Argumentation u.a von Freshfields dagegen:
Aus Sicht der Klägerin besteht kein Anlass, das vorliegende Verfahren wegen der beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahren auszusetzen. Weder besteht eine Aussetzungspflicht (dazu 1.) noch ist eine Aussetzung auch nur angezeigt; denn es ermangelt an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis (dazu II.).
I. Keine Aussetzungspflicht der Kammer
Eine Pflicht der Kammer, den Rechtsstreit auszusetzen und den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens anzurufen, besteht nicht. Gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV iVm. § 148 ZPO bestünde eine solche Pflicht nur, wenn es sich bei der hier zu treffenden Entscheidung um eine solche handeln würde, die selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden könnte. Das ist nicht der Fall.
II. Kein vorgreifliches Rechtsverhältnis mangels Verstoßes von § 4 AVBGasV gegen europarechtliche Vorgaben
Nach § 148 ZPO könnte die Kammer den Rechtsstreit nur aussetzen, wenn eine Entscheidung ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängen würde, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet.
Diese Voraussetzungen liegen in dem hier betroffenen Rechtsstreit nicht vor, denn ein Verstoß von § 4 AVBGasV gegen europarechtliche Vorgaben ist fernliegend.
1. Kein Verstoß von § 4 AVBGasV gegen Art. 3 Abs. 3 RL 2003/55/EG
Gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Beschleunigungsrichtlinie Gas (RL 2003/55/EG) haben die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes zu ergreifen. Flankiert wird dieses Postulat durch Art. 3 Abs. 3 Satz 6 dieser Richtlinie, der klarstellt, dass solche Maßnahmen zumindest für Haushaltskunden die in Anhang A aufgeführten Maßnahmen einschließen.
Unter Anhang A der Beschleunigungsrichtlinie Gas kommt als Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit ein den Versorgungsunternehmen eingeräumtes einseitiges Preisanpassungsrecht — wie § 4 AVBGasV — den Richtlinienvorgaben entspricht, nur lit. b) in Betracht.
Lit. c) betrifft die jeweils geltenden Preise und Tarife, also gerade nicht Preisänderungen bzw. - anpassungen. Lit. d) scheidet von vornherein aus, da hier nur Zahlungsmodalitäten angesprochen sind.In lit. b) geht Anhang A der Beschleunigungsrichtlinie aber selbst von einem einseitigen Preisanpassungsrecht aus, das zum Zwecke eines effektiven Kunden-schutzes an ein von den Mitgliedstaaten einzuräumendes Rücktritts- bzw. Lösungsrecht gebunden ist. Ein wie auch immer geartetes Transparenzgebot im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung des einseitigen Preisanpassungsrechts enthält lit. b), der ausdrücklich die Problematik der einseitigen Gebührenerhöhung behandelt und somit schon gesetzessystematisch der einschlägige Regelungsort für weitergehende Anforderungen an die Transparenz von Preisanpassungsregelungen wäre, nicht.
Bestätigt wird diese Argumentation durch die Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 (im Folgenden: 3. Binnenmarktrichtlinie Gas), die bis zum 3.3.2011 von den Mitgliedstaaten umzusetzen war. Diese Richtlinie enthält einen Anhang 1, der inhaltlich Anhang A der Beschleunigungsrichtlinie Gas fortschreibt. Bemerkenswert ist dabei, dass Anhang 1 Abs. 1 lit. b) der 3. Binnenmarktrichtlinie Gas erstmalig das Erfordernis einer transparenten Gebührenerhöhung in den Richtlinientext aufgenommen hat.
Daraus ergibt sich zunächst, dass ein solches Transparenzgebot in der Beschleunigungsrichtlinie Gas nicht verankert war, und zwar weder in lit. b) noch in anderen Regelungspunkten, und somit auch nicht in die nationale Gesetzgebung einzufließen hatte. Wäre diese Transparenzvorgabe nämlich schon Bestandteil der Beschleunigungsrichtlinie Gas gewesen, so hätte gar kein Bedürfnis für eine (nochmalige) Aufnahme unter Anhang I lit. b) der 3. Binnenmarktrichtlinie Gas bestanden. Auch dieses, in die 3. Binnenmarktrichtlinie Gas neu aufgenommene Transparenzgebot bezieht sich allerdings nur auf die Bekanntmachung der Gebührenerhöhung, nicht auf die eine Gebührenanpassung ermöglichende Vertragsgrundlage.
