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Autor Thema: BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06  (Gelesen 60094 mal)

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Offline RR-E-ft

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #45 am: 15. Juni 2007, 22:43:38 »
@Wasnetgeht

In diesen Widerspruch ist der Senat offensichtlich geraten, weil der Kläger die Preiserhöhung als unzulässig angegriffen hatte.

Der Senat hat wie bei jedem anderen Vertragsverhältnis auch nach einem Preisänderungsrecht gesucht und dieses im Gesetz gefunden.

Dieses Recht ist indes anders als ein Preisänderungsvorbehalt in einer AGB- Klausel zu werten.

M. E. zutreffend erkennen die LG Hannover und LG Duisburg darin ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht, das für das gesamte Vertragsverhältnis gilt. Nach dieser Vorschrift müssen Preise auch wieder abgesenkt werden. Die Preise sind also ständigen Schwankungen unterworfen und werden vom Versorger jeweils einseitig festgelegt. Weil das schon bei Vertragsabschluss jedem entsprechenden Kunden klar ist, einigt man sich gerade nicht auf einen Preis, sondern auf ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht.

Was will man auch sonst vereinbaren?

Jedem Tarifkunden ist klar, dass der Preis nicht für allezeit feststeht, sondern schon am Tag nach dem Vertragsabschluss durch einseitige Preisfestlegung erhöht oder abgesenkt werden kann. Nur dem Senat scheint das nicht klar gewesen zu sein.

Anders ist es, wenn man einen besonders günstigen Sonderpreis konkret vereinbart hat und sich ein Preisänderungsrecht aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Vertrages ergeben muss.

Das ist ein Knackpunkt der Entscheidung.

Offline Energierebell

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #46 am: 15. Juni 2007, 23:00:58 »
Wenn das Urteil nur die Preiserhöhungen betrifft und hier auch nur die Erhöhungen, gegen die man Widerspruch eingelegt hat, ergibt sich doch folgendes Problem:
Ein Kunde legt 2006 Widerspruch gegen neue Erhöhungen und den Preis an sich ein und kürzt seine Zahlungen auf den Preis von 2004. Laut BGH hat man aber allen Erhöhungen, die man bezahlt hat, auch automatisch zugestimmt. Somit dürft der Kunde dann auch nur auf den Stand von 2006 vor der widersprochenen Erhöhung kürzen?

Kann das Urteil so ausgelegt werden und was bedeutet das für die Kunden?

Ein Urteil nur an die Erhöhungen zu binden ist meines Erachtens nach absoluter Humbug. Alle Senkungen der Bezugskosten gehen in die Taschen der Versorger und wenn die Bezugskosten wieder steigen, dürfen die Kunden wieder mehr zahlen. Und wenn der Ausgangspreis bisher zu hoch war kann der Kunde schön weiterzahlen, den laut BGH kann die letzte Erhöhung des Versorgers ja korrekt gewesen sein........eine Billigkeitskontrolle des Gesamtpreises ist unverzichtbar!

Was ich als wirklich positiv erachte ist, dass das Urteil wohl auch auf den Strompreis angewendet werden kann, was bisher nicht wirklich sicher war.

Energierebell

Offline UweHobohm

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #47 am: 16. Juni 2007, 01:10:43 »
Ich wage mal eine Zusammenfassung der aus meiner Sicht hier relevanten, im wesentlichen von Herrn Fricke (danke !!) genannten Punkte:

Im Urteil vom 13.6.07 hat der VIII.Senat des BGH die Anwendbarkeit von §315 BGB klar bestätigt (in der Klageerwiderung unserer Klage gegen die Badenova ergeht sich die Gegenseite auf 20 Seiten darüber, warum 315 nicht anwendbar sein soll) - das ist also vom Tisch - positiv .

In diesem Urteil lässt das Gericht die Billigkeitsprüfung nur für Preiserhöhungen zu, nicht für den vor der Erhöhung ungerügten oder per Jahresrechnung gezahlten und damit (angeblich) akzeptierten Preis - das ist schlecht, da bereits der Gaspreis, auf den die Erhöhung aufsetzt, nicht koscher ist (Ölpreisbindung, überhöhte Netzpreise, möglicherweise manipulierter Grenzübertrittspreis usw.).

Aber: es gibt mindestens vier andere, frühere Urteile des BGH, darunter auch mehrere des VIII.Senats, die genau diesen Punkt anders sehen:
Kartellsenat Urt. v. 18.10.2005- KZR 36/04 Rn. 9, 10;
Kartellsenat Urt. v. 07.02.2006- KZR 8/05 und KZR 9/05
VIII . Senat, Urt. v. 30.04.2003 - VIII ZR 276/02
VIII.Senat 15.02.2006 - VIII ZR 138/05 ( Rn. 14/ 16, 28 ff.

Dann lasse ich mir diesen Satz auf der Zunge zergehen:
\"Es ist indes nicht so, dass Gerichte an die Rechtsprechung des BGH gebunden wären. Wer mit guten Argumenten überzeugt, kann dafür Sorge tragen, dass in seinem konkreten Fall weitere Aspekte in das Blickfeld genommen werden. Richter sind unabhängig.\"

und komme zu dem Schluss: alles halb so wild, eine Mehrheit von BGH-Urteilen lässt die Billigkeitsprüfung für den Gesamtpreis zu. Hier ein Beispiel für ein solches gutes Argument: In unserem Falle haben wir Hinweise, dass die Netzpreise noch viel mehr überzogen sind als von der Bundesnetzagentur festgestellt, wovon folgende Überschlagsrechnung Zeugnis ablegt:

1. Das Netz der Badenova ist etwa 220 Millionen Euro wert (Geschäftsbericht Badenova 2001)
2. Korrekte Netzkosten pro Jahr aus meiner Sicht wären etwa 22 Mio Euro (6% ROI, 2,3% Abschreibung, 2% Wartung, wobei man eigentlich sogar die Abschreibung vom ROI abziehen müsste)
3. Die Badenova hat 2005 17 Milliarden kWh Gas verkauft und
4. zieht pro kWh 1,22 Cent Netzkosten ein (Klageerwiderung Badenova, für gewerbliche Abnehmer dürfte es aber weniger sein)
5. sie nimmt also über den Daumen pro Jahr 209 Millionen Euro Netzkosten ein,
6. also fast 10x soviel wie es laut Punkt 2. sein dürften

Wer für seinen Gasversorger eine ähnliche Rechnung aufstellen möchte, kann die Netzerstellungskosten mit etwa 30000 Euro / km ansetzen (Geschäftsbericht Badenova 2001 für ein 261 km langes Teilstück aus Hochdruck-und Niederdruckleitung).

