Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Verträge ohne Kündigungsregelung
Christian Guhl:
Um das Ganze mal auf einen konkreten Fall zu beziehen : Ein Versorger, der die Kunden in Sonderverträgen mit Nachtstrom versorgt, hat mitgeteilt, dass keine schriftlichen Verträge existieren und das Vertragsverhältnis auf Grundlage der (damaligen) AVBElt zustande kam. Alle Nachtstromverträge wurden zum 31.12.08 gekündigt. Begründung des Versorgers auf den Einwand der Unzulässigkeit der Kündigung :
\"Grundsätzlich verweisen wir in unseren Vertragsbedingungen, auch in denen unserer Sonderverträge, auf die Anwendbarkeit der AVB/GVV. Selbst wenn dieser Verweis einmal unterblieben wäre, stünde uns dennoch unter Zugrundelegen allgemeiner Rechtsgrundsätze (Privatautonomie) ein Kündigungsrecht zu. Beschränkt werden könnte das Kündigungsrecht allenfalls durch vertragliche oder gesetzliche Bestimmungen. Da vorliegend aber weder gesetzliche noch vertragliche Regelungen der Kündigung entgegenstehen, ist die von uns ausgesprochene Kündigung wirksam.\"
RR-E-ft:
@Christian Guhl
Hier bitte keine konkreten Fälle diskutieren.
Wenn das Vertragsverhältnis tatsächlich auf der Grundlage der AVBEltV zustande gekommen wäre, so kann es sich dabei wegen § 1 AVBEltV nur um Tarifkundenverträge gehandelt haben. Der Vertrag wäre dabei gem. § 2 Abs. 2 AVBEltV allein durch die Entnahme von Elektrizität aus dem Netz zustande gekommen.
Diese Tarifkunden wären bei der Belieferung als Haushaltskunden gem. § 3 Nr. 22 EnWG in die neue Grundversorgung gem. § 36 Abs. 1 EnWG übergegangen, so dass eine Kündigung des Grundversorgers wegen § 20 Abs. 1 Satz 3 StromGVV unzulässig wäre.
Gegenüber Nichthaushaltskunden, die bis zum Inkrafttreten des EnWG 2005 Tarifkunden waren, wäre die Kündigung ebenfalls unzulässig, weil diesen gegenüber gem. § 116 EnWG die gesetzliche Versorgungspflicht aus § 10 Abs. 1 EnWG 1998 weiter fortbesteht, so dass der Versorger deshalb nicht zur ordnungsgemäßen Kündigung berechtigt ist. Diese Kunden wäre heute immer noch Tarifkunden im Sinne des § 10 Abs. 1 EnWG 1998.
Deshalb kann die Argumentation des Versorgers nicht passen.
Wenn man sich der daraus ergebenden Konsequenzen für einseitige Preisänderungen bewusst ist, kann man als Kunde also geltend machen, dass man Tarifkunde gewesen sei, ein Sondervertrag nicht abgeschlossen wurde, die Kündigung entweder wegen § 20 Abs. 1 Satz 3 StromGVV oder wegen § 116 EnWG iVm. § 10 Abs. 1 EnWG 1998 unzulässig und unwirksam sei, was man im Wege einer Feststellungsklage gerichtlich feststellen lassen könnte.
Merke:
Immer dann, wenn eine gesetzliche Versorgungspflicht besteht und die Belieferung des Kunden zu den Allgemeinen Tarifen/ Preisen des Versorgers aufgrund dieser gesetzlichen Versorgungspflicht erfolgt, ist das ordentliche Kündigungsrecht des Versorgers ausgeschlossen. Denn ein solches liefe der gesetzlichen Versorgungspflicht zuwider.
ESG-Rebell:
Eine wesentliche Frage ist aber immer noch nicht beantwortet:
Wie kann ein Versorger sich aus einem Sondervertrag lösen, der ihm kein ordentliches Kündigungsrecht ausdrücklich einräumt?
Aus dem zitierten § 309 Nr. 9 BGB geht klar hervor, dass AGB (eines Versorgers) unzulässig sind, die den anderen Vertragsteil (Kunden) länger als zwei Jahre binden. Einen Schutz für den Klauselverwender kann ich daraus nicht erkennen. Andernfalls hätte der Satz wohl lauten müssen: ... die einen der Vertragsteile länger als zwei Jahre binden.
Bleiben noch folgende Argumente:
Der Versorger kann nun argumentieren, durch das fehlende Kündigungsrecht sei die Fortführung des Vertrags für ihn unzumutbar und ihm müsse im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung ein ordentliches Kündigungsrecht - wenn schon kein Preisanpassungsrecht - eingeräumt werden.
oder die von Christian Guhl zitierte Erwiderung:
\"Selbst wenn der Verweis [auf die GVV] einmal unterblieben wäre, stünde uns dennoch unter Zugrundelegen allgemeiner Rechtsgrundsätze (Privatautonomie) ein Kündigungsrecht zu. Beschränkt werden könnte das Kündigungsrecht allenfalls durch vertragliche oder gesetzliche Bestimmungen. Da vorliegend aber weder gesetzliche noch vertragliche Regelungen der Kündigung entgegenstehen, ist die von uns ausgesprochene Kündigung wirksam.\"
Der Versorger argumentiert hier also, dass sich schon aus dem Fehlen einer entgegenstehenden Regelung ein Kündigungsrecht ableiten ließe.
