzliche Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen angeordnet hat, Rechnung getragen werden kann. Sollte diese gesetzliche Verpflichtung etwa ausgehebelt werden?
Damit bliebe auch der Vertragszweck unberücksichtigt. Eine Billigkeitskontrolle unter Abwägung der naturgemäß gegenläufigen objektiven wirtschaftlichen Interessen der beiden Vertragspartner unter umfassender Würdigung des Vertragszwecks, wie sie nach der Rechtsprechung erforderlich ist, fände nicht statt, so dass möglicherweise eine \"institutionalierte Rechtsbeugung\" zu besorgen stünde.
Verkehrsflughäfen stehen heute auch im Wettbewerb untereinander. Die Fluggesellschaften suchen sich aus, welchen sie vor oder nach Erhöhung der Entgelte anfliegen wollen oder auch nicht. Gleichwohl unterliegen die durch AGB festgesetzten Benutzungsentgelte einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle. Dabei muss regelmäßig die Kalkulation offen gelegt werden, und Gerichte müssen diese prüfen. Das ist also seit Jahrzehnten gerichtlicher Alltag. Das können auch die gem. § 102, 108 EnWG spezialzuständigen Gerichte im Energiebereich leisten.
Im Gegensatz dazu wird bei Sonderabkommen ein Sonderpreis bei Vertragsabschluss vereinbart. Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht besteht dabei nicht, es sei denn, es wäre bei Vertragsabschluss ausdrücklich vereinbart worden. Dann wäre die Kontrolle der Gesamtentgelte in direkter Anwendung des § 315 BGB aber auch unproblematisch, weil es gerade der Anwendungsfall der Norm wäre.
Preisanpassungsklauseln verstoßen dann nicht gegen Treu und Glauben, wenn sie dem § 307 BGB entsprechen, insbesondere auch § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Wirksamkeit eines Preisänderungsvorbehalts in den AGB bemisst sich nach § 307 BGB. Der weite Spielraum der Billigkeit entspricht den Anforderungen an Konkretisierung und Begrenzung, den § 307 BGB erfordert, nicht (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2004- KZR 10/03 unter II.6 m.w.N.). In Sonderabkommen besteht deshalb kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht und ist deshalb schon der Anwendungsbereich des § 315 BGB nicht eröffnet. Nach der Rechtsprechung ist ja gerade erforderlich, dass der Klauselgegner die Berechtigung einer Preisänderung bereits anhand der Klausel selbst kontrollieren kann (BGH NJW-RR 2005, 1717; NJW 2007, 1054; OLG Frankfurt/M. ZNER 2008, 61, m.w.N.). Eine gerichtliche Billigkeitskontrolle soll und muss dadurch gerade vermieden werden.
nomos:
--- Zitat ---Original von Black
Auch hierzu wieder, das bedeutet letztendlich gerichtliche Margenkontrolle.
--- Ende Zitat ---
Dort wo die Billigkeit festgstellt werden soll, ist eine Kontrolle der Margen letztendlich unverzichtbar. Außerdem bestehen darüber hinaus für kommunale Versorger (Stadtwerke) Beschränkungen. Diese verfolgen schon lange vor dem EnWG den Zweck, ebenfalls eine möglichst preisgünstige und sichere Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas zu gewährleisten.
Daraus folgt, dass Gaspreise nicht privatwirtschaftlich sondern nur bedarfwirtschaftlich kalkuliert werden dürfen und dass keine unbegrenzten Margen zulässig sein können.
Wollen Sie diese Beschränkungen einer gerichtlichen Kontrolle entziehen und wollen sie hier wirklich für einen rechtsfreien Raum für Energieversorger propagieren?
ESG-Rebell:
--- Zitat ---Original von 07010714
Uuf! Ehrlich gesagt, mir als \"Paragraphenanalphabet\" fällt es schwer, diesem Dialog zu folgen. Ich hätte nicht vermutet, dass ich mit meiner Ausgangsfrage eine derartige \"Paragraphenschlacht\" auslösen würde.
--- Ende Zitat ---
Nun, das liegt wohl daran, dass auch ein Versorgeranwalt mal die Gelegenheit ergriffen hat, sich direkt von - dem Verbraucheranwalt schlechthin - beraten zu lassen ;)
--- Zitat ---Original von Black
... da er die Rückforderung bereits wegen des fehlens der Unbilligkeit selbst abgelehnt hat
--- Ende Zitat ---
Nun - genau genommen \"fehlte\" die Unbilligkeit nicht.
Der Kunde war nur nicht in der Lage, die Unbilligkeit zu beweisen.
Das Gegenteil käme einem Wunder gleich, wo doch der verklagte Versorger alle zur Beweisführung erforderlichen Unterlagen unter Verschluss hält.
--- Zitat ---Original von Black
Aber wie sollte die Kontrolle des Ausgangspreises begründbar sein?
--- Ende Zitat ---
Auch dem Ausgangspreis liegt eine Preiskalkulation des Versorgers zugrunde.
Für jeden neuen Abrechnungszeitraum kann diese Kalkulation gleich bleiben oder sich auch grundlegend ändern.
Vor diesem Hintergrund ist logisch nachvollziehbar, dass es dem Versorger gestattet sein soll, gestiegene Bezugskosten weiterzugeben sofern sich die gesamte restliche Kalkulation nicht geändert hat. Nichts anderes folgt aus dem - von Versorgeranwälten immer unterschlagenen Zusatz des Leitsatzes D (36/06): \"... sofern die Bezugskostensteigerungen nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen werden können.\"
Ebenfalls logisch sollte sein, dass der Versorger beweispflichtig dafür ist, dass er keine Einsparungen an anderer Stelle haben konnte.
Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, welche Kostenanteile der aktuellsten Kalkulation (z.B. von 2007) denn mit dem Ausgangspreis (z.B. von 2004) bezahlt werden würden?
Kurz gesagt: Der Umstand, dass die Kalkulation sich von Jahr zu Jahr ändern kann und nicht \"im luftleeren Raum stattfindet\" (wie es in einem Urteil heisst), lässt keinen Raum für einen ewig gültigen Ausgangspreis.
--- Zitat ---Original von Black
Zu Beginn des Vertrages kann der Kunde jedoch (sofern kein Monopol besteht) auswählen ob er zu diesem Preis versorgt werden will oder nicht.
--- Ende Zitat ---
In kaum einem Vertrag - erst Recht nicht in solchen, die die AVBGasV/GasGVV pauschal eingebunden haben - ist aber geregelt, wie lange dieser Preis gelten soll.
Der Versorger kann diesen angeblich vereinbarten Preis also bereits 5 Minuten nach Vertragsabschluss einseitig ändern und die unterstellte Vertragseinigung so ad absurdum führen.
--- Zitat ---Original von Black
Was Sie anstreben scheint keine Preiskontrolle sondern eine Margenkontrolle zu sein. Soll ein Gericht dann konkret festlegen welche Marge noch zulässig ist und welche nicht? Eine derartige Festlegung hätte eine Kettenraktion zur Folge.
--- Ende Zitat ---
Die praktischen Probleme bei einer Margenkontrolle sind offensichtlich.
Die Frage bleibt aber offen:
Wie ist eine Gewährleistung von nicht unbilligen Preisen ohne eine Margenkontrolle - sei es durch funktionierende Marktmechanismen oder sei es durch Gerichte bzw. Behörden - überhaupt möglich?
Die gesamte Prozessführung der Versorger läuft darauf hinaus, ihre Pfründe zu sichern und sich die Möglichkeit weiterer einseitiger Gewinnsteigerungen offen zu halten.
@Black
Können Sie nachvollziehen, dass dieses Ziel der Versorger für die Verbraucher nicht hinnehmbar ist?
Haben Sie konstruktive Vorschläge, wie die o.g. Frage beantwortet werden könnte?
Gruss,
ESG-Rebell
Black:
--- Zitat ---Original von nomos
--- Zitat ---Original von Black
Auch hierzu wieder, das bedeutet letztendlich gerichtliche Margenkontrolle.
--- Ende Zitat ---
Dort wo die Billigkeit festgstellt werden soll, ist eine Kontrolle der Margen letztendlich unverzichtbar. Außerdem bestehen darüber hinaus für kommunale Versorger (Stadtwerke) Beschränkungen. Diese verfolgen schon lange vor dem EnWG den Zweck, ebenfalls eine möglichst preisgünstige und sichere Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas zu gewährleisten.
Daraus folgt, dass Gaspreise nicht privatwirtschaftlich sondern nur bedarfwirtschaftlich kalkuliert werden dürfen und dass keine unbegrenzten Margen zulässig sein können.
Wollen Sie diese Beschränkungen einer gerichtlichen Kontrolle entziehen und wollen sie hier wirklich für einen rechtsfreien Raum für Energieversorger propagieren?
--- Ende Zitat ---
Die im wesentlichen freie Festlegung an Margen beim Anfangspreis nennt sich Wettbewerb. Das System der Genehmigten Tarife wurde vom Gesetzgeber aufgegeben zugunsten des Wettbewerbs. Wenn man eine gerichtliche Überprüfung der Margen zulassen würde, wäre das eine Rückkehr zum System der genehmigten Tarife über die Hintertür
Das Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs ist unter § 1 Abs. 2 EnWG verankert. \"Bedarfswirtschaftliche Kalkulation\" ist Planwirtschaft, also das Gegenteil von Wettbewerb. Nun ist es nicht verwerflich ein Anhänger von Planwirtschaft zu sein, aber derzeit hat sich der Staat (auch aufgrund der EU) für Wettbewerb entschieden.
RR-E-ft:
@Black
Es gab im Gasbereich und gibt im Wasserbereich keine Tarifgenehmigungspflicht und gleichwohl findet eine Billigkeitskontrolle einseitig festgesetzter Entgelte statt. Vielmhr ist es so, dass selbst eine behördliche Tarifgenehmigung die gerichtliche Billigkeitskontrolle nicht ausschließt (vgl. BGH NJW 1998, 3188, 3192). Dieses Argument trägt also nicht.
Ein wirksamer Wettbewerb auf einem einheitlichen Wärmemarkt besteht auch nicht (wie sich aus der Entscheidung BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 und aus der amtlichen Begründung der Bundesregierung zur Verschärfung der kartellrechtlichen Preismissbrauchsaufsicht im Energiebereich BT-Drs. 16/5847 S. 9) zweifelsfrei ergibt. Sie bleiben leider eine Erklärung schuldig, wie die Billigkeitskontrolle einer einseitig festgesetzten Entgelthöhe nach Ihrer Auffassung unter Beachtung der aktuellen Rechtsprechung des BGH (insbesondere Urt. v. 18.10.2007 - III ZR 277/06 Tz. 20) erfolgen soll.
Wie soll die nach der Rechtsprechung notwendige Abwägung der objektiven wirtschaftlichen Interessen beider Vertragspartner unter umfassender Würdigung des Vertragszwecks erfolgen?
Wenn wirksamer Wettbewerb besteht, ist die Situation dadurch gekennzeichnet, dass die Margen nicht frei festsetzbar sind. Vielmehr konvergiert der Gewinn gegen null. Hingegen wird eine Monopolsituation dadurch gekennzeichnet, dass der Anbieter den Preis einseitig festsetzen kann. Die Verhaltensweise des Preissetzers ist nicht auf Monopole beschränkt, sondern sie wird auch von Oligopolisten und Polypolisten angewendet (vgl. Pilgram in: Zenke/ Wollschläger \"§ 315 BGB: Streit um Versorgerpreise\", S. 130).
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