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Autor Thema: Konkludenter Vertragsabschluss von Sonderverträgen, Einbeziehung der AVBGasV  (Gelesen 33564 mal)

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Offline RR-E-ft

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Nach BGH VIII ZR 246/08 kommt es auch auf die Bezeichnung des Tarifs an.
Ein Vertrag über die Belieferung zu einem Sondertarif könne (bei Bestabrechnung mit automatischer Einordnung durch den Versorger) auch konkludent geschlossen werden. Es handele sich auch dabei um einen Sondervertrag (BGH VIII ZR 246/08 Rn. 27).

Bisher ging die wohl h. M. (einschließlich Black & Co.) davon aus, dass nur Tarifkundenverträge bzw. Grundversorgungsverträge gem. § 2 Abs. 2 AVGasBV/ GasGVV durch Energieentnahme aus dem Netz konkludent geschlossen werden können.

In der Bereitstellung der Energie wird dabei eine Realofferte des Versorgers gesehen, die der Kunde durch erstmalige Entnahme von Energie über einen bisher vertragsfreien Anschluss mit Messeinrichtung annimmt. Dies gilt heute nur noch für die Energieentname durch einen Haushaltskunden aus dem örtlichen Verteilnetz für einen Vertragsabschluss mit dem gem. § 36 Abs. 2 EnWG eindeutig bestimmten Grundversorger. Der konkludente Vertragsabschluss mit einem anderen Lieferanten als den Grundversorger durch Energieentnahme ist ausgeschlossen. Ausgeschlossen ist ein solcher konkludenter Vertragsabschluss, wenn bereits eine vertragliche Regelung mit dem Kunden oder einem Dritten über die Energielieferungen getroffen worden war (BGH VIII ZR 144/06 Rn. 20, VIII ZR 293/07).

Der konludente Vertragsabschluss durch Annahme der Realofferte des Versorgers  funktioniert rechtsdogmatisch sauber indes jedenfalls nur, wenn zuvor lediglich ein einziger Tarif durch öffentliche Bekanntgabe vom Versorger eindeutig bestimmt wurde.

Wurden hingegen vom Versorger mehrere Tarife parallel öffentlich bekannt gegeben, ist der Tarif schon nicht mehr eindeutig bestimmt. In diesem Fall ist ein Vertragsabschluss eigentlich nur denkbar, wenn der Versorger im konkreten Vertragsverhältnis von Anfang an ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hat, vermöge dessen er den Kunden nach Vertragsabschluss in einen von den parallel nebeneinander bestehenden Tarife einordnen und somit erst den Preis für die Energielieferungen quasi aus seinem bunten Strauß an Angeboten bestimmen darf.

Sonst scheitert der Vertragsabschluss gem. § 154 Abs. 1 BGB an einem Einigungsmangel (BGH KZR 24/04).

Gerade das ist jedoch beim Abschluss von Sonderverträgen gerade nicht der Fall, weil bei Vertragsabschluss eines Sondervertrages regelmäßig ein  feststehender Preis vereinbart wird, jedoch kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht (BGH VIII ZR 320/07 Rn. 46).

In diesem Fall des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Versorgers, vermöge dessen dieser die Tarifeinordnung für den Kunden vornimmt,  wäre allerdings wohl auch schon der Anfangspreis als vom Versorger einseitig bestimmt anzusehen und unterläge der Gesamtpreis von Anfang an  der Billigkeitskontrolle (BGH VIII ZR 36/06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Der Senat betont nunmehr in mehreren Entscheidungen (VIII ZR 246/08, VIII ZR 6/08, VIII ZR 327/07), dass auch mit Sondervertragskunden konkludente Vereinbarungen (gar konkludente Preisneuvereinbarungen im laufenden Vertragsverhältnis!) möglich seien.

Eine überzeugende Begründung dafür, wie entgegen der Rechtsdogmatik zum Vertragsabschluss über den Austausch von Willenserklärungen entsprechend der gesetzlichen Regelungen der §§ 145 ff. BGB eine Preisneuvereinbarung möglich sei, liefert er indes nicht.

Schweigen des Verbrauchers kommt grundsätzlich kein Erklärungsgehalt zu. Wer schweigt erklärt nichts.
Insbsondere dem schweigenden Weiterbezug von Energie kommt dann kein Erklärungsgehalt zu, wenn bereits eine vertragliche Abrede über den Energiebezug besteht (BGH VIII ZR 144/06 Rn. 20).

Zutreffend führt der Senat ferner aus:

Zitat
BGH VIII ZR 246/08 Rn. 57

Bei einer einseitigen Preiserhöhung eines Gasversorgungsunternehmens aufgrund einer Preisanpassungsklausel, die unwirksam oder - beispielsweise mangels ordnungsgemäßer Einbeziehung - nicht Vertragsbestandteil ist, kann die vorbehaltlose Zahlung des erhöhten Preises durch den Kunden nach Übersendung einer auf der Preiserhöhung basierenden Jahresabrechnung nicht als stillschweigende Zustimmung zu dem erhöhten Preis angesehen werden. Aus der Sicht des Kunden lässt sich der Übersendung einer Jahresabrechnung, die einseitig erhöhte Preise ausweist, nicht ohne weiteres der Wille des Versorgungsunternehmens entnehmen, eine Änderung des Gaslieferungsvertrags hinsichtlich des vereinbarten Preises herbeizuführen. Selbst wenn der Kunde aufgrund der Rechnung Zahlungen erbringt, kommt darin zunächst allein seine Vorstellung zum Ausdruck, hierzu verpflichtet zu sein (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 2007 - VIII ZR 279/06, NZM 2008, 81, Tz. 19). Der Umstand, dass eine Rechnung vorbehaltlos beglichen wird, enthält grundsätzlich über seinen Charakter als Erfüllungshandlung hinaus keine Aussage des Schuldners, zugleich den Bestand der erfüllten Forderungen insgesamt oder in einzelnen Beziehungen außer Streit stellen zu wollen (Senatsurteil vom 11. November 2008 - VIII ZR 265/07, WM 2009, 911, Tz. 12 m.w.N.).


Das ist indes nicht nur bei nicht wirksam einbezogenen oder unwirksamen Preisänderungsklauseln der Fall, sondern gilt generell im Rechtsverkehr, somit eigentlich auch bei Tarifkunden.

Rechtsdogmatisch unterscheidet man nach dem geltenden Abstraktionsprinzip zwischen Grundgeschäft und Erfüllungsgeschäft bzw. Erfüllungshandlung. Wird mehr zur Abrechnung gestellt als vertraglich geschuldet, erhöht sich die vertragliche Schuld dadurch nicht. Wird bei der Erfüllungshandlung mehr geleistet als vertraglich geschuldet, besteht grundsätzlich ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch, § 812 BGB.  

Wie der Senat, zu der Auffassung gelangt, bei Einbeziehung der AVBGasV als AGB sei dies anders, ist nicht nachvollziehbar.

Die unwiderrufliche Willenserklärung, mit welcher ein einseitiges Leistungsbesimmungsrecht gem. § 315 Abs. 2 BGB ausgeübt werden soll, ist jedenfalls kein auf Anahme durch den Kunden gerichtetes Angebot im Sinne von § 145 BGB.

Ohne Zugang einer Angebotserklärung kann eine solche aber noch nicht einmal konludent angnommen werden (§ 151 BGB). Für eine Einigung fehlt es dabei regelmäßig schon an der Angebotserklärung. Dazu bekennt sich auch der Senat (BGH VIII ZR 199/04).

Da eine rechte Begründung für das Abweichen von der Rechtsgeschäftslehre, dem Abstraktionsprinzip  und den gesetzlichen Regelungen der §§ 145 ff. BGB  nicht greifbar ist, soll wohl eine Worthülse aus der Phrasendreschmaschine weiterhelfen.

