Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

Preisintransparenz begründet Staatshaftung für Verbraucher bei verlorenen Billigkeitsprozessen

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RR-E-ft:
Der deutsche Gesetzgeber hat dem grundversorgten Kunden nicht nur die Möglichkeit der gerichtlichen Billigkeitskontrolle aufgrund einer Preisbestimmungspflicht einseitig festgesetzter Preise eröffnet, sondern ihm zugleich die Alternative eröffnet, den Versorger zügig zu wechseln.

Der betroffene Kunde kann für sich selbst unter diesen gleichwertig nebeneinander stehenden Alternativen wählen.

Wer die vom Gesetzgeber eröffnete Möglichkeit einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle deshalb als auszumerzenden Eiterherd geißelt, der muss sich wohl die Frage stellen, ob er die Sache überhaupt richtig verstanden hat.


--- Zitat ---Original von jroettges
Das ganze Verfahren ist natürlich eine Goldgrube für die Juristerei, volkswirtschaftlich aber absolut unsinnig und ein Eiterherd in unserer Gesellschaft.

Die ganze Konstruktion ist ja damals durch den Bundesrat nachträglich in die EnWG-Novelle gedrückt worden. Was dadurch entstanden ist, das erleben wir nun seit Jahren.
--- Ende Zitat ---

Das ist mit Verlaub - wie aufgezeigt - barer Unsinn.

Wie gesagt hat bereits das Reichsgericht in den 1920er Jahren § 315 BGB auf einseitig festgesetzte Energiepreise angewandt.

Die der gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterliegende Preisbestimmungspflicht des Versorgers ist von Anbeginn an im Energiewirtschaftsgesetz verankert, nämlich bereits seit Inkrafttreten des ersten Energiewirtschaftsgesetzes 1935, ohne dass der Bundesrat da etwas nachgedrückt hätte.

Allein aufgrund dieses Unverständnisses ist auch der wohl darauf gründende Ruf nach einer staatlichen Tarifaufsicht a la § 12 BTOElt vollkommen verfehlt.

Ebenso unsinnig erscheint die Aussage, es gäbe bisher keine klare Trennung zwischen Grund- bzw. Ersatzversorgung und Verträgen außerhalb der selben.

Gesetzlich ist diese Trennung vollkommen eindeutig.

Eine Preisbestimmungspflicht, die der Billigkeitskontrolle unterliegt, besteht nach der gesetzlichen Regelung nur gegenüber grund- und ersatzversorgten Kunden.

jroettges:

--- Zitat ---Der deutsche Gesetzgeber hat dem grundversorgten Kunden nicht nur die Möglichkeit der gerichtlichen Billigkeitskontrolle aufgrund einer Preisbestimmungspflicht einseitig festgesetzter Preise eröffnet, sondern ihm zugleich die Alternative eröffnet, den Versorger zügig zu wechseln.
--- Ende Zitat ---

Wer, wo, wie kann seinen Grundversorger wechseln?
Gibt es an jedem Ort der Republik nicht nur einen Grundversorger?

Dass man zu einem anderen Versorger im Rahmen eines Normsondervertrages wechseln kann, das ist selbst mir nicht verborgen geblieben.  :)

Lothar Gutsche:
@ RR-E-ft

Rein statistisch stammen über 50 % der beim Bundesrat bzw. Bundestag eingebrachten Gesetzesvorhaben aus Regierungsvorlagen, so zeigt es eine Statistik zur Gesetzgebung in der 16. Wahlperiode mit Stand 21.4.2010, siehe
http://www.bundestag.de/dokumente/parlamentsdokumentation/gesetzgebung_wp16.pdf. Weniger als 30 % der Gesetzesvorhaben gehen auf Initiativen des Deutschen Bundestages zurück. Bei 616 vom Bundestag verabschiedeten Gesetzen stammen 488 von der Regierung und nur 89 aus Initiativen des Bundestages. Ähnliche Verhältnisse finden sich bei den Gesetzesverkündungen.

Der Bundesregierung steht ein ziemlich großer Verwaltungsapparat in Gestalt der Ministerien zur Verfügung. Dort könnte und müsste man z. B. alle EU-Richtlinien zu studieren und Vorgaben daraus zum Verbraucherschutz aus der Gas-Richtlinie richtlinienkonform in deutsche Gesetzesvorschläge einzuarbeiten. Einige Ministern besitzen auf gesetzlicher Grundlage die Möglichkeit, auf dem Wege von Verordnungen den Verbraucherschutz zu verbessern.

Vor dem Hintergrund sah und sehe ich in erster Linie die Bundesregierungen seit 2004 in der Verantwortung dafür, dass die Vorgaben zum Verbraucherschutz aus der Gas-Richtlinie 2003/55/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Juni 2003 nicht umgesetzt wurden. So hatte ich Ihre Aussage \"Soweit es deshalb um Unterlassungen des deutschen Gesetzgebers gehen sollte, kann man auf die Regierungen schimpfen wie man will und befindet sich dabei wohl immer an der falschen Adresse.\" missverstanden. Natürlich richtet sich das Vertragsverletzungsverfahren formal an den Gesetzgeber. Insofern muss ich mich bei Ihnen entschuldigen.


Durch die Diskussion, gegen wen sich ein Vertragsverletzungsverfahren formal richtet, lenken Sie vom Kern des Threads ab, nämlich vom Versagen des deutschen Gesetzgebers, entsprechend der Gas-Richtlinie von 2003 transparente, einfache, kostengünstige, zügige Verfahren für Verbraucherbeschwerden zu schaffen. In dem Punkt überzeugt mich Ihr Hinweis auf das ältere BGH-Urteil vom 05.07.2005 mit Aktenzeichen X ZR 60/04 (NJW 2005, 2919) nicht. Gerade wer an den VIII. Zivilsenat des BGH in seiner derzeitigen Besetzung gerät, kann sich nicht unbedingt auf eine solche verbraucherfreundliche Rechtsprechung beziehen. Selbst neuere Urteile des Kartellsenats werden vom VIII. Zivilsenat ignoriert, ohne dass der Große Senat am BGH einberufen worden wäre. Prozessdauern von fünf und mehr Jahren würde ich nicht mehr als \"zügig\" bezeichnen. Wenn die europäische Gas-Richtlinie von 2003 in Deutschland korrekt umgesetzt worden, dann wäre z. B. der Streit um die Gaspreise der Stadtwerke Dinslaken schon im Jahr 2006 endgültig beigelegt worden.

Ohne Rechtsschutzversicherung besteht ein erhebliches Prozesskostenrisiko. Zu den von mir zitierten Argumenten des Users \"__hp__\", dass für den privaten Energieverbraucher in der Realität ein erhebliches, sogar unverhältnismäßig hohes Prozesskostenrisiko existiert, vermisse ich Ihre Stellungnahme. Gibt es denn positive Referenzurteile, wo Ihr Vorschlag des sofortigen Anerkenntnisses gem. § 93 ZPO für den beklagten Energieverbraucher so kostengünstig ablief, wie Sie es prognostizieren? Die Referenzurteile sollten sich auf die Situation beziehen, dass der beklagte Energieverbraucher nach Unbilligkeitseinrede und Zahlungskürzungen vom Versorger auf Zahlung verklagt wurde und der Versorger den maßgeblichen Vortrag über die preisbildenden Kostenfaktoren erst im gerichtlichen Verfahren hielt.

Selbst mit Rechtsschutzversicherung sehe ich den Schutz durch die Zivilprozessordnung als nicht ausreichend an, der Schutz bleibt auch eine Frage des Geldes. Ich halte es für ein Märchen, dass die \"Waffengleichheit vor Gericht durch die Vorschriften der ZPO sichergestellt wird\", wie Sie behaupten. Bei den meist kleinen Streitwerten von einigen Hundert Euro für einen durchschnittlichen Privatverbraucher kann sein Rechtsanwalt mit den üblichen Gebühren wirtschaftlich nicht den hohen Aufwand betreiben, der für einen Erfolg in Energiepreis-Streitigkeiten notwendig ist. Zum wirtschaftlichen Überleben benötigt der Anwalt von seinem Mandanten die Unterschrift unter eine zusätzliche Honorarvereinbarung, deren Kosten im allgemeinen nicht von der Rechtsschutzversicherung übernommen wird. Im Kampf der privaten Gutachter dürfte die finanzstärkere Partei die bessere Ausgangsposition haben und psychologisch wertvolle Punkte beim Gericht sammeln.

