Es geht ja nicht nur um den GAU, auch bei kleineren Störfällen wurde schon Radioaktivität freigesetzt oder es wurden AKW-Arbeiter verstrahlt.
Zu dem Punkt brachte der AKW-Betreiber von Phillipsburg damals eine interessante Betrachtung vor:
Jeder Stoff (auch jeder Mensch) hat eine gewisse natürliche Radioaktivität. Bei Kohlenstoff besteht der größte Anteil aus C12 und ein winziger Anteil aus dem radioaktiven C14. Darauf beruht übrigens die Radio-Carbon-Methode zur Datierung.
Kohlekraftwerke pusten ja unbestreitbar Ruß und Kohlendioxid in die Luft, und dies gleich in riesigen Mengen. Rußpartikel selbst wirken krebserregend, obwohl sie nicht radioaktiv sind. Das radioaktive C14 kann natürlich auch Strahlenschäden verursachen. Die Symptome einer radioaktiven Verstrahlung sind meines Wissens unabhängig vom Verursacher, also Kohlenstoff, Cäsium oder Jod.
So gesehen blasen Kohlekraftwerke ständig (mengenmäßig) wesentlich mehr radioaktives Material in die Luft als Atomkraftwerke. Setzt man nun voraus, dass das Leben von
Tante Erna nicht weniger Wert ist als das eines AKW-Mitarbeiters, so könnte es paradoxerweise so sein, dass mehrere Kohlekraftwerke mit insgesamt 20GW Leistung innerhalb von 50 Jahren tatsächlich mehr Tote unter der Bevölkerung verursachen als mehrere AKW mit insgesamt 20GW Leistung.
ABER: Die Bevölkerung ist bereit, diesen höheren Preis zu zahlen. Und zwar aus demselben Grund, aus dem Versicherungen abgeschlossen werden.
Mathematisch korrekt beschreibt der sog.
Erwartungswert als Produkt aus Schadenshöhe und Wahrscheinlichkeit die als landläufig
Risiko bezeichnete Gefahr.
Paradoxerweise ist die Bevölkerung eher bereit, einen sicheren regelmässigen relativ kleinen Schaden hinzunehmen als einen seltenen großen Schaden. Ein Vergleich zwischen AKW und Kohlekraftwerken könnte also beispielsweise so aussehen:
* Ein GAU verursacht z.B. 50.000 Tote, tritt aber nur alle 50 Jahre einmal auf. Erwartungswert: 50.000 Tote in 50 Jahren.
* Der Ruß und das C14 aus einem Kohlekraftwerk verursachen z.B. 2.000 Tote pro Jahr, das aber sicher. Erwartungswert: 100.000 Tote in 50 Jahren.[/list:u]
Obwohl das AKW in diesem Szenario also schadensmäßig besser da stünde, würden dennoch alle den Atomausstieg fordern, weil das GAU-Ereignis als solches einfach so schrecklich wäre.
Was wäre dann wohl passiert, wenn sich alle 8000 Dübel gleichzeitig gelöst hätten und die Halterungen auf den Reaktorkessel geknallt wären?
Dann wäre vielleicht das Nach- oder Notkühlsystem nicht funktionsfähig gewesen.
Der Reaktor hätte sich abgeschaltet - Na und?
Na dann Kernschmelze - Mahlzeit!
Zugegeben, das hängt jetzt von der Reaktorbauart ab. Von Phillipsburg II weiß ich, dass es mehrere Sicherungsssteme hat. Insbesondere auch Bremsstäbe, die gerade bei Stromausfall in den Reaktorkern fallen und ihn in einen passiv stabilen Zustand versetzen.
"Übersäuern" nennt man das meines Wissens.
Wie der Reaktor in (war es in Dänemark?) ausgerüstet ist, bei dem nur noch einer der vier Dieselgeneratoren einsatzbereit war, weiss ich nicht.