Zitat
BGH VIII ZR 246/08 Rn. 66

In dogmatischer Hinsicht besteht insoweit kein entscheidungserheblicher Unterschied zwischen Sonderkundenverträgen einerseits und Tarifkundenverträgen oder Grundversorgungsverträgen andererseits, denn auch bei Sonderkundenverträgen sind konkludente vertragliche Vereinbarungen möglich. Der Senat hält es daher auch bei Sonderkundenverträgen für interessengerecht, nach Übersendung einer auf der Grundlage einer einseitigen Preiserhöhung vorgenommenen Jahresabrechnung durch das Versorgungsunternehmen und anschließender Fortsetzung des Gasbezugs durch den Kunden ohne Beanstandung der Preiserhöhung gemäß § 315 BGB in angemessener Zeit den zum Zeitpunkt der Jahresabrechnung geltenden, zuvor einseitig erhöhten Preis nicht mehr gemäß § 315 Abs. 3 BGB auf seine Billigkeit zu überprüfen (vgl. dazu oben unter B II 1).

Der Senat täuscht wohl gerade damit über die dogmatische Fehlleistung hinweg, dass er eine vertragliche Einigung annimmt, wo es schon an einer annahmefähigen Angebotserklärung fehlt (BGH VIII ZR 199/04).

Eine weitere dogmatische Fehlleistung kann darin gesehen werden, dass die lediglich fingierte, dogmatisch nicht begründbare Preisneuvereinbarung die Billigkeitskontrolle ausschließen soll. Dann stünde diese Preisneuvereinbarung aber auch einer Verpflichtung des Versorgers zur Preisabsenkung bei rückläufigen Kosten entgegen, wie sie jedem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht  gerade innewohnt (BGH VIII ZR 81/08 Rn. 18].

In der Rechtsgeschäftslehre stehen Leistungsvereinbarung gem. §§ 145 f. BGB und einseitiges Leistungsbestimmungsecht gem. § 315 BGB  (auch in Bezug auf den Preis) als gleichwertige Alternativen für den Vertragsabschluss nebeneinander. Im Kaufvertragsrecht, dem auch Energielieferungverträge unterfallen, schließen sich eine vertragliche Preisvereinbarung und ein eineitiges Leistungsbestimmungsrecht regelmäßig schon denknotwendig aus (BGH KZR 24/04).

Auch wenn Auftragsformulare für die Herstellung neuer Gasanschlüsse verwendet wurden, in denen es auszugsweise heißt:

\"Es wird die Versorgung mit Erdgas zum Sondertarif beantragt.... Der Auftrag erfolgt aufgrund der \"Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Elektrizitäts- und Gasversorgung von Tarifkunden (AVBEltV/ AVBGasV) vom 21.Juli 1979 einschließlich der \"Ergänzenden Bestimmungen der EWE AG\" in jeweils geltender Fassung\"

oder der Gasversorger Vertragsbestätigungen verwendet, in denen die AVBGasV als Grundlage des Vertragsverhältnisses bezeichnet wird, kann eine Einbeziehung der Bestimmungen der AVBGasV als Allgemeine Geschäftsbedingungen in die Vertragsverhältnisse gem. Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB iVm. § 305 II BGB ohne weiteres nicht festgestellte werden (BGH VIII ZR 246/08 Rn. 1, 64).

Für die wirksame Einbeziehung der Bestimmungen der AVBGasV bedurfte es der Kenntnisnahmemöglichkeit des Kunden vor Vertragsabschluss und des Einverständnisses des Kunden mit der Einbeziehung bei Vertragsabschluss.

Aus § 2 Abs. 3 AVBGasV ergab sich, dass Neukunden - also allen Tarifkunden mit Vertrasabschluss nach Inrafttreten der AVBGasV vom 21.06.79 - unaufgefordert ein Exemplar der Bedingungen der AVBGasV bei Vetragsabschluss auszuhändigen war, so wie den übrigen  Kunden auf Verlangen. Hierzu bestand eine gesetzliche Verpflichtung des Gasversorgers.

\"Übrige Kunden\" im Sinne von § 2 Abs. 3 AVBGasV waren diejenigen Taifkunden (§ 1 AVBGasV), deren Verträge bereits bei Inkrafttreten der AVBGasV bestanden (sog. Bestandskunden).

Um so mehr müssen diese Bedingungen Sondervertragskunden im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss unaufgefordert ausgehändigt worden sein, wenn sie denn als AGB in die Verträge einbezogen werden sollten.

Ein bloßer Hinweis auf die Geltung der AVBGasV in einer Vertragsbestätigung kann m. E. demnach nicht genügen.

Offline Black

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Ich finde die aktuelle Dogmatik des BGH sehr bedenklich.

Zu Recht weisen Sie auf das Problem des Einigungsmangels bei konkludentem Vertragsschluss und mehreren Tarifen hin. Die Lösung des BGH ist dort schuldrechtlich unsauber. Faktisch wird dort allein dem Versorger zugestanden anhand der späteren Abrechnung einseitig zu bestimmen, ob ein Kunde, der ohne weitere Erklärung Strom/Gas abgenommen hat nun Tarif oder Sonderkunde sein soll.

Woher dieses einseitige Bestimmungsrecht des Versorgers nun kommen soll bleibt völlig offen. Es wäre ja nicht nur ein Preisbestimmungsrecht innerhalb eines Tarifes, sondern ein Tarifbestimmungsrecht hinsichtlich der weiteren Rechtsfolgen des Vertrages.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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@Black

Was würden Sie daraus folgern wollen?

Man könnte annehmen, dass immer dann, wenn mehrere Tarife parallel nebeneinander öffentlich bekannt gemacht wurden, ein konkludenter Vertragsabschluss wegen eines Einigungsmangels deshalb scheitern muss, weil für eine annahmefähige Realofferte der Preis nicht hinreichend eindeutig bestimmt war.

Das Ergebnis wäre, dass in einem solchen Fall der Veröffentlichung mehrerer paralleler Tarife (ausnahmslos!) nur Verträge wirksam wären, die ausdrücklich über Zugang einer Angebots- und Annahmeerklärung (im Idealfall mit Unterzeichnung einer Vertragsurkunde, in welcher der Preis genannt wird) zustande kamen.

Wenn man nunmehr nach vielleicht 10 Jahren feststellte, dass ein Vertragsabschluss unter genannten Umständen am Einigungsmangel scheiterte, so soll nach der Rechtsprechung das Ergebnis nicht interessengerecht sein, dass der langjährig erfolgte Leistungsaustausch allein nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen rückabgewickelt wird, was eigentlich die Konsequenz wäre.

Deshalb schließt die Rechtsprechung in solchen Fällen die Vertragslücke durch ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Versorgers gem. §§ 316, 315 BGB. Dabei hat der Energieversorger von Anfang an den Preis unter Beachtung des Ziels einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität und Gas zu bestimmen. Der Gesamtpreis wird dabei von Anfang an darauf kontrolliert, ob er unter Beachtung von § 1 EnWG der Billigkeit entspricht (BGH VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183 ff., VIII ZR 36/06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Das betrifft jedoch allein den Vertragsabschluss.

Für weitere konkludenete Preisneuvereinbarungen im laufenden Vertragsverhältnis ist [erst recht] gar kein Raum und jedenfalls fehlt es an einem annahmefähigen Angebot, wenn der Versorger in Ausübung eines (ggf. nur vermeintlichen) einseitigen Leistungsbestimmungsrecht nach Vertragsabschluss den Preis einseitig neu festsetzt (BGH VIII ZR 199/04).

P.S.

Es ist die Praxis einiger Stromversorger zu beobachten, die - wohl unter Fortführung früherer Tarife nach Bedarfsarten - unterschiedliche Allgemeine Strompreise der Grundversorgung parallel veröffentlichen, nämlich für Haushalte einerseits und Gewerbe bzw. Allgemeinbedarf andererseits.

