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Urteilsbegründung BGH, Urt. v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06Das Urteil des BGH betrifft einen Einzelfall eines
Tarifkunden. Der Kläger hatte ausdrücklich nur eine einzelne Preiserhöhung zur gerichtlichen Überprüfung gestellt und damit gem. § 308 ZPO den
Streitgegenstand für das Gericht bindend festgelegt (vgl. Rn. 12). Zudem soll der Kläger sein
Bestreiten, dass die Erhöhung des streitgegenständlichen Tarifpreises auf einem entsprechenden Anstieg der Bezugskosten beruhte, in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht
nicht aufrecht erhalten haben (vgl. Rn. 24).
Zutreffend hat der BGH in der Regelung des § 4 AVBV ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB erkannt. Weil diese Regelung gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AVBV vertragsgegenständlich ist, haben EVU und Tarifkunde ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des EVU hinsichtlich der zu zahlenden Entgelte vereinbart. Es handelt sich um ein kraft normativer Einbeziehung vertraglich vereinbartes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des EVU
Eine solche einheitliche Preisvereinbarung soll nach der Rechtsprechung des Kartellsenats auch schon den bei Vertragsabschluss geltenden Preis (Anfangspreis) betreffen. Auch wenn der Preis dabei bereits betragsmäßig feststehe, soll nach der Rechtsprechung des Kartellsenats nicht dieser betragsmäßig bekannte Preis vereinbart sein. Es handele sich bei dem zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden Preis vielmehr um das Ergebnis des gleichen vertraglich vereinbarten Preisbestimmungsverfahrens, so dass der Anfangspreis nicht weniger einseitig bestimmt sei als ein nach Vertragsabschluss einseitig festgelegter Folgepreis (
BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 = NJW 2006, 684 Rn. 9/10;
BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 8/05 = NJW-RR 2006, 915 Rn. 12).
Ein solches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht eines gesetzlich zur Versorgung verpflichteten Energieversorgungsunternehmens ist keinesfalls schrankenlos. Die Preisbildungsschranke, die bei der Ermessensausübung der einseitigen Preisfestlegung zu beachten ist, ergibt sich aus der gesetzlichen Verpflichtung zu einer möglichst preisgünstigen, effizienten leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität und Gas gem. § 1 EnWG (vgl. BGH NJW-RR 1992, 183 unter III. 1; BGH NJW 2006, 684 Rn. 13 a. E.).
Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der gesetzlichen Verpflichtung des § 2 Abs. 1 EnWG seinen entsprechenden Willen deutlich zum Ausdruck gebracht (vgl. auch § 17 Abs. 1 Satz 3 GVV).
Der bei Vertragsabschluss geltende Preis ist deshalb auch kein für alle Zukunft feststehender Mindestpreis:
Sobald es die Kosten- und Erlöslage des EVU bei energiewirtschaftlich- rationeller, effizienter Betriebsführung zulässt, sind die Tarifpreise entsprechend abzusenken. Dies kann zB. dann der Fall sein, wenn durch die Regulierungsbehörde die Netzkosten abgesenkt werden oder wenn die Beschaffungskosten oder sonstige Kosten des gesetzlich versorgungspflichtigen Unternehmens sinken.
Diese energierechtliche Besonderheit hat der entscheidende Senat offensichtlich verkannt. § 4 AVBV ist eben keine Regelungen, die nur zu Preiserhöhungen berechtigt, sondern auch die entsprechende Verpflichtung zu Preissenkungen zur Folge hat, um
jederzeit eine möglichst preisgünstige leitungsgebundene Versorgung mit Elektrizität und Gas im Interesse der Allgemeinheit sicherzustellen.
Nichts anderes gilt zu §§ 36, 2 Abs. 1 EnWG iVm. § 5 GasGVV.
Der entsprechende Preis, welcher der gesetzlichen Verpflichtung zu einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität und Gas entspricht, muss also durch eine entsprechende Ermessensentscheidung des Grundversorgers von Zeit zu Zeit nach Neukalkulation der Preise insgesamt neu festgelegt werden, wobei alle preisbildenden Faktoren berücksichtigt werden müssen.
Auch die Entscheidung eines Grundversorgers, eine erhebliche Absenkung der Netzkosten durch die Regulierungsbehörde nicht durch eine entsprechende Preissenkung an die Kunden weiterzugeben, ist sicher eine Ermessensentscheidung, die einer Billigkeitskontrolle unterliegt.
Nicht anders muss es sich verhalten, wenn ein Grundversorger sich entscheidet, gesunkene Beschaffungskosten überhaupt nicht, nicht sofort oder nicht vollständig über die Preise an die Kunden weiterzugeben.
