Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Kartellrecht  (Gelesen 49431 mal)

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Offline Ronny

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Kartellrecht
« Antwort #75 am: 21. April 2009, 08:29:05 »
Ich kann ja in Grenzen nachvollziehen, dass Herr Fricke die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes negiert, soweit diese für ihn nicht von Vorteil ist. Das führt zwar nicht gerade zur neutralen Information hier im Forum, aber sei´s drum.

Umso schwerer verständlich ist, warum sich Herr Fricke derart vehement gegen die Vorschläge von Reblaus wehrt, schließlich könnten sie sich (vielleicht) als wirksame juristische Waffe für die Gaskunden erweisen.

Sollte Herrn Fricke hier etwa eine Laus über die Leber gelaufen sein, weil jemand anderes mal eine gute Idee hatte?

Das wird doch wohl keine gekränkte Eitelkeit sein ...


Ronny

Offline RR-E-ft

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Kartellrecht
« Antwort #76 am: 21. April 2009, 12:55:16 »
Es ist (für mich) wie umfassend dargelegt nicht recht nachvollziehbar, dass die etwaige Nichtigkeit eines Vorlieferantenvertrages für den Versorgungsunternehmen oder dessen Kunden bei einseitigem Leistungsbestimmungsrecht iSv. § 315 BGB zu einem unabänderlichen (stabilen) Gaspreis führen könnte. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wer dann auf welcher Grundlage auf den Änderungen der BAFA- Erdgasimportpreise sitzen bleiben sollte. Die Behörde, die am ehesten über alle notwendigen Informationen verfügen könnte, legt ihren Entscheidungen eine solche Überlegung ersichtlich auch nicht zu Grunde. Möglicherweise erbringt reblaus schon bald den Nachweis der Praktikabilität seiner Überlegungen. Er vermittelt den Eindruck, mit diesen weit vorangeschritten zu sein. Dann wird man sich ein solches Ergebnis unvereingenommen ansehen können.

Wie es sich mit Preisänderungen gegenüber Kunden  verhält, denen gegenüber kein wirksames Preisänderungsrecht besteht, wurde auch bereits entschieden (BGH, Urt. v. 29.04.2008, KZR 2/04; BGH, Urt. v. 17.12.2008, VIII ZR 274/06; BGH, Urt. v. 20.07.2005, VIII ZR 199/04). Auf die Frage, ob und auf welcher Grundlage Kosten gestiegen sind, kommt es in diesen Fällen  regelmäßig überhaupt nicht an, so dass dahingehende Überlegungen in dieser Konstellation obsolet sind.


Eine vollkommen andere Frage ist es wiederum, ob der von einem marktbeherrschenden Unternehmen geforderte Preis im Sinne des Kartellrechts missbräuchlich überhöht ist und deshalb ein Schadensersatzanspruch des betroffenen Kunden gem. § 33 GWB selbst dann bestehen kann, wenn der Preis zwischen Versorger und Kunde vertraglich vereinbart wurde und kraft dieser vertraglichen Vereinbarung gerade keiner Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB  unterliegt.

Als gesichert erscheint, dass eine (wegen eines bestehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrechts iSv. § 315 Abs. 1 BGB dem Grunde nach zulässige) einseitige Leistungsbestimmung gem. § 315 Abs. 2 BGB , die zu einem kartellrechtswidrig überhöhten Preis führt, gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht im Rahmen der Billigkeit liegen kann (BGH, Urt. v. 29.04.2008, KZR 2/07 Tz. 15) und dass bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen einer solchen deshalb (auf Antrag) eine Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB zu treffen ist (BGH, Urt. v. 02.10.1991, VIII ZR 240/90 am Ende).

Zitat
BGH, Urt. v. 29.04.2008, KZR 2/07 Tz. 15
Zwar nimmt das Berufungsgericht zu Recht an, dass eine Preiserhöhung, mit der die Beklagte ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen würde, auch vertragsrechtlich nicht angemessen wäre und nicht der Billigkeit im Sinne des § 315 BGB entspräche.

Unbilligkeit im Sinne von § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB bedeutet eine besondere Form der Unwirksamkeit, jedoch keine unbedingt endgültige Nichtigkeit.

Zitat
BGH, Urt. v. 02.10.1991, VIII ZR 240/90 am Ende
Zu Recht hat es das Berufungsgericht auch abgelehnt, die Preisbestimmung selbst durch Urteil zu treffen (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB). Das ist nur zulässig, wenn die Bestimmung durch die dazu befugte Partei nicht der Billigkeit entspricht oder verzögert wird und eine hinreichende tatsächliche Grundlage für eine ersetzende gerichtliche Bestimmung vorhanden ist. Eine Verzögerung liegt ersichtlich nicht vor. Ob und gegebenenfalls inwieweit die Preisfestsetzung der Klägerin unbillig ist, kann dagegen wegen  des zur Nachprüfung ungeeigneten Vortrags der Klägerin nicht beurteilt werden.