Angenommen, diese und ähnliche Rechnungen wären grössenordnungsmässig korrekt: ist damit nicht ein direkter Verstoss gegen §§1,2 EnWG mit Klagerelevanz gegeben, da massiv überzogene Netzkosten nicht in einen \"preisgünstigen\" Endpreis münden können ?

Eine persönliche Bemerkung: was mich frappiert ist die Weltfremdheit des Urteils in Bezug auf die angebliche Konkurrenz zwischen den Energieträgern (Substitutionswettbewerb). Strom ist zu teuer, Kohle nicht zeitgemäß, Fernwärme gibt es nicht überall, Öl ist prinzipiell als Konkurrenz ausgeschlossen wegen der Ölpreisbindung. Und selbst wenn es diesen Wettbewerb gäbe - wer kann denn alle naselang seine Heizung umbauen ?

Offline wulfus

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #48 am: 16. Juni 2007, 09:23:53 »
Heute morgen schon in den TV-Nachrichten: Sprecher und Akteur der GWBH, Herr Iversen, tritt zurück!
mehr hier: http://beam.to/gaspreis-widerstand.de

So sollten wir nicht reagieren! Die GVU werden sich schon die Hände reiben.

Offline nomos

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #49 am: 16. Juni 2007, 09:58:12 »
Richtig wulfus!

Das Handtuch schmeissen ist die falsche Reaktion.
Den Handschuh werfen, das sollte man dem Bad Honnefer Rebellen empfehlen.

Am Ziel hat sich nichts geändert. Der Weg ist steinig und steil.
Dann ziehen wir halt die Steigeisen an.

Außerdem sollten wir jetzt die Veröffentlichung abwarten und zur Kenntnis nehmen, dass hier über einen Einzelfall aus Heilbronn geurteilt wurde und nicht über die ganze Sache.
 
Wem das Urteil letztendlich mehr nutzt ist noch nicht ausgemacht.
Bezahlbare, sichere und umweltverträgliche Energie ist eine Verpflichtung der Politik gegenüber ihren Bürgern.  Die Erfüllung werden wir weiter einfordern.

Offline Capo

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #50 am: 16. Juni 2007, 13:55:59 »
Kaum zu glauben!! Da gibt man jetzt schon auf bevor das Urteil überhaupt erst veröffentlich ist.
Schaun wir doch erst mal wer überhaupt vorm Kadi zieht.
Ich stelle mir das nicht so einfach vor.
Hier ist seitens der Versorger auch viel indirekte Propaganda im Spiel!! Hier sollen die nervenschwachen Protestler im Vorfeld schon eleminiert werden.
Bis dann....

Offline Zeus

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #51 am: 16. Juni 2007, 16:38:15 »
@RR-E-ft

Vor drei Tage habe ich in diesem Thread die Frage nach der Relevanz von vorgelegten Gutachten (Testate) von renomierten Prüfungsgesellschaften (z. B. AC Christies & Partner, PricewarterhouseCoopers...) seitens der Versorger bezüglich der Weitergabe der Bezugskosten, gestellt.
Diese Frage wurde von \"ELMEX\" mit der Bemerkung abgetan: \"Nein! ein privates Gutachten ist vor Gericht als Nachweis regelmässig ungeeignet...\"
Nun entnehme ich bei Verivox der Stellungnahme der Kanzlei FPS Fritze Paul Seelig, dass \" Die über ein Gutachten belegte Weitergabe gestiegener Bezugspreise bewerteten die Karlshuher Richter nicht als unbillig gegenüber dem Kunden (VIII ZR 36/06, Urteil vom 13.6.07)\".
Hiermit sind doch wohl die von Versorgern vorgelegte und bezahlte Gutachten gemeint?

Offline nomos

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #52 am: 16. Juni 2007, 18:23:58 »
Zitat
Original von Zeus
....
Hiermit sind doch wohl die von Versorgern vorgelegte und bezahlte Gutachten gemeint?

Sicher, aber ...

\"Judex non calculat\" (\"Der Richter rechnet nicht\")

Für diesen Fall war wohl ein simples Wirtschaftsprüfergutachten ausreichend. Bei einer einzelnen Preissteigerung nachzuvollziehen, ob die Steigerungen beim Einkauf mit den Preiserhöhungen beim Verkauf übereinstimmen ist ja kein Hexenwerk. Da reicht wohl jedes Wirtschaftsprüfergutachten aus. Da macht auch ein Gegengutachten keinen Sinn. Die Frage, wie das dann aussieht, wenn Beziehungen mit dem Vorlieferanten bestehen oder die Lieferungen innerhalb eines Konzerns erfolgen, wird wohl wieder vor Gericht landen. Außerdem hat die Rechnung noch mehr Bestandteile. Der Einkaufspreis ist wichtig, aber er steht nicht alleine.

Geklagt wurde hier wegen einer einzelnen Preiserhöhung in Heilbronn und über diesen Einzelfall wurde entschieden. Das Urteil wird noch veröffentlicht! Das war keine Entscheidung für die Ewigkeit und schon gar nicht über das gesamte Thema. Andere Fälle werden bei Gericht landen, die andere Aspekte aufzeigen und die wohl auch mehr in die Tiefe gehen! Da stellt sich dann die Frage der Gültigkeit von diversen Gutachten wieder.

Apropos Konzern:

“Wenn Manager Manager managen, managen Manager Manager.”

Offline elmex

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #53 am: 16. Juni 2007, 19:56:59 »
Zitat
Original von Zeus
@RR-E-ft

Vor drei Tage habe ich in diesem Thread die Frage nach der Relevanz von vorgelegten Gutachten (Testate) von renomierten Prüfungsgesellschaften (z. B. AC Christies & Partner, PricewarterhouseCoopers...) seitens der Versorger bezüglich der Weitergabe der Bezugskosten, gestellt.
Diese Frage wurde von \"ELMEX\" mit der Bemerkung abgetan: \"Nein! ein privates Gutachten ist vor Gericht als Nachweis regelmässig ungeeignet...\"
Nun entnehme ich bei Verivox der Stellungnahme der Kanzlei FPS Fritze Paul Seelig, dass \" Die über ein Gutachten belegte Weitergabe gestiegener Bezugspreise bewerteten die Karlshuher Richter nicht als unbillig gegenüber dem Kunden (VIII ZR 36/06, Urteil vom 13.6.07)\".
Hiermit sind doch wohl die von Versorgern vorgelegte und bezahlte Gutachten gemeint?

Ich versuche es mal mehr oder weniger untechnisch auszudrücken: Im Zivilprozeß haben grundsätzlich die Parteien die Herrschaft über den Streitstoff. Dass heisst, dass die Parteien entscheiden, worüber gestritten wird und über was ggf Beweis zu erheben ist. Ein privates Gutachten eines der Parteien kann beispielsweise vom Gegner aktzeptiert oder unbestritten bleiben, was zur Folge hat, dass dessen Inhalt als zugestanden sprich als die \"reine Wahrheit\" gilt (egal ob dem wirklich der Fall ist). Das Gericht hat das zu aktezptieren. Einem Privatgutachten kann man sich jedoch als Streitpartei jederzeit widersetzen mit der Folge, dass es als prozessualer Beweis nicht tauglich ist. Sofern dann die zugrundeliegende Frage beweiserheblich ist, muss dass Gericht selbst Beweis (z.B. durch einen neutralen gerichtlichen  Sachverständigen) erheben.

Es kommt also immer darauf an, wie man reagiert, wenn der Gegner mit einem solchen Gutachten ankommt...

Offline energienetz

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #54 am: 18. Juni 2007, 08:51:03 »
Professor Kurt Markert, früher im Bundeskartellamt der für die Strom- und Gasversorgung zuständige Abteilungsleiter, der im eid ?/06 bereits das Urteil des Landgerichts Heilbronn kommentiert hatte, meint zu dem BGH-Urteil:

Der klagende Gaskunde hat zwar für ihn sicher unbefriedigend seien Prozess endgültig verloren, aber für die zahlreichen anderen derzeit bei Gericht schon anhängigen und künftige weitere Fälle wichtige höchstrichterliche Klärungen erreicht.

Danach sind vom Lieferanten einseitige vorgenommene Preiserhöhungen der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB auch dann unterworfen, wenn keine  entsprechende Preisänderungsklausel vertraglich vereinbart wurde, sondern der Lieferant sich auf ein gesetzliches Änderungsrecht nach der AVBGasV stützte. Dies gilt auch schon für vorangegangene Preiserhöhungen, allerdings nach Ansicht des BGH nur dann, wenn sie vom Kunden in den Jahresabrechnungen nicht unbeanstandet hingenommen wurden, also die Bezahlung der Rechnung nicht wenigstens mit dem Vorbehalt späterer gerichtlicher Nachprüfung verbunden wurde. Klargestellt hat der BGH auch, dass die Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB durch das Kartellrecht nicht ausgeschlossen wird und es dabei auf den Vergleich mit den Preisen anderer Gasversorger nicht ankommt.

Den bei Vertragsbeginn geltenden „Anfangspreis“ hält der BGH allerdings einer Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB nicht für zugänglich – offenbar auch dann nicht, wenn es sich um einen vom Lieferanten einseitig aufgestellten („diktierten“) allgemeinen Tarif handelt, über den mit den Kunden nicht verhandelt wird und den der Kunde ausdrücklich nur unter Vorbehalt akzeptiert hat. Jedenfalls in diesem Fall setzt sich der VIII. Zivilsenat erneut, wie schon in seinem die Strompreise betreffenden Urteil vom 28. März 2007, in Widerspruch zu dem Urteil des Kartellsenats des BGH vom 18. Oktober 2005 zur Beurteilung von Stromnetznutzungsentgelten nach dieser Vorschrift Ein weiterer Widerspruch zur Rechtsprechung dieses Senats, nämlich zur Entscheidung vom 13. Dezember 2005 im Fall Stadtwerke Dachau, und des OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 23. November 2005 – Mainova/Stadtwerke Aschaffenburg) sowie zur ständigen Verwaltungspraxis des Bundeskartellamtes liegt darin, dass der VIII. Zivilsenat bei der Frage einer etwaigen Monopolstellung des Lieferanten nicht auf den Gasmarkt, sondern auf den „Wärmemarkt“ unter Einbeziehung aller anderen zur Wärmeerzeugung geeigneten Energiearten abstellt. Diese Divergenzen zwischen zwei BGH-Senaten sind alles andere als glücklich.

Strom- und Gaskunden, die Zweifel an der Angemessenheit schon der ihnen ohne Verhandlungsmöglichkeit vom Lieferanten abverlangten „Anfangspreise“ oder jedenfalls  an späteren einseitigen Preiserhöhungen haben, sind nach dem BGH-Urteil gut beraten, rechtzeitig zu widersprechen, z. B. durch eine Vorbehaltserklärung oder in krassen Fällen auch durch eine angemessene Rechnungskürzung. Es empfiehlt sich auch, zur Abwehr überhöhter Preisforderungen künftig das Kartellrecht stärker ins Spiel zu bringen, zumal wenn der geplante neue § 29 GWB mit Beweislastumkehr voraussichtlich im Spätherbst dieses Jahres Gesetz wird. In jedem Fall aber sollte, das lehrt der Ausgang des Heilbronner Falles, immer der gesamte neue Preis zur gerichtlichen Nachprüfung gestellt werden und nicht nur die letzte Preiserhöhung.

