Selbstvertrauen stieg mit dem Ölpreis VON JENS HARTMANN UND DORIS KRAUS (Die Presse) 24.11.2006
Russland-EU. Vor acht Jahren bekam Russland noch Lebensmittelhilfe, jetzt lässt es Europa seine neue Macht spüren. Moskau. Acht Jahre sind eine lange Zeit. 1998, zufällig unter österreichischer EU-Präsidentschaft, gewährte die Europäische Union einem verarmten und entsprechend dankbaren Russland Finanz- und Lebensmittelhilfe. 2006 ist dasselbe Russland nicht wieder zu erkennen. Es strotzt vor Wohlstand und Selbstbewusstsein, aufgebaut auf den Petro- und Gasdollar,
die im Zuge der weltweiten Energiekrise in bisher nie da gewesener Zahl ins Land rollen. "Das Selbstvertrauen der Russen ist exponentiell zum Ölpreis gewachsen", heißt es aus dem österreichischen Außenministerium.
Für die Russische Föderation, die seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht gerade viele Erfolgserlebnisse zu verzeichnen hatte, ist dies Balsam auf die wunde russische Seele. Denn Russland blieb auch nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht nur flächenmäßig der größte Staat der Welt, es behielt sich auch sein Weltmachtbewusstsein - selbst wenn dieses mit der verarmten Realität weiter Landstriche nur schwer in Einklang zu bringen war. Der wirtschaftliche Höhenflug hat daher weiter reichende politische und psychologische Folgen als nur die fetten Einnahmen für die Staatskasse. "Die Russen kosten diese Situation aus - und sie spielen sie aus", meint ein Russland-Experte in Brüssel.
Das bekommen nicht nur Nachbarn wie Georgien oder Moldawien zu spüren, die Russland mit Importverboten politisch auf Linie zu bringen versucht, sondern auch die Europäische Union, der Russland ab 1. Jänner 2007 mit einem Importverbot für Fleisch droht. Russische Regierungsmitglieder geben im Hintergrundgespräch unverblümt zu, dass Handelsbeschränkungen immer öfter aus politischen Gründen verhängt werden. "Wirtschaft und Politik", heißt es da, "sind eben nicht immer zu trennen."
Diese Kraft bezieht Putin aus den Energieressourcen seines Landes. Russland ist Europas größter Lieferant von Öl und Gas. "Moskau erhebt die Stimme und spricht aus einer Position der Stärke heraus", kommentierte die russische Ausgabe von Newsweek. "Während Europa Russlands Energiereserven und die Pipelines als Mittel zur Erpressung sieht, sind sie für Russland bloß ein ,natürlicher Wettbewerbsvorteil\'."
Das machte bereits Gazprom-Vorstandsvorsitzender Alexej Miller im Frühjahr deutlich, als er in der Residenz des Österreichischen Botschafters Martin Vukovich damit drohte, das für Europa bestimmte Erdgas nach Asien oder in die USA zu verschiffen.
Dabei ist Russlands Energiewirtschaft nicht weniger abhängig von der EU als umgekehrt, schließlich generiert ein Konzern wie Gazprom rund 65 Prozent seiner Einnahmen in Europa. Wladimir Milow, ehemaliger Vize-Energieminister und Direktor des Instituts für Energiepolitik, warnt denn auch die Europäer davor, ihre Abhängigkeit von Russlands Gas zu überschätzen. Tatsächlich beträgt der Anteil russischen Erdgases beispielsweise am österreichischen Primärenergieverbrauch 17,7 Prozent. Milows Fazit: "Die EU-Staaten sollten selbstbewusst genug sein, um auch in Russlands Energiewirtschaft Wettbewerb einzufordern."
Doch mit Selbstbewusstsein kann die EU in ihren Beziehungen zum Kreml derzeit nicht aufwarten. Das merkt man in Moskau - auch wenn Präsident Putin persönlich zur Feder greift, und Europa versichert, dass es "von Russland nichts zu befürchten habe" (wie er in einem Gastbeitrag für "Die Presse" schrieb).
Das demonstrative Desinteresse Russlands an nicht-wirtschaftlichen Anliegen, wie den Menschenrechten, die durch die Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja wieder in den internationalen Mittelpunkt gerückt sind, spricht eine andere Sprache. Die Ermahnungen der Europäer kosten Moskau entsprechend höchstens ein Schulterzucken: "Immer dieselbe Schallplatte", meint ein hochrangiger Kremlbeamter.
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"Gaseta": Nato wird zum "Papiertiger" - Soll Russland bald wieder in Afghanistan kämpfen? 14:06 | 24/ 11/ 2006
MOSKAU, 24. November (RIA Novosti). Beim bevorstehenden Nato-Gipfel in Riga am 28. - 29. November werden die USA von den europäischen Verbündeten eine reale Beteiligung an den Kampfhandlungen in Afghanistan verlangen, meinen russische Politologen. Sollten sich aber die Europäer weigern, so ist eine Entsendung russischer Truppen nach Afghanistan nicht mehr auszuschließen, wenn sie später auf dem Territorium Mittelasiens nicht kämpfen wollen, schreibt die Tageszeitung "Gaseta" am Freitag.
Russland wurde zum Nato-Gipfel nach Riga nicht eingeladen, gerade weil dort ein ernsthaftes Gespräch zwischen den Verbündeten bevorsteht. Wie Alexander Chramtschichin, Chef der analytischen Abteilung des Instituts für politische und militärische Analyse, geäußert hat, wird der Gipfel in Riga zeigen, dass sich die Welt einem Chaos nähert, dass die monopolare Weltordnung von einer multipolaren abgelöst wird und dass sich die Nato "in militärischer Hinsicht in einen Papiertiger verwandelt hat". Nach Ansicht des Experten "haben die USA den Irak-Krieg faktisch verloren". Die US-Truppen werden bereits bis 2008 aus diesem Land größtenteils abgezogen.
Im Prinzip könnten die neuen Nato-Mitgliedsländer Kanonenfleisch für den Krieg in Afghanistan liefern. Ihre Regierungen hängen immerhin stärker von den USA ab, als das "alte Europa". Die beim Nato-Gipfel vor vier Jahren in Prag feierlich verkündete Osterweiterung der Allianz ist aber vorerst ausgesetzt, was beim Rigaer Gipfel bestätigt werden soll.
Angesichts der inneren Probleme haben weder Georgien noch die Ukraine reale Chancen, in absehbarer Zukunft Nato-Mitgliedsländer zu werden. "Die Organisation hat die Erweiterung durch die Länder Osteuropas noch nicht verkraftet und wird noch nicht allzu bald damit fertig", stellt Sergej Rogow, Direktor des Instituts für USA und Kanada der Russischen Akademie der Wissenschaften, fest.
Unter diesen Bedingungen muss sich Russland seiner Interessen klar bewusst werden. "Infolge der amerikanischen Niederlage im Nahen Osten und einer möglichen Niederlage in Afghanistan wird eine völlig neue Situation für unsere Sicherheit entstehen", betont Rogow.
Diese Situation könnte in Zukunft eine Rückkehr der russischen Truppen nach Afghanistan verlangen. "Ob wir es wollen oder nicht: Die für die Geschichte unseres Landes einmalige Situation, bei der jemand anderer für unsere Interessen kämpft (bisher war viel häufiger das Gegenteil der Fall), wird sich bald ändern", prognostiziert Alexander Chramtschichin.
http://de.rian.ru/world/20061124/55952002.html