Das betrifft zum Beispiel E.ON Thüringen und Stadtwerke, die ihre Strompreise mit E.ON Thüringen absprechen.

Tatsächlich gibt es für die Grundversorgung jedoch nur den einheitlichen Begriff des Haushaltskunden, der in § 3 Nr. 22 EnWG legaldefiniert ist.

Auch dort stellt sich (für die Grundversorgung) die Frage nach einem Einigungsmangel wegen der Veröffentlichung paralleler Tarife.

Offline RR-E-ft

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Nach § 3 Abs. 1 BTOGas - (v. 10.02.1959, BGBl. I, S. 46) konnte der Abnehmer unter mehreren veröffentlichten Tarifen einen wählen und war gem. § 3 Abs. 2 BTOGas für die Dauer eines Jahres an diese Wahl gebunden.
Übte der Abnehmer sein Wahlrecht nicht aus, so konnte der Versorger ihn unter Nachfristsetzung gem. § 3 Abs. 3 BTOGas in einen Tarif einordnen.
Nur insoweit hatte der Gasversorger seinerzeit ein Tarifbestimmungsrecht.

Spätestens mit Wegfall der BTOGas begannen Gasversorger, die Kunden eigenmächtig in veröffentlichte Tarife einzuordnen.

§ 2 Bundestarifordnung Elektrizität (BTO Elt) sah vor:

Zitat
§ 2 Wahltarife  

(1) Zusätzlich zum Pflichttarif dürfen Wahltarife angeboten werden, wenn sie den Grundsätzen des § 1 Abs. 1 entsprechen. Sie sind öffentlich bekanntzumachen.  

(2) Hat der Kunde einen Wahltarif gewählt, so ist er für die Dauer eines Abrechnungsjahres daran gebunden. Haben sich die für die Tarifwahl maßgebenden Verhältnisse des Kunden innerhalb des Abrechnungsjahres nachhaltig geändert, ist das Elektrizitätsversorgungsunternehmen auf Verlangen des Kunden verpflichtet, spätestens mit Wirkung vom 30. Tage nach Eingang der Mitteilung der Änderung den beantragten Tarif zugrunde zu legen. Die Vorschriften der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV) vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 684) über die Beendigung der Versorgung bleiben unberührt.

Die Stromentnahme führte also zum konkludenten Vertragsabschluss zu einem Pflichttarif gem. § 3 BTOElt und zwar zu demjenigen Pflichttarif, welcher der Bedarfsart entsprach.
Einen Wahltarif musste der Kunde hingegen wählen.

Nun gibt es keine Bedarfsarten mehr, sondern nur noch den in der Grundversorgung einzig zu deckenden Bedarf der Haushaltskunden.

Einige Versorger berufen sich für die einseitige Tarifbestimmung auf eine von ihnen praktizierte sog. Bestabrechnung.

Eine sog. Bestabrechnung war weder nach BTOGas noch nach BTOElt noch in der AVBGasV oder der AVBEltV vorgesehen.
Auch der GasGVV und der StromGVV sind sie fremd.  

Dabei konnte es sich also wohl nur um Sonderverträge handeln (BGH VIII ZR 225/07 Rn. 15, VIII ZR 246/08 Rn. 27).

Offline tangocharly

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Zitat
@RR-E-ft
Deshalb schließt die Rechtsprechung in solchen Fällen die Vertragslücke durch ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Versorgers gem. §§ 316, 315 BGB. Dabei hat der Energieversorger von Anfang an den Preis unter Beachtung des Ziels einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität und Gas zu bestimmen. Der Gesamtpreis wird dabei von Anfang an darauf kontrolliert, ob er unter Berachtung von § 1 EnWG der Billigkeit entspricht (BGH VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183 ff., VIII ZR 36/06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Zwischenfrage:
Wer will schon freiwillig seinem Vertragspartner ein einseitiges Gestaltungsrecht \"nach billigem Ermessen\" einräumen, also mit einem Spielraum versehen, der vom Gegner nicht überschaut werden kann ?

Wenn ein solcher Wille beim Vertragsschluß nicht ermittelt werden kann, dann dürfte kein Weg zu den Bestimmungen gem. §§ 316, 315 BGB gegeben sein.

§ 316 BGB ist dann nicht anwendbar, wenn die Parteien die Festlegung der Höhe der Gegenleistung nach ortsüblichen Kirterien oder nach Taxen, etc. bzw. nach objektiven Kriterien abwickeln müssen.

Soll ein angemessener Preis gefunden werden, dann könnte man dazu kommen, ob der Gesamtpreis von Anfang an unter Berachtung von § 1 EnWG der Billigkeit entspricht (aber, sind das dann evtl. die objektiven Kriterien ?)
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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@tangocharly

Diesen Einwurf kann ich nicht nachvollziehen.

Wenn eine Einigung über einen vertragswesentlichen Punkt wie den Preis (aus oben genannten Gründen) nicht festgestellt werden kann, wäre ein Vertrag wegen des Einigungsmangels gem. § 154 I BGB nicht wirksam zustande gekommen. Die Rückabwicklung eines bereits in Gang gesetzten Leistungsaustauschs allein nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen wäre dann aber nicht interessengerecht und deshalb bedient sich die Rechtsprechung des Notnagels einer ergänzenden Vertragsauslegung und schließt insbesondere bei Energielieferverhältnissen die Vertragslücke (zutreffend) regelmäßig über eine Anwendung der §§ 316, 315 BGB.

Dies führt auch zu interessengerechten Lösungen, für den Kunden schon deshalb, weil er sich gegenüber der Preisforderung auf § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB berufen kann.

BGH VIII ZR 240/90 unter III 2 a)

BGH KZR 8/05 Rn. 12

Offline tangocharly

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BGH, 04.04.2006, X ZR 122/05
Zitat
Tz 10
Fehlen feste Sätze oder Beträge, kann es daher für die Annahme einer üblichen Vergütung ausreichen, dass für die Leistung innerhalb einer solchen Bandbreite liegende Sätze verlangt werden, innerhalb derer die im Einzelfall von den Parteien als angemessen angesehene Vergütung ohne weiteres auszumachen und gegebenenfalls durch den Tatrichter zu ermitteln ist. Eine solche Festlegung der Vergütung wird für den Fall des Fehlens ausdrücklicher Absprachen und Taxen nach der dem Gesetz zugrunde liegenden Wertung die Regel sein. Schon deshalb kann im Werkvertragsrecht - insoweit ähnlich wie etwa im Maklerrecht, für das dies bereits in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt ist (vgl. dazu BGHZ 94, 98, 103) - nicht ohne weiteres angenommen werden, dass bei Fehlen fester Vergütungssätze für vergleichbare Arbeiten das Recht zur Bestimmung der Höhe des Honorars einseitig auf eine der Vertragsparteien verlagert werden soll. Das gilt darüber hinaus aber selbst dann, wenn sich bei Anlegung dieser Maßstäbe eine übliche Vergütung als Gegenstand der Vereinbarung der Parteien nicht feststellen lässt. Die dann bestehende Vertragslücke ist in diesem Fall nicht durch einen - den Interessen der Parteien und ihrer Willensrichtung nicht entsprechenden - Rückgriff auf § 316 BGB zu schließen. Angesichts der aus § 632 Abs. 2 BGB ersichtlichen, an den typischen Willen der Parteien anknüpfenden Vorgabe des Gesetzes ist es vielmehr in diesem Fall geboten, vorrangig die Regeln über die ergänzende Vertragsauslegung heranzuziehen (vgl. Münch.Komm./Busche, aaO, § 632 BGB Rdn. 23). In deren Rahmen mag dann zwar ein Rückgriff auf die Regelungen der §§ 316, 315 BGB denkbar erscheinen; vorrangig ist jedoch auch in diesem Zusammenhang auf die den Gegenstand der Leistung und die das Verhältnis der Parteien prägenden Umstände abzustellen. Sie bestimmen den Inhalt der von den Parteien getroffenen Absprache und bilden in aller Regel eine hinreichende Grundlage für die Festlegung der interessengerechten Vergütung.

Es fehlt eine hinreichende Begründung dafür, warum dies im Bereich der Energiewirtschaft anders sein soll, denn die \"das Verhältnis der Parteien prägenden Umstände\" finden ihre Grundlage in §§ 1 u. 2 EnWG (was ja auch in BGH VIII ZR 240/90, Ziff. III.2.a., mit den etwas anders formulierten \"das gesamte Recht der Energiewirtschaft beherrschenden Grundsätzen\" expliziert ist).

M.E. muß erst auf die Regeln gem. §§ 1 u. 2 EnWG eingegangen werden und erst dann, wenn hiernach immer noch ein Spielraum verbleibt, kommt § 315 BGB im Nachgang zum Zuge. Dies kann auch KZR 8/05 entnommen werden, wenn dort davon die Rede ist, dass \"[...] das Günstigkeitsprinzip den Maßstab der Billigkeit konkretisiert [...]\". Davon liest man in den Entscheidungen des VIII.Senats überhaupt nichts (abgesehen von VIII ZR 138/07, Tz. 43). Nur weil dieser Maßstab (der Preisgünstigkeit) ausgeblendet wird, kann es zu einer Verkürzung der Billigkeitsprüfung auf die Kostenorientierung kommen, in der das Vorlieferantenverhältnis keine Rolle spielen soll und in der die im Vorlieferantenverhältnis erzielten ungünstigen (besser überzogenen) Gewinne ebenso keine Rolle spielen sollen.

Und warum dieses Phänomen auch noch auf den Bereich der Sondervertragskunden übertragen werden können soll (wo eine Preisvereinbarung fehlt), ist erst recht nicht einzusehen.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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@tangocharly

Ich kann den Einwurf immer noch nicht nachvollziehen.
 
Die Entscheidung X ZR 122/05 betrifft einen Werkvertrag. Im Werkvertragsrecht gilt § 632 BGB.

Wir reden hier aber über Energielieferungsverträge.
Diese unterfallen nach h. M. den Regeln des Kaufrechts. Im Kaufrecht besteht eine § 632 Abs. 2 BGB entsprechende Regelung nicht. § 632 Abs. 2 BGB kann auch nicht analog herangezogen werden.

Die Entscheidungen BGH KZR 8/05 und BGH VIII ZR 240/90 zeigen hinreichend deutlich  auf, wie zu verfahren ist, wenn sich die Parteien bei einem Vertrag über Energielieferungen nicht auf einen Preis geeinigt hatten, gleichwohl den gegenseitigen Leistungsaustausch bereits in Gang gesetzt hatten. Dann soll der Vertrag gleichwohl nicht wegen eines Einigungsmangels gem. § 154 BGB unwirksam sein, weil die Rückabawicklung des bereits in Gang gesetzten Leistungsaustauschs allein nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen nicht zu interessengerechten Lösungen führt. Die Vertragslücke soll deshalb im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen werden durch ein Leistungsbestimmungsrecht des Energieversorgers gem. §§ 316, 315 BGB. Der Energieversorger soll bei seiner Leistungsbestimmung auch § 1 EnWG zu berücksichtigen haben (BGH VIII ZR 240/90 unter III 2 b).

In der Entscheidung VIII ZR 240/90 wird zugleich herausgestellt, warum diese gefundene Lösung den Interessen beider Vertragsteile am besten gerechten wird.
BGH KZR 8/05 Rn. 12, 14 bestätigt diese Lösung als diejenige, die den beiderseitigen Interessen am besten gerecht wird.

Zitat
Bei dieser Sachlage ist die Lücke, die der Vertrag hinsichtlich der Regelung des Netznutzungsentgelts aufweist, durch die Anwendung des § 315 BGB zu schließen. Ein Preisbestimmungsrecht der Beklagten nach dieser Vorschrift entspricht dem beiderseitigen Parteiinteresse und mutmaßlichen Willen und kann daher als das hierzu am besten geeignete gesetzliche Regelungsmodell zur Ausfüllung der Lücke dienen, die der Vertrag hinsichtlich der Regelung des Netznutzungsentgelts aufweist (vgl. BGHZ 41, 271, 276 - Werkmilchabzug; BGH, Urt. v. 19.1.1983 - VIII ZR 81/82, NJW 1983, 1777).


Zitat
Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob die Entgeltbestimmung der Beklagten in diesem Sinne billigem Ermessen entspricht, da sie nach § 315 Abs. 3 BGB nur dann für die Klägerin verbindlich ist

Bei Werkverträgen kann das Problem einer Vertragsunwirksamkeit wegen Einigungsmangels gem. § 154 Abs. 1 BGB von vornherein schon deshalb nicht auftreten, weil es eine spezielle Regelung in § 632 BGB gibt.

Sie sagen es ja selbst:

Zitat
Original von tangocharly
§ 316 BGB ist dann nicht anwendbar, wenn die Parteien die Festlegung der Höhe der Gegenleistung nach ortsüblichen Kirterien oder nach Taxen, etc. bzw. nach objektiven Kriterien abwickeln müssen.

Zitat
Original von tangocharly
BGH, 04.04.2006, X ZR 122/05
Zitat
Tz 10
Fehlen feste Sätze oder Beträge, kann es daher für die Annahme einer üblichen Vergütung ausreichen, dass für die Leistung innerhalb einer solchen Bandbreite liegende Sätze verlangt werden, innerhalb derer die im Einzelfall von den Parteien als angemessen angesehene Vergütung ohne weiteres auszumachen und gegebenenfalls durch den Tatrichter zu ermitteln ist. Eine solche Festlegung der Vergütung wird für den Fall des Fehlens ausdrücklicher Absprachen und Taxen nach der dem Gesetz zugrunde liegenden Wertung die Regel sein. Schon deshalb kann im Werkvertragsrecht - insoweit ähnlich wie etwa im Maklerrecht, für das dies bereits in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt ist (vgl. dazu BGHZ 94, 98, 103) - nicht ohne weiteres angenommen werden, dass bei Fehlen fester Vergütungssätze für vergleichbare Arbeiten das Recht zur Bestimmung der Höhe des Honorars einseitig auf eine der Vertragsparteien verlagert werden soll. Das gilt darüber hinaus aber selbst dann, wenn sich bei Anlegung dieser Maßstäbe eine übliche Vergütung als Gegenstand der Vereinbarung der Parteien nicht feststellen lässt. Die dann bestehende Vertragslücke ist in diesem Fall nicht durch einen - den Interessen der Parteien und ihrer Willensrichtung nicht entsprechenden - Rückgriff auf § 316 BGB zu schließen. Angesichts der aus § 632 Abs. 2 BGB ersichtlichen, an den typischen Willen der Parteien anknüpfenden Vorgabe des Gesetzes ist es vielmehr in diesem Fall geboten, vorrangig die Regeln über die ergänzende Vertragsauslegung heranzuziehen (vgl. Münch.Komm./Busche, aaO, § 632 BGB Rdn. 23). In deren Rahmen mag dann zwar ein Rückgriff auf die Regelungen der §§ 316, 315 BGB denkbar erscheinen; vorrangig ist jedoch auch in diesem Zusammenhang auf die den Gegenstand der Leistung und die das Verhältnis der Parteien prägenden Umstände abzustellen. Sie bestimmen den Inhalt der von den Parteien getroffenen Absprache und bilden in aller Regel eine hinreichende Grundlage für die Festlegung der interessengerechten Vergütung.

Ggf. auf die Terasse oder in den Garten setzen, Kaffee und Sonne genießen und in aller Ruhe unter Lektüre der Entscheidung VIII ZR 240/90 nochmals durchdenken. ;)

Siehe auch OLG Stuttgart, Urt. v. 05.05.10 Az. 3 U 79/09 (juris, OLG Report Süd 24/2010 Anm. 9)zur Lückenschließung bei einem Kaufvertrag über die Traubenernte gem. §§ 316, 315 BGB.

Offline Lothar Gutsche

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Am 18.8.2010 19:23 Uhr äußert sich RR-E-ft zu dem Urteil VIII ZR 246/08 wie folgt:

Zitat
Der Senat betont nunmehr in mehreren Entscheidungen (VIII ZR 246/08, VIII ZR 6/08, VIII ZR 327/07), dass auch mit Sondervertragskunden konkludente Vereinbarungen (gar konkludente Preisneuvereinbarungen im laufenden Vertragsverhältnis!) möglich seien.  Eine überzeugende Begründung dafür, wie entgegen der Rechtsdogmatik zum Vertragsabschluss über den Austausch von Willenserklärungen entsprechend der gesetzlichen Regelungen der §§ 145 ff. BGB eine Preisneuvereinbarung möglich sei, liefert er indes nicht.
Ist ein Urteil ohne überzeugende Begründung vom Volk noch anzuerkennen, oder kann sich eine im Rechtsstreit betroffene Partei gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung wenden? In wie weit sind untere Instanzen durch unzureichend begründete BGH-Urteile gebunden? Wie passt das zur Praxis der oft überlasteten Amts- und Landgerichte, die Positionen des BGH kritiklos zu übernehmen?


Zitat
Wird bei der Erfüllungshandlung mehr geleistet als vertraglich geschuldet, besteht grundsätzlich ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch, § 812 BGB.  Wie der Senat, zu der Auffassung gelangt, bei Einbeziehung der AVBGasV als AGB sei dies anders, ist nicht nachvolziehbar.
Ein Urteil, dass selbst gestandene Juristen und Experten auf dem Sektor der Energiepreisrechts wie RR-E-ft, Black und tangocharly die Einbeziehung der AVBGas nicht nachvollziehen können, wie kann das ein einfacher Bürger und Laie tun? Wird eine falsche Rechtsanwendung richtig und quasi zu einem unüberwindlichen Lehrsatz mit Gesetzescharakter, weil ihn der VIII. Zivilsenat des höchsten Zivilgericht formuliert hat?


Zitat
Ohne Zugang einer Angebotserklärung kann eine solche aber noch nicht einmal konludent angnommen werden (§ 151 BGB). Für eine Einigung fehlt es dabei regelmäßig schon an der Angebotserklärung. Dazu bekennt sich auch der Senat (BGH VIII ZR 199/04).
Mit welcher Berechtigung lassen sich Urteile des VIII. Zivilsenats unter dem Vorsitz der Richterin Dr. Katharina Deppert heute noch verwenden, wenn sie von einer aktuelleren, sogenannten \"ständigen\" oder \"gefestigten\" Rechtsprechung unter Vorsitz von Richter Wolfgang Ball längst überholt wurde? Hat das Urteil VIII ZR 199/04 vom 20.7.2005 vor dem Hintergrund heute überhaupt noch eine Relevanz?


Zitat
Da eine rechte Begründung für das Abweichen von der Rechtsgeschäftslehre, dem Abstraktionsprinzip und den gesetzlichen Regelungen der §§ 145 ff. BGB nicht greifbar ist, soll wohl eine Worthülse aus der Phrasendreschmaschine weiterhelfen.
...
Der Senat täuscht wohl gerade damit über die dogmatische Fehlleistung hinweg, dass er eine vertragliche Einigung annimmt, wo es schon an einer annahmefähigen Angebotserklärung fehlt (BGH VIII ZR 199/04).
Ist diese Aussage nicht bereits mehr als eine Kritik, wenn dem VIII. Zivilsenat unter Vorsitz von Richter Ball \"Phrasendrescherei\" und gar \"Täuschung\" vorgeworfen wird? Muss ich mich als Verbraucher und dem Urteil Unterworfener dadurch betrogen fühlen, wenn diese Rechtslehre zu meinem Nachteil angewendet wird? Kann eine solche \"Urteilsbegründung\" am höchsten deutschen Zivilgericht nur reiner Zufall sein, oder ist nicht doch mindestens bedingter Vorsatz zu bejahen?


Zitat
Eine weitere dogmatische Fehlleistung kann darin gesehen werden, dass die lediglich fingierte, dogmatisch nicht begründbare Preisneuvereinbarung die Billigkeitskontrolle ausschließen soll.
Ist der Begriff \"dogmatische Fehlleistung\" oder \"bedenkliche aktuelle Dogmatik des BGH\" (Black) eine andere Umschreibung für Willkür?


Im Urteil VIII ZR 246/08 vom 14.7.2010 findet sich als 1. Leitsatz:
\"Eine Preisanpassungsklausel, die das im Tarifkundenverhältnis bzw. für die Grundversorgung bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV unverändert in einen formularmäßigen Gassondervertrag übernimmt, also davon nicht zum Nachteil des Kunden abweicht, stellt keine unangemessene Benachteiligung des Sonderkunden im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 oder 2 BGB dar (Bestätigung der Senatsurteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, WM 2009, 1717, und VIII ZR 56/08, WM 2009, 1711).\"
Handelt es sich dabei nicht um ein \"obiter dictum\", das für die Entscheidung selbst völlig irrelevant ist? Erinnert das gesamte Vorgehen nicht auffällig an das Strompreis-Urteil VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007, wo mit einem \"obiter dictum\" die Grundlage für die Preissockel-Theorie geschaffen wurde? Ist es nicht eine bereits bekannte Strategie des BGH-Senates unter Wolfgang Ball, damit die nächste Begünstigung der Energieversorger vorzubereiten? Steckt hinter den geschickt eingeflochtenen \"obiter dicta\" nicht ein wohl durchdachter Plan, die Rechte der Energieverbraucher nun auch bei Sonderverträgen entgegen Recht und Gesetz drastisch einzuschränken?

Wann überschreitet der VIII. Zivilsenat unter Vorsitz von Richter Wolfgang Ball mit seinen Urteilen die strafrechtliche Grenze der Rechtsbeugung? Wann gelangen die Energiewirtschafts-Juristen zu der Erkenntnis, dass dem BGH-Richter Wolfgang Ball mit logischen, gesetzlichen oder anerkannten rechtlichen Argumentationen nicht mehr beizukommen ist? Wer will die katastrophale sogenannte \"Rechtsprechung\" des BGH mit welchen Instrumenten kontrollieren? Warum setzen nicht auch Sie die juristischen Mittel ein, die unser angeblicher Rechtsstaat für solche Fälle vorsieht?

Wer Probleme hat mit dem Begriff \"Rechtsbeugung\" im Sinne von § 339 StGB, dem empfehle ich die Lektüre der beiden folgenden Artikel des Frankfurter Strafrechtsprofessors Walter Kargl:
  • Gesetzesrecht oder Richterrecht? – eine Existenzfrage für den Tatbestand der Rechtsbeugung

Seite 849 – 874 in Festschrift für Winfried Hassemer, Müller-Verlag, Heidelberg 2010, 1335 Seiten, herausgegeben von Ulfrid Neumann und Felix Herzog, ISBN 978-3811477278
  • Die Rechtsbeugung (§ 339 StGB) – ein Exempel des Abbaus strafrechtlicher Gesetzlichkeit

Seite 39 – 60 in „Das Dilemma des rechtsstaatlichen Strafrechts: Symposium für Bernhard Haffke zum 65. Geburtstag, 28./29. März 2009, Universität Passau“, Bwv - Berliner Wissenschafts-Verlag, 2009, 198 Seiten, herausgegeben von Werner Beulke, Klaus Lüderssen, Andreas Popp und Petra Wittig ISBN 978-3830517191
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Viele Grüße
Lothar Gutsche
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Offline uwes

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Zitat
Original von Lothar Gutsche

Ist ein Urteil ohne überzeugende Begründung vom Volk noch anzuerkennen, oder kann sich eine im Rechtsstreit betroffene Partei gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung wenden?  

Es ist nicht immer erforderlich, ein Urteil, das die eigenen Vorstellungen nicht zu erfüllen vermag \"anzuerkennen\".

Zitat
Original von Lothar GutscheEin Urteil, dass selbst gestandene Juristen und Experten auf dem Sektor der Energiepreisrechts wie RR-E-ft, Black und tangocharly die Einbeziehung der AVBGas nicht nachvollziehen können, wie kann das ein einfacher Bürger und Laie tun?

Manche Dinge, so auch Urteilsbegründungen, sind nicht immer auf den ersten Blick für den Laien verständlich. Auch Juristen können anderer Auffassung sein. Zwischen Nachvollziehbarkeit und Abwegigkeit befinden sich manchmal Welten. Der Jurist weiß das.

Zitat
Original von Lothar GutscheIst der Begriff \"dogmatische Fehlleistung\" oder \"bedenkliche aktuelle Dogmatik des BGH\" (Black) eine andere Umschreibung für Willkür?

Warum gleich von Schimpf und Schande sprechen? Niemand, der ernst genommen werden will, beschuldigt den VIII. Senat der Willkür.


Zitat
Original von Lothar GutscheWann überschreitet der VIII. Zivilsenat unter Vorsitz von Richter Wolfgang Ball mit seinen Urteilen die strafrechtliche Grenze der Rechtsbeugung?

Wer Probleme hat mit dem Begriff \"Rechtsbeugung\" im Sinne von § 339 StGB...

Jetzt kommt wieder diese Leier.....
Welches Recht soll denn \"gebeugt\" worden sein? Oder war es vielmehr die Rechtsmeinung des persönlich Betroffenen, die sich subjektiv gebeugt sieht??
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten

Offline RR-E-ft

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@Lothar Gutsche

Die Rechtsprechung des Senats überzeugt mich in mehreren Punkten dogmatisch nicht.

Auch Büdenbender hat in seinem Aufsatz \"Die Bedeutung der Preismissbrauchskontrolle nach § 315 BGB in der Energiewirtschaft\", NJW 2007, 2945 ff. bereits aufgezeigt, dass die Preisneuvereinbaruungsfiktion dogmatisch zweifelhaft ist, weil die Willenserklärung, mit welcher ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht ausgeübt wird, kein auf Annahme gerichtetes Angebot ist und nicht in ein solches umgedeutet werden kann. Im Ergebnis hat Büdenbender gleichwohl dieser Rechtsprechung zugestimmt.

Der Senat hat bisher nicht erklärt, wie die Preisneuvereinbarung durch Angebot und Annahme gem. § 145 ff. BGB im Einzelnen zustande kommen soll. Er hat bisher insbesondere nicht gesagt, worin dabei eine Angebotserklärung und worin eine Annahmeerklärung gesehen werden soll. Dieser bedarf es aber für eine vertragliche Einigung. Insoweit wohnt der Rechtsprechung bisher wohl ein Mysterium inne.

Zudem meine ich, dass sich die Frage, ob der Allgemeine Tarif der Billigkeit entspricht oder nicht, nur tarifgruppenbezogen für alle betroffenen Kunden gleichermaßen beurteilen lassen muss, unahängig davon, wann der einzelne Kunde seinen Vertrag absgeschlossen hat und ob er dem Tarif widersprochen oder Zahlungen unter Vorbehalt geleistet hat. Dies schließe ich aus der gesetzlichen Bindung der Allgemeinen Tarife an de Maßstab der Billigkeit. Schließlich besteht ja auch eine Verpflichtung zur Absenkug des Tarifs bei rückläufigen Kosten. Der betreffende Tarif kann nur gegenüber allen beroffenen Kunden gleichzeitig und im gleichen Umfang erhöht werden, wie er auch gegenüber allen betroffenen Kunden gleichzeitig und im selben Umfang nach selben Maßstäben abgesenkt werden muss (VIII ZR 81/08 Rn. 18].

Für die Beurteilung der Frage, ob der Tarif gegenüber allen betroffenen Kunden wegen des gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts zugleich und im gleichen Umfang erhöht werden darf bzw. abgesenkt werden muss, kann und darf der Versorger gar nicht darauf abstellen, wann der Vertrag mit dem einzelnen Kunden geschlossen wurde und ob der einzelne beroffene Kunde Rechnungen bisher ohne Widerspruch und vorbehaltlos geleistet hatte.

Dann kann und darf ein Gericht, welches diese Ausübung dieses gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts durch den Versorger auf seine Billigkeit hin kontrollieren soll, aber auch nicht darauf abstellen. Alles andere führt wohl zwangsläufig zu willkürlichen Ergebnissen der Billigkeitskontrolle in diesem Bereich. In der Entscheidng VIII ZR 36/06 sagt der Senat schließlich selbst, dass der Beurteilungsmaßstab kein individueller sein kann bzw. soll.  

Stellt man bei der Billigkeitskontrolle darauf ab, ob der Kunde individuell widersprsochen oder Zahlungen nur unter Vorbalt geleistet hatte, ist der Maßstab freilich doch ein individueller, obschon es auf einen solchen doch gar nicht ankommen können soll.

Insoweit überzeugt m. E. die Rechtsprechung im Bereich der Tarifkunden schon nicht.

Noch weniger dogmatisch zu überzeugen vermag es mich, diese Rechtsprechung auf Sondervertragskunden zu übertragen, erst recht nicht mit der gegebenen Begründung. \"Dogmatisch....\".

Hat man es bei der Rechtsprechung zu Tarifkunden bereits mit einem gewissen Mysterium zu tun, so muss dieses Mysterium bei der Übertragung auf Sondervertragskunden wohl noch größer sein. Dass man Mysterien zu einem Dogma erhebt oder diese gar Teil eines Dogmas sind, kennt man bisher wohl nur aus den Religionswissenschaften, deren Betrachtungsgegenstand Glaubenssätze sind. Bisher war man wohl der Meinung, dass die Rechtswissenschaft jedenfalls in unseren Breiten an der Aufklärung teilgenommen hat. Deshalb sollte man die Rechtsprechung m. E. nicht nur glauben können, sondern im Einzelnen anhand der Gesetzeslage verstehen und nachvollziehen können.

Mich überzeugt auch die gegebene Begründung dafür nicht, dass bstimmte Kauseln in den AGB eines Sondervertrages mit § 307 BGB vereinbar wären, da bereits § 310 Abs. 2 BGB eine Ausnahme in Bezug auf § 307 BGB gar nicht zulässt, aber auch, weil viele Klauseln weder tatbestandlich noch rechtsfolgenseitig eine Regelung zur Äbänderung eines bei Vertragsabschluss fest vereinbarten Sonderpreises (BGH VIII ZR320/07 Rn. 46) treffen.

Diese Kritik ist auch nach wie vor zulässig.

Und selbstversändlich steht es unabhängigen Richtern in den Instanzen frei, den nach ihrer Überzeugung besseren Argumenten zu folgen.
Richter, die auf der Karriereleiter zügig und schnell weiterkommen wollen, sind erfahrungsgemäß geneigt, der Rechtsprechung des BGH unkritisch zu folgen. Das ist wie überall im Leben.

Willkür kann man deshalb aber niemanden vorwerfen. Der Willkürvorwurf greift auch dann nicht, wenn die Rechtsprechung des Senats in sich in mehreren Punkten widersprüchlich erscheint.

Schließlich ist zu sehen, dass weite Teile der Instanzrechtsprechung die Rechtsprechung des Senats für überzeugend halten und ihr folgen, der Senat sich hierdurch in der Richtigkeit seiner bisherigen Rechtsprechung bestärkt sehen kann.

Offline bolli

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Na, hier scheint mir aber, dass sich die Katze in den berühmten eigenen Schwanz beisst, wenn dem so sein sollte:
Zitat
Original von RR-E-ft
Schließlich ist zu sehen, dass weite Teile der Instanzrechtsprechung die Rechtsprechung des Senats für überzeugend halten und ihr folgen, der Senat sich hierdurch in der Richtigkeit seiner bisherigen Rechtsprechung bestärkt sehen kann.

weil

Zitat
Original von RR-E-ft
Und selbstversändlich steht es unabhängigen Richtern in den Instanzen frei, den nach ihrer Überzeugung den besseren Argumenten zu folgen.
Richter, die auf der Karriereleiter zügig und schnell weiterkommen wollen, sind erfahrungsgemäß geneigt, der Rechtsprechung des BGH unkritisch zu folgen. Das ist wie überall im Leben.

Da sind doch alle (Richter) zufrieden. Der VIII. Senat (insbesondere Herr Ball) fühlt sich bestätigt und die instanzlichen Richter haben eine höchsterrichterliche Entscheidung, auf die sie ihre Rechtssprechung (angeblich) stützen können und kommen trotzdem weiter.  Nur die Verbraucher bleiben auf der Strecke. X(

Offline Lothar Gutsche

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@ uwes

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Original von uwes
Jetzt kommt wieder diese Leier.....
Welches Recht soll denn \"gebeugt\" worden sein? Oder war es vielmehr die Rechtsmeinung des persönlich Betroffenen, die sich subjektiv gebeugt sieht??
Ja, diese \"Leier\" kommt wieder. Offenbar haben Sie die Strategie und den Aufbau der BGH-Urteile VIII ZR 36/06 vom 13.6.2007 und VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008 zu Gaspreisen in Heilbronn und Dinslaken nicht ganz nachvollzogen. Beide Entscheidungen des VIII. Zivilsenats bauen ganz entscheidend auf einem \"obiter dictum\" des Stromentgelt-Urteils VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007 auf. Dessen 1. Leitsatz

\"§ 315 BGB findet auf den anfänglich vereinbarten Strompreis auch dann keine unmittelbare Anwendung, wenn der Vertrag keine betragsmäßige Festlegung des geltenden Tarifs enthält, sondern sich die Preise für die Stromlieferungen aus den jeweiligen allgemeinen Tarifen für die Versorgung mit Elektrizität in Niederspannung ergeben (Abgrenzung zu BGHZ 164, 336 ff.).\"

bildete die Grundlage für die Preissockeltheorie. Dieses \"obiter dictum\" baut auf einer Sachverhaltsquetsche auf.  In dem Urteil VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007 ist es noch nicht zu einer Rechtsbeugung gekommen, weil das Urteilsergebnis für die Prozessbeteiligten stimmt und nachvollziehbar ist.

Rechtsbeugungen, die den § 315 BGB entgegen dem Wortlaut, Sinn und Zweck des Gesetzes entwerteten, sind nach meiner laienhaften Ansicht erst in den beiden BGH-Urteilen VIII ZR 36/06 vom 13.6.2007 und VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008  aufgetreten. Eine wesentliche Rolle spielte das zitierte \"obiter dictum\" vom 28.3.2007. Ganz ähnlich verhält es sich hier beim Urteil VIII ZR 246/08 vom 14.7.2010. Denn wieder wird in einem \"obiter dictum\" etwas als 1. Leitsatz geäußert, das in einer der folgenden Entscheidungen zu Sonderverträgen eine wichtige Rolle spielen wird:

\"Eine Preisanpassungsklausel, die das im Tarifkundenverhältnis bzw. für die Grundversorgung bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV unverändert in einen formularmäßigen Gassondervertrag übernimmt, also davon nicht zum Nachteil des Kunden abweicht, stellt keine unangemessene Benachteiligung des Sonderkunden im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 oder 2 BGB dar (Bestätigung der Senatsurteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, WM 2009, 1717, und VIII ZR 56/08, WM 2009, 1711).\"

Ich hoffe, dass nicht einer Ihrer Mandanten Opfer dieses \"obiter dictums\" aus dem strittigen Urteil vom 14.7.2010 wird.


Ihr Verständnis von Urteilsbegründungen kann ich nicht teilen. Wenn eine Urteilsbegründung nicht mehr nachvollziehbar ist, dann erfüllt sie ihre Funktion nicht mehr, nämlich das Urteil zu begründen. Die Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit von Urteilen halte ich für wesentlich, damit die Dritte Gewalt sich überhaupt legimiert und \"im Namen des Volkes\" etwas entscheiden darf. Ohne Nachvollziehbarkeit der Urteile verliert die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung. Für einen Juristen mag das vielleicht nicht verständlich sein, aber für einen Bürger schon.

Viele Grüße
Lothar Gutsche
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Offline tangocharly

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Ob eine Sachverhaltsquetschung vorliegt oder nicht, kann letztlich nur beurteilt werden, wenn man die genaueren Einzelheiten der Entscheidungen BGHZ 164, 336 und der des VIII. Senats vom 28.03.2007 kennt.

Am 28.03.2007 greift der VIII. Senat auf die Entscheidung BGHZ 163, 282 zurück (\"Stadtwerke Mainz\"), wo nach Auffassung des VIII. Senats der Sachverhalt völlig anders gelegen habe. Nach der Anlage 3 der Verbändevereinbarung (VV) sei ja erst ein Preis zu ermitteln gewesen, weshalb dieser nicht festgestanden habe. Dem gegenüber ergebe sich der im Fall vom 28.03.2007 maßgebliche Preis aus den veröffentlichen Tarifen, auf die man sich konkludent verständigt habe, d.h. dieser wäre dann vereinbart (... und Schluß mit § 315 BGB).

Ganz anders liest sich der Sachverhalt aber, wenn man den Beschluß des Bundeskartellamts vom 17.04.2003, Az.: B11 – 40 100 – T – 38/01 liest. Dort heißt es auf Seite -28- :

Zitat
Netzbetreiber verfügen aufgrund der individuelle Wählbarkeit der \"Gleichzeitigkeitsfunktion\" (vgl. VV Strom II Plus, a.a.O., Anlage 4) über eine weit reichende Gestaltungsmöglichkeit im Hinblick auf die bis zu 30, aus den Netzkosten abzuleitenden Entgeltkomponenten (im Falle Stadtwerke Mainz gibt es - ohne Messentgelte - insgesamt 14 Entgeltkomponenten, vgl. Tabelle 3).

Und wenn man sich die Tabelle -3- auf Seite -5- des Beschlusses ansieht:

Zitat
Tab. 3: NNE* für SW Mainz (seit 1.9.2002) < 2600 h/a = 2600 h/a Messpreis Leistung Arbeit Leistung Arbeit (€ / Jahr) (€ / kW u. Jahr) (ct / kWh) (€ / kW u. Jahr) (ct / kWh) HS/MS (Usp)** MS 1.336,52 11,23 2,02 41,59 0,81 MS/NS (Usp) 1.140,69 29,25 2,02 59,61 0,81 NS mit LM 1.140,69 8,70 3,69 71,77 1,17 Messpreis Grundpreis Arbeit (€ / Jahr) (€ / Jahr) (ct / kWh) NS ohne LM 31,19 15,00 5,86*** * exkl. Umsatzsteuer, Konzessionsabgabe und KWK-Zulage2 ** NNE der Umspannebene Hoch- zu Mittelspannung werden von den Stadtwerke Mainz im Namen vom KMW, welche die Umspannebene betreiben, erhoben *** inkl. Risikozuschlag für Anwendung synthetischer Lastprofile i.H.v. 0,24 ct / kWh

dann fühlt man sich doch schnell auf die Präsentationen versetzt, welche die EVU\'s als sogenannte \"Bestpreisabrechnung\" dem Haushaltskunden präsentieren.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass im Fall der Stadtwerke Mainz erst dann hergegangen wird, das dort streitgegenständliche Netznutzungsentgelt (NNE) zu errechnen und kalkulieren, wenn irgend ein Netznutzer an diese herantritt, um Einlass zu begehren. Im Gegenteil, die beteiligten Konkurrenzunternehmen wußten seinerzeit allzu genau, was auf sie zukam.