Offline energienetz

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #55 am: 18. Juni 2007, 08:54:20 »
Bundesgerichtshof entscheidet umstritten

Am 15. April 2005 erklärte das Amtsgericht Heilbronn die Gaspreiserhöhung der Stadtwerke Heilbronn für nichtig. Dieses Urteil hat Rechtsgeschichte geschrieben. Es stützte sich wesentlich auf die Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs. Dass dieses Urteil vom Landgericht Heilbronn aufgehoben und diese Aufhebung nun sogar vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde, ist nur vordergründig ein Widerspruch. Ursache sind in erster juristische und prozesstaktische Gründe und weniger grundlegend unterschiedliche Bewertungen der Gerichte. Diese Übereinstimmungen sind positiv für Verbraucher:

   1.  Gaspreiserhöhungen für Tarifkunden unterliegen der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB. Die Maßsstäbe der Billigkeitskontrolle richten sich immer am Einzelfall aus und insbesondere daran, was die Prozessparteien im einzelnen vorgetragen und beantragt haben. Zwar erstaunt es zunächst, dass die Kalkulation des Preises nicht gerichtlich geprüft wurde. Dies folgt aber für das Landgericht Heilbronn schon daraus, dass vom klagenden Verbraucher nur die Gaspreiserhöhungen angegriffen worden sind. Dumm gelaufen, aber nicht von grundsätzlicher Bedeutung. In einem anderen Verfahren könnten andere Anträge gestellt werden und dann wäre die Kalkulation offenzulegen.

   2.  Auf eine Monopolsituation kommt es für eine Billigkeitsprüfung nicht an. Deshalb ist das Urteil grundsätzlich auch auf Strompreise übertragbar.

Der Bundesgerichtshof ist wohl in diesem Fall der Ansicht, dass der einmal akzeptierte und bezahlte Basispreis später nicht mehr in Frage gestellt werden kann.

Drei Dinge sind in diesem Zusammenhang noch wichtig.

Erstens: Der Wortlaut des Urteils des Bundesgerichtshofs ist noch nicht bekannt. Deshalb kann man über die Entscheidungsgründe derzeit nur spekulieren.

Zweitens: Das Urteil weicht von anderen Urteilen des Bundesgerichtshofs in vergleichbaren Fällen deutlich ab. Ein klare Linie lässt sich deshalb nicht ausmachen. Es ist durchaus denkbar, dass künftige Urteile oder andere Senate anderer Ansicht sind.

Drittens: Andere Richter in anderen Gerichten entscheiden unabhängig und sind nicht an die Entscheidung des Bundesgerichtshofs gebunden. Die Wirkung dieses Urteils des Bundesgerichtshofs hängt also von seiner Plausibilität und Überzeugungskraft ab. Wo das Urteil unterstellt, der Verbraucher hätte einem Ausgangspreis zugestimmt, geht das Urteil offensichtlich in die Irre. Zahlreiche andere Gerichte und auch der BGH selbst sind in dieser Frage anderer Ansicht.

Hunderttausende von Protestkunden, die den geforderten Gas- und Strompreis nicht bezahlt haben, können nach dem Urteil aufatmen. Denn nach diesem Grundsatzurteil wird ein geforderter Gaspreis erst dann zur Zahlung fällig, wenn er der Billigkeit entspricht.

Die Konsequenz aus dem Urteil lautet: Verbraucher sollten bei Gas und Strom allen Preisanhebung und auch dem Gesamtpreis schriftlich widersprechen. Eine Kürzung des geforderten Preises auf den zuletzt widerspruchslos gezahlten Preis ist bis zum Nachweis der Billigkeit zu empfehlen und auch durch das jüngste Urteil des BGH gerechtfertigt.

Offline energienetz

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Offline RR-E-ft

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #57 am: 25. Juli 2007, 19:19:14 »
Das bisher unveröffentlichte Gaspreisurteil des BGH vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 liegt den Parteien nun vor. Der Bund der Energieverbraucher hat auf seiner Internetseite die darin enthaltenen Leitsätze veröffentlicht.

Das Urteil selbst wird wohl bald unter http://www.bundesgerichtshof.de veröffentlicht.

Der BGH hat klar gesagt, dass sich gegenüber Gastarifkunden ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Gasversorgers gem. § 315 BGB  aus der gesetzlichen Regelung des § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV ergibt.


In den Randnummern 16/17 des Urteils auf Seite 7 der Urteilsausfertigung wird dabei ausgeführt:

\"Haben die Vertragsparteien vereinbart, dass eine von ihnen die Vertragsleistung bestimmen soll, so hat diese die Bestimmung im Zweifel nach billigem Ermessen vorzunehmen. Die getroffene Bestimmung ist für den anderen nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Der Vertragspartner, der sich der Bestimmung des anderen unterworfen hat, soll hierdurch gegen eine willkürliche Vertragsgestaltung durch den anderen geschützt werden. Dieser allgemeine Schutzgedanke ist auch dann heranzuziehen, wenn das Gesetz einer Vertragspartei das unter § 315 BGB fallende Leistungsbestimmungsrecht zuweist.

§ 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV stellt eine solche gesetzliche Regelung dar (Hanau, ZIP 2006, 1208; Fricke, WuM 2005, 547, 550; Held, NZM 2004, 169, 172; Tegethoff/Büdenbender/Klinger, Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, Stand 2000, § 4 AVBEltV/ AVBGasV, Rdnr. 11 Fn. 18; ....\"


 

Diese gesetzliche Regelung gilt aber wirklich nur für echte Tarifkunden.
Ohne dies zu sagen ist der erkennende VIII. Zivilsenat im Gegensatz zum Kartellsenat der Auffassung, dass der Anfangspreis bei Vertragsabschluss auch bei Preisen in Form Allgemeiner Tarife  vereinbart sei und nicht der Billigkeitskontrolle unterliege. Der Kartellsenat beurteilt diese Frage ersichtlich anders.


