Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

Gesetzliches Preisänderungsrecht gem. § 4 AVBV/ 5 GVV überhaupt wirksam? (EuGH- Vorlage)

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RR-E-ft:

--- Zitat ---Original von RR-E-ft

Vor einer gerichtlichen Billigkeitsprüfung steht die vorrangig zu entscheidende Frage, ob dem Versorger überhaupt ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht vertraglich oder gesetzlich wirksam eingeräumt wurde; anders gewendet, ob eine Preisanpassungspflicht  des Versorgers im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB besteht (vgl. BGH, Urt. v. 13.01.10 Az. VIII ZR 81/08 Rn. 18].  

Ganz selten wird bei Abschluss eines Sondervertrages  vertraglich wirksam vereinbart worden sein, dass der Versorger erst nach Vertragsabschluss den Preis einseitig bestimmen soll, was für die unmittelbare Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB erforderlich ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06 Rn. 32; Urt. v. 19.11.08 VIII ZR 138/07 Rn. 16).


Das Gericht muss deshalb vorrangig durch Auslegung ermitteln, ob bei Abschluss eines Sondervertrages ein (zunächst) feststehender Preis vereinbart worden war (vgl. BGH, Urt. v. 28.10.09 VIII ZR 320/07 Rn. 46) oder ob statt dessen wirksam vereinbart wurde, der Versorger solle (erst nach Vertragsabschluss) den Preis einseitig bestimmen (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06 Rn. 32; Urt. v. 19.11.08 VIII ZR 138/07 Rn. 16).


Wurde bei einem Sondervertrag als Preishauptabrede eine Preisbestimmungspflicht des Versorgers im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB wirksam vertraglich vereinbart, unterliegt der Gesamtpreis der Billigkeitskontrolle (Umkehrschluss aus BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06 Rn. 32; Urt. v. 19.11.08 VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Handelt es sich nicht um einen Sondervertrag, stellt sich die vorrangig zu beantwortende  Frage nach der Wirksamkeit des gesetzlichen Preisänderungsrechts. Hierbei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die - anders als eine Tatsachenfrage -  keinem Geständnis bzw. Unstreitigstellen zugänglich ist.

Dabei hat das Gericht von Amts wegen zu berückschtigen, ob die gesetzliche Regelung mit Europarecht vereinbar und folglich wirksam ist.



--- Zitat ---BGH, B. v. 29.06.11 VIII ZR 211/10 Rn, 9ff., 21, juris:

Die Entscheidung über die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche hängt vorrangig von der Frage ab, ob der Beklagten hinsichtlich der von ihr einseitig erhöhten Preise für Gas- und Stromlieferungen ein wirksames gesetzliches Preisänderungsrecht aus § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676 - AVBGasV, für die Gaspreiserhöhungen 2005 und 2006) beziehungsweise § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz vom 26. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2391 - Gasgrundversorgungsverordnung - GasGVV, für die Gaspreiserhöhungen in den Jahren 2007 und 2008] sowie § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 684 - AVBEltV, für die Strompreiserhöhungen in den Jahren 2005 und 2006] beziehungsweise § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz vom 26. Oktober 2006 (Stromgrundversorgungsverordnung - StromGVV, BGBl. I S. 2391, für die Strompreiserhöhung im Jahr 2008] zustand.

Dies wiederum hängt, da die genannten Vorschriften hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang des dem Versorgungsunternehmen zustehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrechts keine näheren tatbestandlichen Konkretisierungen enthalten, davon ab, ob solche tatbestandlichen Konkretisierungen bei Gaspreiserhöhungen von Art. 3 Abs. 3 Satz 4 bis 6 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. EU Nr. L 176 S. 57, im Folgenden Gas-Richtlinie, aufgehoben zum 3. März 2011 durch Art. 53 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EU Nr. L 211 S. 94) sowie bei Strompreiserhöhungen von Art. 3 Abs. 5 Satz 3 bis 5 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b oder c der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. EU Nr. L 176 S. 37, im Folgenden Strom-Richtlinie, aufgehoben zum 3. März 2011 durch Art. 48 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. EU Nr. L 211 S. 55) gefordert werden.