Davon abgesehen hat sich der Versorger mit dem Verweis auf die AVB/GVV natürlich selbst ein Bein gestellt, weil diese - wie korrekt dargestellt - dem Versorger ja eben kein Kündigungsrecht einräumen.
Gruss,
ESG-Rebell.
RR-E-ft:
@ESG-Rebell
Die AGB- rechtlichen Vorschriften der §§ 305 BGB dienen nicht dem Schutz des Klauselverwenders, sondern dem Schutz seines Vertragspartners.
Es bedarf keiner ergänzenden Vertragsauslegung zu Gunsten des Lieferanten in Bezug auf ein Kündigungsrecht:
Dieser ist über die §§ 313, 314 BGB hinreichend für den Fall geschützt, dass ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unvorhersehbar wirtschaftlich unzumutbar wird, etwa deshalb weil seine Kosten sich nachträglich erhöhen, er jedoch zu einer Preiserhöhung vertraglich nicht berechtigt ist, sei es weil gar kein Preisänderungsrecht vereinbart wurde, sei es dass ein vereinbartes Preisänderungsrecht wegen § 307 BGB unwirksam ist.
Der sog. Wegfall der Geschäftsgrundlage kann bei Dauerschuldverhältnissen wie einem Bezugsvertrag ein außerordentliches Kündigungsrecht begründen. Wer sich auf ein solches beruft, hat das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nachzuweisen.
Bei Unwirksamkeit einer AGB- Preisänderungsklausel kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Bezug auf diese nicht in Betracht, wenn dem Versorger ein kurzfristig auzuübendes Recht zur ordnungsgemäßen Kündigung vertraglich eingeräumt wurde (vgl. BGH, Urt. v. 29.04.2008 KZR 2/07 und BGH, Urt. v. 17.12.2008 VIII ZR 274/06).
ESG-Rebell:
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Dieser ist über die §§ 313, 314 BGB hinreichend für den Fall geschützt, dass ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unvorhersehbar wirtschaftlich unzumutbar wird, etwa deshalb weil seine Kosten sich nachträglich erhöhen, er jedoch zu einer Preiserhöhung vertraglich nicht berechtigt ist, sei es weil gar kein Preisänderungsrecht vereinbart wurde, sei es dass ein vereinbartes Preisänderungsrecht wegen § 307 BGB unwirksam ist.
--- Ende Zitat ---
Daraus folgt meines Erachtens, dass die einseitigen Kündigungen von Sonderverträgen, die weder ein Preisanpassungsrecht noch ein ordentliches Kündigungsrecht für den Versorger enthalten, auch ohne Zustimmung des Kunden wirksam geworden sein können.
Die Versorger wollen ihre Bezugspreise und Gewinnmargen ja nicht offenlegen. Erhöhungsbeträge ihrer Bezugspreise geben sie jedoch an, um ihre Preisanhebungen zu begründen. Somit könnten sie argumentieren, die Übernahme dieser Bezugskostensteigerungen ohne die Möglichkeit der Weitergabe an den Kunden sei unzumutbar und eine einseitige Kündigung gemäß §314 BGB daher zulässig.
Es gibt noch zahlreiche Kunden, die einen neuen Sondervertrag nicht annehmen wollten und einseitig in die Grundversorgung desselben Versorgers gekündigt worden sind. Sollte der Versorger mit der obigen Argumentation durchdringen, so befänden sich die betroffenen Kunden - gegen ihren Willen - bereits in der Grundversorgung.
Schlimmstenfalls könnte für diese Kunden folgende Situation eintreten:
[list=1]
[*]Der Versorger kündigt einen bestehenden Sondervertrag einseitig.
[*]Der Versorger rechnet fleißig Jahr für Jahr nach den allgemeinen Tarifen ab.
[*]Der Kunde erhält seinen Unbilligkeitseinwand aufrecht und zahlt nicht oder nur gekürzt unter Vorbehalt.
[*]Der Versorger wartet mit seiner Zahlungsklage bis kurz vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist.
[*]Der Fall landet vor dem Zivilsenat des BGH, der seine Marschrichtung noch dahingehend verschärft, dass er sogar denjenigen Kunden ein konkludentes Einverständnis mit dem Anfangspreis in der Grundversorgung unterstellt, die durch eine Änderungskündigung in diese gelangt sind und denen nur vom eigenen Grundversorger ein Sondervertrag angeboten wird.
[/list=1]Das wäre meines Erachtens eine ziemlich böse und unfäire Falle. Die Kunden würden regelrecht ins offene Messer laufen.
Konsequenterweise müssten die so betroffenen Kunden Klage zur Feststellung erheben, dass der Sondervertrag ungekündigt fortbesteht. Dann wird entweder dieses so festgestellt oder der Versorger wird Widerklage auf Zahlung der Kürzungsbeträge erheben. Nur Abwarten und Verklagen lassen wäre in dieser Situation folglich nicht die beste Strategie.
Gruss,
ESG-Rebell.
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