Für den im hier streitgegenständlichen Zeitraum gültigen § 4 AVBGasV scheidet ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 RL 2003/55/EG daher zwingend aus.
2. Kein Verstoß von § 4 AVBGasV gegen die Klauselriehtlinie 93/13/EG
Ebenso wenig kommt ein Verstoß von § 4 AVBGasV gegen Bestimmungen der Richtlinie 93/13/EG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (sog. Klauselrichtlinie 93/13/EG) in Betracht. Diese Richtlinie, gewissermaßen das Pendant zum AGB-Recht der § 305 ff. BGB, bezieht sich auf Vertragsbestimmungen, nicht aber auf von Mitgliedsstaaten erlassene Rechtsvorschriften (siehe Art. 1 Abs. 2 Klauselrichtlinie).Zudem stellt die Klauselrichtlinie im Anhang unter 1) ausdrücklich klar, dass Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass„der Verkäufer einer Ware [...] den Preis zum Zeitpunkt der Lieferung festsetzen oder erhöhen kann, ohne daß der Verbraucher in beiden Fällen ein entsprechendes Recht hat, vom Vertrag zurückzutreten [..1\" für missbräuchlich erklärt werden können. Daraus folgt — argumentum e contrario —, dass all jene Klauseln, die zwar ein einseitiges Preisanpassungsrecht vorsehen, dem Verbraucher aber ein Rücktritts- bzw. Lösungsrecht einräumen, nicht als missbräuchlich im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Verbrauchervorschriften qualifiziert werden können. Einseitige Preisanpassungsrechte, denen per definitionem eine tatbestandliche Offenheit innewohnt und die deswegen einer Billigkeitskontrolle unterliegen, sind gemeinschaftsrechtlich also nicht automatisch unwirkam, sondern im Gegenteil grundsätzlich wirksam. Aus dem Anhang der Klauselrichtlinie 93/137EG ergibt sich in diesem Zusammenhang nur, dass solche Rechte mit einem Rücktritts- oder Kündigungsrecht verbunden sein müssen, um den Gestaltungsspielraum des Leistungsbestimmungsberechtigten zu kompensieren. Das Erfordernis einer Konkretisierung einseitiger Bestimmungsrechte hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang lässt sich gemeinschaftsrechtlich nicht begründen.Ist nach dem Gemeinschaftsrecht aber lediglich ein Rücktritts- bzw. Lösungsrecht Voraussetzung für die Wirksamkeit einseitiger Preisanpassungsrechte, dann kann von den die Richtlinie umsetzenden Mitgliedstaaten nicht ein „Mehr\" gefordert werden. Dass aber der deutsche Gesetzgeber das Preisanpassungsrecht der Gasversorgungsunternehmen mit einen Kündigungsrecht des Kunden verbunden hat, kann nicht bestritten werden. § 32 Abs. 2 AVBGasV räumt jedem Kunden fiir den Fall von Preisänderungen ein Sonderkündigungsrecht ein.
3. Hilfsweise: Ohnedies keinesfalls vollständiger Wegfall des Preisanpassungsrechts
Selbst wenn man entgegen der vorstehenden Argumente unterstellen wollte, dass die europarechtlichen Vorgaben eine Konkretisierung einseitiger Leistungsbestimmungsrechte hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang erforderten, würde diese Annahme nichts an dem Fehlen eines Aussetzungsgrundes ändern. Denn selbst eine — hier nur unterstellte — fehlende Richtlinienkonformität würde lediglich zu einer richtlinienkonformen Auslegung führen. Nach feststehender Rechtsprechung ist es allein von den nationalen Gerichten zu entscheiden, „welche Auswirkungen sich aus dem Unionsrecht für die Anwendung und Auslegung des in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden nationalen Rechts ergeben\" (siehe BGH, Beschluss vom 24.8.2010, EnVR 17/09 — OLG Dresden, Tz. 22). Da zu hat der BGH erst kürzlich in seinem Beschluss vom 24.8.2010 (EnVR 17/09 — OLG Dresden) expressis verbis hervorgehoben, dass„nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs die nationalen Gerichte aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV verpflichtet sind, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich an Wortlaut und Zweck einer Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen\" (BGH, aaO, Tz. 23).
In diesem Zusammenhang weist der BGH unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 26.11.2008 (BGHZ 179, 27, Tz. 21) weiter darauf hin, dass„der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung dabei nicht nur eine Umsetzung des Gemeinschaftsrechts im Wege einer Gesetzes-auslegung im engeren Sinne, also eine Rechtsfindung innerhalb der vom Wortlaut der nationalen Norm gesetzten Grenzen fordert\", sondern vielmehr darüber hinaus verlangt, \"das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden\" (BGH, aaO, Tz. 24).Die Rechtsprechung zwingt also zu einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung auch im Wege einer teleologischen Extension, also einer über den Wortlaut der Norm hinausreichenden Auslegung und somit einer bedingten Abweichung vom Gesetz, wenn dieses eine planwidrige Regelungslücke offenbart.Diese Notwendigkeit zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung würde, wenn man vorliegend eine Konkretisierung von § 4 AVBGasV aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen für notwendig halten wollte, dazu führen, dass ein Preisanpassungsrecht nur unter den so konkretisierten Bedingungen besteht. § 4 AVBGasV wäre also einschränkend dahin auszulegen, dass mit jeder auf § 4 AVBGasV gestützten Preisanpassung auch ein Sonderkündigungsrecht verbunden ist. Dagegen würde die richtlinienkonforme Auslegung von § 4 AVBGasV keinesfalls zu einem vollständigen Fortfall des mit dieser Bestimmung verbundenen Preisanpassungsrechts lehren.
Somit steht fest, dass es im hier zu entscheidenden Verfahren aus keinem denkbaren Grund auf die Vorlage-Entscheidung des EuGH ankommt.
Selbst wenn der EuGH eine hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang weitergehende Konkretisierung einseitiger Preisanpassungsrechte für notwendig halten sollte, wären diese Vorgaben im Wege richtlinienkonformer Rechtsfortbildung umzusetzen.
4. Bestätigung der hier vertretenen Rechtsauffassung durch Rechtsprechung des Kartellsenats des OLG Düsseldorf
Zum Beleg für die hier vertretene Rechtsauffassung berufen wir uns außerdem auf die Rechtsprechung des Kartellsenats des OLG Düsseldorf.
In seinem Urteil vom 13.4.2011 Az. VI-2 U (Kart) 3/09 verneint der 2. Kartellsenat des OLG Düsseldorf in einem ganz ähnlich gelagerten Rechtsfall die Relevanz der oben unter 1. und 2. beleuchteten europarechtlichen Vorgaben. Zur Begründung führt er folgendes aus:„Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist nach ihrem Artikel 1 Abs. 2 auf Rechtsvorschriften nicht anwendbar. Die Auffassung, bei funktionaler Betrachtung müssten die durch Rechtsvorschrift geregelten Versorgungsbedingungen einer Klauselkontrolle unterzogen werden (vgl. die Nachweise bei BGH, Beschluss vom 9.02.2001 — VIII ZR 162/09 — Rdnr. 25), teilt der Senat nicht. Wie aus Erwägungsgrund 13 zur Richtlinie hervorgeht, sollen die Rechtsvorschriften gerade nicht nach diesen Maßstäben überprüft werden.Auch die Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über Gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt steht § 4 Abs. 1 AVBGas und § 5 Abs. 2 GasGVV nicht entgegen. Zwar ist nach Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der — bis zum 1. Juli 2004 umzusetzenden (Art. 30 Abs. 1) — Richtlinie ein hoher Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, zu gewährleisten. Dies wird im Anhang A jedoch dahingehend konkretisiert, dass die Information über „geltende Preise und Tarife\" transparent sein müssen (lit. c)) und bei Änderung der Ver-tragsbedingungen, insbesondere Gebührenerhöhungen\" rechtzeitig mitzuteilen ist (vgl. auch BGH, a.a.O., Rdnr.33).\"
Zusammenfassung
Mangels Vorliegen der Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens möchten wir die Kammer bitten, dem Verfahren — wie ursprünglich geplant — Fortgang zu geben.