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Autor Thema: Gesetzliches Preisänderungsrecht gem. § 4 AVBV/ 5 GVV überhaupt wirksam? (EuGH- Vorlage)  (Gelesen 30846 mal)

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Offline RR-E-ft

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BGH, B. v. 18.05.11 VIII ZR 71/10

Die Beklagte bezieht von der Klägerin, einem Gasversorgungsunternehmen, als Tarifkundin im Haushalts-Tarif leitungsgebunden Erdgas für ihr Grundstück in B. .

Der dem Bezug zugrunde liegende Energielieferungsvertrag wurde 1991 zwischen der Beklagten und den Stadtwerken W. geschlossen, deren Aufgaben inzwischen die Klägerin übernommen hat.

 Bei Erwerb des Grundstücks vom Gemeindeverband Mittleres S. im Jahr 1990 hatte die Beklagte in dem notariellen Kaufvertrag versichert, dass sie die dort zu errichtenden Gebäude hauptsächlich mit Erdgas als Energieträger versorgen und den gesamten Bedarf an Gas zur Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser von den Stadtwerken W. beziehen werde.

In der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 1. Januar 2007 erhöhte die Klägerin den Arbeitspreis für das von ihr gelieferte Gas insgesamt vier Mal; am 1. April 2007 erfolgte eine Senkung des Arbeitspreises. Die Beklagte widersprach den auf die Preisänderungen folgenden Jahresabrechnungen der Jahre 2005, 2006 und 2007. Sie hält die Gaspreiserhöhungen der Klägerin für unbillig.

Die Klägerin beansprucht die Zahlung der aus den genannten Jahresabrechnungen noch offen stehenden Restbeträge. Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 2.733,12 € nebst Verzugszinsen und Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage stattgegeben.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter.

II.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Vorabentscheidungsverfahren von Interesse, ausgeführt:

Die Preiserhöhungen der Klägerin in den Jahren 2005 bis 2007 entsprächen der Billigkeit gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV in Verbindung mit § 315 Abs. 3 BGB, da sie im Wesentlichen auf gestiegene Bezugskosten zurückzuführen seien; ferner habe die Klägerin ihre gesunkenen Bezugskosten im April 2007 pflichtgemäß an die Kunden weitergereicht. Die gestiegenen Bezugskosten seien auch nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen worden.

III.

Die Entscheidung über den Zahlungsanspruch der Klägerin hängt von der Frage ab, ob bei einem Gasversorgungsvertrag, der von einem Gasversorgungsunternehmen mit einem Haushalts-Kunden im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht geschlossen worden ist (Tarifkundenvertrag), das in § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676 - AVBGasV) enthaltene gesetzliche Preisänderungsrecht wirksam ist.

Zur EuGH- Vorlage siehe hier

Diese Rechtsfrage betrifft sämtliche entsprechenden Zahlungsprozesse gegenüber grundversorgten Tarifkunden.

Will ein nationales Gericht letztinstanzlich  darüber entscheiden, muss es diese Rechtsfrage - ebenso wie der BGH-  dem EuGH von Amts wegen vorab vorlegen.

Zitat
Die Entscheidung über die Vorlagefrage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten.

Offline RR-E-ft

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BGH, B. v. 29.06.11 VIII ZR 211/10 EuGH- Vorlage: §§ 4 AVBEltV/ AVBGasV, 5 StromGVV/ GasGVV wirksam?

Beim Preisstreit von grundversorgten Tarifkunden Strom/ Gas stellt sich vor der Frage der Billigkeit die Frage nach der Berechtigung der Preisänderungen, also nach einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des Versorgers gem. § 315 Abs. 1 BGB, welches vertraglich nicht ausdrücklich vereinbart wurde.

Der BGH stützte ein solches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB bisher auf die gesetzlichen Vorschriften § 4 AVBGasV/ AVBEltV, § 5 GasGVV/ StromGVV.

Mit seinem Beschluss vom 29.06.11 VIII ZR 211/10 hat der BGH nun dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die genannten gesetzlichen Regelungen überhaupt mit EU- Recht vereinbar und wirksam sind.

Nach anderer Auffassung (Fricke, ZNER 15/2/2011, S. 130 ff.) besteht gegenüber grundversorgten Tarifkunden gem. §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht, deren Ausübung der unmittelbaren Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB unterliegt.

Für den § 4 AVBGasV gab es eine entsprechende Vorlage bereits mit BGH, B. v. 18.05.11 VIII ZR 71/10.

Soweit ersichtlich, setzen die Gerichte alle Verfahren, bei denen es streitentscheidend auf diese Frage ankommt, bis zur Entscheidung des EuGH aus.

Für Sonderabkommen, in welches die Bedingungen der AVBV/ GVV unverändert wirksam einbezogen wurden, stellt sich ebenfalls die Frage, ob damit ein wirksames Preisänderungsrecht eingeräumt wurde.