Ein Beispiel zu den Grenzen der Gesetzlichkeit liefern Sie mit Ihrem letzten Beitrag zur ausschließlichen Zuständigkeit besonderer Spruchkörper nach den §§ 102 - 108 EnWG. Inhaltlich mögen Sie recht haben, aber die Realität an diversen OLGs anders aus, siehe z. B. OLG Frankfurt, B. v. 16.12.10 Az. 11 AR 3/10 zu § 102 EnWG, OLG Celle, B. v. 23.12.10 Az. AR 9/10 zu § 102 EnWG, OLG Celle, B. v. 14.12.10 Az. 13 AR 8/10 zu § 102 EnWG oder OLG München, B. v. 15.05.2009, Az. AR (K) 7/09 zu § 102 EnWG. Sitzen an diesen OLGs etwa keine Volljuristen, wie Sie einer sind?

Sehr verwundert bin ich über Ihre Argumentation, die Sie gegenüber dem User \"jroettges\" anführen:

--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Der deutsche Gesetzgeber hat dem grundversorgten Kunden nicht nur die Möglichkeit der gerichtlichen Billigkeitskontrolle aufgrund einer Preisbestimmungspflicht einseitig festgesetzter Preise eröffnet, sondern ihm zugleich die Alternative eröffnet, den Versorger zügig zu wechseln.  
Der betroffene Kunde kann für sich selbst unter diesen gleichwertig nebeneinander stehenden Alternativen wählen.
--- Ende Zitat ---
Das klingt für mich wie aus einem Schriftsatz der Energieversorger. Die beiden Alternativen wirken für mich wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Der Anbieterwechsel löst den Streit nicht, er ist keine echte Streitschlichtung, sondern eher ein Ausweichmanöver. Gerade bei Gas war der Anbieterwechsel bis zum1.8.2008, dem Inkraftteten der Vorgaben für Geschäftsprozesse für den Lieferantenwechsel im Gassektor (GeLi Gas) sowie für das Grundmodell der Ausgleichsleistungs- und Bilanzregeln im Gassektor (GABi Gas), faktisch auch nicht möglich. Selbst wenn man den Anbieterwechsel als \"Alternative\" akzeptiert, bleibt das Versagen des deutschen Gesetzgebers zumindest für den Zeitraum vom 1.7.2004 (= Frist zur Umsetzung der europäischen Gas-Richtlinie) bis zum 1.8.2008. Im übrigen hilft der Anbieterwechsel nicht, wenn der Ferngasmarkt als Vorleistungsmarkt in Deutschland nicht funktioniert, vgl. z. B. den Abschlussbericht des Bundeskartellamtes zur Sektoruntersuchung Gastransport über die Kapazitätssituation in den deutschen Gasfernleitungsnetzen vom 17.12.2009 unter http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Stellungnahmen/0912_Abschlussbericht_SU_Gasfernleitungsnetze.pdf.  

Schließlich komme ich wieder zum Ausgangspunkt zurück: der Schutz für Energieverbraucher ist entgegen der europäischen Gas-Richtlinie von 2003 mangelhaft, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Preistransparenz und im Hinblick auf die Einfachheit, Kostengünstigkeit und Geschwindigkeit von Streitverfahren. Deshalb sollte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland erfolgreich sein, wie es der User \"__hp__\" mit seiner Bürgerbeschwerde vorbereitet. Mit der Vertragsverletzung eröffnet sich auch der Weg zum Schadenersatz über eine Staatshaftung. Der Schadenersatz wird sicher nicht in jedem Einzelfall gerechtfertigt sein, aber das soll bitte in jedem Einzelfall der dazu berufene Rechtsanwalt prüfen.  

Viele Grüße
Lothar Gutsche
Email: Lothar.Gutsche@arcor.de

RR-E-ft:
@Lothar Gutsche

Zuweilen werden Eulen nach Athen getragen.

Wie aufgezeigt betrifft ein Vertragsverletzungsverfahren nur Unterlassungen unseres Gesetzgebers.

Es ist hingegen wohl ungeeignet, eine ungenügende Umsetzung der vom deutschen Gesetzgeber bereits  geschaffenen materiellen Rechtlage durch die nationalen Gerichte zu korrigieren.

Letztere ist jedoch das eigentliche Problem.

Dafür wiederum kann man keine Regierung veranwortlich machen, weil sie die Rechtsprechung selbst nun einmal nicht in der Hand hat.

Kein grundversorgter Kunde muss einen Billigkeitsprozess führen.
Ihm wird jedoch rechtlich die Möglichkeit hierzu eröffnet.

Und wenn ein grundversorgter Kunde nach Erhebung der Unbilligkeitseinrede unter Berufung auf die Unverbindlichkeit seine Zahlungen kürzt, kann es ihm - abgesehen von einem Zinsrisiko für den Fall, dass  die Bestimmung nach den Feststellungen im Prozess von Anfang an der Billigkeit entsprochen haben sollte- eigentlich egal sein, wie lange eine Entscheidung über die Leistungsklage des Versorgers dauert.

Entscheidend ist allein, dass er das geforderte Geld ganz einfach weiter selbst in der Hand behält, bis ein Gericht entweder rechtskräftig die Billigkeit der einseitigen Preisbestimmung feststellt oder aber eine Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB trifft.

In der Entscheidungssammlung des Vereins  finden sich nicht nur Urteile, wo Zahlungsklagen von Versorgern gegenüber Tarifkunden, die sich auf Unbilligkeit berufen hatten, abgewiesen wurden und der Versorger deshalb die Kosten des Verfahrens zu tragen hatte, insbesondere nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens.

Es finden sich ebenso Entscheidungen, wo Kunden im Zahlungsprozess des Versorgers nach vorprozessualer Unbilligkeitseinrede und Zahlungskürzung ein sofortiges Anerkenntnis gem. § 93 ZPO abgegeben hatten und der Versorger deshalb die Prozesskosten vollständig selbst zu tragen hatte.  

Nachdem alle Entscheidungen in der Entscheidungssammlung mit einer kurzen Anmerkung versehen sind, ist auf diese zu verweisen.
Dafür ist jedoch erforderlich, dass man diese Rechtsprechung auch verfolgt.

Der Bund der Energieverbraucher hat übrigends schon länger auf ein Vertragsverletzungsverfahren wegen bisher mangelnder Richtlinien- Umsetzung gedrungen.

Ich bleibe aus genannten Gründen bei meiner Auffassung.
Ebenso bleibe ich dabei, dass es vollkommen ungebührlich ist, mir an dieser Stelle Unsachlichkeit vorzuwerfen oder mir hier mit Unsachlichkeiten zu begegnen, etwa der, es bestünden wohl bestimmte Abhängigkeiten.

Naturlich gewährleistet die ZPO die prozessuale Waffengleicheit.
Es ist für eine sachliche Diskussion nicht zuträglich, den Hinweis darauf als Märchen abzutun.

Fakt ist, dass in einem Billigkeitsprozess der Kunde wegen der prozessualen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast klar im Vorteil ist.

Aufgrund meiner Tätigkeit habe ich Gelegenheit, sehr sehr viele Schriftsätze von Versorgeranwälten zu lesen. Und in diesen steht immer ganz anderes, als ich es hier vortrage. Dies mag seine Gründe haben.

RR-E-ft:
Der Themenstarter vertritt die These, eine Preisintransparenz würde eine Staatshaftung für Verbraucher bei verlorenem Billigkeitsprozess begründen. Hört sich gut an.

Der Beitrag dazu ist recht umfangreich geraten, lässt jedoch Wesentliches vermissen.

Wenn es um Haftungsansprüche geht, stellt sich zunächst immer die Frage nach einem konkreten Schaden und nach einer haftungsbegründenden sowie nach einer haftungsausfüllenden Kausalität.

Möglicherweise kann uns der Vertreter der o. g. These deshalb zunächst aufzeigen, wie man nach seiner Auffassung den Schaden im konkreten Einzelfall ermittelt und worin die haftungsbegründete und die haftungsausfüllende Kausalität im konkreten Einzelfall zu suchen sein sollten.

Es ist leider so, dass nicht alle im Schadensrecht im Allgemeinen und im Staatshaftungsrecht im Besonderen gut besattelt sind.

Man könnte ja meinen, wenn es für den Verbraucher einen Schaden gäbe, so habe ein solcher bereits vor einem Billigkeitsprozess bestanden.
Und in den Billigkeitsprozess habe sich der Verbraucher schließlich kraft eigener Willensentschließung selbst begeben.
Und wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.
Oder hat zumindest mit einem solchen möglichen Ausgang gerechnet.

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