Ob also der BGH am 28.03.2007 den Sachverhalt gequetscht hat oder ob nicht, kann jedenfalls nicht mit dem Hinweis auf die Verbändevereinbarung dargestellt werden. Allenfalls liegt eine (fehlerhafte) Beurteilung dessen vor, was der Grundversorger beim Vertragsschluß vornimmt und der Haushaltskunde angeblich (konkludent) akzeptiert.

Aber bei dieser verfehlten Rechtsdogmatik des VIII. Senats sind wir ja schon an anderer Stelle angelangt (und für eine Rechtsbeugung langt\'s halt insoweit auch nicht; denn beim vereinbarten Preis kommt man halt nicht zu § 315 BGB).
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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BGH VIII ZR 144/06 betraf einen Stromliefervertrag der E.ON edis \"local power\", der günstiger war, als der Allgemeine Tarif.

Deshalb war es ein Sondervertrag und bei diesem Sondervertrag fand auf den bei Vertragsabschluss vereinbarten Preis § 315 BGB (zutreffend) keine Anwendung.

Der BGH lehnte dort eine konkludente Neuvereinbarung durch Schweigen des Kunden auf ein Schreiben des Versorgers mit dem geänderte Preise mitgeteilt wurden, und den Weiterbezug von Strom dort zutreffend ausdrücklich ab (Rn. 20).

In diesem Sondervertrag fehlte es bereits an einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des Stromversorgers, wie so oft bei Sonderverträgen.
Es stand insbesondere nicht fest, dass § 4 AVBEltV auf dieses Vertragsverhältnis überhaupt Anwendung fand.

Obiter dicta traf der Senat dort die Feststellung, der bei Vertragsabschluss geltende Strompreis sei auch dann nicht über § 315 BGB gerichtlich kontrollierbar, wenn es bei diesem um einen Allgemeinen Tarif handeln sollte. Ob sich dann, wenn es sich um einen Tarifkundenvertrag handeln sollte, die einseitige Änderung des Stromtarifs aufgrund des gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts gem. § 4 AVBEltV der gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterliege, hat der Senat dort ausdrücklich offen gelassen (Rn. 18].

Und abgrenzen wollte sich der Senat dabei wohl nicht von der Stadtwerke Mainz- Entscheidung des Kartellsenats, denn vielmehr von der Entscheidung  des Kartellsenats vom 18.10.2005 KZR 36/04 (dort Rn. 9 ff.). Denn dort hatte der Kartellsenat unter Berufung auf ein Rechtsgutachten von Prof.Schwintowski zutreffend ausgeführt, dass bei Preisen in Form Allgemeiner Tarife der Anfangspreis nicht weniger einseitig bestimmt sei als die einseitig festgesetzten Folgepreise, die willkürliche Aufspaltung in einen vereinbarten Anfangspreis und einseitig bestimmte Folgepreise zu wilkürlichen Ergebnissen bei der gerichtlichen Billigkeitskontrolle führen. Eine (hinsichtlich des obiter dicta) aus meiner Sicht notwendige Abgrenzung dazu scheute der Senat jedoch wohl.  Es kam jedoch aus o. g. Gründen entscheidungserheblich nicht darauf an.

Irgendwie schien es auch eine Reaktion auf die Veröffentlichung der \"Energiedepesche Sonderheft Nr. 1\" im April 2006 gewesen zu sein, die eben auch jenen Streit thematisierte.

Die Dogmatik des Senats ist mit der Lebenswirklichkeit schwer in Übereinklang zu bringen.

Zitat
Original von RR-E-ft

Zudem meine ich, dass sich die Frage, ob der Allgemeine Tarif der Billigkeit entspricht oder nicht, nur tarifgruppenbezogen für alle betroffenen Kunden gleichermaßen beurteilen lassen muss, unahängig davon, wann der einzelne Kunde seinen Vertrag absgeschlossen hat und ob er dem Tarif widersprochen oder Zahlungen unter Vorbehalt geleistet hat. Dies schließe ich aus der gesetzlichen Bindung der Allgemeinen Tarife an de Maßstab der Billigkeit. Schließlich besteht ja auch eine Verpflichtung zur Absenkug des Tarifs bei rückläufigen Kosten. Der betreffende Tarif kann nur gegenüber allen beroffenen Kunden gleichzeitig und im gleichen Umfang erhöht werden, wie er auch gegenüber allen betroffenen Kunden gleichzeitig und im selben Umfang nach selben Maßstäben abgesenkt werden muss (VIII ZR 81/08 Rn. 18].

Für die Beurteilung der Frage, ob der Tarif gegenüber allen betroffenen Kunden wegen des gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts zugleich und im gleichen Umfang erhöht werden darf bzw. abgesenkt werden muss, kann und darf der Versorger gar nicht darauf abstellen, wann der Vertrag mit dem einzelnen Kunden geschlossen wurde und ob der einzelne beroffene Kunde Rechnungen bisher ohne Widerspruch und vorbehaltlos geleistet hatte.

Dann kann und darf ein Gericht, welches diese Ausübung dieses gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts durch den Versorger auf seine Billigkeit hin kontrollieren soll, aber auch nicht darauf abstellen. Alles andere führt wohl zwangsläufig zu willkürlichen Ergebnissen der Billigkeitskontrolle in diesem Bereich. In der Entscheidng VIII ZR 36/06 sagt der Senat schließlich selbst, dass der Beurteilungsmaßstab kein individueller sein kann bzw. soll.  

Stellt man bei der Billigkeitskontrolle darauf ab, ob der Kunde individuell widersprsochen oder Zahlungen nur unter Vorbalt geleistet hatte, ist der Maßstab freilich doch ein individueller, obschon es auf einen solchen doch gar nicht ankommen können soll.

Mit der Entscheidung VIII ZR 144/06 kam es m. E. zum Kardinalfehler, Tarifkundenverträge und Sonderverträge einheitlich bzw. gemeinsam zu diskutieren, obschon grundsätzliche Unterschiede bestehen insbesondere in Bezug auf das gesetzliche Leistungsbestimmungsrecht und letztlich auch hinsichtlich einer Preisvereinbarung bei Vertragsabschluss.

In der Entscheidung vom 13.06.07 VIII ZR 36/06 nahm der Senat dann auf das obiter dicta der Entscheidung vom 28.03.07 VIII ZR 144/06 Bezug, ließ dabei aber auch einer - in dieser Sache wohl entscheidungserhebliche Abgrenzung zur Entscheidung des Kartellsenats vom 18.10.05 KZR 36/04 vermissen.

Nachfolgend berief sich der Senat in weiteren  Entscheidungen (VIII ZR 138/07, VIII ZR 314/07, VIII ZR 327/07, VIII ZR 6/08] nur immer wieder darauf, dass bei Tarifkunden ein nicht der gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterliegender vereinbarter Anfangspreis bestehe, den er um konkludent vereinbarte Folgepreise ergänzte. Eine m. E. notwendige Abgrenzung zu der Rechtsprechung des Kartellsenats vom 18.10.05 KZR 36/04 erfolgte dabei ersichtlich nie.

 

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