Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
courage:
Leitsatz:
Das Richterrecht des BGH vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrechte und ist deshalb von den Instanzengerichten nicht anzuwenden.
1. Das vom BGH mit Urteil vom 14.03.2012, VIII ZR 113/11 gesetzte Richterrecht hebelt die EU-Verbraucherrechte aus. Dies betrifft die vom BGH vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen Preisanpassungsklauseln in standardisierten Energieversorgungsverträgen mit Haushaltssonderkunden.
2. Der BGH hat die Wirkung einer Preisrüge des Kunden zeitlich begrenzt und zwar auf die Preise der in den drei zurückliegenden Jahren zugegangenen Jahresrechnungen. Darüber hinaus soll sich der Kunde nicht mehr auf den anfänglichen Vertragspreis berufen können (Rn. 19). Der Kunde soll vielmehr nur noch Rechte ausschließlich aus unwirksamen Preiserhöhungen (Rn. 21) innerhalb der dreijährigen Rückwirkungsfrist geltend machen können.
3. Als erstes ergibt sich aus dem Urteil folgende zwingende Schlussfolgerung: Sofern der Versorger es unterlassen hat, seine Preise innerhalb des Dreijahreszeitraumes zu senken, selbst wenn er dazu verpflichtet gewesen wäre, kann der Kunde daraus keine Rechte, sprich Rückforderungsansprüche, herleiten. Denn Ansprüche des Kunden können sich laut BGH ausschließlich aus unwirksamen Preiserhöhungen ergeben. Missbräuchlich unterlassene Preissenkungen sind demzufolge nicht angreifbar.
4. Von Seiten der Versorger wird das Richterrecht des BGH zudem so ausgelegt, dass auch ein vertragswidriges Verhalten des Versorgers keine ausgleichenden Rechte des Kunden begründen können. Ein nicht untypisches vertragswidriges Verhalten besteht beispielsweise darin, dass sich der Versorger nicht an seine eigene Preisanpassungsklausel für den Grund- bzw. Arbeitspreis gehalten sondern seine Preise nach Belieben festgelegt hat. Aus Sicht der Kunden ist allerdings zu bezweifeln, dass der BGH sogar ein vertragswidriges Verhalten schützen wollte (siehe Absatz 14).
5. Mit seinem Richterrecht hat der BGH einen Schutzschirm für die Versorger aufgespannt, indem er die berechtigten Ansprüche der Kunden drastisch beschnitten hat. Damit hat der BGH einen Großteil der Risiken, die der Verwendung von missbräuchlichen Klauseln innewohnen, von den Versorgern weggenommen und gleichzeitig auf die betroffenen Kunden verlagert. Die Risikoentlastung der Versorger findet dabei in doppelter Hinsicht statt. Zum einen in zeitlicher Hinsicht, indem das Risiko auf höchsten drei zurückliegende Jahre begrenzt wird. Zum anderen in preislicher Hinsicht, indem nicht mehr auf einen früheren und ggf. niedrigeren Vertragspreis sondern nur noch auf die im dreijährigen Zeitraum erfolgten Preiserhöhungen abgestellt werden darf.
6. Die höchst bedenklichen Konsequenzen dieses BGH-Richterrechts lassen sich durch folgende Überlegung veranschaulichen: Wenn der Versorger innerhalb des rückwirkenden Dreijahreszeitraum keine Preiserhöhungen vorgenommen hat, kann der Kunde keinerlei Ansprüche geltend machen; auch nicht aus einer missbräuchlich unterlassenen Preissenkung. Der Versorger ist darüber hinaus von jeglichem Risiko auch für den Fall befreit, dass er in der Zeit vor dem Dreijahreszeitraum eine missbräuchliche Preisanpassungsklausel verwendet und sich daraus unberechtigte wirtschaftliche Vorteile zu Lasten des Kunden verschafft hat. Denn die bis zum Beginn des Dreijahreszeitraumes erfolgten Preisbestimmungen des Versorgers haben laut BGH selbst dann Bestand, wenn die Verbraucherpreise missbräuchlich überhöht sind.
7. Bis zum Urteil des BGH vom 14.03.2012 ging die überwiegende Rechtsauffassung davon aus, dass die Ansprüche des Kunden im Falle einer unwirksamen Preisanpassungsklausel auf der Grundlage des zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vereinbarten Vertragspreises zu bestimmen sind und zwar ohne dass es auf vom Kunden erhobene Widersprüche gegen nachfolgende Preiserhöhungen ankäme. Es schien bis dahin klar, dass der Verwender einer missbräuchlichen Preisanpassungsklausel das daraus entstehende Risiko selbst zu tragen hat. Diese Rechtsauffassung war auch für einen juristisch nicht vorgebildeten Kunden klar und verständlich.
