Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

Gesetzliches Preisänderungsrecht gem. § 4 AVBV/ 5 GVV überhaupt wirksam? (EuGH- Vorlage)

(1/9) > >>

RR-E-ft:

--- Zitat ---BGH, B. v. 18.05.11 VIII ZR 71/10

Die Beklagte bezieht von der Klägerin, einem Gasversorgungsunternehmen, als Tarifkundin im Haushalts-Tarif leitungsgebunden Erdgas für ihr Grundstück in B. .

Der dem Bezug zugrunde liegende Energielieferungsvertrag wurde 1991 zwischen der Beklagten und den Stadtwerken W. geschlossen, deren Aufgaben inzwischen die Klägerin übernommen hat.

 Bei Erwerb des Grundstücks vom Gemeindeverband Mittleres S. im Jahr 1990 hatte die Beklagte in dem notariellen Kaufvertrag versichert, dass sie die dort zu errichtenden Gebäude hauptsächlich mit Erdgas als Energieträger versorgen und den gesamten Bedarf an Gas zur Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser von den Stadtwerken W. beziehen werde.

In der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 1. Januar 2007 erhöhte die Klägerin den Arbeitspreis für das von ihr gelieferte Gas insgesamt vier Mal; am 1. April 2007 erfolgte eine Senkung des Arbeitspreises. Die Beklagte widersprach den auf die Preisänderungen folgenden Jahresabrechnungen der Jahre 2005, 2006 und 2007. Sie hält die Gaspreiserhöhungen der Klägerin für unbillig.

Die Klägerin beansprucht die Zahlung der aus den genannten Jahresabrechnungen noch offen stehenden Restbeträge. Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 2.733,12 € nebst Verzugszinsen und Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage stattgegeben.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter.

II.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Vorabentscheidungsverfahren von Interesse, ausgeführt:

Die Preiserhöhungen der Klägerin in den Jahren 2005 bis 2007 entsprächen der Billigkeit gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV in Verbindung mit § 315 Abs. 3 BGB, da sie im Wesentlichen auf gestiegene Bezugskosten zurückzuführen seien; ferner habe die Klägerin ihre gesunkenen Bezugskosten im April 2007 pflichtgemäß an die Kunden weitergereicht. Die gestiegenen Bezugskosten seien auch nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen worden.

III.

Die Entscheidung über den Zahlungsanspruch der Klägerin hängt von der Frage ab, ob bei einem Gasversorgungsvertrag, der von einem Gasversorgungsunternehmen mit einem Haushalts-Kunden im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht geschlossen worden ist (Tarifkundenvertrag), das in § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676 - AVBGasV) enthaltene gesetzliche Preisänderungsrecht wirksam ist.
--- Ende Zitat ---

Zur EuGH- Vorlage siehe hier

Diese Rechtsfrage betrifft sämtliche entsprechenden Zahlungsprozesse gegenüber grundversorgten Tarifkunden.

Will ein nationales Gericht letztinstanzlich  darüber entscheiden, muss es diese Rechtsfrage - ebenso wie der BGH-  dem EuGH von Amts wegen vorab vorlegen.


--- Zitat ---Die Entscheidung über die Vorlagefrage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten.
--- Ende Zitat ---

RR-E-ft:
BGH, B. v. 29.06.11 VIII ZR 211/10 EuGH- Vorlage: §§ 4 AVBEltV/ AVBGasV, 5 StromGVV/ GasGVV wirksam?

Beim Preisstreit von grundversorgten Tarifkunden Strom/ Gas stellt sich vor der Frage der Billigkeit die Frage nach der Berechtigung der Preisänderungen, also nach einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des Versorgers gem. § 315 Abs. 1 BGB, welches vertraglich nicht ausdrücklich vereinbart wurde.

Der BGH stützte ein solches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB bisher auf die gesetzlichen Vorschriften § 4 AVBGasV/ AVBEltV, § 5 GasGVV/ StromGVV.

Mit seinem Beschluss vom 29.06.11 VIII ZR 211/10 hat der BGH nun dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die genannten gesetzlichen Regelungen überhaupt mit EU- Recht vereinbar und wirksam sind.

Nach anderer Auffassung (Fricke, ZNER 15/2/2011, S. 130 ff.) besteht gegenüber grundversorgten Tarifkunden gem. §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht, deren Ausübung der unmittelbaren Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB unterliegt.

Für den § 4 AVBGasV gab es eine entsprechende Vorlage bereits mit BGH, B. v. 18.05.11 VIII ZR 71/10.

Soweit ersichtlich, setzen die Gerichte alle Verfahren, bei denen es streitentscheidend auf diese Frage ankommt, bis zur Entscheidung des EuGH aus.

Für Sonderabkommen, in welches die Bedingungen der AVBV/ GVV unverändert wirksam einbezogen wurden, stellt sich ebenfalls die Frage, ob damit ein wirksames Preisänderungsrecht eingeräumt wurde.