Offline reblaus

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Kartellrecht
« Antwort #77 am: 21. April 2009, 18:40:45 »
@RR-E-ft
Bauen Sie mal eine Mauer zwischen Art. 81 EG, § 1 GWB einerseits und Art. 82 EG und § 19 GWB andererseits, am besten aus Stahlbeton und mit Stacheldraht bewehrt.

Verstöße gegen Art. 81 EG, § 1 GWB zielen auf die Beseitigung eines freien Marktes. Ein solcher Verstoß stellt eine Verletzung des Art. 12 GG dar, weil dadurch die Gewerbefreiheit in ihrem Kern angegriffen wird.

Dagegen regeln Art. 82 EG und § 19 GWB die Ausbeutung einer legal erlangten und legal bestehenden marktbeherrschenden Stellung. Der Unrechtsgehalt eines solchen Verstoßes ist von einer weit geringeren Qualität als der Versuch, den freien Marktzutritt anderer zu beseitigen oder einzuschränken.

Aus diesem Grund ist in Art. 81 Abs. 2 EG bestimmt, dass Verstöße nach Absatz 1 nichtig sind. Aus diesem Umstand leitet der EuGH die Sonderstellung des Art. 81 EG her.

Zitat
EuGH C-453/99
20 Zweitens stellt Artikel 85 EG-Vertrag, wie sich aus Artikel 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g EG) ergibt, eine grundlegende Bestimmung dar, die für die Erfuellung der Aufgaben der Gemeinschaft und insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarktes unerlässlich ist (siehe Urteil vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-126/97, Eco Swiss, Slg. 1999, I-3055, Randnr. 36).
21 Die Bedeutung dieser Bestimmung hat die Verfasser des EG-Vertrags im Übrigen dazu veranlasst, in Artikel 85 Absatz 2 EG-Vertrag ausdrücklich anzuordnen, dass die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse nichtig sind (siehe Urteil Eco Swiss, Randnr. 36).
22 Diese Nichtigkeit, die von jedem geltend gemacht werden kann, hat das Gericht zu beachten, sofern der Tatbestand des Artikels 85 Absatz 1 erfuellt ist und die betroffene Vereinbarung die Gewährung einer Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 EG-Vertrag nicht rechtfertigen kann (zu dem letztgenannten Punkt siehe u. a. Urteil vom 9. Juli 1969 in der Rechtssache 10/69, Portelange, Slg. 1969, 309, Randnr. 10). Da die Nichtigkeit nach Artikel 85 Absatz 2 absolut ist, erzeugt eine nach dieser Vorschrift nichtige Vereinbarung zwischen den Vertragspartnern keine Wirkungen und kann Dritten nicht entgegengehalten werden (siehe Urteil vom 25. November 1971 in der Rechtssache 22/71, Béguelin, Slg. 1971, 949, Randnr. 29). Darüber hinaus erfasst diese Nichtigkeit die getroffenen Vereinbarungen oder Beschlüsse in allen ihren vergangenen oder zukünftigen Wirkungen (siehe Urteil vom 6. Februar 1973 in der Rechtssache 48/72, Brasserie de Haecht II, Slg. 1973, 77, Randnr. 26).
(…)
31 Ebenso wenig verbietet das Gemeinschaftsrecht, sofern die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden (siehe Urteil Palmisani, Randnr. 27), dass das innerstaatliche Recht einer Partei, die eine erhebliche Verantwortung für die Wettbewerbsverzerrung trägt, das Recht verwehrt, von ihrem Vertragspartner Schadensersatz zu verlangen. Nach einem in den meisten Rechtssystemen der Mitgliedstaaten anerkannten Grundsatz, den der Gerichtshof bereits angewandt hat (siehe Urteil vom 7. Februar 1973 in der Rechtssache 39/72, Kommission/Italien, Slg. 1973, 101, Randnr. 10), darf ein Einzelner nämlich nicht aus seinem eigenen rechtswidrigen Verhalten Nutzen ziehen.
(…)
33 Insbesondere hat dieses Gericht zu prüfen, ob die Partei, die durch den Abschluss eines Vertrages, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, angeblich einen Schaden erlitten hat, der anderen Partei eindeutig unterlegen war, so dass ihre Freiheit, die Vertragsbedingungen auszuhandeln, und ihre Fähigkeit, insbesondere durch den rechtzeitigen Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten den Schadenseintritt zu verhindern oder den Schadensumfang zu begrenzen, ernsthaft beschränkt oder nicht vorhanden gewesen waren.
Es ist für mich nicht nachvollziehbar warum Sie bei einer Nichtigkeit der Leistungsbestimmung so zimperlich sind, den Versorger auf seinen Kosten sitzen zu lassen. An anderer Stelle haben Sie doch bereits das Zeitalter der Rückforderung ausgerufen. Dort scheint der unverhoffte und unverdiente Vorteil eines unwirksam vereinbarten Leistungsbestimmungsrechts, bei dem ein Anfangspreis vertraglich bestimmt war, Ihre Vorstellungen von Anstand und Moral oder gar Ihre Besorgnis über das finanzielle Wohlergehen eines Versorgers nicht in den Grundfesten zu erschüttern.
 
Der Gesetzgeber teilt Ihre Ansichten nicht, und sieht z. B. bereicherungsrechtliche Ausgleichsansprüche bei  Gesetzesverstößen nach § 817 BGB nicht vor. Auf welche gesetzliche Grundlage Sie sich bei Ihren Bedenken berufen, teilen Sie nicht mit (wenn man mal von Ihrer Idee § 315 BGB sei lex spezialis von § 138 BGB mangels Ernstlichkeit absieht).

Dem Gasversorger stand frei, gesetzeskonforme Bezugsverträge abzuschließen bzw. Rechtsschutz gegen kartellrechtswidrige Verträge in Anspruch zu nehmen. Dann hatte er die Möglichkeit gehabt, seine Preise um die gestiegenen Bezugskosten zu erhöhen. Diese legale Möglichkeit hat er aus freien Stücken nicht genutzt. Da braucht dann niemand ein schlechtes Gewissen zu haben, dass er auch auf den Kosten sitzen bleibt, die er hätte weitergeben können. Er hat es nicht getan!!!! Das ist entscheidend.

@ronny
Es freut mich natürlich, dass meine Thesen auch auf unvoreingenommene Ohren treffen. Darum geht es mir ja, nicht darum irgendwelche Eitelkeiten zu kränken. Ich möchte aber nicht verhehlen, dass meine Theorie in einem Verfahren auf weit erbitterteren Widerstand stoßen dürfte, als RR-E-ft jemals in der Lage sein wird zu leisten. Insoweit ist jedes konträre Argument Gold wert. Nur wer die Schritte des Gegners vorher erkennt, kann sich darauf vorbereiten.

Offline RR-E-ft

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Kartellrecht
« Antwort #78 am: 21. April 2009, 20:17:04 »
@reblaus
Ich habe auch Ihre neuerlichen Behauptungen nicht verstanden, lasse mich aber ggf. gern überzeugen, wenn Sie mit einem praktisch Ergebnis aufwarten.

Zitat
Verstöße gegen Art. 81 EG, § 1 GWB zielen auf die Beseitigung eines freien Marktes. Ein solcher Verstoß stellt eine Verletzung des Art. 12 GG dar, weil dadurch die Gewerbefreiheit in ihrem Kern angegriffen wird.
Wer soll dabei konkret wodurch in seinem Grundrecht aus Art. 12 GG verletzt sein?

Offline schmidol

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Kartellrecht
« Antwort #79 am: 21. April 2009, 21:58:23 »
Meine sehr geehrten Damen und/ oder Herren, Ihr Beiderseitiges Imponiergehabe auf rechtlichem Gebiet ist zunehmend unertraeglich. WIR Verbraucher haben verstanden, sie scheinen sich wohl etwas auszukennnen, aber geholfen haben Sie noch Niemanden. Konzentrieren Sie sich doch bitte darauf worum es hier geht, die Anwaelte der Energiekonzerne duerften sich aufrund Ihrer \"Erguesse\" hier nun herzlich auf die Schenkel klopfen. Danke fuer Ihr Verstaendnis.

Offline reblaus

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Kartellrecht
« Antwort #80 am: 22. April 2009, 08:55:09 »
@Schmidol
Ich gebe Ihnen insoweit Recht, dass diese Diskussion auch auf sachlicher Ebene geführt werden könnte. Diesem Anspruch stehen aber mitunter (auf beiden Seiten) menschliche Unzulänglichkeiten entgegen, deren Ergebnis bei einem Teil der Leser auf Ablehnung bei einem anderen auf entrüstetes oder auch amüsiertes Interesse stoßen wird.

Soweit Sie vom sachlichen Teil dieser Diskussion ein für den Verbraucher verwertbares Ergebnis einfordern, müssen Sie sich noch länger gedulden. Sämtliche zivilrechtlichen Auswirkungen eines Kartellverstoßes sind noch weithin unberührtes Rechtsgebiet. Es gibt zwar einige europarechtliche Entscheidungen zur Schadensersatzpflicht, so die oben zitierte Entscheidung. Der gesetzliche Schadensersatzanspruch des § 33 GWB ist aber erst 2005 erlassen worden. Es sind daher in der Vergangenheit nur in wenigen Fällen Entscheidungen zu zivilrechtlichen Auswirkungen von Kartellverstößen ergangen, so dass die Erfolgsaussichten einer Argumentation mit kartellrechtswidrigen Bezugsverträgen bisher nicht seriös prognostiziert werden kann.

Als Verbraucher würde ich mich beim derzeitigen Stand der Diskussion daher nicht auf ein Verfahren einlassen, bei dem ein Rückforderungsanspruch gegen den Versorger allein auf Basis eines kartellrechtswidrigen Bezugsvertrages geltend gemacht werden soll. Soweit Sie aber von einer Zahlungsklage betroffen sind, und Sie die Zahlung aus den anerkannten Rechtsgründen wie Unbilligkeit der Preiserhöhung oder Unwirksamkeit der Preisbestimmungsklausel verweigern, ist die zusätzliche Argumentation mit dem Kartellrecht sehr zu empfehlen. Sie dürfen nämlich bei Gericht mit verschiedenen Rechtsgründen argumentieren, selbst wenn sie sich im Einzelfall gegenseitig ausschließen sollten. Für die Entscheidung ist nur wichtig, dass schlussendlich mindestens ein Rechtsgrund tatsächlich vorliegt, nachdem Sie die Zahlung verweigern durften.

@RR-E-ft
Ich bin auf diese Frage bereits früher eingegangen.

Zitat
reblaus vom 6.03.2009 (Kartellrecht)
Den Schlüssel zur Lösung sehe ich in Art. 81 EG. Der EuGH gesteht diesem eine privilegierte Stellung innerhalb der Kartellnormen zu, weil in Absatz 2 ausdrücklich bestimmt ist, dass Verstöße nach Absatz 1 nichtig sind. Das findet sich so weder in Art. 82 EG noch im GWB. Die Nichtigkeit von Handlungen gegen diese Verbote bemisst sich nach den jeweiligen nationalen Normen. Aus diesem Umstand liest der EuGH heraus, dass es die Verfasser des Art. 81 EG als besonders vordringliche Aufgabe ansahen, Verstöße gegen Art. 81 EG zu bekämpfen und zu verhindern.

Dies bedeutet dass die Bildung des Kartells strenger verfolgt werden muss, als die ökonomischen Folgen z. B durch überhöhte Preise, die es verursacht. Das trägt der ökonomischen Realität Rechnung. Es soll niemandem verboten werden Mondpreise zu verlangen. Wenn Sie auf Ihr T-Shirt dick „Chanel“ drucken, können Sie es für 160,00 € veräußern, wenn im Etikett „H & M„ steht halt nur für 20,00 € (bei gleicher Qualität!). Deshalb ist im Prinzip auch gegen die Preisbindung an leichtes Heizöl nichts einzuwenden. Solange der Markt funktioniert, soll es jedem unbenommen bleiben, sein überteuertes Gas mit wundervollen Versprechungen und tollem Namen unters Volk zu bringen. In einem funktionierenden Markt werden genügend Anbieter von den gigantischen Gewinnspannen angelockt werden, und sich mit günstigeren Preisen Marktanteile sichern.

Der freie Marktzutritt ist die fundamentale Regulierungsvoraussetzung in einer Marktwirtschaft. Wenn genügend Kunden mit ihren Anbietern unzufrieden sind, eröffnet sich eine Marktlücke für ein Unternehmen, dass die Leistung besser anbietet. Dann rennen die Kunden zur Konkurrenz und nicht vor Gericht. Vielleicht sollte man den unwilligen Amtsrichtern klar machen, dass sie ohne freien Marktzutritt die vielen Verbraucherklagen auch bei 20 Stundenschichten nicht würden abarbeiten können.
(…)
Die Vorstellung von der Wichtigkeit gut funktionierender Märkte ist in der Rechtsprechung z. B. bei Unterlassungsansprüchen wegen Wettbewerbsverstößen verwendet worden. Außergerichtliche Anwaltskosten können mit Hinweis auf die Geschäftsführung ohne Auftrag auf den Gegner abgewälzt werden, weil auch dieser als Marktteilnehmer ein elementares Interesse an einem funktionieren Wettbewerb hat. Was spricht dagegen, diese Idee auf die Marktabschottung anzuwenden. Dem redlichen Gasversorger eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten in einem funktionierenden Markt sein Geschäft auszuweiten. Er hat daher ein elementares Interesse daran, dass die Märkte funktionieren.

Schließlich ist der freie Marktzutritt auch durch Art. 12 GG geschützt. Er ist sogar die entscheidende Grundvoraussetzung, dass ein freies Gewerbe überhaupt entstehen und weiterexistieren kann. Ohne freien Marktzutritt kann niemand Geschäfte abschließen, es sei denn, er ist Teil der privilegierten Marktteilnehmer. Ohne Aussicht auf Geschäftsmöglichkeiten sind aber Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse völlig wertlos. Es ist daher kontraproduktiv die Bekämpfung von Kartellen zu erschweren, in dem man dem Schutzerfordernis für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse größere Bedeutung zuweist.

Mit den vom Bundeskartellamt untersagten Bezugsverträgen wird der Markt zur Belieferung von Regionalversorgern mit Erdgas abgeschottet (OLG Düsseldorf vom 20.10.2006 Az. VI-2 Kart 1/06 (V)). Dadurch verhindern die Ferngasgesellschaften gemeinsam mit den beteiligten Regionalversorgern den freien Marktzutritt anderer potentieller Erdgaslieferanten unter anderem auch einzelner größerer Regionalversorger. Damit verletzen sie deren Recht auf freie Ausübung eines Gewerbes.

Das durch Art. 12 GG geschützte Geschäftsgeheimnis entsteht auch erst dann, wenn dem Unternehmen der Zugang zum Markt offen steht. Ohne Geschäftsmöglichkeit kein Geschäftsgeheimnis. Dadurch ergibt sich, dass sich niemand auf seine Geschäftsgeheimnisse berufen kann, wenn diese darin bestehen, zu verheimlichen dass und wie anderen der Marktzugang verwehrt wird.

Oder wollten Sie mit Ihrer Frage etwa nur testen, ob ich durch die Benutzung des Wortes \"verletzen\" der unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten das Wort reden wollte? Dann lesen Sie bei \"verletzen\" einfach \"beeinträchtigen\".

Offline tangocharly

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Kartellrecht
« Antwort #81 am: 23. April 2009, 22:18:58 »
@reblaus

Sie meinen wahrscheinlich Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Nicht das Grundrecht definiert  den Begriff \"Geschäftsgeheimnis\", sondern setzt seine Existenz voraus.
Und wenn Sie in BGH, 19.11.2008, Az.: VIII ZR 138/07, Tz. 46,47 nachlesen, dann sehen Sie, wie sich der VIII. Senat mit dieser sensiblen Thematik befaßte:

Zitat
46
Sollte es im weiteren Verlauf des Rechtsstreits darauf ankommen, rügt die Revision allerdings zu Recht, dass das Berufungsgericht ohne Weiteres da-von ausgeht, die Beklagte müsse im Rechtsstreit uneingeschränkt ihre gesamte Kalkulation offen legen. Insofern lässt das angefochtene Urteil eine Klärung der Frage vermissen, bezüglich welcher Daten im Einzelnen ein durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Interesse der Beklagten an der Geheimhaltung dem Gericht, einem Sachverständigen, dem Kläger oder der Öffentlichkeit gegen-über besteht und inwiefern für die Beweisführung - auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse der beantragten Zeugenvernehmung - gerade solche geschütz-ten Daten einem Sachverständigen zugänglich gemacht werden müssten. Dafür bedarf es gegebenenfalls weiteren substantiierten Sachvortrags der Beklagten dazu, bei Offenlegung welcher konkreten Geheimnisse sie welche Nachteile zu befürchten hätte. Es ist jedoch rechtsfehlerhaft, jegliches Geheimhaltungsinte-resse der Beklagten von vornherein mit der Begründung zu verneinen, dass eine vergleichbare umfassende Offenlegungspflicht alle Versorgungsunterneh-men treffe. Eine etwaige Grundrechtsrelevanz des Verlangens nach Offenle-gung der gesamten Kalkulation auf Seiten der Beklagten wird nicht dadurch beseitigt, dass alle Energieversorgungsunternehmen gleichermaßen zur Offen-legung grundrechtlich geschützter Daten verpflichtet werden, zumal diese Ver-pflichtung nur von solchen Versorgungsunternehmen zu erfüllen wäre, deren Kunden wie der Kläger eine gerichtliche Billigkeitskontrolle der Preise bzw. Preiserhöhungen nach § 315 BGB begehren.

47
Unterstellt, die Beklagte müsste im Rahmen der Beweiserhebung Daten offen legen, an denen sie ein verfassungsrechtlich geschütztes Geheimhal-tungsinteresse hat, bedürfte es sodann einer - auch im Rahmen einer Billig-keitskontrolle nach § 315 BGB erforderlichen - Abwägung zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem verfassungsrechtlichen Schutz von Be-triebs- und Geschäftsgeheimnissen (BVerfGE 101, 106, 128 ff.; 115, 205, 232 ff.; BVerfG, Beschluss vom 28. Dezember 1999 - 1 BvR 2203/98, VersR 2000, 214, 215; Senatsurteil vom 18. Juli 2007 - VIII ZR 236/05, WM 2007, 1901, Tz. 28 ff.; BGHZ 116, 47, 58 ), die auf einen weitestgehenden Ausgleich zwischen den betroffenen Verfassungsgütern gerichtet sein muss. Dabei ist zunächst eine Inanspruchnahme der prozessualen Möglichkeiten des Aus-schlusses der Öffentlichkeit und der - strafbewehrten (§ 353d Nr. 2 StGB) - Ver-pflichtung der Prozessbeteiligten zur Geheimhaltung nach § 172 Nr. 2, § 173 Abs. 2, § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG in Betracht zu ziehen. Es ist nicht von vorn-herein ausgeschlossen, dass ein solches Vorgehen geeignet ist, den Schutz der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu gewährleisten, insbesondere, weil es sich bei der Gegenpartei nicht um einen Wettbewerber der Beklagten, son-dern um einen Kunden handelt und folglich nicht schon die Bekanntgabe der Geheimnisse selbst eine Geheimnisverletzung zur Folge hätte.

Welche Versorgungsunternehmen sich aber auf Art. 12 GG berufen können, ist aber noch zudem eine ganz andere Frage.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline nomos

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« Antwort #82 am: 23. April 2009, 22:29:28 »
Zitat
Original von tangocharly
Welche Versorgungsunternehmen sich aber auf Art. 12 GG berufen können, ist aber noch zudem eine ganz andere Frage.
    @tangocharly, der Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg sieht da bei den Stadtwerken \"ganz überwiegend Geschäftsgeheimnisse\".

    Da muss der Datenschutzbeauftragte doch richtig neidisch werden, hier bei den Geschäftsgeheimnissen funktioniert der Datenschutz noch. Da wird von der Politik streng darüber gewacht. Da muss der Bundes-DSB nicht klagen wie  bei den personenbezogenen Daten.  ;) .

    siehe hier:

Frage an die Landesregierung zur Gaspreisgestaltung der Stadtwerke Mühlacker

[/list]

Offline RR-E-ft

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Kartellrecht
« Antwort #83 am: 23. April 2009, 22:44:21 »
tangocharly verweist zutreffend darauf, dass zunächst zu prüfen ist, ob das betroffene Unternehmen überhaupt Grundrechtsträger bzw. grundrechtsfähig ist. Ist es schon kein Grundrechtsträger bzw. grundrechtsfähig, so kann es sich schon nicht auf einen entsprechenden Schutz berufen, vgl. schon hier. (Evitel2004 bitte ggf. Verlinkungen überarbeiten) Wenn das betroffene Unternehmen danach überhaupt Grundrechtsträger bzw. grundrechtsfähig ist, muss es geltend machen, welche für die Entscheidung erheblichen Daten weshalb Betriebsgeheimnisse sein sollen. Alle publizitätspflichtigen Daten etwa preisbildende Kostenfaktoren des sog. \"vereinbarten Preissockels\" (Konzessionsabgaben gem. § 4 KAV, Energiesteuer, Netzkosten gem. § 27 GasNEV, , Kosten der Messung und Abrechnung gem. § 40 EnWG) können demnachschon  keine Geschäftsgeheimnisse sein, ebenso wie Spartenabschlüsse gem. § 9a EnWG 1998 iVm. § 114 EnWG.

nomos liest am besten hier.

Zitat
TELEKOM Randnummer 72
Die Grundrechtsfähigkeit der Beschwerdeführerin entfällt nicht deswegen, weil der Bund an dieser Anteile hält. Ein beherrschender Einfluss des Bundes auf die Unternehmensführung der Beschwerdeführerin, der die Beschwerdefähigkeit in Zweifel ziehen könnte, war schon auf Grund der Regelungen in § 3 des Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost vom 14. September 1994 (BGBl I S. 2325) und in § 32 der Satzung der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost vom 14. September 1994 (BGBl I S. 2331) ausgeschlossen und ist nach der Privatisierung erst recht nicht begründet worden; er wird auch von keinem der Beteiligten geltend gemacht.

Hat hingegen der Staat oder eine Gebietskörperschaft einen Mehrheitsanteil und/ oder  einen beherrschenden Einfluss auf die Unternehmensführung, wie das oft bei Stadtwerken der Fall sein kann, ist die Grundrechtsfähigkeit zweifelhaft. Der Grundrechtsschutz ist aber nicht das eigentliche Thema dieses Threads, Datenschutz erst recht nicht.

Offline reblaus

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« Antwort #84 am: 24. April 2009, 08:14:12 »
@tangocharly
Mir geht es im Zusammenhang mit Kartellrechtsfragen beim Geschäftsgeheimnis ausschließlich darum. die Beweisschwierigkeiten zu verringern, die sich dadurch ergeben können, dass die erforderlichen Informationen in zahlreichen Fällen von den Versorgern nicht veröffentlicht wurden.

Hier habe ich den Auskunftsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz vorgeschlagen, der aber in § 6 IFG ausgeschlossen ist, soweit Zugang zu Geschäftsgeheimnissen gewährt werden müsste. Es wäre daher nützlich, wenn man darauf hinweist, dass die Daten, die die Kartellrechtswidrigkeit eines Vertrages belegen, naturgemäß gar keine Geschäftsgeheimnisse darstellen können.

Offline nomos

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Kartellrecht
« Antwort #85 am: 24. April 2009, 10:47:38 »
Zitat
Original von RR-E-ft
nomos liest am besten hier.
...
Hat hingegen der Staat oder eine Gebietskörperschaft einen Mehrheitsanteil und/ oder  einen beherrschenden Einfluss auf die Unternehmensführung, wie das oft bei den genannten Stadtwerken der Fall sein kann, ist die Grundrechtsfähigkeit zweifelhaft. Der Grundrechtsschutz ist aber nicht das eigentliche Thema dieses Threads, Datenschutz erst recht nicht.
    @RR-E-ft, Danke für die Hinweise. Schon klar, Grundrechtsfähigkeit, Grundrechtschutz auf Geschäftsgeheimnisse oder der Datenschutz haben mit dem Kartellrecht wenig zu tun.   Ironie künftig kennzeichnen?
^ˆ^___^ˆ^!

Mein Hinweis zielte auf die unterschiedliche Intention, mit der hier die Politik nach meiner Meinung Rechte  schützt (Verbraucher - Stadtwerke). Mindestens die  Verflechtung (Doppelmandate) zwischen Kommunalpolitik und Landespolitik scheint mir hier eine Rolle zu spielen. Ich habe aus Erfahrung den Eindruck, dass auf den Schutz der Stadtwerke besonders geachtet wird.
Die Schutzbedürftigkeit wird nicht umsonst bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit betont.

Unabhängig davon ist es schon eine interessante Frage, ob bei Stadtwerken die Grundrechtsfähigkeit und der Schutz der sogenannten Geschäftsgeheimnisse gegeben ist. Insbesondere, wenn man die bis vor wenigen Jahren absolute Gebietsmonopolstellung berücksichtigt.[/list]

Offline Black

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Kartellrecht
« Antwort #86 am: 24. April 2009, 14:27:24 »
In seiner Entscheidung vom 19.11.2008, VIII ZR 138/07 hat der BGH ein Schutzbedürfnis des dort betroffenen EVU in Bezug auf seine Geschäftsgeheimnisse bejaht, obwohl es sich beim EVU (Stadtwerke Dinslaken) kommunales Versorgungsunternehmen handelte.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Kartellrecht
« Antwort #87 am: 24. April 2009, 17:22:17 »
Zitat
Original von Black
In seiner Entscheidung vom 19.11.2008, VIII ZR 138/07 hat der BGH ein Schutzbedürfnis des dort betroffenen EVU in Bezug auf seine Geschäftsgeheimnisse bejaht, obwohl es sich beim EVU (Stadtwerke Dinslaken) kommunales Versorgungsunternehmen handelte.

@Black

Das stimmt so nicht. Der Schluss ist voreilig.

Der BGH hat nur gesagt, dass Berufungsurteil lasse eine Klärung der Frage vermissen, an welchen Daten ein nach Art. 12 GG geschütztes Geheimhaltungsinteresse bestehen könnte und dass ein etwaiges Geheimhaltungsinteresse nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung von vornherein ausgeschlossen angesehen werden könne.

Konjunktiv zu einer bisher ungeklärten und auch vom BGH offen gelassenen Frage, die der BGH selbst auch nicht geklärt hat.

Mit einer anderen Begründung als der vom Berufungsgericht bisher gegebenen lasse sich ein Geheimhaltungsinterresse dann aber vielleicht doch schon als ausgeschlossen ansehen, nämlich wenn die Beklagte selbst gar nicht grundrechtsfähig sein sollte.

Zu einer solchen Begründung hat der BGH noch gar nichts gesagt, hingegen das BVerfG in Sachen Hamburgische Electricitätswerke AG, welcher die Grundrechtsfähigkeit seinerzeit mit der Begründung abgesprochen wurde, dass es seich um ein EVU handelt, welches sich im Mehrheitsbesitz der freien und Hansestadt Hamburg befand.  Maßgeblich im Bereich der Energieversorgung ist die Entscheidung BVerfG NJW 1990, 1783. In dieser wird der über Gemeindegrenzen hinaus tätigen Hamburgische Electricitäts- Werke AG (HEW) bei einer Beteiligung der öffentlichen Hand in Höhe von 72 Prozent die Grundrechtsfähigkeit abgesprochen.


Noch einmal genau lesen:


Zitat
Original von tangocharly
Zitat
46
Sollte es im weiteren Verlauf des Rechtsstreits darauf ankommen, rügt die Revision allerdings zu Recht, dass das Berufungsgericht ohne Weiteres da-von ausgeht, die Beklagte müsse im Rechtsstreit uneingeschränkt ihre gesamte Kalkulation offen legen. Insofern lässt das angefochtene Urteil eine Klärung der Frage vermissen, bezüglich welcher Daten im Einzelnen ein durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Interesse der Beklagten an der Geheimhaltung dem Gericht, einem Sachverständigen, dem Kläger oder der Öffentlichkeit gegenüber besteht und inwiefern für die Beweisführung - auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse der beantragten Zeugenvernehmung - gerade solche geschützten Daten einem Sachverständigen zugänglich gemacht werden müssten. Dafür bedarf es gegebenenfalls weiteren substantiierten Sachvortrags der Beklagten dazu, bei Offenlegung welcher konkreten Geheimnisse sie welche Nachteile zu befürchten hätte. Es ist jedoch rechtsfehlerhaft, jegliches Geheimhaltungsinteresse der Beklagten von vornherein mit der Begründung zu verneinen, dass eine vergleichbare umfassende Offenlegungspflicht alle Versorgungsunternehmen treffe. Eine etwaige Grundrechtsrelevanz des Verlangens nach Offenlegung der gesamten Kalkulation auf Seiten der Beklagten wird nicht dadurch beseitigt, dass alle Energieversorgungsunternehmen gleichermaßen zur Offenlegung grundrechtlich geschützter Daten verpflichtet werden, zumal diese Ver-pflichtung nur von solchen Versorgungsunternehmen zu erfüllen wäre, deren Kunden wie der Kläger eine gerichtliche Billigkeitskontrolle der Preise bzw. Preiserhöhungen nach § 315 BGB begehren.

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Unterstellt, die Beklagte müsste im Rahmen der Beweiserhebung Daten offen legen, an denen sie ein verfassungsrechtlich geschütztes Geheimhal-tungsinteresse hat, bedürfte es sodann einer - auch im Rahmen einer Billig-keitskontrolle nach § 315 BGB erforderlichen - Abwägung zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem verfassungsrechtlichen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (BVerfGE 101, 106, 128 ff.; 115, 205, 232 ff.; BVerfG, Beschluss vom 28. Dezember 1999 - 1 BvR 2203/98, VersR 2000, 214, 215; Senatsurteil vom 18. Juli 2007 - VIII ZR 236/05, WM 2007, 1901, Tz. 28 ff.; BGHZ 116, 47, 58 ), die auf einen weitestgehenden Ausgleich zwischen den betroffenen Verfassungsgütern gerichtet sein muss. Dabei ist zunächst eine Inanspruchnahme der prozessualen Möglichkeiten des Aus-schlusses der Öffentlichkeit und der - strafbewehrten (§ 353d Nr. 2 StGB) - Ver-pflichtung der Prozessbeteiligten zur Geheimhaltung nach § 172 Nr. 2, § 173 Abs. 2, § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG in Betracht zu ziehen. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein solches Vorgehen geeignet ist, den Schutz der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu gewährleisten, insbesondere, weil es sich bei der Gegenpartei nicht um einen Wettbewerber der Beklagten, son-dern um einen Kunden handelt und folglich nicht schon die Bekanntgabe der Geheimnisse selbst eine Geheimnisverletzung zur Folge hätte.

Welche Versorgungsunternehmen sich aber auf Art. 12 GG berufen können, ist aber noch zudem eine ganz andere Frage.

Offline RR-E-ft

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Kartellrecht
« Antwort #88 am: 24. April 2009, 22:17:12 »
BGH zur Zulässigkeit von Schadensersatzklagen gegen Kartell- Mitglieder.

Schadensersatzklagen können unbeziffert geltend gemacht werden, wenn die Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und ein Mindestbetrag angegeben wird.

Für Kondiktionsklagen nach § 812 BGB wird dies nicht gelten.

Offline reblaus

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Kartellrecht
« Antwort #89 am: 25. April 2009, 08:54:54 »
@RR-E-ft
Interessante Urteile.

Bei einer Kondiktionsklage kann der Verbraucher seine zuviel bezahlten Beträge auch leicht selbst berechnen, so dass eine Schätzung auch gar nicht erforderlich wäre.

Zu den Beweisregeln bei der Rückforderungsklage ist dieses von Ihnen gefundene Urteil sehr aufschlussreich. Danach ist die Kausalität eines kartellrechtswidrigen Bezugsvertrages für die Preiserhöhung an den Endverbraucher zwar von diesem zu beweisen. Zuvor hat aber der Versorger darzulegen, aus welchen anderen Gründen die Preiserhöhung erfolgte, wenn sie nicht auf gestiegene Bezugskosten zurückzuführen war. Diese anderen Gründe können gegebenenfalls durch die Entwicklung der Kosten aus den GuV-Rechnungen widerlegt werden (weitere Informationen hier). Es handelt sich in jedem Fall um eine erhebliche Beweiserleichterung.

Mein Vorschlag einer Beweislastumkehr halte ich nicht mehr aufrecht.

 

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