Der Billigkeitskontrolle unterliegen bei Energiepreisen nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung nur die
Gesamtpreise.
Eine Billigkeitskontrolle einer einzelnen Preiserhöhung als solcher kann es deshalb gar nicht geben.
Es wird dringend dazu geraten, immer gegen den Gesamtpreis die Unbilligkeit einzuwenden und auch die alten Preise nur unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle und Rückforderung zu leisten.Der Erdgaslieferant ist so lange Monopolist, wie dem Kunden kein anderer Erdgasversorger zur Verfügung steht, vgl. Prof. Salje et 2005, 278, 280:
Trotz rechtlicher Öffnung der Gasmärkte seit dem Jahre 2003 fehlt es für Tarifkunden und kleinere Sondervertragskunden noch an der faktischen Gasmarktöffnung. Diese Kunden müssen deshalb, auch wenn sie mittelfristig auf eine andere Versorgungsart (z.B. Heizöl) übergehen könnten, einstweilen weiter wie monopolgebundene Kunden behandelt werden. Wie erfolgt die gerichtliche Billigkeitskontrolle von Erdgaspreisen nun?Hierzu das Urteil des
Landgerichts Mannheim vom 16.08.2004, Az. 24 O 41/04 (nicht rechtskräftig)
im Wortlaut:
Landgericht Mannheim
4. Kammer für Handelssachen
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
wegen Forderung
hat die 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Mannheim auf die mündliche Verhandlung vom 16.08.2004 unter Mitwirkung
Vors. Richter am Landgericht xxx Handelsrichter xxx Handelsrichter xxx
für Recht erkannt:
1 Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreite.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des
jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten restliche Vergütung für Erdgaslieferungen
Die Klägerin betreibt ein regionales Energieversorgungsunternehmen; jedenfalls bis 30.05.2004 hatte sie in ihrem Einzugsbereich eine Monopolstellung auf dem Markt für Gaslieferungen.
Die Beklagte betreibt ein bundesweit tätiges Energiedienstleistungsunternehmen, welches sich auf die Energieversorgung von Unternehmen der Contracting-Branche spezialisiert hat.
Die Beklagte ist für ihre Kunden Lieferant von Öl, Fernwärme und Erdgas. Im leitungsgebundenen Bereich ist sie dabei auf die Energielieferung der kommunalen Verorger angewiesen.Mitte des Jahres 2002 bestanden zwischen der Klägerin einerseits und der xxx sowie der xxx andererseits Gaslieferungsverträge, aufgrund deren 19 Abnahmestellen in Weinheim versorgt worden sind. Mit Schreiben vom 26.07.2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie „als Geschäftsbesorger mit Wirkung zum 01.09.2002 in die zwischen ... (der Klägerin) und ... (ihren) Kunden (entsprechend nachfolgender Liste) geschlossenen Verträge für die nachstehenden Anlagen\" eintrete. Die weiteren Einzelheiten, insbesondere die 19 Abnahmestellen, sind aus der Anlage B 1 ersichtlich.
Die Klägerin stellte der Beklagten am 01.09.2002 ihren günstigsten Erdgastarif abzüglich 5 % Preisnachlass in Rechnung; entsprechende Preise stellt sie allen Kunden mit vergleichbarer Abnahmestruktur in Rechnung. Mit Schreiben vom 24.10.2002 (B 2) teilte die Beklagte dar Klägerin insbesondere folgendes mit:
„Als Energiebezugsmanager liegt unser Augenmerk auf der Erhöhung des Kosten/Nutzen-Verhältnisses bei den Energiekosten unserer Kunden. Über ein entsprechendes Angebot würden wir uns freuen und werden diesbezüglich kurzfristig auf Sie zukommen. Bereits erfolgte oder künftige Abschlagszahlungen bzw. Zahlungen auf Rechnungen stellen wir deshalb unter den Vorbehalt der zu verhandelnden Energie- Bezugskosten.\"
Auf die Rechnungen der Klägerin leistete die Beklagte Abschlagszahlungen.
Nach Beendigung des Gaslieferungsvertrages zum 31.10.2003 errechnet die Klägerin Zahlungsrückstände in Höhe der Klagesumme; insoweit wird auf die Aufschlüsselung vom 17.12.2003 Bezug genommen (K 2).
Mit Schreiben vom 03.12.2003 ( K 4 ) bestätigte die Beklagte die Vertragsbeendigung und gab insbesondere die folgende Erklärung ab:
„ 1.
Bereits mit Schreiben vom 24.10.2002 haben wir die Unbilligkeit Ihrer Preisstellung gerügt. Wir bedauern, dass Sie auf unsere Bitte, uns wettbewerbsfähige Energiepreise einzuräumen, nicht eingegangen sind.
2.
Wir sehen uns deshalb nach Beendigung der Vertrage gezwungen, Sie in Bezug auf die aus der Anlage ersichtlichen Abnahmestellen aufzufordern, die Angemessenheit und Üblichkeit Ihrer Preisstellung durch eine Darlegung Ihrer Preiskalkulation in geeigneter Weise bis zum 05.01.2004 nachzuweisen \"Die Klägerin wies dieses Verlangen durch Anwaltsschreiben vom 05.01.2004 zurück (K 3) .
Die Klägerin ist der Auffassung, ungeachtet der Problematik der Anwendbarkeit des § 315 BGB entsprachen die der Beklagten in Rechnung gestellten Preise der Billigkeit.
Dies zeige sich schon daran, dass ihre Gaspreise um 4,38 % bzw. 2,92 % unter dem für Baden-Württemberg von der Landeskartellbehörde ermittelten Durchschnittswert lagen. Ergänzend wird auf K 7 bis K 1 0 Bezug genommen. § 315 BGB sei eine Verbraucherschutzvorschrift, die der Beklagten gar nicht zugute kommen könne.Eine Offenlegung der eigenen Preiskalkulation sei inakzeptabel und gegenüber den kommunalen Aufsichtsorganen schwer vermittelbar. Gleiches gelte für die Rolle der Beklagten, die - insoweit unstreitig - zahlreiche Prozesse führe (B 6; ABI. 48 f.), ihren Endkunden aber die Vorteile ihrer Aktivitäten nicht weitergebe.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 25.031,59 € nebst 8 % Zinsen über dem Basiszins seit 17.01.2004 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung,
die Klageforderung sei nicht fällig, ihr stehe die Einrede des § 315 BGB entgegen. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei seit langem anerkannt, dass von monopolistischen Energieversorgungsunternehmen einseitig festgelegte Preise der Billigkeits-Prüfung gemäß § 315 BGB unterliegen (BGHZ115, 311. 31B; BGHZ 73,114,116; RdE 2003,189).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Diese waren Gegenstand der ausführlichen Erörterungen im Kammertermin.
Entscheidungsgründe
Die auf § 433 Abs. 2 BGB gestützte Klage ist zulässig (§ 38Abs. 1 ZPO i.V.m §§ 1 Abs. 1,34 Abs. 1 AVBGasV), aber zur Zeit unbegründet.
Die Klägerin hat nicht den ihr obliegenden Beweis erbracht, dass ihre einseitig vorgegebenen Preise i.S.v. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB der Billigkeit entsprechen.
1.
Unstreitig besaß die Klägerin jedenfalls im Vertragszeitraum auf dem Gasmarkt ihres Versorgungsbereichs eine Monopolstellung. Sie hat deshalb die Preise für ihre Gas-Lieferungen der Beklagten einseitig gestellt, eine individuelle Preisverhandlung fand mit der Beklagten genau so wenig wie mit den früheren Vertragspartnern xxx statt.Damit unterliegen die Tarife der Klägerin nach nahezu einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB (BGH, Urt, v. 04.12.1986, NJW 87,1829 - B 5; BGH, Urt. V. 10.10,1991, Z115, 316 = B 4; BGH, Urt. v. 05.022003, RdE 2003.189 = B 3. Palandt-Heinrichs, BGB, 63.Auflage, Rdnr. 4 zu § 315 BGB; Gottwald in: Münch.Komm., 4.Auflage 2003, Rdnr, 22 zu § 315 BGB; Erman-Battes, 10.Auflage 2000, Rdnr. 19 und 2 zu § 315 BGB; etwas abweichend: Staudinger-Rieble 2000, Rdnr. 48 zu § 315 BGB, jeweils m.w N.).
Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Beklagte in ein bestehendes Vertragsverhältnis eingetreten ist (BGH NJW 87, 1829; BGHZ 115, 314).
§ 315 BGB hat in Fällen der vorliegenden Art die Funktion, die der einen Vertragspartei Übertragene Rechtsmacht, den Inhalt eines Vertrages, hier die Höhe des Gaspreises, einseitig festzusetzen, einzugrenzen (BGH, Urt v. 02.10.1991, NJW-RR 92.185 = B 9). Unter diesem Zweckgesichtspunkt besteht kein sachlich gerechtfertigter Unterschied zwischen einem sog. \"lnterimsverhättnis\" nach Vertragskündigung (a.a.O., 184) und einem intakten Vertragsverhältnis.
Wie im Kammertermin erörtert,
hat § 315 BGB jedoch keine Verbraucherschutzfunktion.
2.
Die Billigkeitskontrolle setzt eine Offenlegung der Preiskalkulation voraus (vgl. etwa Erman-Battes, a.a.O., Rdnr. 19), Die tatsächlichen Umstände, welche die Billigkeit rechtfertigen sollen, sind in Fällen der vorliegenden Art vom Monopolisten, hier der Klägerin, darzulegen und ggf. zu beweisen (BGH NJW-RR 92,184,186; BGHZ115, 323).Dies bedeutet hier u.a., dass der geforderte Gaspreis die Deckung der Kosten für den Erwerb und die Weiterleitung des Erdgases sowie für die Vorhaltung der dazu notwendigen Anlagen ermöglichen muss.
Außerdem steht der Klägerin ein Gewinn zu, aus dem sie die erforderlichem Rücklagen und Investitionen tätigen kann; zudem eine angemessene Verzinsung zur Aufnahme von Fremd- und Anlagekapital (BGH NJW-RR 92. 185).
Die Darlegung, im Verhältnis zu anderen Monopolunternehmen auf dem Erdgasmarkt unterdurchschnittliche Preise zu fordern (K 7 bis K 10) genügt dem gegenüber offenkundig nicht. Dieser relative Preisvergleich schließt nicht die Möglichkeit aus, dass alle Monopolisten mehr als das fordern, was nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung angemessen ist.Angesichts unterschiedlicher geographischer Gegebenheiten und Kundenstrukturen, welche die einzelnen Gasversorger vorfinden, spricht ein unterdurchschnittlicher Preis nicht ohne weiteres dafür, dass der betreffende Versorger nur den angemessenen Preis i.S.v. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB fordert.
3.
Die dargestellten Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung waren jedenfalls aufgrund der umfangreichen Literatur- und Rechtssprechungsnachweise der Klageerwiderungsschrift (B 3 bis B 10) auch der Klägerin im Detail bekannt.
Dies hat zudem die intensive Erörterung aller rechtlichen und tatsächlichen Aspekte des Falles im Kammertermin verdeutlicht.
In der mündlichen Verhandlung hat die Kammer den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin sich nicht in der Lage sieht, die praktischen Anforderungen der Rechtsprechung des BGH zu akzeptieren, da ihr diese im Hinblick auf ihre sonstigen Kunden ungerecht und im kommunalpolitischen Bereich schwer vermittelbar erscheinen.
Da die Klägerin durch einen erfahrenen und sachkundigen Rechtsanwalt vertreten war, lässt ihr Prozessverhalten den Schluss zu, dass sie zu ihrer Preiskalkulation nicht näher vortragen will (vgl. BGH, Urt. v. 05.06.2003, NJW 2003. 3628). zumal sie auch ein wirtschaftliches Bedürfnis nach Geheimhaltung verspürt. Damit war die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 Abs. 1ZPO abzuweisen.Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging nach § 709 ZPO.
******
Aus dem
Urteil des BGH vom 05.07.2005 - X ZR 60/04 unter II. 1
1.
Den Kunden eines Versorgungsunternehmens steht grundsätzlich die Einrede der unbilligen Tariffestsetzung zu.
a)
Es ist in der Rechtsprechung des BGH seit langem anerkannt, dass Tarife von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Bennutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden müssen und einer Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB unterworfen sind (vgl. nur BGH, Urt. v. 19.01.1983 - VIII ZR 81/82, NJW 1983, 659; Urt. v. 03.11.1983, aaO, BGHZ 115, 311, 316 m.w.N.; Urt.v. 30.04.2003 - VIII ZR 279/02, NJW 2003, 3131). Dies ist zum Teil aus der Monopolstellung des Versorgungsunternehmens hergeleitet worden (BGH, Urt. v. 04.12.1986 - VII ZR 77/86, NJW 1987, 1828; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9.A., § 8 Rdn. 15; dagegen und für eine Kontrolle über § 138, 305 f. BGB Staudinger/ Rieble, BGB (2004), § 315 Rdn. 51 f.)....
b)
Die entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB hat zur Folge, dass die vom Versorgungsunternehmen angesetzten Tarife für den Kunden nur dann verbindlich sind, wenn sie der Billigkeit entsprechen (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB).
Entspricht die Tarifbestimmung nicht der Billigkeit, so wird sie, sofern das Versorgungsunternehmen dies beantragt, ersatzweise im Wege der richterlichen Leistungsbestimmung durch Urteil getroffen (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB; vgl. Staudinger/Rieble, aaO., Rdn. 294 f.).
Erst die vom Gericht neu festgesetzten geringeren Tarife sind für den Kunden verbindlich, und erst mit der Rechtskraft dieses Gestaltungsurteils wird die Forderung des Versorgungsunternehmens fällig und kann der Kunde in Verzug geraten (BGH, Urt. v. 24.11.1995 - V ZR 174/94, NJW 1996, 1054; MünchKomm./Gottwald, BGB, 4.Aufl.,§ 315 Rdn. 49; Palandt/Heinrichs, BGB, 64.Aufl., § 315 Rdn. 17; Staudinger/Rieble, aaO.,Rdn. 276); erst von diesem Zeitpunkt an besteht mithin eine im gerichtlichen Verfahren durchsetzbare Forderung des Versorgungsunternehmens.
c)
Das gilt nach ständiger Rechtsprechung des BGH grundsätzlich auch dann, wenn die Tarifbestimmung mit Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörden getroffen worden ist. Denn die rein öffentlich-rechtliche Wirkung der Genehmigung beschränkt sich auf das Verhältnis der Behörde zum Genehmigungsempfänger und ist für die privatrechtliche Überprüfung eines einseitig festgesetzten Entgelts anhand des § 315 BGB nicht präjudizell ( vgl. nur BGHZ 115, 311, 315; BGH, Urt. v. 02.07.1998 - III ZR 287/97, NJW 1998, 3188, jeweils m.w.N.; vgl. auch Ludwig/Odenthal/Hempel/Franke, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, § 30 AVBEltV Rdn. 56).
2.
Entegegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Beklagte nicht darauf beschränkt, die Einrede der unbilligen Leistungsbestimmung im Rahmen eines Rückforderungsprozesses geltend zu machen.
Und weiter
Im Rahmen der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB trifft nach ständiger Rechtsprechung des BGH den Bestimmungsberechtigten die vollständige Darlegungs- und Beweislast dafür, dass seine Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht (vgl. nur BGH, Urt.v. 30.04.2003, aaO, m.w.N.; so auch die herrschende Meinung im Schrifttum, vgl. nur MüchKomm./Gottwald, aaO, Rdn. 53, Staudinger/Rieble,aaO, Rdn. 288 f.; a.A. Palandt/Sprau, aaO., Rdn. 19). Weil viele Versorgungsunternehmen immer noch auf die Berliner Rechtsprechung verweisen, unbedingt deshalb auch das Urteil des Kammergerichts Berlin (Berliner OLG) vom 15.02.2005, Az. 7 U 140/04 zum Parallelfall lesen:
http://www.kammergericht.de/entscheidungen/7_u_140-04.pdf Hiernach bleiben wohl
nur wenige Fragen offen.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt