Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Ausschluß der Gaspreiskontrolle über § 315 BGB
tangocharly:
@jagni
Ihre Gedankengänge sind gut und richtig.
Welche Interpretationsmöglichkeiten die Bestimmungen des § 315 BGB aufweisen, kann man der sogenannten \"Monopolrechtsprechung\" abgreifen. Selbst dort schon hat der VIII. BGH-Senat, allerdings später erkannt, welches \"Fass dort aufgemacht\" wurde. Schnell wurde zurück gerudert und das Fass wieder zugemacht.
Aber, und das muß bei der Exegese eben auch beachtet werden, als der Gesetzgeber die Bestimmungen gem. §§ 36 Abs. 1 , 1 Abs.1 und 2 Abs. 1 EnWG 2005 im Kreisssaal der Politik das Licht der Welt erblicken ließ, war ihm bekannt, dass die Rechtsprechung auf das Leistungsbestimmungsrecht in der Energieversorgung die Bestimmungen gem. § 315 BGB anwendet, d.h. dem Unwesen ein Fass ohne Boden zu verwenden, sollte nichts Anderes und/oder Wirksameres entgegen gestellt werden.
Und als festzustellen gewesen war, dass in Bezug auf den Unbilligkeitseinwand in der Rechtsprechung der unteren Instanzen immer noch heftig diskutiert wurde, ob selbiger unter § 30 AVBGasV falle oder ob nicht, wurde schnell noch in § 17 Abs. 1 S. 3 GasGVV \"eins-oben-drauf\" gesetzt, indem man dort den § 315 BGB in den Verordnungstext explizierte (was aber auch dringend erforderlich war, weil dies einige unterinstanzliche Richter immer noch nicht kapieren können).
Dass der Gesetzgeber also bei der Neukodifizierung des EnWG in einem \"Dornröschenschlaf\" gesteckt sein und zu §§ 1 u. 2 EnWG vergessen haben könnte, weitergehenden Merkmale zu kodifizieren, insbesondere auf Rechtsfolgenseite , kann somit nicht unterstellt werden.
Der Gesetzgeber hätte durchaus in § 1 Abs. 3 EnWG einen Hinweis auf § 134 BGB setzen können, ähnlich dem § 1 GWB. Dies impliziert, dass dem Gesetzgeber die \"weiche Federung\" der Versorgungswirtschaft gegenüber einer Meute von zahlungsunwilligen Verbrauchern als ausreichend erschien.
Nur, und dies scheint wohl auch sonst Niemanden ernsthaft zu interessieren, beruhen die Neuregelungen gem. §§ 36 Abs. 1 , 1 Abs.1 und 2 Abs. 1 EnWG 2005 in der jetzigen Fassung auf Gemeinschaftsrecht und sind deshalb auch europarechtskonform anzuwenden und auszulegen (!).
Die genannten Normen beruhen einerseits auf der Gasrichtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2003 und andererseits auf Art. 81, 82, 86 EG-V.
Insbesonder mit § 1 Abs. 1 EnWG wurden die energiewirtschaftsrechtlichen Grundsätze präzisiert und konkretisiert.
Vor dem Hintergrund dieser europäischen Normen erschließt sich auch der Zweck der bundesdeutschen Norm. § 2 Abs. 1 EnWG regelt nunmehr, dass die energiewirtschaftsrechtlichen Grundsätze (im Wege einer gesetzten Verpflichtung) kraft Gesetzes Geltung haben.
Die Norm sichert daher (für den gesamten Energiewirtschaftsbereich !) dass auch jedenfalls dort, wo sich die Parteien auf gleicher Augenhöhe autonom gegenüber stehen, diese Grundsätze zu berücksichtigen sind.
Für die Grundversorgung (§ 36 EnWG) geht diese Verpflichtung allerdings noch viel tiefer, weil dort der Grundversorger zur Versorgung mit Allg. Bedingungen und zu Allg. Tarifen verpflichtet wurde.
Dies - und da hat @RR-E-ft völlig Recht - hindert jedenfalls Vereinbarungen zwischen den Parteien über den Leistungspreis, was auch nur dann möglich wäre, wenn sich zwei Vertragsparteien im Wege der Parteiautonomie gegenüber stehen ( - auf Augenhöhe - ).
Die Auslegung, welche der VIII. BGH-Senat in der Grundversorgung praktiziert, ist mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, jedenfalls dann, wenn sich in diesem Bereich ein \"als vereinbart geltender Anfangspreis\" einstellen soll, um diesen dann wiederum der Kontrolle über § 315 BGB zu entziehen.
In der Grundversorgung wurde die Frage der Allg. Bedingungen vom Gesetzgeber beantwortet und gem. § 39 EnWG i.V.m der GasGVV geregelt. Die Frage der Allg. Tarife hat der Gesetzgeber nach der Neukodifizerung des EnWG nicht beantwortet bzw. nur dahin, dass diese zu veröffentlichen sind.
Diese Frage, d.h. was genau Allg. Tarife sein sollen, war auch nicht zwingend zu beantworten. Denn zeitens der BTO-Gas war diese Frage bereits beantwortet worden und fand daher mit den dort statuierten Begriffsmerkmalen ihre Ausprägung. Immerhin werden vom VIII. BGH-Senat auch in seinen Entscheidungen die Kriterien genannt (BGH, 15.07.2009, Az.: VIII 225/07, Tz. 15; ).
Einigkeit besteht allseits, dass Tarife, welche nicht der Allg. Versorgung dienen, nicht veröffentlicht werden müssen (BGH, 12.12.1984, Az.: VIII ZR 295/83; ).
Dass Tarife gebildet werden dürfen und wer dazu befugt ist, dies ist nicht die entscheidende Frage.
Die entscheidende Frage ist - vornehmlich für die Grundversorgung - die, welche Tarife, die von der Versorgungswirtschaft gebildet wurden, das Merkmal \"Allgemeiner Tarif\" erfüllen .
Diese Frage wurde nun in BGH, 15.07.2009, Az.: VIII 225/07, allerdings abgehandelt, gestützt auf Auslegungsmerkmale, welche der BGH aus der BTO-Gas abgeleitet hatte.
Allgemeine Tarife sind demnach nämlich der \"Kleinverbrauchertarif\" und der \"Grundpreistarif\" (VIII ZR 225/07, Tz. 15; ).
Siehe hierzu auch BFH, 31.07.1990, Az.: I R 171/87 (BStBl. 1991 II, S. 315).
Allerdings wissen wir, dass die Versorger, weil es halt besser passt, alle veröffentlichten Tarife als Allg. Tarife ansehen, also auch die sog. \"Bestpreistarife\".
Und dies ist, sagen wir mal einfach so, zumindest fraglich.
Jagni:
@tangocharly
mit diesem Tiefgang, wie Sie ihn hier gedanklich ausbreiten, bin ich die Thematik bisher noch nicht angegangen, sondern habe mehr an der Oberfläche gekratzt, was mir allerdings auch schon völlig ausgereicht hat.
Steigt man aber auf Ihren Gedanken ein, dass das Gemeinschaftsrecht ( EU-Klauselrichtlinie 93/13/EWG vom 5. April 1993 sowie die EU-Gasrichtlinie 2003/55/EG vom 26.06.2003) schon die Grundversorgung dirigiert, was nachvollziehbar ist, dann hätte dies auch Auswirkungen hinsichtlich der Transparenzanforderungen an das gesetzliche Preisbestimmungsrecht.
Es wäre dann nämlich zu fragen, ob es richtig ist, dass das gesetzliche Preisänderungsrecht in AGB von der Ausnahme des § 307 Abs 3 erfasst und damit der Transparenzkontrolle entzogen wird, weil es mit der Regelung in einer Rechtsvorschrift (GasGVV § 5 Abs 2) übereinstimmt. Wenn die Klauselrichtlinie 93/13/EWG fordert, dass alle preisbestimmenden und leistungsbestimmenden Klauseln dem Transparenzgebot unterfallen, muss dies auch Auswirkungen auf die Gesetzlichkeit schon in der Grundversorgung eines nationalen Gesetzes haben.
Die Überprüfung beim EuGH könnte daher zu tiefgreifenden Umwälzungen bereits in der Grundversorgung führen.
Hinsichtlich des „Allgemeinen Preises“ so wie er von § 36 EnWG vorgegeben wird, sehe ich es als vordringlich an, dass der Bedeutungsinhalt dieses Rechtsbegriffs festgezurrt wird. Wenn sich das Gesetz in Abstraktheit ergeht, ist es eine Aufgabe für die Rechtslehre oder der Gerichte, Klarheit zu schaffen. RR-E-ft hat damit einen Anfang gemacht. Offenbar gibt es solche Folgerungen aber noch nicht im Schrifttum.
Der Bedeutungsinhalt könnte sogar so weit geführt werden, dass er auch eine Bindungswirkung für die bisher völlig ungebundene und nur nach innen, in das Versorgungsunternehmen hinein gerichtete Kostenrechnung erzeugt.
Bisher wird allenthalben darüber geklagt, dass solche aussagekräftigen Kostenkalkulationen, auf die es zwingend ankommt, nicht existieren oder dass die Gerichte nicht in der Lage sind, die Kostenkalkulationen der Versorger nachzuvollziehen. Offenbar regiert im Rechnungswesen der Versorger derzeit nur die Fantasie der Kostenrechner, gesteuert durch die Unternehmenszielsetzungen. Wir haben es aber hier mit gesetzlichen Anforderungen zu tun.
Solange der Bedeutungsinhalt des „Allgemeinen Preises“ nicht verbindlich umschrieben ist, bleibt es bei einer Veranstaltung für Freischwimmer.
Der Bedeutungsinhalt wird zukünftig um so bedeutsamer, weil nach dem neuen Recht des VIII. Senats bei einer unveränderten Übernahme des gesetzlichen Preisänderungsrechts der „Allgemeine Preis“ auch in einem Sondervertrag auftaucht, der sich dann aber Normsondervertrag nennt.
Darüber wird noch reichlich nachzudenken sein.
Gruß
Jagni
RR-E-ft:
@Jagni
Der obige Praxistest betrifft wieder Fälle, wo in die Sonderabkommen gar keine Preisänderungsklauseln einbezogen wurden.
@tangocharly
Ich habe Schwierigkeiten mit der Formulierung \"auf Augenhöhe\".
Es gibt viele große und kleine Energieversorger und noch mehr große und kleine Leute, die Energie beziehen.
Auf die Größe des einen wie des anderen kommt es jedoch überhaupt nicht an:
§§ 2, 1 EnWG schafft eine klare gesetzliche Verpflichtung für alle Energieversorgungsunternehmen im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität und Gas.
Diese kann jedoch nur dort zum Tragen kommen, wo dem Versorger ein Preisbestimmungsrecht und die Pflicht zur Preisbestimmung zufällt.
Dies ist wie oben aufgezeigt aufgrund der gesetzlichen Regelung nur bei §§ 36, 38 EnWG der Fall.
Lässt sich der Versorger bei Abschluss eines Energielieferungsvertrages - im Rahmen der Vertragsfreiheit - vertraglich ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht in Bezug auf die zu zahlenden Preise einräumen, kommt auch auf die vertraglich geschuldete einseitige Preisbestimmung die gesetzliche Verpflichtung aus §§ 2, 1 EnWG voll zum Tragen.
Wichtig ist, dass sich der Kunde gegenüber der gesetzlich oder vertraglich vom Versorger geschuldeten einseitigen Preisbestimmung problemlos auf § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB berufen kann, zudem im Falle verzögerter Preisbestimmung, unstreitig unbilliger Preisbestimmung oder nachweislich unbilliger Preisbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB eine gerichtliche Ersatzbestimmung beantragen kann.
Nachdem es Herrn Kollegen Dr. Hempel als Vertreter für VDEW/ BGW zunächst gelungen war, im Gesetzgebungsverfahren für § 17 GVV eine missverständliche Formulierung einzubringen, schreibe ich mir auf die Fahne, dass es nach mächtigem Trommeln und vielen Anrufen meinerseits unter anderem in den Wirtschaftsministerien der Länder über den Bundesrat doch noch zu der deutlichen Formulierung in § 17 Abs. 1 Satz 3 GVV kam, wie man sie heute dort vorfindet.
Bei Abschluss eines Sondervertrages wird jedoch in der Regel ein (zunächst) feststehender Preis vereinbart (BGH VIII ZR 320/07 Rn. 46), was die vertragliche Einräumung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts bereits ausschließt (BGH VIII ZR 36/06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).
Im Rahmen der Vertragsfreiheit vereinbarte Preise gelten kraft vertraglicher Einigung. Da kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht besteht, stellt sich auch nicht die Frage, warum Energieversorger wie Teldafax, Lichtblick, Monatana Gas.... für den Vertragsabschluss seinerzeit keine günstigeren Preise angeboten hatten, obschon sie es vielleicht gekonnt hätten.
Im Gegensatz zum VIII. Zivilsenat des BGH gehe ich davon aus, dass keine Rechtfertigung dafür besteht, an die Transparenzkontrolle hinsichtlich Preisänderungsklauseln in Energielieferungsverträgen geringere Anforderungen zu stellen sind, als sie die Rechtsprechung anderer Senate des BGH regelmäßig fordert.
Ist eine Klausel unwirksam, gilt der bei Vertragsabschluss im Rahmen der Vertragsfreiheit vereinbarte Preis, § 433 BGB.
Der Versorger ist demgegenüber weder zu einseitigen Preiserhöhungen berechtigt, noch zu Preisherabsetzungen verpflichtet, so dass Chancen und Risiken aus sich während der Vertragslaufzeit ändernden Kosten zwischen Versorger und Kunden gleichverteilt sind (vgl. LG Gera, Urt. v. 07.11. 2008 Az. 2 HK O 95/08].
Einen Sockel braucht wohl niemand.
Ich brauche jedenfalls keinen.
(Für alle die, wo noch Sockel nötig haben). ;)
tangocharly:
\"Wieviele Gedanken passen auf eine Nadelspitze\"
Der VIII. BGH-Senat denkt, der Gesetzgeber wolle keine umfassende staatliche Preiskontrolle.
Der bundesdeutsche Gesetzgeber denkt, er habe die gemeinschaftsrechtlichen Rechtssätze des europäischen Normgebers vollständig umgesetzt.
Der Europäische Normgeber denkt, dass sein Modell zum Verbraucherschutz perfekt und dass der Wettbewerb im Energiesektor gesichert sei.
Deutsche Energieversorger denken, dass seit dem 13.06.2007 alles für sie von Interesse Grundsätzliche höchstrichterlich entschieden sei.
Deutsche (Energie-)Verbraucher denken, dass ihr Recht billig und vom bundesdeutschen Gesetzgeber verbürgt sei.
Kurzum: die Nadel könnte beliebig erweitert werden, wie ein Schaschlikstab.
Der Kern des Übels liegt darin, dass immer da, wo das Prinzip regiert \"Keiner weiß von was\", eine totale Verunsicherung herrscht.
Mag der VIII. Senat lobenswerterweise versucht haben, hier für Klarheit zu sorgen, dann bleibt immer noch die Frage offen, warum diese Klarheit bei einem sogenannten \"vereinbarten Anfangpreis\" enden konnte.
Der sogenannte Anfangspreis segnet alles ab, was §§ 1 u. 2 EnWG gerade nicht wollen (und dies gilt ja nicht nur für die Grundversorgung, sondern beispielsweise auch für den Netzzugang, etc.).
Gesehen hat dies der VIII. Senat ja wohl schon, aber dann wieder nur auf die dem Vertragsschluß folgenden, späteren Anpassungen bezogen.
Diesen Ansatz für die hiermit gebildete Barriere findet man in §§ 1 u. 2 EnWG nicht und auch nicht im Gemeinschaftsrecht. Wenn diese durch die bundesdeutsche Gerichtsbarkeit gebildete Barriere rangmäßig vor dem Gemeinschaftsrecht steht, dann ist der BGH stärker als der Europäische Normgeber (Art. 234 EG-V).
RR-E-ft:
Schade, wenn wir monologisieren.
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