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EuGH Urt. v. 21.03.13 C-92/11 (VZ NRW gegen RWE Vertrieb) - BGH VIII ZR 162/09

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RR-E-ft:
Verkündungstermin 09.02.11

RR-E-ft:
PM Nr. 26/2011 vom 09. 02.11 EuGH- Vorlage



--- Zitat ---Nr. 26/2010


Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der Richtlinien 93/13/EWG (Klausel-Richtlinie) und 2003/55/EG (Gas-Richtlinie)

Der Kläger, die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V., verlangt von der Beklagten, einem Gasversorgungsunternehmen, aus abgetretenem Recht von 25 Haushaltskunden die Rückzahlung von Gaspreisentgelten, die diese in der Zeit von Januar 2003 bis Oktober 2005 auf Gaspreiserhöhungen gezahlt haben. Der Kläger hält die Gaspreiserhöhungen für unwirksam und fordert die gezahlten Erhöhungsbeträge zurück. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Der für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Klausel-Richtlinie)*** dahin auszulegen, dass Vertragsklauseln über Preisänderungen in Gaslieferungsverträgen mit Verbrauchern, die außerhalb der allgemeinen Versorgungspflicht im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit beliefert werden (Sonderkunden), nicht den Bestimmungen der Richtlinie unterliegen, wenn in diesen Vertragsklauseln die für Tarifkunden im Rahmen der allgemeinen Anschluss- und Versorgungspflicht geltenden gesetzlichen Regelungen unverändert in die Vertragsverhältnisse mit den Sonderkunden übernommen worden sind?

2. Sind - soweit anwendbar - Art. 3 und 5 der Klausel-Richtlinie****,****** in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b Satz 2 des Anhangs zu Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie***** sowie Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (Gas-Richtlinie)******** dahin auszulegen, dass Vertragsklauseln über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Sonderkunden den Anforderungen an eine klare und verständliche Abfassung und/oder an das erforderliche Maß an Transparenz genügen, wenn in ihnen Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?

Bei den Kunden der Beklagten handelt es sich zumindest teilweise um Sonderkunden. Für diese gilt das gesetzlich im Tarifkundenverhältnis vorgesehene einseitige Preisänderungsrecht des Gasversorgers nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV nur dann, wenn es als Vertragsklausel wirksam vereinbart wird. Nach dem vorliegend zugrunde zu legenden Sachverhalt erfolgte eine derartige Vereinbarung im Wege der Bezugnahme in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten.

Der Senat geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Preisänderungsklausel, die das im Tarifkundenverhältnis bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV - einschließlich der insoweit bestehenden Kündigungsmöglichkeiten - unverändert in einen Sonderkundenvertrag übernimmt, keine unangemessene Benachteiligung des Sonderkunden im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB* darstellt. Dies gilt auch im Hinblick auf die Transparenz der Preisänderungsklausel. Zwar enthält ein § 4 AVBGasV nachgebildetes vertragliches Preisänderungsrecht keine Angaben zu Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung. Gleichwohl ist eine solche Klausel wirksam, da der Schutz von Sonderkunden nicht weitergehen soll als derjenige, der Tarifkunden durch § 4 AVBGasV gewährt wird.

Die Vorlage dient einer Klärung der Frage, ob die Auffassung des Senats im Einklang mit den Anforderungen steht, die Art. 3 und 5 der Klausel-Richtlinie und Art. 3 Abs. 3 der Gas-Richtlinie******* an eine klare und verständliche Abfassung von Vertragsklauseln und/oder an das erforderliche Maß an Transparenz stellen. Bezüglich der Klausel-Richtlinie ist vorab zu klären, ob diese überhaupt vertragliche Vereinbarungen erfasst, die inhaltlich mit Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten übereinstimmen.

Die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Klausel-Richtlinie und die Auslegung der in ihr sowie in der Gas-Richtlinie enthaltenen Anforderungen an die Transparenz von Preisänderungsklauseln in Erdgaslieferungsverträgen mit Verbrauchern sind dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten.

