Die zunehmende Fähigkeit Russlands und anderer Schwellenländer ihren nationalen Interessen Ausdruck zu verleihen, hat neue Unsicherheiten für die internationalen Energiemärkte generiert. Die Krise zwischen Kiew und Moskau sollte nicht als isoliertes Ereignis gesehen werden, weitere werden folgen\"
Paolo Scaroni, Chief Executive of ENI, Italy, Financial Times 18JAN2006
*****
Neues Aus
http://www.energiekrise.deEK-04.08.2006: Am 22. März 2006 fand eine Anhörung der grünen Bundestagsfraktion zum Thema „Gasversorgungssicherheit in Europa“ statt. Eine kurze Zusammenfassung finden Sie hier;
http://www.gruene-bundestag.de/cms/vor_ort/dok/116/116892.htm Auch energiekrise.de war bei dieser Anhörung vertreten. Die Folien unseres Beitrages können Sie hier herunterladen.
http://www.energiekrise.de/news/imaqes2006/Zittel_Gasanhoerung-22_Maerz-2006.pdfDie Erdgasversorgung Europas wird von vielen Beobachtern auf absehbare Zeit als gesichert eingestuft. Doch einige Aspekte lassen große Bedenken aufkommen und erahnen, dass Versorgungsprobleme in den kommenden Jahren bereits möglich und vielleicht sogar wahrscheinlich werden. Indizien, die hierfür sprechen sind etwa die Folgenden:
Großbritannien hat vor einigen Jahren das Fördermaximum der Erdgasförderung überschritten. Seit dieser Zeit geht die Förderrate deutlich zurück. Bis Ende 2005 lag sie bereits um 30 Prozent unter der Maximalförderung Ende 1999. Zudem war im Sommer 2005 der größte Speicher des Landes aufgrund eines Brandes ausgefallen. Dies führte dazu, dass der Gaspreis auf der Insel zeitweise deutlich stieg und eine Gasknappheit drohte. Auch erhoffte Gaslieferungen vom Kontinent fielen wesentlich bescheidener aus erwartet – obwohl die Kapazität der Leitung nicht einmal ausgelastet wurde. Damals zeigte sich die englische Presse verärgert über die geringe Unterstützung vom Festland und mahnte eine stärkere Liberalisierung des Marktes an. Für Gaslieferungen wären Höchstpreise bezahlt worden, dennoch wurden die Lieferungen kaum erhöht.
Die Unternehmen wiederum verwiesen auf bestehende Lieferverträge mit ihren Kunden und auf stark zurückgegangene Speicherbestände, so dass man angesichts des harten Winters mit den vorhandenen Reserven vorsichtig umgehen müsse.
Bild: Erdgasförderung in UK, seit 2001 geht die Förderung zurück.
Aber auch in anderen europäischen Staaten waren Unregelmäßigkeiten zu beobachten. Zur kältesten Zeit des Jahres 2005 nahm Rußland einen Streit mit der Ukraine über den Gaspreis zum Anlass, die Lieferungen für einige Tage auszusetzen. Anfang 2006 beugte sich die Ukraine der „Macht des Gases“. Ein neuer Vertrag wurde auf russischen Druck hin unterschrieben, zu deutlich ungünstigeren Konditionen mit einer festgesetzten Laufzeit von nur einem halben Jahr, bis Juli 2006.
Was hierbei irritiert, ist die Tatsache, dass nach Beilegung dieses Streites die Erdgaslieferungen nach Italien unregelmäßig waren. Zwischen Mitte Januar und Mitte März 2006 wurde in Summe etwa 6,5 % weniger Gas nach Italien geliefert als vertraglich vereinbart war.
Bild: Vereinbarte und tatsächliche Gaslieferungen von Rußland nach Italien
Zu dieser Zeit tauchten in der Presse erstmals Warnungen der Internationalen Energieagentur auf, dass viel zu wenig Geld in die russische Gasinfrastruktur investiert würde und daher künftig möglicherweise mit Unregelmäßigkeiten zu rechnen sei.
Vor diesem Hintergrund liegt die Spekulation nahe, dass Russland in den kältesten Tagen des Jahres so viel Gas im eigenen Lande benötigte, dass die Kapazitätsgrenzen erreicht wurden. Daher ist es vorstellbar, dass das Lieferembargo mit der Ukraine auch dazu benutzt wurde, um diesen Lieferengpass zu kaschieren. Vor allem die späteren Versorgungsprobleme Italiens lassen diesen Zusammenhang plausibel erscheinen.