Was die Vereinbarkeit der vorbezeichneten Preisänderungsbestimmungen für die Erdgasversorgung angeht, hat der Senat die Fragen zur Auslegung der insoweit betroffenen Vorschriften der Gas-Richtlinie bereits mit Beschluss vom 18. Mai 2011 (VIII ZR 71/10, juris) gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die gleichen Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts stellen sich im Streitfall auch im Bereich der Stromversorgung von Haushaltskunden. Sie sind daher auch für diesen Bereich dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Die Entscheidung über die Vorlagefrage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten.
--- Ende Zitat ---


--- Ende Zitat ---

Tojas:
Hallo,

langsam habe ich das Gefühl, dass sich Sie und Ihre Anwälte versuchen, aus der Affäre zu ziehen. Noch in den letzten Jahren hatten die Anwälte uns Verbraucher aufgefordert, zu kämpfen.
Und heute???
Es scheinen alle Anwälte angst zu haben, etwas falsch zu machen.
Was ist mit den Sondervertragskunden bei Gasversorgern? Mir wird empfohlen doch, nach 6 Jahren, zu zahlen und zwar alles.
Wozu habe ich dann jedes Jahr an die Anwälte gezahlt?
Jedes Jáhr hat man mir gesagt, als Sondervertragskunde ist die Preisanpassungsklausel unwirksam. seit diesem jahr nicht mehr?
Heisst das, ich muss jetzt alles zahlen? (mit dem Zusatz: unter Vorbehalt?)
Das Geld sehe ich dann nicht wieder. Oder?

Mit freundlichen Grüßen

Tojas

RR-E-ft:
@Tojas

Ihr Beitrag erscheint zu der Grundsatzfrage der Wirksamkeit des gesetzlichen Preisänderungsrechts etwas deplaciert.

Nicht ersichtlich, wer Ihnen die genannte Empfehlung unter Zugrundelegung welchen konkreten Sachverhalts gegeben haben soll.

Fakt ist, dass bei einseitigen Preisänderungen -  insbesondere, wenn diesen zeitnah widersprochen wurde -  sich immer vorrangig die Frage nach der wirksamen vertraglichen oder gesetzlichen Einräumung eines einseitigen Bestimmungsrechts für den Energieversorger stellt - wovon dieser Thread handelt - (hierzu BGH, B. v. 09.02.11 Az. VIII ZR 162/09 für Sondervertragskunden und BGH, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10 und B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10 für [grundversorgte] Tarifkunden).

Wurde ein solches Bestimmungsrecht dem Energieversorger vertraglich oder gesetzlich wirksam eingeräumt, so kommt es auf die Billigkeit der einseitigen Preisänderung an, soweit der einseitig geänderte Preis nicht als vereinbart gilt (vgl. BGH, B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10 Rn. 17, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10 Rn. 10 f. ).

Der einseitig geänderte Preis gilt laut BGH dann als vereinbart, wenn der einseitigen Preisänderung, die in Ausübung eines wirksam eingeräumten Bestimmungsrechts erfolgte, nicht in angemessener Frist widersprochen und die auf den erhöhten Preisen beruhende Jahresverbrauchsabrechnung sodann beanstandungs- und vorbehaltlos vom Kunden bezahlt wurde (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.10 Az. VIII ZR 246/08 Rn. 58].

