Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht

<< < (6/9) > >>

RR-E-ft:
In seinem Urteil vom 21.03.13 Az. C -92/11 stellt der EuGH m.E.zum einen klar, dassAGB-  Preisänderungsklauseln in Gaslieferungsverträgen uneingeschränkt der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB unterliegen, und stellt ferner  für die Wirksamkeit einer solchen Preisänderungsklausel mit Rücksicht auf das Transparenzgebot auf die gleichen Kriterien ab, auf die der BGH sonst gem. § 307 BGB in seiner ständigen Rechtsprechung auch abstellt (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.07 Az. III ZR 247/06, juris Rn. 10 ff.).


--- Zitat --- In Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene sogenannte Kostenelementeklauseln, die wie die
hier in Rede stehende Bestimmung eine Preisanpassung wegen und auf der Grundlage sich verändernder Kosten vorsehen, sind insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen zwar nicht grundsätzlich zu beanstanden. Sie sind ein geeignetes und anerkanntes Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung bei langfristigen Lieferverträgen. Sie dienen dazu, einerseits dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne trotz nachträglicher, ihn belastender Kostensteigerungen zu sichern und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass der Verwender mögliche künftige Kostenerhöhungen vorsorglich schon bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht (Senatsurteil vom 11. Oktober
2007 - III ZR 63/07 - Rn. 19; BGH, Urteile vom 21. September 2005 - VIII ZR 38/05 - NJW-RR 2005, 1717 unter II. 2.; vom 13. Dezember 2006 - VIII ZR 25/06 - NJW 2007, 1054, 1055 Rn. 20; jeweils m.w.N.).

Die Schranke des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wird allerdings nicht eingehalten, wenn die Preisanpassungsklausel es dem Verwender ermöglicht, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben und so nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (Senatsurteil vom 11. Oktober 2007 aaO; BGH, Urteile vom 21. September 2005 aaO und vom 13. Dezember 2006 aaO Rn. 21; jeweils m.w.N.).

Dementsprechend sind Preisanpassungsklauseln nur zulässig, wenn die Befugnis des Verwenders zu Preisanhebungen von Kostenerhöhungen abhängig gemacht wird und die einzelnen Kostenelemente sowie deren Gewichtung bei der Kalkulation des
Gesamtpreises offen gelegt werden, so dass der andere Vertragsteil bei Vertragsschluss die auf ihn zukommenden Preissteigerungen einschätzen kann (Senatsurteil vom 11. Oktober 2007 aaO; vgl. BGH, Urteile vom 11. Juni 1980 - VIII ZR 174/79 - NJW 1980, 2518, 2519 unter II 2. c); vom 19. November 2002 - X ZR 253/01 - NJW 2003, 746, 747 unter III. 2. a) m.w.N.; vom 21. September
2005 aaO S. 1717 f unter II. 3.b) und vom 13. Dezember 2006 aaO Rn. 23 ff).

b) Diesen Anforderungen wird die beanstandete Preisanpassungsklausel nicht gerecht. Sie verstößt zum einen
gegen das aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB folgende Transparenzgebot. Sie ist deshalb zu unbestimmt, weil sie ganz allgemein an eine Erhöhung der nicht näher umschriebenen Bereitstellungskosten anknüpft und weder die Voraussetzungen noch den Umfang einer Preiserhöhung näher regelt. Insbesondere werden die Kostenelemente und deren Gewichtung im Hinblick auf ihre Bedeutung
für die Kalkulation des Abonnementpreises nicht offen gelegt. Für den Abonnenten ist deshalb weder vorhersehbar, in welchen Bereichen Kostenänderungen auftreten können, noch hat er eine realistische Möglichkeit, etwaige Preiserhöhungen anhand der Klausel auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen.

Zum anderen führt die Klausel auch nach ihrem Inhalt zu einer unangemessenen Benachteiligung des Abonnenten, weil sie Preiserhöhungen nicht auf den Umfang der Kostensteigerung begrenzt und sogar dann gestattet, wenn der Anstieg eines Kostenfaktors durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird. Somit ermöglicht die Bestimmung der Beklagten, die Abonnementpreise ohne jede Begrenzung zu erhöhen und nicht nur insgesamt gestiegene Kosten an ihre Kunden weiter
zugeben, sondern auch einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Gerade eine solche Verschiebung des vertraglichen
Gleichgewichts durch einen praktisch unkontrollierbaren Preiserhöhungsspielraum will § 307 BGB verhindern.
--- Ende Zitat ---


Der EuGH hat entschieden, dass sein Urteil nicht - wie von der Bundesrepublik Deutschland und RWE beantragt-  erst Monate nach Verkündung Wirkung entfaltet und die Rechtsprechung des EuGH somit erst auf zukünftige Preisänderungen anwendbar wäre,
sondern das diese Rechtsprechung zeitlich uneingeschränkt gilt, weil sie auf das materielle Recht gründet, welches seit Inkrafttreten der entsprechenden EU- Richtlinien (bzw. nach Ablauf der Umsetzungsfrist) ohnehin unmittelbar gilt. Das Urteil schafft also kein neues, nicht schon bestehendes und in Geltung befindliches Recht.

Dies ändert freilich nichts daran, dass mögliche Rückforderungsansprüche der Kunden infolge unwirksamer Preisänderungsklauseln und somit unwirksamer einseitiger Preisänderungen der regelmäßigen Verjährung unterliegen.

Über die Frage, ob die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zur zeitlichen Beschränkung der Berufungsmöglichkeit des Kunden auf die Unwirksamkeit einzelner einseitiger Preisänderungen mit der Rechtsprechung des EuGH in Übereinklang steht (also dem eigentlichen Gegenstand dieses Threads), hatte der EuGH in seinem Urteil vom 21.03.13 nicht zu befinden.
Der EuGH entscheidet nur über die Rechtsfragen, die ihm - wie vorliegend vom BGH- vorgelegt werden.     

courage:
Die Instanzgerichte sind gefordert. Prof. Dr. Markert hält Klärung durch den EuGH für unabdingbar.

Prof. Dr. Kurt Markert bringt es in seinen Anmerkungen zum BGH-Urteil vom 23.01.2013, VIII ZR 80/12, ZNER 2013, 152 ff noch einmal präzise auf den juristischen Punkt, warum die eigenwillige ergänzende Vertragsauslegung des BGH und seine "Fristenlösung" wohl kaum mit EU-Verbraucherrecht nach der RL 93/13 in Einklang steht; so ich könnte, würde ich dies allen Instanzgerichten zur Pflichtlektüre auferlegen.

Die Anmerkungen von Prof. Markert decken sich mit meinen Ausführungen in diesem Forum: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht sowie BGH benötigt Navigationshilfe vom EuGH.

PLUS:
BEZUG:
 ( http://forum.energienetz.de/index.php/topic,14551.msg100389.html#msg100389 )

--- Zitat ---Beim enreg- Workshop am 06.05.13 in Berlin war zu erfahren, dass der Senat beabsichtige, im Verfahren Az. VIII ZR 162/09 eine Verhandlung noch vor den "Gerichtsferien" anzuberaumen, mithin noch vor August.
--- Ende Zitat ---
Im Zusammenhang mit der Versorgung von Tarifkunden hat der Senat dem EuGH bereits im Mai 2011 die Frage vorgelegt, ob die Regelungen des § 4 AVBGasV bzw. § 5 GasGVV mit dem Transparenzgebot der Erdgasbinnenmarktrichtlinie vereinbar sind (Az. C-359/11).

http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17423.msg95100.html#msg95100

@RR-E-ft, viele Verfahren liegen bei den Gerichten bis zu dieser Entscheidung auf Eis. Gab es da zum Fortgang Informationen?

RR-E-ft:
Auch in dem Verfahren vor dem EuGH Rs. C- 359/11 soll alsbald terminiert werden. Bekanntlich dauert es jedoch einige Monate von einer mündlichen Verhandlung über die Stellungsnahme des Generalanwalts bis zur Verkündung einer Entscheidung.

courage:
EuGH bestätigt erneut hohen Verbraucherschutz

Was deutsche Zivilgerichte bis hin zum BGH bisher nicht zu leisten imstande sind, nämlich den hohen europarechtlich verankerten Verbraucherschutz zu gewährleisten, gelingt dem EuGH in seinem lesenswerten Urteil vom 19.12.2013, C-209/12 erneut mit einer glasklaren Argumentation; so z.B. unter Rn 30:

--- Zitat ---„Demnach kann sich der Versicherer … nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen, um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit … nicht nachgekommen ist …“
--- Ende Zitat ---

Das Urteil betrifft zwar Klauseln in einem Lebensversicherungsvertrag, seine Grundaussagen lassen sich jedoch ohne weiteres auf Energieversorgungsverträge mit Endverbrauchern übertragen.

Der EuGH ist den Schlussanträgen der Generalanwältin vom 11.07.2013 gefolgt, die den Sachverhalt unter Rn 49 präzise auf den Punkt bringt:

--- Zitat ---„Obwohl der Versicherer seine gesetzliche Verpflichtung zur Belehrung des Versicherungsnehmers nicht erfüllt hat, ist bei einer solchen Regelung die Rücktrittsfrist abgelaufen, weil der Versicherungsnehmer (durch Zahlung der fälligen Prämie) seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hat. Dieses Ergebnis wäre abwegig.“
--- Ende Zitat ---

Bezogen auf die fragwürdige ergänzende Vertragsauslegung des BGH mit seiner für Energieverbraucher nachteilige Fristenlösung (Erfordernis einer weder gesetzlich noch vertraglich begründeten Beanstandung der Jahresabrechnung als rechtewahrende Obliegenheit und Begrenzung der Beanstandung auf eine maximal dreijährige Rückwirkung mit der Folge, dass der vertragliche Anfangspreis entgegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG nicht mehr gelten soll) würde die Generalanwältin wohl folgendermaßen formulieren:

Obwohl der Energieversorger seine gesetzliche Verpflichtung zur Verwendung transparenter und fairer Preisanpassungsklauseln nicht erfüllt hat, sind bei einer solchen Regelung berechtigte Rückforderungsansprüche weitgehend ausgeschlossen, weil der Endverbraucher seine vertraglichen Pflichten erfüllt hat. Dieses Ergebnis wäre abwegig.

Warum tun sich deutsche Zivilrichter/innen eigentlich so schwer mit der Anwendung des europäischen Verbraucherrechts? Haben sie das denn nicht gelernt?

Fazit:
Die Interessen von Unternehmen sind nicht schutzwürdig, wenn sie gegen europarechtliche Obliegenheiten verstoßen haben. Zu diesen Obliegenheiten gehört insbesondere die Anwendung transparenter und fairer Klauseln in Verträgen mit Endverbrauchern.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln