Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Gesetzliches Preisänderungsrecht gem. § 4 AVBV/ 5 GVV überhaupt wirksam? (EuGH- Vorlage)  (Gelesen 30845 mal)

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Offline RR-E-ft

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Der BGH hat zwischenzeitlich viele weitere Verfahren gem. § 148 ZPO analog ausgesetzt.
Auch in den Instanzen wurden viele Verfahren mit gleicher Begründung ausgesetzt.

Vor dem EuGH fand nun am 27.02.14 die mündliche Verhandlung statt.
Der BBH- Energieblog berichtet:

http://www.derenergieblog.de/alle-themen/uncategorized/eugh-verhandelt-ueber-die-wirksamkeit-des-preisanpassungsrechts-in-den-grundversorgungsverordnungen/#more-14989

Die Schlussanträge des Generalanwalt sollen bis zum 08.05.14 gestellt werden.
Ein Datum für die Verkündung einer Entscheidung ist noch nicht bekannt.

« Letzte Änderung: 05. März 2014, 15:05:03 von RR-E-ft »

Offline RR-E-ft

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Die Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in den verbundenen Rechtssachen C-359/11 und C-400/11 sind beim EuGH auf den 08.05.14 um 9.30 Uhr terminiert:

http://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo1_6581/?dateDebut=8/05/2014&dateFin=8/05/2014

Offline RR-E-ft

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Die Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 08.05.14 zu den EuGH Rechtssachen C-359/11 und C-400/11 sind veröffentlicht:

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=151971&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=454302

Zitat
  Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Bei richtiger Auslegung von Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG und von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG ist den in diesen Bestimmungen niedergelegten Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz nicht Genüge getan, wenn nach einer nationalen gesetzlichen Regelung über Preisänderungen in den Fällen, in denen Haushaltskunden im Rahmen eines Grundversorgungsvertrags mit Strom oder Gas beliefert werden, die Versorgungsunternehmen nicht verpflichtet sind, dem Kunden Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung spätestens dann offenzulegen, wenn dem Kunden die Änderung mitgeteilt wird.

Die Auslegung der vorgenannten Bestimmungen entfaltet erst an dem Tag Wirkungen, an dem der Gerichtshof sein Urteil in den vorliegenden Rechtssachen verkündet.
« Letzte Änderung: 08. Mai 2014, 16:17:31 von RR-E-ft »

Offline RR-E-ft

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Erste Diskussionsansätze zu den Schlussanträgen finden sich hier:

http://forum.energienetz.de/index.php?topic=18993.0

Offline EviSell

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Mandantenrundschreiben der Kanzlei Gersemann & Kollegen zu den Schlussanträgen beim EuGH
http://www.gersemann.de/fileadmin/user_upload/pdf/Mai_2014_Preisanpassungsbestimmungen.pdf
„Zwei Wahrheiten können sich nie widersprechen.“ - Galileo Galilei

„Gutes kann niemals aus Lüge und Gewalt entstehen.“ - Mahatma Gandhi

Offline RR-E-ft

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EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11 und C- 400/11
« Antwort #22 am: 23. Oktober 2014, 12:10:14 »
Das Urteil  vom 23.10.14 ist veröffentlicht:

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=158842&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=93692

Zitat
Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG und Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die den Inhalt von unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträgen über Strom- und Gaslieferungen bestimmt und die Möglichkeit vorsieht, den Tarif dieser Lieferungen zu ändern, aber nicht gewährleistet, dass die Verbraucher rechtzeitig vor Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden.

Nach Auffassung der Kammer waren die Wirkungen des Urteils zeitlich nicht zu begrenzen.

Die gesetzlichen Regelungen über das Preisänderungsrecht hinsichtlich der Allgemeinen Tarife bzw. Allgemeinen Preise der Grund- und Ersatzversorgung verstoßen deshalb seit Ablauf der Umsetzungsfrist der entscheidungserheblichen EU- Richtlinien in 2004 gegen EU- Recht und sind infolgedessen unwirksam.

Für einseitige Preisänderungen der Energieversorger fehlt es in diesem Bereich mithin seit 2004 (seit über 10 Jahren!) an einer wirksamen Rechtsgrundlage.

Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es zu keiner Preisneuvereinbarung, wenn der Energieversorger ohne wirksame Rechtsgrundlage die Preise einseitig ändert und der Kunde die Verbrauchsabrechnungen, mit denen der unwirksam einseitig erhöhte Preis zur Abrechnung gestellt wird, ohne der Preisänderung widersprochen zu haben vorbehaltlos bezahlt.

Fraglich ist nun, ob und ggf. welche ergänzende Vertragsauslgung der BGH findet.

Durch die Unwirksamkeit des Preisänderungsrechts wird in das Vertragsgefüge eine planwidrige Regelungslücke gerissen,
der sich der Versorger auch nicht durch eine ordnungsgemäße Kündigung entziehen kann.

Dabei könnte ggf. zu unterscheiden sein, zwischen Kunden, welche den einseitigen Preisänderungen widersprochen hatten und solchen,
welche diese über Jahre hinweg widerspruchslos hingenommen und vorbehaltlos bezahlt hatten.
Denn durch den bestehenden Kontrahierungszwang ist ein Kündigungsrecht für den Versorger regelmäßig ausgeschlossen,
vgl. nunmehr auch § 20 Abs. 1 Satz 2 StromGVV/ GasGVV.

Offline khh

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Re: EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11 und C- 400/11
« Antwort #23 am: 23. Oktober 2014, 13:04:17 »
[...]
Fraglich ist nun, ob und ggf. welche ergänzende Vertragsauslgung der BGH findet.

Durch die Unwirksamkeit des Preisänderungsrechts wird in das Vertragsgefüge eine planwidrige Regelungslücke gerissen, der sich der Versorger auch nicht durch eine ordnungsgemäße Kündigung entziehen kann.

Dabei könnte ggf. zu unterscheiden sein, zwischen Kunden, welche den einseitigen Preisänderungen widersprochen hatten und solchen, welche diese über Jahre hinweg widerspruchslos hingenommen und vorbehaltlos bezahlt hatten.
[...]

Ist den Grundversorgungskunden, die bisher widerspruchs- und vorbehaltlos gezahlt haben, zu empfehlen,
jetzt umgehend Widerspruch einzulegen gegen die Preiserhöhungen, welche in kürzlich zugegangenen bzw.
bis zum BGH-Urteil zugehenden Abrechnungen enthalten sind?

Falls ein Widerspruch anzuraten ist (eventuell auch gegen frühere Preiserhöhungen?), innerhalb welcher Frist nach Zugang der Verbrauchsabrechnung ist das möglich?

Erstellt der Bund der Energieverbraucher e.V. einen Musterbrief ?    
« Letzte Änderung: 23. Oktober 2014, 13:23:52 von khh »
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Rechtliche Beratung ist allein gesetzlich befugten Personen/Institutionen vorbehalten.

Offline energienetz

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Der Bund der Energieverbraucher e.V. wird seinen Mitgliedern kurzfristig einen Musterbrief zur Verfügung stellen, das ist selbstverständlich.
Siehe auch
http://www.energieverbraucher.de/de/News__1700/NewsDetail__15215/

Offline userD0010

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@alle
Und wie sollen sich die Energieverbraucher gegenüber ihrem Versorger verhalten, die in den vergangenen Jahren die Einrede der Billigkeit gegen die Preiserhöhungen angemeldet haben und zwischenzeitlich sich im Rechtsstreit mit ihren Versorgern über diese Kürzungen befinden?

Offline khh

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@h.terbeck,

wer als Grundversorgungskunde die Unbilligkeitseinrede bereits laufen hat und die zurückliegenden Preiserhöhungen nicht bezahlt, ist doch jetzt in einer komfortablen Situation und kann die weitere Entwicklung in Ruhe abwarten! :)  Zunächst steht noch das BGH-Urteil an und außerdem ist der Verordnungsgeber gefordert, eine europarechtskonforme Änderung der GVVen vorzunehmen.

Nur teilweise gelöst ist das häufig wohl gegebene Problem, dass Versorger behaupten, ein ursprünglich bestehendes Sondervertragsverhältnis form- und fristgerecht gekündigt zu haben und von einer anschließenden Grundversorgungsbelieferung ausgehen. Sollte ein SV tatsächlich wirksam beendet worden sein, dann gilt lt. BGH der Anfangspreis der GV bekanntlich als vereinbart. :(

Von Letzterem bin ich bei einem vor über 10 Jahren begonnenen Preisprotest auch betroffen und bestreite daher ergänzend schon seit einigen Jahren "hilfsweise" die Wirksamkeit des gesetzlichen Preisänderungsrechts gem. § 4 AVBEltV / § 5 StromGVV.

Gruß, khh
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Offline khh

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Ja, "Goldene Zeiten" für die Anwaltschaft  b e i d e r  Seiten !  ;)

Es sei denn, auch die Grundversorgungskunden "verschlafen" die Rückforderungsmöglichkeiten ebenso, wie im letzten Jahr wohl die Mehrzahl der betroffenen Sondervertragskunden nach den Urteilen des EuGH v. 21.03.2013 (C-92/11) und des BGH v. 31.07.2013 (VIII ZR 162/09)  -  [siehe u.a. mein Hinweis am 20.10.2014 im Unterforum 'Stadtwerke Hannover / enercity'] !?  :-\ 
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Offline RR-E-ft

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Preisänderungsrecht Grundversorgung
« Antwort #29 am: 23. Oktober 2014, 23:56:00 »
Das AG Lingen hat auch eine wirksame Einräumung eines einseitigen Preisänderungsrechts zugunsten des Gasgrundversorgers verneint und kommt mit umfassender Begründung zu dem Ergebnis, dass ein solches Recht auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung eingeräumt werden könne:

http://forum.energienetz.de/index.php/topic,19266.0.html

 

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