Im konkreten Fall hatte der Kläger auch nur eine konkrete Preiserhöhung zur gerichtlichen Überprüfung gestellt, nicht aber den Gesamtpreis. Deshalb war auch nur die streitgegenständliche Preiserhöhung gerichtlich zu prüfen. Der BGH betont in dem Urteil mehrfach, dass eine konkrete einzelne  Preiserhöhung streitgegenständlich war.

Der BGH stellt dies in Randnummer 12 auf Seite 6 der Urteilsausfertigung deutlich heraus.

Der BGH hat weiter klar gesagt, dass die einseitige Preiserhöhung gegenüber einem Tarifkunden wegen des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts (s. o.) der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterliegt.

Weiter hat der BGH klargestellt, dass man bei der Billigkeitskontrolle einer einzelnen Preiserhöhung nicht allein auf Bezugskostensteigerungen abstellen kann, weil gestiegene Bezugskosten durch Kostensenkungen an anderer Stelle ganz oder teilweise ausgeglichen werden können.

Im konkreten Fall hat der BGH das Urteil des LG Heilbronn bestätigt, weil der Kläger zwar zunächst bestritten hatte, dass die streitgegenständliche Tariferhöhung auf einer Bezugskostensteigerung beruhte, im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.11.2005 aber die vom beklagten Gasversorgungsunternehmen weiter vorgelegten Unterlagen (Wirtschaftsprüfer- Bescheinigung) jedoch nicht in Zweifel gezogen, mithin sein Bestreiten insoweit nicht aufrecht erhalten habe !

Dies wird auf Seite 11 der Urteilsausfertigung in Randnummer 24 ausdrücklich so ausgeführt.

Auch einen bestehenden Substitutionswettbewerb zwischen Erdgas und anderen Energieträgern habe der Kläger nicht hinreichend bestritten, so dass das Berufungsgericht - anders als in einem früheren Fall - keine Monopolstellung des Gasversorgers festgestellt habe. Allein darauf beruhe,  dass nun auch der BGH nicht - wie im früheren Fall-  an eine Feststellung des Berufungsgerichts gebunden sei, dass der Gasversorger gegenüber einem Neukunden eine Monopolstellung einnehme.

Das Unterliegen des Klägers mit seiner Revision soll also allein am mangelnden Bestreiten des Klägers und nicht etwa daran gelegen haben, dass ein Gericht die tatsächlichen Kostenänderungen des beklagten Gasversorgers vertieft geprüft hatte. Einer solchen Prüfung der tatsächlichen Kostenentwicklung habe es wegen des fehlenden Bestreitens des Klägers nicht bedurft....

Es bleibt also jedem anderen betroffenen Gastarifkunden, der sich gegen einseitige Tariferhöhungen zur Wehr setzt, überlassen, besser zu bestreiten, so dass eine umfassendere gerichtliche Prüfung der tatsächlichen Kostenänderungen, auf denen eine einseitige Tariferhöhung beruhen soll, erfolgen muss.

Keinesfalls lässt sich deshalb aus dem Urteil des BGH herleiten, dass die Tariferhöhungen der Gasversorger, welche von den Tarifkunden jeweils als unbillig gerügt wurden, jeweils erforderlich und angemessen waren.

Vielmehr soll ein Kläger im konkreten Fall allein deshalb unterlegen sein, weil er sein Bestreiten in der mündlichen Verhandlung insoweit nicht aufrecht erhalten habe.

Wo Gasversorger etwas anderes behaupten sollten, betreiben sie reine Bauernfängerei. Dies gilt insbesondere dann, wenn Versorger behaupten, aus dem Urteil ergebe sich auch etwas für Gaskunden mit Sonderabkommen, obschon solche Rechtsfragen überhaupt nicht zur Entscheidung anstanden und entschieden wurden.

Das Urteil lässt sich allein auf Stromtarifkunden übertragen, weil § 4 AVBGasV und § 4 AVBEltV nahezu inhaltsgleich sind. Ebenso lässt es sich auf Kunden in der Grundversorgung übertragen, weil der BGH auch ausgeführt hat, dass sich das einseitige Leistungsbestimmungsrecht nunmehr aus § 5 Abs. 2 Grundversorgungsverordnung ergibt.

Daran sieht man zugleich, dass sich auch ein Kläger, der lange selbst als Richter an einem Landgericht tätig war, in den Regelungen der Zivilprozessordnung verheddern und allein deshalb einen Rechtsstreit verlieren kann. Es ist also mehr als untunlich, wenn sich Verbraucher ohne anwaltliche Unterstützung eine solche rechtliche  Auseinandersetzung zumuten, wenn sie durch die Abgabe ungeschickter einzelner Erklärungen - auch schon vor einem Prozess - Fehler machen können.


Klar ist auch, dass dieses Urteil nicht für Sonderabnmehmer gilt.

Bei denen ergibt sich schon kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Lieferanten hinsichtlich der zu zahlenden Entgelte aus einem Gesetz.

Gegenüber Sonderkunden besteht deshalb ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Versorgungsunternehmens hinsichtlich der vom Kunden zu zahlenden Entgelte  nur, wenn ein solches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht bereits bei Vertragsabschluss- statt eines konkreten Preises - wirksam vereinbart wurde.

In einem solchen Fall der wirksamen Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts bei Vertragsabschluss unterliegen die Preise in ihrer Gesamtheit der Billigkeitskontrolle.

Offline RR-E-ft

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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #58 am: 26. Juli 2007, 15:26:03 »
Auch vorhergehenden Beitrag lesen!

Urteilsbegründung BGH, Urt. v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06

Das Urteil des BGH betrifft einen Einzelfall eines Tarifkunden. Der Kläger hatte ausdrücklich nur eine einzelne Preiserhöhung zur gerichtlichen Überprüfung gestellt  und damit gem. § 308 ZPO den Streitgegenstand für das Gericht bindend festgelegt (vgl. Rn. 12). Zudem soll der Kläger sein Bestreiten, dass die Erhöhung des streitgegenständlichen Tarifpreises auf einem entsprechenden Anstieg der Bezugskosten beruhte, in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht aufrecht erhalten haben (vgl. Rn. 24).  

Zutreffend hat der BGH in der Regelung des § 4 AVBV ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB erkannt. Weil diese Regelung gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AVBV vertragsgegenständlich ist, haben EVU und Tarifkunde ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des EVU hinsichtlich der zu zahlenden Entgelte vereinbart. Es handelt sich um ein kraft normativer Einbeziehung vertraglich vereinbartes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des EVU


Eine solche einheitliche Preisvereinbarung soll nach der Rechtsprechung des Kartellsenats auch schon den bei Vertragsabschluss geltenden Preis (Anfangspreis) betreffen. Auch wenn der Preis dabei bereits betragsmäßig feststehe, soll nach der Rechtsprechung des Kartellsenats nicht dieser betragsmäßig bekannte Preis vereinbart sein. Es handele sich bei dem zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden Preis vielmehr um das Ergebnis des gleichen vertraglich vereinbarten Preisbestimmungsverfahrens, so dass der Anfangspreis nicht weniger einseitig bestimmt sei als ein nach Vertragsabschluss einseitig festgelegter Folgepreis (BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 = NJW 2006, 684 Rn. 9/10; BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 8/05 = NJW-RR 2006, 915 Rn. 12).

Ein solches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht eines gesetzlich zur Versorgung verpflichteten Energieversorgungsunternehmens ist keinesfalls schrankenlos. Die Preisbildungsschranke, die bei der Ermessensausübung der einseitigen Preisfestlegung zu beachten ist, ergibt sich aus der gesetzlichen Verpflichtung zu einer möglichst preisgünstigen, effizienten leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität und Gas gem. § 1 EnWG (vgl. BGH NJW-RR 1992, 183 unter III. 1; BGH NJW 2006, 684 Rn. 13 a. E.).
Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der gesetzlichen Verpflichtung des § 2 Abs. 1 EnWG seinen entsprechenden Willen deutlich zum Ausdruck gebracht (vgl. auch § 17 Abs. 1 Satz 3 GVV).

Der bei Vertragsabschluss geltende Preis ist deshalb auch kein für alle Zukunft feststehender Mindestpreis:

Sobald es die Kosten- und Erlöslage des EVU bei energiewirtschaftlich- rationeller, effizienter Betriebsführung zulässt, sind die Tarifpreise entsprechend abzusenken. Dies kann zB. dann der Fall sein, wenn durch die Regulierungsbehörde die Netzkosten abgesenkt werden oder wenn die Beschaffungskosten oder sonstige Kosten des gesetzlich versorgungspflichtigen Unternehmens sinken.

Diese energierechtliche Besonderheit hat der entscheidende Senat offensichtlich verkannt. § 4 AVBV ist eben keine Regelungen, die nur zu Preiserhöhungen berechtigt, sondern auch die entsprechende Verpflichtung zu Preissenkungen zur Folge hat, um jederzeit eine möglichst preisgünstige leitungsgebundene Versorgung mit Elektrizität und Gas im Interesse der Allgemeinheit sicherzustellen.

Nichts anderes gilt zu §§ 36, 2 Abs. 1 EnWG iVm. § 5 GasGVV.

Der entsprechende Preis, welcher der gesetzlichen Verpflichtung zu einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität und Gas entspricht, muss also durch eine entsprechende Ermessensentscheidung des Grundversorgers von Zeit zu Zeit nach Neukalkulation der Preise insgesamt neu festgelegt werden, wobei alle preisbildenden Faktoren berücksichtigt werden müssen.  

Auch die Entscheidung eines Grundversorgers, eine erhebliche Absenkung der Netzkosten durch die Regulierungsbehörde nicht durch eine entsprechende  Preissenkung an die Kunden weiterzugeben, ist sicher eine Ermessensentscheidung, die einer Billigkeitskontrolle unterliegt.

Nicht anders muss es sich verhalten, wenn ein Grundversorger sich entscheidet, gesunkene Beschaffungskosten überhaupt nicht, nicht sofort oder nicht vollständig über die Preise an die Kunden weiterzugeben.

Auch dabei handelt es sich um entsprechende Ermessensentscheidungen, von denen die betroffenen Kunden jedoch schon regelmäßig nichts erfahren, von denen sie aber gleichwohl betroffen sind.

Nunmehr ist in §§ 102, 107, 108 EnWG angeordnet, dass über bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten über Rechte und Pflichten aus dem Energiewirtschaftsgesetz ausschließlich besondere Gerichte zur Entscheidung berufen sind, über entsprechende Revisionen der Kartellsenat des BGH entscheidet. Man sollte sich deshalb an der Rechtsprechung des Kartellsenats orientieren.

Die Ausführungen in Rdn. 16/17 und 32 des Urteils stehen deshalb auch in einem gewissen Widerspruch zueinander, als zum einen ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht, welches zur unmittelbaren Anwendung des § 315 BGB führt, bejaht und zum anderen - nur einige Seiten weiter -  ein eben solches verneint wird. Das Urteil erscheint also nicht frei von Wertungswidersprüchen.

Auch aus der zitierten Entscheidung BGHZ 97, 212 geht hervor, dass die einseitig festgelegten Entgelte, nicht aber nur eine Änderung der Entgelte einer Billigkeitskontrolle unterliegen. Führt die Billigkeitskontrolle der einseitig festgelegten Entgelte zu dem Ergebnis, dass die Entgelte unbillig sind, dann sind diese Entgelte geringer neu festzulegen. Werden die Entgelte nicht von dem Vertragsteil herabegsetzt, dem das einseitige Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der zu zahlenden Entgelte eingeräumt ist, so kann der andere Teil eine darauf gerichtete gerichtliche Entscheidung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB beantragen, ein der Billigkeit entsprechendes Entgelt gerichtlich festsetzen lassen.

Tarifkunden haben von Anfang an einen gesetzlichen Anspruch auf eine Belieferung zu allgemeinen Preisen, die einer möglichst preisgünstigen Versorgung gem. § 1 EnWG entsprechen.

Aus § 1 EnWG folgt sogleich, dass nicht sämliche Kosten, sondern nur diejenigen Kosten einer effizienten, energiewirtschaftlich-rationellen Betriebsführung in die Tarifpreise einfließen dürfen. Dies hindert es, Kosten in Ansatz zu bringen, die auf kartellrechtswidrigen Preisabsparechen mit Vorlieferanten beruhen, wie dies auch nach Auffassung des Senats beim bisher praktizierten sog. \"Anlegbarkeitsprinzip\" der Fall sein kann. Eine solche Preiskoppelung dürfte schon gegen den bisher geltenden § 2 Abs. 1 PaPkG verstößen und deshalb nichtig sein.

Nicht überzeugend ist die Auffassung, eine vorbehaltlose Zahlung auf ein einseitig festgelegtes Entgelt führe zu einer Vereinbarung des selben. Für eine entsprechende Einigung fehlt es schon regelmäßig an Angebot und Annahme durch zwei übereinstimmende, empfangsbedürftige Willenserklärungen. Die Geltung des einseitig festgelegten und zur Abrechnung gestellten Entgelts soll auch aus der Sicht des EVU nicht davon abhängen, ob der Kunde mit diesem einverstanden ist. Vielmehr soll das einseitig festgelegte Entgelt für den anderen verbindlich sein, ohne dass es auf ein Einverständnis des Kunden ankommt. Das ist dann der Fall, wenn es der Billigkeit entspricht. Der vom EVU zur Abrechnung gestellte Preis ist und bleibt also ein einseitig bestimmter Preis.

Sonst ist es unverbindlich (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Eine \"soweit\"- Verbindlichkeit, also teilweise Verbindlichkeit, kennt die gesetzliche Regelung des § 315 BGB überhaupt nicht. Sie ist ihr fremd. Deshalb scheinen auch einige der gebildeten Leitsätze mit der insoweit ganz klaren gesetzlichen Regelung des § 315 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 BGB schwer vereinbar.


Nicht überzeugend ist die Abgrenzung zur früheren Gas-Hausanschlusskosten - Entscheidung in Rn. 34/35:

Die Frage, ob ein einheitlicher Wärmemarkt und auf einem solchen ein Substitutionswettbewerb besteht, und letztlich ein solcher die Erdgaspreise wirksam beeinflusst, ist eine Tatsachenfrage. Diese war zwischen den Parteien streitig.

Das LG Heilbronn hatte das Bestehen eines solchen Wettbewerbs verneint (vgl. Seite 14/ 15 der Urteilsausfertigung).

An eine entsprechende Tatsachenfeststellung des Berufungsgerichts wäre der BGH in der Revision, wie bei der früheren Entscheidung, gebunden gewesen.

Soweit es auf diese Tatsachenfrage für die Entscheidung ankam, hätte wohl eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung erfolgen müssen. Hinzuweisen ist auf die \"Fernwärme für Börnsen\" - Entscheidung des Kartellsenats (BGH, Urt. v. 09.07.2002 - KZR 30/00, Seite 12 der Urteilsausfertigung ), in der ausdrücklich festgestellt wurde, dass ein einheitlicher Markt für Wärmeenergie nicht besteht.

Durch die Zugrundelegung in der Vorinstanz nicht geklärter bzw. streitiger Tatsachen (u.a. Existenz eines einheitlichen Wärmemarktes und eines bestehenden Substitutionswettbewerbs, unbeanstandete Zahlung auf vorangegangene Verbrauchsabrechnungen) könnte der Kläger in seinem verfassungsrechtlich verbürgtem Recht auf rechtliches Gehör verletzt sein, so dass möglicherweise die Entscheidung des BGH im konkreten Fall auf entsprechenden Verfahrensfehlern beruht.

Die Entscheidung ist übertragbar auf Stromtarifkunden und Kunden in der nunmehrigen Grundversorgung mit Elektrizität und Gas.
 
Bei Sonderkunden besteht kein gesetzliches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des EVU hinsichtlich des vom Kunden zu zahlenden Preises (vgl. BGH NJW 1998, 1640, 1642).

Gegenüber solchen Kunden besteht deshalb ein solches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des EVU hinsichtlich der zu zahlenden Preise nur, wenn es bereits bei Vertragsabschluss - statt eines konkreten Preises - wirksam vereinbart wurde (vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 24/04 ).

Dafür, dass ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der vom Kunden zu zahlenden Entgelte beim Vertragsabschluss wirksam vereinbart wurde, trägt das Versorgungsunternehmen die Darlegungs- und Beweislast.

BGH, Urt. v. 17.02.2004 - XI ZR 140/03 unter II 2 a)

Die gesetzliche Regelung einseitiger Leistungsbestimmungsrechte in den §§ 315 ff. BGB entzieht die formularmäßige Einräumung solcher Rechte, wovon auch das Berufungsgericht mit Recht ausgeht, nicht der AGB-rechtlichen Kontrolle. Diese Vorschriften ändern nichts daran, daß die Vertragsparteien sich im vom Gesetz vorausgesetzten Regelfall über Art und Umfang der Leistung sowie einer Gegenleistung einigen und dies im Vertrag festlegen. Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB besteht daher nur, wenn es vertraglich vereinbart wurde (BGHZ 90, 69, 72). Die formularmäßige Vereinbarung eines solchen Leistungsbestimmungsrechts unterliegt deshalb der Inhaltskontrolle (vgl. BGHZ 82, 21, 23; 94, 335, 337 f.; 97, 212, 215; 118, 126, 130 f.; BGH, Urteil vom 19. November 2002 - X ZR 243/01, NJW 2003, 507, 508

BGH, Urt. v. 13.07.2004 - KZR 10/03 (WRP 2004, 1378 = GRUR 2005, 62) unter II. 6.:

Die Unangemessenheit der Klausel läßt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht mit dem Argument ausräumen, eine einseitige Leistungsbestimmung habe gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen und sei andernfalls unverbindlich. § 315 BGB scheidet als unmittelbare Rechtfertigung einer Klausel schon deshalb aus, weil die Vorschrift eine wirksame Anwendungsvereinbarung bereits voraussetzt und die Entscheidung über die Wirksamkeit der Vertragsklausel sich ausschließlich nach den Angemessenheitsmaßstäben des § 307 BGB, § 9 AGBG richtet (BGHZ 89, 206, 213). Auch als inhaltliche Beschränkung des Anwendungsbereichs einer Klausel läßt sich der in § 315 BGB enthaltene Rechtsgedanke nicht verwerten, weil der weite Spielraum der Billigkeit nicht den an die Eingrenzung und Konkretisierung einer Formularbestimmung zu stellenden Anforderungen genügt (BGHZ 89 aaO).[/COLOR]


Im Falle der wirksamen Vereinbarung eines solchen einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Lieferanten bezüglich der jeweils zu zahlenden Entgelte bei Vertragsabschluss unterliegt der jeweils einseitig festgelegte Gesamtpreis der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB.


Thomas Fricke
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BGH, Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06
« Antwort #59 am: 31. Juli 2007, 20:27:40 »
Gegen die Annahme eines wirksamen Wettbewerbs spricht die Begründung der Bundesregierung zur Änderung des GWB im Energiebereich.

a) Verschärfung der Missbrauchsaufsicht im Energiesektor

Die den Energienetzen vor- und nachgelagerten Märkte haben sich seit der mehr als acht Jahre zurückliegenden rechtlichen Marktöffnung noch nicht zu funktionierenden Wettbewerbsmärkten entwickelt. Defizite sind insbesondere im Erzeugungsbereich von Elektrizität und – u.a. bedingt durch bislang nur unzureichend funktionierende Durchleitungsmodelle – im Haushaltskundengeschäft mit Gas festzustellen. Die Energiemärkte sind von einer starken vertikalen Integration und zunehmender Konzentration geprägt. Die Energiepreise sind auf ein volkswirtschaftlich bedenkliches Niveaus gestiegen, das mit der Entwicklung der Primärenergiekosten nicht mehr begründbar erscheint und industrielle Abnehmer sowie Endverbraucher über Gebühr belastet. Insbesondere mit Blick auf die nicht regulierten Märkte sollen deshalb die Eingriffsmöglichkeiten nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gegenüber marktbeherrschenden Energieversorgungsunternehmen verbessert werden.

Ziel des § 29 ist eine Schärfung des kartellrechtlichen Instrumentariums zur Bekämpfung missbräuchlich überhöhter Energiepreise mittels einer auf den Energiesektor zugeschnittenen Ausprägung der Generalsklausel des § 19 Abs. 1 GWB....

Der Terminus „Entgelte“ in § 29 entspricht dem Entgeltbegriff des § 19  Abs. 4 GWB. Er umfasst auch einzeln ausgewiesene und einer eigenen Preisbildung zugängliche Preise, z.B. Messpreise. Sie können einer Missbrauchskontrolle unterzogen werden. Ebenso können einzelne Preisbildungsfaktoren und nicht nur die geforderten Entgelte als solche von Bedeutung sein. So hat der BGH (vom 18.10.2005 Lichtblick, KZR 36/04) zu § 19 GWB entschieden, dass zwar letztlich nicht die Art der Preisfindung, sondern deren Ergebnis den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstelle. Doch könne der Ansatz insbesondere einer Mehrheit von Preisbildungsfaktoren ein Indiz dafür sein, dass der so gewonnene Preis missbräuchlich überhöht ist, wenn anzunehmen ist, dass der auf ihrer Grundlage kalkulierte Preis bei wirksamen Wettbewerb auf dem Markt nicht durchgesetzt werden kann.

Nach Satz 1 Nr. 2 kann auch der absolut überhöhter Preis einen Missbrauchsvorwurf rechtfertigen. Damit wird die Möglichkeit, einen Ausbeutungsmissbrauch mit einer unangemessenen Kosten-Preis-Relation zu begründen, für den Bereich der Energiewirtschaft ausdrücklich klargestellt. § 29 kodifiziert insoweit die Prüfkonzepte der Kostenkontrolle und Gewinnbeschränkung für die Anwendung von § 19 Abs. 1, 4 Nr. 2 GWB und Art. 82 EG- Vertrag, die die Rechtsprechung insbesondere zu Art. 82 EGV bereits anerkannt hat (EuGH, vom 14.02.1978 United Brands, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207).

Die Prüfung des Verhältnisses von Gewinn und Kosten orientiert sich an den üblichen Preisbildungsmechanismen im Wettbewerb. Maßstab der Angemessenheitsprüfung ist neben den Ordnungsprinzipien der Wettbewerbswirtschaft, wie sie sich aus dem GWB ergeben, gerade auch mit Blick auf die Nachfrager – das im EnWG normierte Ziel der preisgünstigen Energieversorgung.
...

Satz 2 stellt klar, dass das für den Ausbeutungsmissbrauch geltende Als- ob- Wettbewerbskonzept auch den Maßstab für die Ansetzbarkeit der Kosten bildet. Kosten, die ein Unternehmen bei funktionierendem Wettbewerb vermeiden oder nicht geltend machen würde bzw. nicht über die Preise abwälzen könnte, dürfen bei der Anwendung des § 29 nicht zugunsten des Normadressaten berücksichtigt werden. Das Gesetz verwendet keinen bestimmten Kostenbegriff wie etwa im Sinne von Durchschnittskosten. Die Kartellbehörden haben bei Anwendung des § 29 anerkannte ökonomische Theorien zu beachten, z.B. den Grundsatz, dass bei vollkommenem Wettbewerb die Preise den Grenzkosten entsprechen. Die Kartellbehörde kann gem. § 59 das Versorgungsunternehmen auffordern, Kosten, deren Aufschlüsselung und Kalkulationsgrundlagen darzulegen.“

 

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