Anfang Juni 2006 lebte der Streit zwischen Ukraine und Rußland wieder auf. Hierbei wurde auch kommuniziert, dass die großen Gasspeicher in der Ukraine (die weltgrößten Gasspeicher) entgegen früherer Jahre bisher nicht gefüllt seien. Diese Gasspeicher bilden aber einen wichtigen Puffer für den Export russischen Gases. Daher sind Rußland und die Ukraine schon seit längerem im Streit um die Hoheit über diese Speicher. Sollten nun bis Ende dieses Sommers diese Speicher nicht entsprechend aufgefüllt werden, womit durchaus gerechnet werden muss, dann könnten im kommenden Winter in Europa bereits wieder Gasversorgungsprobleme drohen. Dass dies kein theoretisches Szenario ist, wird dadurch unterstrichen, dass ein großer holländische Gasversorger gemäß Presseberichten die Industrie bereits anmahnt, möglichst sparsam mit dem Erdgaseinsatz umzugehen. Für einen Gasversorger, der aus Marktinteresse in der Vergangenheit eher zu Verbrauchssteigerungen anregte, verwundert solch eine Wende in der Kommunikation.
Eine Erhärtung dieses Verdachtes ergibt sich, wenn man einen Blick auf die Struktur der russischen Gasförderung wirft (Bild). Rußland hat gemäß den offiziellen Statistiken die weltgrößten Gasreserven. Verschleiert wird jedoch die Tatsache, dass die drei größten produzierenden Felder Urengoy, Medveshye und Yamburg bereits über das Fördermaximum gegangen sind. Erst in den vergangenen Jahren wurde nach einer Vorlaufzeit von fast 10 Jahren ein großes neues Gasfeld , Zapolyarnoye, angeschlossen. Das aber wird nicht ausreichen um für eine konstante Förderung zu sorgen. Die zunehmenden Förderrückgangsraten machen es zwingend notwendig, dass in Rußland zunehmend neue und große Gasfelder erschlossen werden. Diese neuen Gasfelder liegen weiter östlich und weiter nördlich und sind aufwändiger zu erschließen. Somit hat auch hier bereits ein Wettlauf mit der Zeit eingesetzt.
Wichtige Erschließungsprojekte zielen auf das sibirische Gasfeld Jushno Russkoje, das gemeinsam mit deutschen Gasfirmen erschlossen werden soll und dann über die neu zu errichtende Pipeline durch die Ostsee nach Deutschland und Schweden liefern soll (allerdings nicht vor 2011). Das auf der Jamal Halbinsel gelegene Bovanenko und das in der tiefen Barentsee gelegene Stochman sind weitere wichtige Projekte. Entscheidend für eine verlässliche Gasversorgung wird sein, wie schnell diese Felder erschlossen werden können und wie weit in dieser Zeit der Förderrückgang der Produktionsbasis fortgeschritten sein wird. Jede Verzögerung könnte die Versorgungssicherheit gefährden und zu zeitlichen Lieferengpässen führen.
Bild Russische Gasförderung (zum Vergrößern auf das Bild klicken)
Gepuffert werden kann diese Situation allenfalls durch Gaslieferungen aus Turkmenistan, die durch russische Gasleitungen nach Westeuropa gelangen. Allerdings ist das absolute Förderniveau deutlich niedriger, so dass hiermit nur kleine Schwankungen russischer Gaslieferungen ausgeglichen werden können. Eine deutliche Ausweitung der Importe wird erst nach 2011 gesehen, wenn die Gasleitung NABUCCO aus dem Iran über die Türkei Erdgas aus dem Mittleren Osten nach Europa liefern soll. Die Förderkapazität wird allerdings nur bei etwa 30 Mrd m³ pro Jahr liegen.
Heute wird Gas aus Turkmenistan vor allem in den Iran geliefert, um dessen steigenden Bedarf zu decken und die Exporte des Iran in die Türkei auszugleichen.
Wir sollten also nicht überrascht sein, wenn es in den kommenden Wintern Überraschungen in der Europäischen Gasversorgung geben wird.
[/img]