*§ 307 Abs. 1 BGB lautet:

Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

**§ 4 AVBGasV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden) lautet auszugsweise:

(1) Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. (…)

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam. (…)

***Art. 1 Abs. 2 der Klausel-Richtlinie lautet auszugsweise:

Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften (…) beruhen, (…) unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.

****Art. 3 der Klausel-Richtlinie lautet auszugsweise:

(1) Eine Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde, ist als mißbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Mißverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht. (…)

(3) Der Anhang enthält eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für mißbräuchlich erklärt werden können.

*****Der Anhang zu Art. 3 Abs. 3 der Klausel-Richtlinie lautet auszugsweise:

1. Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, daß (…)

j)der Gewerbetreibende die Vertragsklauseln einseitig ohne triftigen und im Vertrag aufgeführten Grund ändern kann; (…)

2. (…) b)(…) Buchstabe j) steht (…) Klauseln nicht entgegen, durch die sich der Gewerbetreibende das Recht vorbehält, einseitig die Bedingungen eines unbefristeten Vertrages zu ändern, sofern es ihm obliegt, den Verbraucher hiervon rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, und es diesem freisteht, den Vertrag zu kündigen.

******Art. 5 der Klausel-Richtlinie lautet auszugsweise:

Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. (…)

*******Art. 3 Abs. 3 der Gas-Richtlinie lautet auszugsweise:

Die Mitgliedstaaten (…) gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren.

********Anhang A der Gas-Richtlinie lautet auszugsweise:

(…) soll mit den in Artikel 2 genannten Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Kunden (…)

rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Gasdienstleister mitgeteilt hat;

transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Standardbedingungen für den Zugang zu Gasdienstleistungen und deren Inanspruchnahme erhalten;

Beschluss vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 162/09

LG Dortmund - Urteil vom 18. Januar 2008 – 6 O 341/06

OLG Hamm - Urteil vom 29. Mai 2009 – 19 U 52/08 (veröffentlicht in RdE 2009, 261 = ZNER 2009, 274)

Karlsruhe, den 9. Februar 2011

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
--- Ende Zitat ---

uwes:
Der VIII. Senat ist sich der Richtigkeit seiner eigenen Rechtsprechung offenbar nicht mehr sicher.
Jetzt ist offenbar die Gasrichtlinie nicht mehr (nur) noch verfahrensrechtlicher Natur, sondern im Hinblick auf die Transparenzvorgabe doch ein Grund über materiellrechtliche Auslegungsfragen nachzudenken.

Konsequenter Weise hätte er dem EuGH etwas konkreter mitteilen sollen, warum nicht die Vorschriften des BGB als gegenüber der AVBGasV höherrangigem Recht eine Leitbildfunktion ausüben und welche gesetzliche Ermächtigungsnorm dem Verordnungsgeber die Möglichkeit eröffnet hatte, mit den Vorschriften der AVBGasV die Nichtanwendbarkeit des § 307 BGB zu ermöglichen.

In der dargestellten Form kann der EuGH die Vorlagefrage gar nicht umfänglich verstehen.

RR-E-ft:
Der Senat durfte sich wohl nach dem Vorlagenbeschluss des OLG Oldenburg vom 14.12.10  gar nicht mehr sicher sein.
Die Vorlage ist nur konsequent (Palandt, BGB, § 310 Rn. 22 ff. )

Der Senat konnte sich nach BGH VIII ZR 246/08 nicht noch einmal wegen dieser Fragen \"in die Büsche schlagen\".

Dass der Senat grundversorgte Kunden und Sondervertragskunden gleich schlecht behandelt sehen will, konnte ggf. wohl so deutlich nicht formuliert werden.

Es gibt im nationalen Recht keine gesetzliche Norm, die Sonderverträge hinsichtlich der Inhalts- und Transparenzkontrolle von Preisänderungsklauseln gem. § 307 BGB privilegiert.