Auch dabei handelt es sich um entsprechende Ermessensentscheidungen, von denen die betroffenen Kunden jedoch schon regelmäßig nichts erfahren, von denen sie aber gleichwohl betroffen sind.
Nunmehr ist in §§ 102, 107, 108 EnWG angeordnet, dass über bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten über Rechte und Pflichten aus dem Energiewirtschaftsgesetz ausschließlich besondere Gerichte zur Entscheidung berufen sind, über entsprechende Revisionen der Kartellsenat des BGH entscheidet. Man sollte sich deshalb an der Rechtsprechung des Kartellsenats orientieren.
Die Ausführungen in Rdn. 16/17 und 32 des Urteils stehen deshalb auch in einem gewissen Widerspruch zueinander, als zum einen ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht, welches zur unmittelbaren Anwendung des § 315 BGB führt, bejaht und zum anderen - nur einige Seiten weiter - ein eben solches verneint wird. Das Urteil erscheint also nicht frei von Wertungswidersprüchen.
Auch aus der zitierten Entscheidung
BGHZ 97, 212 geht hervor, dass die einseitig festgelegten Entgelte, nicht aber nur eine Änderung der Entgelte einer Billigkeitskontrolle unterliegen. Führt die Billigkeitskontrolle der einseitig festgelegten Entgelte zu dem Ergebnis, dass die Entgelte unbillig sind, dann sind diese Entgelte geringer neu festzulegen. Werden die Entgelte nicht von dem Vertragsteil herabegsetzt, dem das einseitige Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der zu zahlenden Entgelte eingeräumt ist, so kann der andere Teil eine darauf gerichtete gerichtliche Entscheidung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB beantragen, ein der Billigkeit entsprechendes Entgelt gerichtlich festsetzen lassen.
Tarifkunden haben von Anfang an einen gesetzlichen Anspruch auf eine Belieferung zu allgemeinen Preisen, die einer möglichst preisgünstigen Versorgung gem. § 1 EnWG entsprechen.
Aus § 1 EnWG folgt sogleich, dass nicht sämliche Kosten, sondern nur diejenigen Kosten einer effizienten, energiewirtschaftlich-rationellen Betriebsführung in die Tarifpreise einfließen dürfen. Dies hindert es, Kosten in Ansatz zu bringen, die auf kartellrechtswidrigen Preisabsparechen mit Vorlieferanten beruhen, wie dies auch nach Auffassung des Senats beim bisher praktizierten sog. \"Anlegbarkeitsprinzip\" der Fall sein kann. Eine solche Preiskoppelung dürfte schon gegen den bisher geltenden § 2 Abs. 1 PaPkG verstößen und deshalb nichtig sein.
Nicht überzeugend ist die Auffassung, eine vorbehaltlose Zahlung auf ein einseitig festgelegtes Entgelt führe zu einer Vereinbarung des selben. Für eine entsprechende Einigung fehlt es schon regelmäßig an Angebot und Annahme durch zwei übereinstimmende, empfangsbedürftige Willenserklärungen. Die Geltung des einseitig festgelegten und zur Abrechnung gestellten Entgelts soll auch aus der Sicht des EVU nicht davon abhängen, ob der Kunde mit diesem einverstanden ist. Vielmehr soll das einseitig festgelegte Entgelt für den anderen verbindlich sein, ohne dass es auf ein Einverständnis des Kunden ankommt. Das ist dann der Fall, wenn es der Billigkeit entspricht. Der vom EVU zur Abrechnung gestellte Preis ist und bleibt also ein einseitig bestimmter Preis.
Sonst ist es unverbindlich (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Eine \"soweit\"- Verbindlichkeit, also teilweise Verbindlichkeit, kennt die gesetzliche Regelung des § 315 BGB überhaupt nicht. Sie ist ihr fremd. Deshalb scheinen auch einige der gebildeten Leitsätze mit der insoweit ganz klaren gesetzlichen Regelung des § 315 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 BGB schwer vereinbar.
Nicht überzeugend ist die Abgrenzung zur früheren Gas-Hausanschlusskosten - Entscheidung in Rn. 34/35:
Die Frage, ob ein einheitlicher Wärmemarkt und auf einem solchen ein Substitutionswettbewerb besteht, und letztlich ein solcher die Erdgaspreise wirksam beeinflusst, ist eine
Tatsachenfrage. Diese war zwischen den Parteien
streitig.
Das LG Heilbronn hatte das Bestehen eines solchen Wettbewerbs verneint (vgl. Seite 14/ 15 der
Urteilsausfertigung).