Von einer solchen stillschweigenden Preisneuvereinbarung des einseitig geänderten Preises durch beanstandungs- und vorbehaltlose Zahlung des Kunden kann jedoch dann nicht ausgegangen werden, wenn es bereits an der wirksamen vertraglichen oder gesetzlichen Einräumung eines Bestimmungsrechts fehlt. Dann nämlich waren die Preisänderungen per se unwirksam, ohne dass es dafür auf eine Billigkeitskontrolle ankommen kann (BGH, Urt. v. 14.07.10 Az. VIII ZR 246/08 Rn. 57, 59; Urt. v. 13.07.11 Az. 342/09 Rn. 35).

Nach sechs Jahren Preisprotest - unterstellt es handelte sich durchgängig um ein und das selbe  Vertragsverhältnis, es wurde allen einseitigen Preisänderungen widersprochn und nur die auf einseitigen Preisänderungen beruhendenen höheren Preise nicht bezahlt - streitige Forderungen vollständig unter Vorbehalt zu zahlen, erscheint nicht ratsam.

Das Geld ist dann nicht weg, sondern der Energieversorger hat es dann erlangt. Man müsste sodann - verbunden mit Kosten und Risiken  - innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist auf Rückzahlung klagen, wenn man das Geld aus ungerechtfertigter Bereicherung zurück erlangen wollte.

Vorzugswürdig erscheint es demgegenüber, es auf eine Zahlungsklage des Energieversorgers ankommen zu lassen, innerhalb derer man
- die wirksame Einräumung eines Bestimmungsrechts des Energieversorgers,
- hilfsweise die wirksame Ausübung eines solchen, und
 - äußerst hilfsweise die Billigkeit der einzelnen einseitigen Preisänderungen bestreiten kann und sollte,
was den Energieversorger regelmäßig zum Nachweis der zwischenzeitlichen Entwicklung aller preisbildenden Kostenfaktoren zwingt (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.08 Az. VIII ZR 138/07 Rn. 39).

Zudem kann sich der Kunde in einem solchen Zahlungsprozess des Energieversorgers auf Verjährung berufen, wenn die Forderungen des Energieversorgers  wegen der Billigkeit entsprechender wirksamer Ausübung eines wirksam eingeräumten Bestimmungsrechts bis einschließlich 2008 fällig geworden waren.

Eine solche Verjährungseinrede ist für solche Altforderungen dann erfolgreich, wenn eine Verjährungshemmung bisher nicht eingetreten war, so dass solche Forderungen innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist verjährt waren.

Die Verjährungseinrede sollte man vorsorglich schon erheben, bevor man auf Zahlung verklagt wird.

Zu Sondervertragskunden siehe auch BGH, B. v. 07.09.11 Az. VIII ZR 25/11 Rn. 2 ff.

berghaus:

--- Zitat ---Die Verjährungseinrede sollte man vorsorglich schon erheben, bevor man auf Zahlung verklagt wird.
--- Ende Zitat ---

Frage: Warum?

Beispiel: Der Versorger fordert mit der Jahresrechnung im Juni 2011 neben dem Jahresbetrag für 2010/2011 von 2.000 EUR \'offenstehende\' Rechnungsbeträge von insgesamt 7.000 EUR aus den Jahren 2006 - Mai 2010, davon 2.400 aus den Jahresrechnungen 2006 -2008.

Soll man nun im Januar 2012 nach einer Abwartungsfrist wegen möglicherweise noch eingehende Mahnbescheide dem Versorger fröhlich mitteilen, dass man nun seine Forderungen von 2.400 EUR als verjährt betrachte?
 
Welche Nachteile hat man, wenn man das nicht tut?

berghaus 20.01.2012

RR-E-ft:
Antwort: Darum!

BGH, Urt. v. 27.01.10 VIII ZR 58/09 Erledigung durch Verjährungseinrede/ Aufrechnung im Prozess

Man sollte dem Versorger mitteilen, dass man dessen Forderungen insgesamt bestreitet und als unbegründet zurückweist, ferner selbst begründete Forderungen, die vor dem 31.12.08 fällig wurden, bereits verjährt sind, worauf man sich vorsorglich hilfsweise beruft.

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