Die Privilegierung muss der Senat wohl aus dem nichts geschöpft haben.

Eine solche Privilegierung ergibt sich insbesondere nicht aus § 310 Abs. 2 BGB.  Ergäbe sie sich daraus, wäre wohl das nationale Recht (§§ 305 ff. BGB) seinerseits nicht richtlinienkonform.

Der EuGH wird wohl erkennen, dass es sich um Parallelverfahren zum Vorlagenbeschluss des OLG Oldenburg handelt.

uwes:
die numehr vom BGH geforderte Überprüfung ist gerade der Kernpunkt aller Überlegungen sowohl des OLG Oldenburg als auch des BGH.
Die Klauselrichtlinie enthält ja eine gewichtige Ausnahme vom ansonsten uns Juristen bekannten Prüfungssschema in AGB-rechtlichen Fragen.
Artikel 5 der Richtlinie 93/13 EWG des Rates vom 5. April 1993 stellt nämlich in der Tat Anwendbarkeitsprobleme. Gemäß Artikel 1 Absatz 2 unterliegen
Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, nämlich nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.
Allerdings gibt es in der Strom- und der Gasrichtlinie auch Tranzparenzbestimmungen.

Der EuGH muss demnach Stellung nehmen, ob die AVBGasV und GasGVV- Bestimmungen, wenn sie ungeändert in einen Vertrag einbezogen werden, überhaupt unter die Bestimmungen der Klauselrichtlinie fallen.
Verneint er die Frage, muss er prüfen, ob das Transparenzgebot der \"Gas - und/oder Stromrichtlinien\" tangiert ist. Bejaht er sie, muss die Transparenz richtlinienkonform beurteilt werden und kann nicht nach bisheriger Rechtsprechung einfach unter den Tisch fallen, weil der deutsche Gesetzgeber keine unterschiedliche Behandlung von Tarif- und Sonderkunden beabsichtigt habe.

Der BGH hat die Frage einer wirksamen Einbeziehung einer intransparenten Vertragsbestimmung übrigens auch immer noch nicht an den Maßstäben von § 305 BGB geprüft.
Er kommt nämlich in seiner jüngsten Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass durch die Einbeziehung der genannten Normen keine Transparenz hergestellt wird.
Allerdings erfordert § 305 Absatz 2 Nr. 2 BGB, dass allgemeine Vertragsbedingungen für den Kunden verständlich sein müssen. Die Vorschrift enthält damit ein Transparenzgebot (OLG Schleswig NJW 1995, 2858 ].  

Die Einbeziehung einer Klausel, die in ihrem Kernbereich unklar oder für den Durchschnittskunden unverständlich ist, scheitert bereits an § 305 Absatz 2 Nr. 2 BGB (KG NJW-RR 1999, 1659; OLG Hamburg NJW-RR 1986, 1440; OLG Stuttgart NJW-RR 1988, 786, 787; OLG Schleswig NJW 1995, 2858, 2859).
Zitat: OLG Oldenburg Beschl. Vom 14.12.2010).

Eine Prüfung nach § 307 BGB wäre wohl dann gar entbehrlich.

Kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass die genannten Verordnungsbestimmungen nicht dem Tranzparenzgebot der Richtlinien 2003/55/EG bzw. 2003/54/EG entsprechen, dann kann auch die bisherige Auslegung des BGH nicht mehr aufrechterhalten werden.

Nur dann, wenn weder die Klauselrichtlinie anwendbar und auch das Transparenzgebot der Richtlinien 54 und 55 aus 2003 nicht tangiert bzw. verletzt wäre, könnte der BGH seine bisherige, schwer nachvollziehbare, Rechtsprechung beibehalten. Dann müsste er aber immer noch die Einbeziehung nach dem Maßstab des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB konkreter prüfen.

Das ist meine Lesart der neueren Rechtsprechung hierzu.

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