An eine entsprechende Tatsachenfeststellung des Berufungsgerichts wäre der BGH in der Revision, wie bei der früheren Entscheidung, gebunden gewesen.
Soweit es auf diese Tatsachenfrage für die Entscheidung ankam, hätte wohl eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung erfolgen müssen. Hinzuweisen ist auf die \"Fernwärme für Börnsen\" - Entscheidung des Kartellsenats (
BGH, Urt. v. 09.07.2002 - KZR 30/00, Seite 12 der Urteilsausfertigung ), in der ausdrücklich festgestellt wurde, dass ein einheitlicher Markt für Wärmeenergie nicht besteht.
Durch die Zugrundelegung in der Vorinstanz nicht geklärter bzw. streitiger Tatsachen (u.a. Existenz eines einheitlichen Wärmemarktes und eines bestehenden Substitutionswettbewerbs, unbeanstandete Zahlung auf vorangegangene Verbrauchsabrechnungen) könnte der Kläger in seinem verfassungsrechtlich verbürgtem Recht auf rechtliches Gehör verletzt sein, so dass möglicherweise die Entscheidung des BGH im konkreten Fall auf entsprechenden Verfahrensfehlern beruht.
Die Entscheidung ist übertragbar auf Stromtarifkunden und Kunden in der nunmehrigen Grundversorgung mit Elektrizität und Gas.
Bei Sonderkunden besteht kein gesetzliches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des EVU hinsichtlich des vom Kunden zu zahlenden Preises (vgl. BGH NJW 1998, 1640, 1642).
Gegenüber solchen Kunden besteht deshalb ein solches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des EVU hinsichtlich der zu zahlenden Preise nur, wenn es bereits bei Vertragsabschluss - statt eines konkreten Preises - wirksam vereinbart wurde (
vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 24/04 ).
Dafür, dass ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der vom Kunden zu zahlenden Entgelte beim Vertragsabschluss wirksam vereinbart wurde, trägt das Versorgungsunternehmen die Darlegungs- und Beweislast.
BGH, Urt. v. 17.02.2004 - XI ZR 140/03 unter II 2 a)
Die gesetzliche Regelung einseitiger Leistungsbestimmungsrechte in den §§ 315 ff. BGB entzieht die formularmäßige Einräumung solcher Rechte, wovon auch das Berufungsgericht mit Recht ausgeht, nicht der AGB-rechtlichen Kontrolle. Diese Vorschriften ändern nichts daran, daß die Vertragsparteien sich im vom Gesetz vorausgesetzten Regelfall über Art und Umfang der Leistung sowie einer Gegenleistung einigen und dies im Vertrag festlegen. Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB besteht daher nur, wenn es vertraglich vereinbart wurde (BGHZ 90, 69, 72). Die formularmäßige Vereinbarung eines solchen Leistungsbestimmungsrechts unterliegt deshalb der Inhaltskontrolle (vgl. BGHZ 82, 21, 23; 94, 335, 337 f.; 97, 212, 215; 118, 126, 130 f.; BGH, Urteil vom 19. November 2002 - X ZR 243/01, NJW 2003, 507, 508 BGH, Urt. v. 13.07.2004 - KZR 10/03 (WRP 2004, 1378 = GRUR 2005, 62) unter II. 6.:
Die Unangemessenheit der Klausel läßt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht mit dem Argument ausräumen, eine einseitige Leistungsbestimmung habe gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen und sei andernfalls unverbindlich. § 315 BGB scheidet als unmittelbare Rechtfertigung einer Klausel schon deshalb aus, weil die Vorschrift eine wirksame Anwendungsvereinbarung bereits voraussetzt und die Entscheidung über die Wirksamkeit der Vertragsklausel sich ausschließlich nach den Angemessenheitsmaßstäben des § 307 BGB, § 9 AGBG richtet (BGHZ 89, 206, 213). Auch als inhaltliche Beschränkung des Anwendungsbereichs einer Klausel läßt sich der in § 315 BGB enthaltene Rechtsgedanke nicht verwerten, weil der weite Spielraum der Billigkeit nicht den an die Eingrenzung und Konkretisierung einer Formularbestimmung zu stellenden Anforderungen genügt (BGHZ 89 aaO).[/COLOR]
Im Falle der wirksamen Vereinbarung eines solchen einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Lieferanten bezüglich der jeweils zu zahlenden Entgelte bei Vertragsabschluss unterliegt der jeweils einseitig festgelegte Gesamtpreis der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB.
Thomas Fricke
Rechtsanwalt
Susanne-Bohl-Str. 3
07747 Jena
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