Diese Rechtsfrage wurde ebenfalls dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt:

BGH, B. v. 09.02.11  VIII ZR 162/09 - Vorlagenbeschluss EuGH

Diese soll die Rechtsfrage klären, ob bei rechtsgeschäftlich wirksamer Einbeziehung des unveränderten Verordnungstextes in Sonderabkommen überhaupt wirksam für den Versorger ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB  eingeräumt wird.

RR-E-ft:
Rechtsauffassung von Versorgeranwälten zur Aussetzung anhängiger Verfahren gem. § 148 ZPO:

Die Voraussetzungen des § 148 ZPO liegen vor. Das Verfahren ist bis zu den Entscheidungen des EuGH über die Vorabentscheidungsersuchen des BGH in den Verfahren VIII ZR 162/09 sowie VIII ZR 71/10 auszusetzen.

A.   Aussetzungsvoraussetzungen

Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder nicht Bestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist.

Diese Voraussetzungen liegen vor, da der Bundesgerichtshof die auch in hiesigen Verfahren entscheidungserhebliche Frage nach der Vereinbarkeit der streitgegenständlichen Klausel bzw. der streitgegenständlichen Regelung der AVBGasV mit europäischen Recht dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.Sollte der EuGH — wie diesseits erwartet — zu dem Schluss kommen, dass sowohl die von der Beklagten verwendete Klausel als auch die gesetzliche Regelung für die Preisanpassung in der AVBGasV wirksam ist, dürfte die Klage unbegründet sein.

Im Einzelnen:

I.   Gegenstand des Verfahrens

Die Kläger begehren die Feststellung, dass sie sowohl in den Sondervertrags- als auch in den Grundversorgungsverhältnissen nicht verpflichtet sind, Preise über einen höheren Preisstand als dem 01.09.2004 hinaus zu bezahlen. Teilweise machen die Kläger auch Rückforderungsansprüche geltend.

In beiden Konstellationen geht es um die Frage, ob die in Sondervertragsverhältnissen verwendete Preisanpassungsklausel auf Grund mangelnder Transparenz eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 BGB darstellt und daher unwirksam ist, Im Bereich der Grundversorgung geht es auch um die Wirksamkeit von § 4 Abs. 2 AVBGasV und der auf diese Norm gestützten Preisanpassungen.

Die Klage betrifft zum überwiegenden Teil den Zeitraum bis zum 31. März 2007. Die in diesem Zeitraum geltenden Verträge sahen eine Preisanpassung vor, die der Regelung des § 4 Abs. 1 und Abs. 2 AVBGasV, jetzt § 5 Abs. 2 GasGVV entsprach. Bei Tarifkunden fanden diese Vorschriften direkte Anwendung.

II.   Gegenstand der Parallelverfahren vor dein BGH und Vorabentscheidung

In den am BGH geführten Verfahren geht es ebenfalls um die Wirksamkeit von mittels Einbeziehung des § 4 Abs. 2 AVBGasV in Sondervertragsverhältnisse vereinbarten Preisanpassungsrechten bzw. um die Wirksamkeit von Preisanpassungen in Grundversorgungsverhältnissen, in denen § 4 Abs. 2 AVBGasV direkte Anwendung fand. Der BGH hat die Verfahren ausgesetzt, um die Sachen gemäß Art. 267 AEUV (ex-Art. 234 EGV) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

BGH, Beschluss vom 09.02.2011, Az: VIII ZR 162/09; Beschluss vom 18.05.2011, Az: VIII ZR 71/10

Hierbei geht der BGH zum einen davon aus, dass die dem EuGH vorgelegte Klausel wirksam ist und insbesondere nicht gegen das in § 307 BGB enthaltene Transparenzverbot verstößt (vgl. BGH Urteil vom 14. Juli 2010, Az.: VIII ZR 246/08].

Zum anderen ergibt sich nach der ständigen Rechtsprechung des BGH bei Tarifkunden das Preisanpassungsrecht des Versorgungsunternehmens direkt aus § 4 Abs. 2 AVBGasV bzw. aus der Nachfolgevorschrift des § 5 Abs. 2 GasGVV. BGH, NJW 2007, 2540, 2541; NJW 2009, 502, 504; zuletzt BGH, Urteil vom 15.07.2009, Az.: VIII ZR 225/07 Die Vorlagen dienen der Klärung der Frage, ob die Auffassung des Senats jeweils im Einklang mit den Anforderungen steht, die Art. 3 und 5 der Klausel-Richtlinie (93/13/EWG) und Art. 3 Abs. 3 der Gas-Richtlinie (2003/55/EG) an eine klare und verständliche Abfassung von Vertragsklauseln und an das erforderliche Maß an Transparenz einer nationalen gesetzlichen Regelung über Preisänderungen in Energielieferverträgen stellen. Bezüglich der Klausel-Richtlinie ist vorab zu klären, ob diese überhaupt vertragliche Vereinbarungen erfasst, die inhaltlich mit Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten übereinstimmen.