8. Die vom BGH seit dem 14.03.2012 geschaffene Rechtslage ist dagegen für einen Normalverbraucher nicht mehr nachvollziehbar und offensichtlich einseitig auf die Interessen der Versorger zugeschnitten. Die rechtliche Vorzugsbehandlung der Versorger durch den BGH erscheint auch deswegen nicht sachgerecht, weil diese aufgrund der Verjährungsvorschriften des BGB vor den Folgen der Verwendung einer unwirksamen Preisanpassungsklausel bereits weitgehend geschützt sind.
9. Jedenfalls verkennt der BGH mit seinem Richterrecht vom 14.03.2012, dass die Verbraucherinteressen nicht weniger schutzwürdig sind und dass dies in den EU-Richtlinien 93/13/EWG (Klausel-RL)und 2003/55/EG (Gas-RL)sowie 2003/54/EG (Strom-RL) auch verbindlich geregelt ist.
10. Schon die Ansicht des BGH, es käme auf eine Rüge des Kunden an, damit er seiner Rechte nicht verlustig geht (Rn. 21), führt zur Benachteiligung der Kunden und zu einer unzulässigen Verlagerung der Risiken. Kein Verbraucher geht davon aus, dass er seinem Energieversorger bei jeder Preisanpassung und bei jeder Änderung von Geschäftsbedingungen den eigenen Rechtsstandpunkt mitteilen muss, damit er seine Verbraucherrechte nicht verliert.
11. Vielmehr darf sich ein Verbraucher darauf verlassen, dass Art. 6 der EU-Richtlinie 93/13/EWG gilt, wonach die Mitgliedstaaten vorsehen, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind. Ein Verbraucher darf sich desweiteren darauf verlassen, dass gemäß Art. 7 derselben Richtlinie die Mitgliedstaaten – und hier sind auch die Gerichte des Mitgliedsstaates Deutschland angesprochen - dafür sorgen, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.
12. Der BGH hätte sich insbesondere Art. 5 der EU-Richtlinie 93/13/EWG vor Augen führen sollen, wonach bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel die für den Verbraucher günstigste Auslegung gilt, d.h. Unklarheiten von Klauseln zu Lasten des Verwenders gehen. Die EU räumt dem Verbraucherschutz einen hohen Stellenwert ein und die Mitgliedstaaten haben diesen gemäß Art. 3 Abs.3 der Gas-RL 2003/55/EG und der Nachfolge-RL 200973/EG, sowie gemäß Art. 3 Abs. 5 der Strom-RL 2003/54/EG zu gewährleisten. Es kann daher nicht angehen, dass der BGH mit seinem Richterrecht die europäischen Normen konterkariert.
13. So ist auch die vom BGH in die Welt gesetzte Ansicht, wonach sich ein Kunde nicht mehr auf den anfänglichen Vertragspreis berufen können soll, nicht mit Art. 6 Abs. 1 der EU-Richtlinie 93/13/EWG vereinbar. Dort ist nämlich klar geregelt, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann. Demnach bleibt also der anfängliche Vertragspreis für den Kunden und den Versorger bindend. Diese Regelung korrespondiert mit dem Grundsatz, dass der Verwender von unwirksamen Klauseln auch das Risiko dafür trägt. Die EU-Bestimmungen geben nichts dafür her, dass von diesem Grundsatz zu Lasten der Kunden abgewichen werden kann. Dies wird auch von der Generalanwältin des EuGH so gesehen, siehe Schlussanträge vom 13. September 2012 in der Rechtssache C-92/11, wo sie unter Rn. 89 zum Risiko von Kostensteigerungen sagt: „Das ist jedoch ein Risiko, das er aufgrund der Vorgaben der Richtlinie 93/13 selbst zu tragen hat. Dies erscheint insbesondere deshalb nicht unbillig, weil er diese Konsequenz durch die Verwendung intransparenter Allgemeiner Geschäftsbedingungen selbst verursacht hat.“ Eine Verlagerung des Kostenrisikos auf den Kunden, wie es das Richterrecht des BGH vorsieht, ist danach rechtswidrig. An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass der Versorger aufgrund der Verjährung der Kundenansprüche bereits geschützt ist (siehe Absatz 8 ).
14. Soweit von Versorgern gern behauptet wird, der BGH habe am 12.03.2012 ein vertragstreues und redliches Verhalten nicht zur Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung gemacht, so dass das BGH-Richterrecht auch in Fällen von vertragswidrigem Verhaltens anzuwenden wäre (siehe Absatz 4), ist ein Blick in die Erwägungsgründe der EU-Richtlinie 93/13/EWG sehr aufschlussreich. Dort wird zu den Kriterien, nach denen die Missbräuchlichkeit von Klauseln unter Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien zu beurteilen sind, und zum Gebot von Treu und Glauben ausgeführt: "Bei der Beurteilung von Treu und Glauben ist besonders zu berücksichtigen, welches Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien bestand ... Dem Gebot von Treu und Glauben kann durch den Gewerbetreibenden Genüge getan werden, indem er sich gegenüber der anderen Partei, deren berechtigten Interessen er Rechnung tragen muss, loyal und billig verhält." Daraus ist zu entnehmen, dass bei einem Versorger, der sich vertragswidrig verhalten und damit gegen die Treuegebote gegenüber den Kunden verstoßen hat, die Vorgaben der EU-Richtlinien wohl erst Recht ohne Abstriche und streng anzuwenden sind. Die vom BGH veranlasste Verwässerung des europarechtlich normierten Kundenschutzes kann nicht zur Anwendung kommen.
15. Das Richterrecht des BGH verstößt auch gegen § 195 BGB. Die vom BGH auf drei Jahre begrenzte Rückwirkungsfrist des Preiswiderspruchs hebelt nämlich die Verjährungsvorschriften des BGB zu Lasten des Kunden aus. Denn Forderungen, die noch nicht verjährt sind, würden durch den BGH entwertet, wenn sie nicht mehr durchsetzbar wären (quasi eine Enteignung). Auch die generelle Aushebelung des ursprünglichen Vertragspreises, also des beiderseitigen Parteiwillens, steht im Gegensatz zur Vertragsfreiheit. Absolut unverständlich wird ein solches Richterrecht zudem dann, wenn es auch noch das vertragswidrige Verhalten des Versorgers nachträglich unter Schutz stellt und damit den vertragstreuen Vertragspartner überrumpelt und als naiven Dummkopf dastehen lässt. Nach meinem Verständnis steht das Gesetz (§ 195 BGB) über dem Richterrecht des BGH.
16. Es ist jetzt höchste Zeit, dass die Amts-, Land- und Oberlandesgerichte ihrer Verpflichtung gerecht werden, die Verbraucherrechte durch richtlinienkonforme Auslegung des Gemeinschaftsrechts endlich effektiv durchzusetzen. Das kontraproduktive Richterrecht des BGH darf dabei kein Hinderungsgrund sein. Diesbezüglich haben bereits das OLG Oldenburg mit Beschluss vom 14.12.2010, 12 U 49/07 als auch das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 13.06.2012, VI-2 U (Kart) 10/11 Maßstäbe gesetzt.
Christian Guhl:
@courage
Ich habe den Beitrag mit Interesse gelesen. Nur - wie kommt man damit an den EuGH ? Das kann doch nur der BGH selbst veranlassen. Oder ?
RR-E-ft:
@courage
Um eine Fachdiskussion hierüber ebenso wie eine Berücksichtigung in der Rechtsprechung zu ermöglichen, erscheint es notwendig, diese Auffassung zu publizieren, nicht allein in diesem Forum, sondern in Form einer Urteilsanmerkung oder gar eines Aufsatzes in einer möglichst auflagenstarken anerkannten Fachzeitschrift.
bolli:
Unter bestimmten Bedingungen kann dieses auch ein OLG veranlassen, wie es das OLG Oldenburg 2010 ja schon mal gemacht hat ( siehe hier: OLG Oldenburg, B. v. 14.12.10 Az. 12 U 49/07 EuGH- Vorlage wegen BGH- Auslegung zur Transparenz )
courage:
@ Christian Guhl
Zunächst ist im Verfahren vor den Instanzengerichten ein entsprechender Vortrag anzubringen.
Wie es dann weiter geht, hängt davon ab, wie sich das Gericht verhält. Im Idealfall folgt es der Argumentation und urteilt entsprechend. Falls der Idealfall aber nicht eintritt, ist zu entscheidend, wie darauf zu reagieren ist. So muss man sich durch die Instanzen kämpfen. Vielleicht wendet sich ein Gericht, spätestens hoffentlich das Letztentscheidende, mit einer Vorlagefrage an den EuGH. Wie die Prozessführung zu gestalten und welche dienlichen Anträge dazu bei Gericht zu stellen sind, sollte der eigene Anwalt wissen.
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