BGH VIII ZR 138/07
LG Duisburg 5 S 76/06
AG Dinslaken 31 C 295/05
8. Zivilsenat: Ball, Frellesen, Hermanns, Milger, Achilles
Stadtwerke Dinslaken (SWD): RA Frau Dr. Ackermann
Ekkehardt Wrede: RA Prof. Dr. Nirk, Dr. Schott
----- 9:08 ---------------------------------------------------------------------------
Ball trägt die Sachlage vor.
Er verweist auf die Entscheidung 36/06 vom 13.06.07.
Die Kernfrage lautet: Was ist Gegenstand einer Billigkeitskontrolle?
(1) Nur die Erhöhung oder
(2) der gesamte erhöhte Preis inkl. dem Sockelbetrag, der bis zum 31.12.04 galt?
Falls (1) zu bejahen ist, dann wird wohl zu entscheiden sein wie in 36/06
Falls (2) zu bejahen ist, dann stellt sich die Frage, ob der bis zum 31.12.04
bezahlte und damit akzeptierte Sockelbetrag unbillige Preisbestandteile enthält.
In diesem Verfahren ist, anders als in 36/06, zu prüfen:
Was muss der Versorger zur Billigkeit vortragen und darlegen?
Problematisch dabei können geheimhaltungswürdige Fakten sein, wozu insbesondere
die Höhe der Bezugspreise als sensible Geschäftsdaten zählen, wenn das Unternehmen
in einem Wettbewerb steht.
Die SWD haben aber unstreitig eine tatsächliche Monopolstellung inne.
Daher ist dieses Problem hier unkritisch.
In diesem Verfahren ist, anders als in 36/06, ebenfalls zu prüfen:
Ist eine Billigkeitskontrolle nur durch eine Kostenkontrolle möglich?
Falls der Gaspreis ein Wettbewerbspreis ist, dann stellt sich die Frage, ob der
Vergleich mit den Preisen anderer Versorger als Vergleichskriterium ausreicht.
Zur Kostenkontrolle zitiert er ein Verfahren des Kartellsenats zum Strompreis:
Dort wird die Vergleichbarkeit von Anbietern durch Ausgleich struktureller Unterschiede
herbeigeführt um zu einer Art fiktivem Marktpreis zu gelangen.
Der Zivilsenat ist sich \"... ganz offen unschlüssig, ob noch ein Kostenpreis oder schon
ein Wettbewerbspreis als Billigkeitskriterium herangezogen werden kann\", so Ball.
----- 9:20 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Ackermann (SWD)
Die Billigkeitskontrolle ist kein Instrument der Vertragskorrektur.
Einseitige Preisfestsetzungen sind nicht per se schlecht sondern notwendig um andere
Mechanismen, wie bspw. Risikozuschläge, zu vermeiden.
Soll zukünftig etwa eine umfangreiche Bilanzprüfung bei jeder einzelnen Preiserhöhung
stattfinden? Dies wäre unzumutbar und in der Praxis nicht durchführbar.
Der Gesamtpreis ist nicht Gegenstand der Billigkeitskontrolle.
Die SWD haben zwar ein Monopol inne. Das war aber doch auch in der Entscheidung 36/06
so und hat den Senat nicht daran gehindert, der Zahlungsklage stattzugeben.
Die damalige Entscheidung des Senats war nicht einzelfallbezogen sondern
grundsätzlicher Art.
In der Entscheidung 36/06 hat der Senat ja selbst einen Substitutionswettbewerb erkannt.
Der Markt kann daher nicht auf \"leitungsgebundenes Erdgas\" abgegrenzt werden sondern
muss den gesamten Wärmemarkt aller Energieträger umfassen.
Des weiteren profitieren die Bestandskunden ja indirekt vom Preisdruck, den der Wettbewerb
um Neukunden auslöst, wie der Senat ebenfalls bestätigt hatte.
Der Kläger hat nur Einwand gegen die Erhöhung, nicht gegen den Gesamtpreis erhoben.
Zudem hat er weiterhin Abschläge auf der Basis des Preises von 2004 zzgl. 2% gezahlt.
Durch dieses Verhalten hat er den Preissockel von 2004 nachträglich anerkannt.
Die Preiserhöhung hat er zudem nicht in angemessener Frist gerügt.
Wie weit geht die Darlegungslast des Versorgers?
Er muss keine Bezugsverträge vorlegen und auch nicht seine Kalkulation offen legen.
Der §315 ist nicht auf vorgelagerte Lieferstufen anwendbar.
Dem steht ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen entgegen.
Die SWD haben sehr plausibel dargelegt, wie die Bezugspreiserhöhungen den Verkaufspreis
geändert haben. Zudem haben sie zwei Privatgutachten, die Erhebung eines gerichtlichen
Gutachtens sowie Zeugen angeboten.
Das Argument des unzulässigen Ausforschungsbeweises des LG Duisburg zieht nicht, da
dieser Begriff anders definiert ist als das LG ihn versteht.
Unternehmen haben einen Anspruch auf Wahrung ihrer Betriebsgeheimnisse und das Recht
auf wirkungsvollen Rechtsschutz. Das LG hat in seiner Entscheidung nicht ausreichend
die Interessen des Kunden mit dem Grundrecht der SWD (Art. 12 GG) abgewogen.
Die Offenlegung der Kalkulation ist evtl. im Rahmen eines In-Kamera Verfahrens möglich.
Die SWD haben dem LG umfangreiche Unterlagen zugesandt, die dieses aber zurückgeschickt
haben. (Diese Passage konnte ich akustisch bedingt nur unvollständig verstehen).
Wenn nicht der enge Markt \"leitungsgebundenes Gas\" sondern der einheitliche Wärmemarkt
zu betrachten ist, dann ist eine Offenlegung der Kalkulation nicht erforderlich, da
dann eine Kostenkontrolle über den Marktpreis erfolgen kann.
Eine Billigkeitskontrolle scheidet in diesem Fall aus.
Die SWD sind vergleichsweise günstig \"... auf der nach oben offenen Skala\", so Ackermann.
(Anm.: Sie dachte wohl an die nach oben offene und - sogar logarithmische - Richter-Skala
für Erdbeben. Mit dieser ließen sich nahezu unendlich hohe Preise noch mit griffigen
Zahlen darstellen.)
Sie bemängelt die Äußerung des LG, dass alle Versorgerpreise überhöht sein könnten.
----- 9:42 ---------------------------------------------------------------------------
Prof. Nirk (Kunde):
Ohne eine Billigkeitskontrolle blieben nur Appelle an die Versorger.
Dies hat der Senat in 36/06 richtig erkannt.
Was ist Gegenstand der Billigkeitskontrolle?
Welche Marktstellung hat der Versorger?
Der Senat betrachtet das Schweigen eines Privatverbrauchers als Einverständnis
zum verlangten Preis. Dem kann ich nicht zustimmen.
Der Kläger hat bereits im Jahr 2005 (Feststellungs-)klage erhoben und bei seiner
Kürzung der Abschläge gerichtliche Schritte angekündigt. Von einer konkludenten
Anerkennung des Sockelbetrags (von 2004) kann daher keine Rede sein.
Der Zivilsenat befindet sich nicht im Einklang mit dem Kartellsenat.
Er zitiert: \"... Der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltende Preis soll
nach dem Willen der Vertragspartner ein einseitig festgelegter Preis sein ...\"
Dies bedeutet bei Vertragsabschlüssen zwischen Unternehmen und Kunden:
Der Kunde ist mit dem Anfangspreis und der einseitigen Preisfestlegung gerade
deswegen(!) einverstanden, weil dieser Preis einer Billigkeitskontrolle unterliegt.
Laut Kartellsenat ist der Sockelbetrag auf jeden Fall schon dann zu prüfen,
wenn das Unternehmen eine Monopolstellung einnimmt, was hier der Fall ist.
In der Entscheidung 36/06 sieht der Senat kein Monopol weil ein Substitutionswettbewerb
bestehe, von dem die Bestandskunden indirekt profitieren.
Ein Wettbewerb findet jedoch nur unter den Neukunden statt.
Das Neukundengeschäft kann den Gaspreis kaum bis gar nicht beeinflussen.
(Anm.: Das Neukundengeschäft macht ca. 2% aus. Dies dürfte auch bei den SWD so sein.
Die Behauptung müsste sich daher mit Zahlenmaterial substantiieren lassen.)
Die Entscheidung für oder gegen Gas findet gerade nicht über den Preis statt,
sondern wird durch Werbemaßnahmen und Baukostenzuschüsse gelenkt.
(Anm.: Ackermann bestreitet dies mit Nichtwissen, s. u.
Auch dafür müssten sich wohl Belege finden lassen).
Gerade zwischen den Energieträgern Öl und Gas findet gar kein Preiswettbewerb statt,
weil diese ja durch die Ölpreisbindung aneinander gekoppelt sind.
Verweist auf den Kartellsenat: Es gibt keinen einheitlichen Wärmemarkt.
Er plädiert für eine Prüfung des Anfangspreises auch dann, wenn ein Monopol nur \"fast\"
besteht, weil eine scharfe Abgrenzung \"Jetzt noch Monopol - Jetzt nicht mehr\" nicht
möglich ist.
Falls nur die Preiserhöhung zu prüfen wäre, so könnte der Versorger sagen:
\"Alles ist beim Alten geblieben, nur die Bezugspreise haben sich erhöht.\"
Woher wüsste denn dann der Richter, ob der Versorger überhaupt verpflichtet war,
diese Erhöhungen hinzunehmen? Dies kann er nur durch Einblick in die Verträge prüfen.
Der Versorger könnte für unterschiedliche Gebiete unterschiedliche Vorlieferantenpreise
akzeptieren. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass von Kunden in einem Gebiet
zugunsten derer in einem anderen Gebiet unbillig überhöhte Preise verlangt werden.
Der Anfangspreis könnte zudem bereits Rückstellungen enthalten, mit denen der Versorger
beabsichtigt hat, steigende Bezugspreise aufzufangen. Wäre dem so, so dürften die
Bezugspreiserhöhungen nicht oder nur teilweise weitergegeben werden.
Auch um dies zu prüfen, muss die Kalkulation vollständig offen gelegt werden.
(Anm.: Die SWD hatten die Bezugspreise angeblich nur teilweise weitergegeben und einen
Margenverlust von 0,1 Ct/kWh freiwillig in Kauf genommen. Wie wird dieser
kompensiert, wenn nicht aus Rückstellungen?)
Eine Kostenkontrolle ist vorzunehmen.
Schon aufgrund der Monopolstellung des Versorgers und wegen des nur rudimentären
Wettbewerbs. Der Senat (d. h. Ball) selbst hat ja den Begriff \"rudimentär\" in seinen
Ausführungen verwendet.
Die Energieversorger sind anders als andere Unternehmen den Bestimmungen des EnWG
unterworfen. Sie können also nicht nehmen, was der Markt hergibt; sofern ein Markt
überhaupt existiert. Ein Preisvergleich zwischen den Versorgern wird diesen
Bestimmungen nicht gerecht, weil er eine möglichst preisgünstige Versorgung nicht
herstellen kann.
Das EnWG ist auch zu Berücksichtigen bei der Abwägung der Geheimhaltungsinteressen.
Die Verpflichtung zur Einhaltung und Nachweises ergibt sich aus dem Gesetz.
Der Versorger kann sich dieser Verpflichtung also nicht durch Verweis auf
Geheimhaltungsinteressen entziehen.
Für Unternehmen lassen sich Geheimhaltungsinteressen stets mehr oder weniger konkret
darlegen. Würde dieses stets schwerer wiegen als der Unbilligkeitseinwand, so liefe
der §315 ins Leere.
----- 10:02 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Ackermann (SWD)
Kommentiert die Entscheidung des Kartellsenats. (Spricht aber wieder zu leise)
Die Billigkeitskontrolle und die Entscheidungen des Kartellsenats stehen nebeneinander.
Es besteht sehr wohl Wettbewerbsdruck durch das Neukundengeschäft.
Das Kunden ihre Entscheidung für oder gegen Gas nicht auf Grundlage des Gaspreises
treffen, wird bestritten.
Nicht nur die Vorlage der Bezugsverträge sondern auch Wirtschafsprüfertestate
und Rechnungen müssen als Beweise akzeptiert werden.
Die Vorschriften des EnWG werden schon dadurch gewährleistet, dass die SWD
unterdurchschnittliche Preise verlangen - sogar im bundesweiten Vergleich;
womit auch der Hinweis auf strukturelle Unterschiede bei Gasversorgern nicht greift.
Eine Wahrung der Geheimhaltungsinteressen hebelt §315 nicht aus, da ja dennoch
eine Abwägung der Grundrechte gegen die Interessen der Parteien stattfindet.
----- 10:07 ---------------------------------------------------------------------------
Ball resümiert
Nach dem EnWG müsste der Versorger bei extremer Auslegung auf jeglichen Gewinn
verzichten, was sicherlich unzumutbar und nicht machbar wäre.
Der Gesetzgeber hat wegen des Substitutionswettbewerbs bei Gas ja bewusst auf
eine Preiskontrolle verzichtet.
Dies liefe nun in der Praxis auf eine zivilgerichtliche Kontrolle der Gewinnmargen
hinaus. Wo aber sollen Zivilgerichte dann ihre Grenzen ziehen?
Bei 3%? 4%? 6.9 aber nicht mehr 7%?
Prof. Nirk: Aufgrund der noch vorhandenen Monopole ist eine Kontrolle aber noch
erforderlich. Schließlich geht es darum, grobe Abweichungen zu unterbinden, wenn
ein Versorger bspw. 15% Rendite macht und andere nur 2%.
Ja, der Gesetzgeber hat auf eine Preiskontrolle für Gas verzichtet.
Inzwischen hat er aber seine Meinung revidiert.
Er zitiert die Begründung der Regierung zur Novelle des Kartellrechts.
Ball:
Es wäre Aufgabe - zunächst des Gesetzgebers - und der Kartellbehörden, sicherzustellen
dass systematisch überhöhte Preise nicht mehr möglich sind.
Es kann nicht Aufgabe der Zivilgerichte sein, mit Hilfe des \"altehrwürdigen §315\"
nun die Prüfung und Festlegung der Gewinnmargen in jedem Einzelfall durchzuführen.
Der Verkündungstermin wird voraussichtlich der 9. oder 16. Juli 2008 sein.
-------------------------------------------------------------------------
Man konnte förmlich sehen, dass der Zivilsenat momentan auf rohen Eiern tanzt.
(1) Einerseits möchte er der grassierenden Fehlentwicklung Einhalt gebieten.
In vergangenen Prozessen hatte der - viel gescholtene - Vorsitzende
Ball sehr viel Verständnis für die Lage der Gaskunden erkennen lassen.
(2) Andererseits kann sich der Senat nicht mit dem Gedanken anfreunden, eine
grundsätzliche Rechtsprechung zu festigen, die in der Folge möglicherweise
zu Tausenden Prozessen vor den AGs und entsprechend vielen vor dem BGH führen
könnte.
In diesem zweiten Umstand sehe ich die Ursache dafür, dass der Senat in seiner
Entscheidung 36/06 zu den Strohhalmen \"Indirekte Nutznießung\" und \"Nachträgliche
Zustimmung durch Schweigen\", die die SWH ihm hingehalten hatten, gegriffen hat.
Es war klar, dass dem Senat sein Urteil vom 13.6.07 vorgehalten wird.
Nun muss er sehen, wie er seine Linie fortsetzen kann. Meines Erachtens
ist abzusehen, dass er sich weiter - über Jahre hinweg - an einen Kompromiss
heran tasten wird, der beiden o. g. Zielen gerecht wird.
Dieses wird nicht das letzte BGH-Verfahren zum Thema sein.
Ich glaube, wir können nicht mal von \"Halbzeit\" sprechen.
Gestattet mir noch eine Anmerkung zum Zivilsenat und seinem Vorsitzenden Ball:
Ich möchte Euch bitten, Euch erneute Verunglimpfungen zu verkneifen.
Diese sind nicht ziel führend sondern können sogar den Interessen aller
Gaskunden schaden.
Der Zivilsenat hat ein handfestes Praxisproblem:
Welche Grundsatzrechtsprechung kann das Problem der überhöhten Preise beseitigen
UND ist gleichzeitig in der Praxis umsetzbar und handhabbar?
Es sollte Aufgabe der kompetenten Mitstreiter unter uns sein, über Antworten
auf diese Frage nachzudenken!
Zum Schluss noch eine kleine Anekdote:An der BGH-Pforte musste ich wie üblich sicherstellen, dass mein Handy
ausgeschaltet ist. Dabei erzählte mir der Beamte, kürzlich sei eine
Gruppe von auszubildenden Anwälten da gewesen. Dort habe man nicht
lange gefackelt und gleich alle Handys eingesammelt! Süß!

Gruss,
ESG-Rebell.