III. Vorgreillichkeit der Entscheidung

Die Vorlagefragen des BGH sind für das vorliegende Verfahren vorgreiflich, da die Entscheidung über die Wirksamkeit der Einbeziehung des § 4 Abs. 2 AVBGasV sowie über die Wirksamkeit der Norm selbst auch für das vorliegende Verfahren entscheidungserheblich ist (1.) und einer Entscheidung des EuGH präjudizielle Bindungswirkung zukommt (2.).

1.   Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage

Im Rahmen der Vorlagebeschlüsse geht es um die Frage, ob die entscheidungserhebliche Klausel bei der Verwendung in Verbraucherverträgen wirksam ist sowie darum, ob aus § 4 Abs. 2 AVBGasV in zulässiger Weise ein Preisanpassungsrecht hergeleitet werden kann. Sollte somit die dem EuGH vorgelegten Fragen dahingehend beantwor¬tet werden, dass die Verwendung der entscheidungserheblichen Klausel in AGB gegenüber Sondervertragskunden zulässig war und aus § 4 Abs. 2 AVBGasV ein Preis- anpassungsrecht gegenüber Tarifkunden folgte, dürfte die Klage als unbegründet abzuweisen sein.

2.   Präjudizielle Bindungswirkung

Zwar entfaltet ein Auslegungsurteil des EuGH für andere Gerichte nur eine eingeschränkte erga-onmes-Wirkung, allerdings erläutert ein Vorabentscheidungsurteil, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite eine Gemeinschaftsvorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Die Gerichte müssen die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf andere Rechtsverhältnisse und Rechtsstreitigkeiten anwenden (Karpenstein, in Grabitzeilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. Aufl. 2009, EGV Art. 234 Rn. 96).\"Vorabentscheidungen des EuGH zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts mögen zwar außerhalb des Ausgangsrechtsstreits rechtlich keine unmittelbare Bindungswirkung , insbesondere keine materielle Rechtskraft i.S. der §§ 322, 325 ZPO entfalten, nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur stellen sie jedoch [ ...] auf Grund ihrer „Leitfunktion für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts\" über den Einzelfall hinaus eine „tatsächlich rechtsbildende Kraft\" dar, so daß im Ergebnis von einer tatsächlichen Bindungswirkung der Auslegungsurteile des EuGH auszugehen ist.\" (BPatG, GRUR 2002, 734).

Auch das Saarländische Oberlandesgericht teilt diese Auffassung:\"Aus der Verpflichtung zur Befolgung des Gemeinschaftsrechts ergibt sich aber mittelbar eine Präjudizwirkung dieser Urteile mit der Folge, dass innerstaatliche Gerichte von einer Auslegung nicht abweichen  dürfen, die der EuGH einer bestimmten gemeinschaftsrechtlichen Rechtsnorm gegeben hat. Mithin können auch innerstaatliche Gerichte, die von der Vorlagemöglichkeit keinen Gebrauch machen, das Gemeinschaftsrecht nicht abweichend vom EuGH auslegen.\" (Saarländisches OLG, Beschluss v. 23.05.2001, OLGR 2001, 408 ff).

An die Entscheidung des EuGH wären auch alle anderen Gerichte, die mit der Frage nach der Wirksamkeit eines einseitigen Preisanpassungsrechtes durch Einbeziehung oder direkte Geltung der AVBGasV befasst sind, gebunden, um die Richtlinie in der vom EuGH vorgegebenen Auslegung zur Anwendung zu bringen.

IV. Gebundene Entscheidung

Die im Ermessen des Gerichts stehende Frage nach der Aussetzung des Verfahrens ist vorliegend reduziert, da die Voraussetzungen einer Sachentscheidung nicht geklärt werden können.

Vgl. Zöller/Greger, 27. Auflage (2009), § 148, Rn. 7.

Das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs hängt in Sondervertragsverhältnissen von der Wirksamkeit der seitens der Beklagten verwendeten und nun dem EuGH vorgelegten Klausel ab. Auch im Tarifkundenbereich kommt es entscheidend darauf an, ob Preisanpassungen auf die Normen der AVBGasV gestützt werden konnten. Sollte der EuGH erwartungsgemäß die Wirksamkeit der Klausel in Sondervertragsverhältnissen sowie der Regelung des § 4 Abs. 2 AVBGasV im Bereich der Grundversorgung beststätigen, wäre die Beklagte zu Preisanpassungen gegenüber allen Klägern berechtigt gewesen.

chilihead:
... na, das ist doch endlich einmal ein verständliches und für jedermann sich sofort erschliessendes Schriftstück!

Wahnsinn, kann bei so etwas selbst ein Rechtsgelehrter noch durchblicken?

RR-E-ft:
Unter anderem Clifford Chance geben eine Argumentation dafür ab, warum bei Gerichten derzeit anhängige Verfahren, welche die Wirksamkeit eines Preisänderungsrechts und die Billigkeit der einseitig geänderten Preise betreffen, bis zu den entsprechenden Entscheidungen des EuGH gem. § 148 ZPO auszusetzen sind, nach ihrer Auffassung ausgesetzt werden müssen.

Diese Frage tritt in der gerichtlichen Praxis derzeit landauf und landab auf.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln