Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

Verjährung von Rückforderungsansprüchen der Sondervertragskunden - Zeit der Gegenrechnungen

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RA Lanters:
@ reblaus: solange es den 8 Senat in dieser Besetzung gibt, wäre ich mir da nicht so sicher. vielleicht kommt mal ein fall bis vor das bverfG - da sähe es sicherlich anders aus.

ich bin mir mitllerweile gar nicht mehr so sicher, ob da nicht auch politische/wirtschaftliche/pragmatische Gründe hinter der Rechtsprechung stehen. angenommen alle sondervertragskunden hätten das recht auf rückzahlung überbezahlter beträge der letzten drei oder 10 jahre, unabhängig davon ob sie einspruch eingelegt haben, was meiner meinung nach rechtlich durchaus ohne weiteres begründbar wäre, käme eine milliardenforderung auf die versorger zu. da diese sicherlich keine entsprechenden rückstellungen haben, wären wahrscheinlich 99 % der versorger danach insolvent. bei den stadtwerken müssten die städte einspringen. dass dies nicht gewollt ist, dürfte auf der hand liegen...

vn-mini:
Ich war als einziger Besucher bei der mündlichen Verhandlung zugegen, die zum LG-Köln-Urteil vom 16.9.1009 geführt hat.

Was das LG nicht verwertet hat, weil es nicht gerichtsbekannt oder anderweitig in den Prozess eingeführt wurde, ist der Umstand, dass ausgerechnet dieses beklagte Gasversorgungsunternehmen (Rechtsvorgänger) Ende 2005 flächendeckend in der Regionalpresse seine Kunden gebeten hatte, sich nicht alle einzeln an den um sich gerifenden Preisprotesten zu beteiligen; man werde alle gleich behandeln, unabhängig davon, ob man ausdrücklich protestiere oder nicht.
Ich bin sicher, dass ein diametrales Urteil herausgekommen wäre, wenn dem Gericht die Abstiftung des Gasversorgers bekannt gewesen wäre, denn derjenige, der öffentlich seine Kunden davon abhält, Preisprotest einzulegen dürfte sich m.E. später wohl kaum auf den Standpunkt stellen können, man habe sich ja nicht gewehrt.

Unabhängig davon, dass das Urteil den Preisprotestlern den Rücken stärkt, ist noch erfreulich, dass es nicht danach differenziert, ob Preisproteste auf Unwirksamkeit (damals noch kein Thema) oder Unbilligkeit beruhen:
 

--- Zitat ---LG Köln Urt. v. 16.09.2009 Az. 90 O 50/09

... Es besteht nach Auffassung der Kammer kein Unterschied, ob der Gasversorger mit seinem Preiserhöhungsbegehren fälschlich suggeriert, dieses entspreche der Billigkeit, oder sich fälschlich auf ein infolge Unwirksamkeit nicht existierendes einseitiges Preiserhöhungsrecht beruft...
--- Ende Zitat ---

reblaus:
@RA Lanters

Der VIII Zivilsenat braucht dann  meines Erachtens tatsächlich ein Extrarecht, nachdem Gasversorgungsverträge konkludent geändert werden können. Nach den allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen geht das nicht.

Man darf bei der ganzen Frage nicht vergessen. Es gibt keine einseitige Preisänderung auf die man sich einigen könnte. Auf der anderen Seite gibt es nur Erfüllungshandlungen. Man müsste daher durch eine Vertragserfüllung eine Zustimmung zu etwas nicht existierendem erteilen. Schon bei einer wirksamen Preisänderungsklausel kollidiert die Übertragung des Sockelpreises auf Sonderverträge daran, dass § 2 GasGVV nur für die Grundversorgung gilt. Der Kunde muss daher bei einem Sondervertrag die Vorstellung haben, dass er durch die Gasentnahme eine vertragliche Bindung eingehen kann. Woher soll der Kunde jedoch wissen, dass Jahre nach der Gasentnahme der BGH diese Regelung auch auf Sonderverträge anwenden wird. Woher soll das EVU wissen, dass es die Gasentnahme des Kunden so interpretieren darf?

Schon der Sockelpreis in der Grundversorgung ist mit reichlich Rechtsakrobatik verbunden. Um ein solches Kartenhaus für Sonderverträge mit unwirksamer Preisanpassungsklausel zu bauen, braucht es meiner Meinung nach einen Willkürakt.

Theoretisch könnte die Gaswirtschaft durch diese Rechtsprechung insbesondere dann insolvent werden, wenn zusätzlich die 10-jährige Verjährungsfrist einschlägig wäre. In der Praxis wird dies aber nicht der Fall sein. Wie Ronny eingeräumt hat, haben die Versorger Altverträge oftmals gar nicht mehr in Ihren Unterlagen. Ein kluger Versorger lässt die noch vorhandenen Verträge beizeiten im Reißwolf landen.

Dann sind Rückforderungen nur für die Fälle in die Bilanz einzustellen, die dem Versorger durch Aktivitäten des Kunden bekannt werden. Die meisten Kunden werden sich aber nie melden. Die Beträge die tatsächlich zurückgezahlt werden müssen, werden den Versorgern zwar den Gewinn für das eine oder andere Jahr verhageln, in Existenznöte wird jedoch keiner kommen.

Man muss dabei bedenken, dass Versorgungsunternehmen ein sehr sicheres konjunkturunabhängiges Wachstumsgeschäft betreiben. Deshalb sind die tatsächlichen Unternehmenswerte sehr hoch.

@vn-mini
Gerade diese undifferenzierte Betrachtungsweise ist für die Verbraucher sehr nachteilig, weil dadurch der Sockelpreis auch auf Sonderverträge übertragen wird.

Sie haben hoffentlich dem Anwalt der Verbraucher mitgeteilt, dass der Versorger vor Jahren zur Ruhe aufgerufen hat. Dies ist der Nachweis dafür, dass er die Gasentnahme der Kunden nicht als Zustimmung zu einer Vertragsänderung verstanden hat.

Gas-Rebell:
Ich denke, es ist wichtig noch einmal genau zu differenzieren, worüber hier jeweils gesprochen wird:

Die Diskusssion dreht sich meinem Verständnis nach derzeit um die Frage, ob in der beanstandungslosen Bezahlung einer Jahresrechnung von Sondervertragskunden eine konkludente Preisneuvereinbarung für die Zukunft gesehen werden kann oder nicht.

Daneben steht aber auch noch im Raum, ob die widerspruchslose Bezahlung der Jahresrechnung als konkludentes (deklaratorisches) Schuldanerkenntnis für die Vergangenheit, sprich für unterjährig vorgenommene Preisanpassungen, gewertet werden kann oder nicht.

Gerade letztere Frage scheint mir in Rückforderungsprozessen von besonderer Bedeutung und auch Grundlage von BGH-Nachläufer-Urteilen wie dem des LG Köln zu sein. Welche Rechtsargumente sprechen gegen dessen Auffassung?

reblaus:
@Gas-Rebell

So wie ich die Entscheidung des BGH verstehe, ist für eine konkludente Preisneufestsetzung für die Zukunft zwingende Voraussetzung, dass zuvor ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis bezüglich der Jahresabrechnung abgeschlossen wird. Mit diesem Schuldanerkenntnis wird der einseitig erhöhte Preis vom Verbraucher für die Vergangenheit akzeptiert. Nur auf Basis dieser Akzeptanz kann ein Preis für die Zukunft durch einfache Gasentnahme vereinbart werden.

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