Diese Rechtsfrage wurde ebenfalls dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt:

BGH, B. v. 09.02.11  VIII ZR 162/09 - Vorlagenbeschluss EuGH

Diese soll die Rechtsfrage klären, ob bei rechtsgeschäftlich wirksamer Einbeziehung des unveränderten Verordnungstextes in Sonderabkommen überhaupt wirksam für den Versorger ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB  eingeräumt wird.

Offline RR-E-ft

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Rechtsauffassung von Versorgeranwälten zur Aussetzung anhängiger Verfahren gem. § 148 ZPO:

Die Voraussetzungen des § 148 ZPO liegen vor. Das Verfahren ist bis zu den Entscheidungen des EuGH über die Vorabentscheidungsersuchen des BGH in den Verfahren VIII ZR 162/09 sowie VIII ZR 71/10 auszusetzen.

A.   Aussetzungsvoraussetzungen

Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder nicht Bestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist.

Diese Voraussetzungen liegen vor, da der Bundesgerichtshof die auch in hiesigen Verfahren entscheidungserhebliche Frage nach der Vereinbarkeit der streitgegenständlichen Klausel bzw. der streitgegenständlichen Regelung der AVBGasV mit europäischen Recht dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.Sollte der EuGH — wie diesseits erwartet — zu dem Schluss kommen, dass sowohl die von der Beklagten verwendete Klausel als auch die gesetzliche Regelung für die Preisanpassung in der AVBGasV wirksam ist, dürfte die Klage unbegründet sein.

Im Einzelnen:

I.   Gegenstand des Verfahrens

Die Kläger begehren die Feststellung, dass sie sowohl in den Sondervertrags- als auch in den Grundversorgungsverhältnissen nicht verpflichtet sind, Preise über einen höheren Preisstand als dem 01.09.2004 hinaus zu bezahlen. Teilweise machen die Kläger auch Rückforderungsansprüche geltend.

In beiden Konstellationen geht es um die Frage, ob die in Sondervertragsverhältnissen verwendete Preisanpassungsklausel auf Grund mangelnder Transparenz eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 BGB darstellt und daher unwirksam ist, Im Bereich der Grundversorgung geht es auch um die Wirksamkeit von § 4 Abs. 2 AVBGasV und der auf diese Norm gestützten Preisanpassungen.

Die Klage betrifft zum überwiegenden Teil den Zeitraum bis zum 31. März 2007. Die in diesem Zeitraum geltenden Verträge sahen eine Preisanpassung vor, die der Regelung des § 4 Abs. 1 und Abs. 2 AVBGasV, jetzt § 5 Abs. 2 GasGVV entsprach. Bei Tarifkunden fanden diese Vorschriften direkte Anwendung.

II.   Gegenstand der Parallelverfahren vor dein BGH und Vorabentscheidung

In den am BGH geführten Verfahren geht es ebenfalls um die Wirksamkeit von mittels Einbeziehung des § 4 Abs. 2 AVBGasV in Sondervertragsverhältnisse vereinbarten Preisanpassungsrechten bzw. um die Wirksamkeit von Preisanpassungen in Grundversorgungsverhältnissen, in denen § 4 Abs. 2 AVBGasV direkte Anwendung fand. Der BGH hat die Verfahren ausgesetzt, um die Sachen gemäß Art. 267 AEUV (ex-Art. 234 EGV) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

BGH, Beschluss vom 09.02.2011, Az: VIII ZR 162/09; Beschluss vom 18.05.2011, Az: VIII ZR 71/10

Hierbei geht der BGH zum einen davon aus, dass die dem EuGH vorgelegte Klausel wirksam ist und insbesondere nicht gegen das in § 307 BGB enthaltene Transparenzverbot verstößt (vgl. BGH Urteil vom 14. Juli 2010, Az.: VIII ZR 246/08].

Zum anderen ergibt sich nach der ständigen Rechtsprechung des BGH bei Tarifkunden das Preisanpassungsrecht des Versorgungsunternehmens direkt aus § 4 Abs. 2 AVBGasV bzw. aus der Nachfolgevorschrift des § 5 Abs. 2 GasGVV. BGH, NJW 2007, 2540, 2541; NJW 2009, 502, 504; zuletzt BGH, Urteil vom 15.07.2009, Az.: VIII ZR 225/07 Die Vorlagen dienen der Klärung der Frage, ob die Auffassung des Senats jeweils im Einklang mit den Anforderungen steht, die Art. 3 und 5 der Klausel-Richtlinie (93/13/EWG) und Art. 3 Abs. 3 der Gas-Richtlinie (2003/55/EG) an eine klare und verständliche Abfassung von Vertragsklauseln und an das erforderliche Maß an Transparenz einer nationalen gesetzlichen Regelung über Preisänderungen in Energielieferverträgen stellen. Bezüglich der Klausel-Richtlinie ist vorab zu klären, ob diese überhaupt vertragliche Vereinbarungen erfasst, die inhaltlich mit Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten übereinstimmen.

III. Vorgreillichkeit der Entscheidung

Die Vorlagefragen des BGH sind für das vorliegende Verfahren vorgreiflich, da die Entscheidung über die Wirksamkeit der Einbeziehung des § 4 Abs. 2 AVBGasV sowie über die Wirksamkeit der Norm selbst auch für das vorliegende Verfahren entscheidungserheblich ist (1.) und einer Entscheidung des EuGH präjudizielle Bindungswirkung zukommt (2.).

1.   Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage

Im Rahmen der Vorlagebeschlüsse geht es um die Frage, ob die entscheidungserhebliche Klausel bei der Verwendung in Verbraucherverträgen wirksam ist sowie darum, ob aus § 4 Abs. 2 AVBGasV in zulässiger Weise ein Preisanpassungsrecht hergeleitet werden kann. Sollte somit die dem EuGH vorgelegten Fragen dahingehend beantwor¬tet werden, dass die Verwendung der entscheidungserheblichen Klausel in AGB gegenüber Sondervertragskunden zulässig war und aus § 4 Abs. 2 AVBGasV ein Preis- anpassungsrecht gegenüber Tarifkunden folgte, dürfte die Klage als unbegründet abzuweisen sein.

2.   Präjudizielle Bindungswirkung

Zwar entfaltet ein Auslegungsurteil des EuGH für andere Gerichte nur eine eingeschränkte erga-onmes-Wirkung, allerdings erläutert ein Vorabentscheidungsurteil, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite eine Gemeinschaftsvorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Die Gerichte müssen die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf andere Rechtsverhältnisse und Rechtsstreitigkeiten anwenden (Karpenstein, in Grabitzeilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. Aufl. 2009, EGV Art. 234 Rn. 96).\"Vorabentscheidungen des EuGH zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts mögen zwar außerhalb des Ausgangsrechtsstreits rechtlich keine unmittelbare Bindungswirkung , insbesondere keine materielle Rechtskraft i.S. der §§ 322, 325 ZPO entfalten, nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur stellen sie jedoch [ ...] auf Grund ihrer „Leitfunktion für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts\" über den Einzelfall hinaus eine „tatsächlich rechtsbildende Kraft\" dar, so daß im Ergebnis von einer tatsächlichen Bindungswirkung der Auslegungsurteile des EuGH auszugehen ist.\" (BPatG, GRUR 2002, 734).

Auch das Saarländische Oberlandesgericht teilt diese Auffassung:\"Aus der Verpflichtung zur Befolgung des Gemeinschaftsrechts ergibt sich aber mittelbar eine Präjudizwirkung dieser Urteile mit der Folge, dass innerstaatliche Gerichte von einer Auslegung nicht abweichen  dürfen, die der EuGH einer bestimmten gemeinschaftsrechtlichen Rechtsnorm gegeben hat. Mithin können auch innerstaatliche Gerichte, die von der Vorlagemöglichkeit keinen Gebrauch machen, das Gemeinschaftsrecht nicht abweichend vom EuGH auslegen.\" (Saarländisches OLG, Beschluss v. 23.05.2001, OLGR 2001, 408 ff).

An die Entscheidung des EuGH wären auch alle anderen Gerichte, die mit der Frage nach der Wirksamkeit eines einseitigen Preisanpassungsrechtes durch Einbeziehung oder direkte Geltung der AVBGasV befasst sind, gebunden, um die Richtlinie in der vom EuGH vorgegebenen Auslegung zur Anwendung zu bringen.

IV. Gebundene Entscheidung

Die im Ermessen des Gerichts stehende Frage nach der Aussetzung des Verfahrens ist vorliegend reduziert, da die Voraussetzungen einer Sachentscheidung nicht geklärt werden können.

Vgl. Zöller/Greger, 27. Auflage (2009), § 148, Rn. 7.

Das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs hängt in Sondervertragsverhältnissen von der Wirksamkeit der seitens der Beklagten verwendeten und nun dem EuGH vorgelegten Klausel ab. Auch im Tarifkundenbereich kommt es entscheidend darauf an, ob Preisanpassungen auf die Normen der AVBGasV gestützt werden konnten. Sollte der EuGH erwartungsgemäß die Wirksamkeit der Klausel in Sondervertragsverhältnissen sowie der Regelung des § 4 Abs. 2 AVBGasV im Bereich der Grundversorgung beststätigen, wäre die Beklagte zu Preisanpassungen gegenüber allen Klägern berechtigt gewesen.

Offline chilihead

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... na, das ist doch endlich einmal ein verständliches und für jedermann sich sofort erschliessendes Schriftstück!

Wahnsinn, kann bei so etwas selbst ein Rechtsgelehrter noch durchblicken?

Offline RR-E-ft

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Unter anderem Clifford Chance geben eine Argumentation dafür ab, warum bei Gerichten derzeit anhängige Verfahren, welche die Wirksamkeit eines Preisänderungsrechts und die Billigkeit der einseitig geänderten Preise betreffen, bis zu den entsprechenden Entscheidungen des EuGH gem. § 148 ZPO auszusetzen sind, nach ihrer Auffassung ausgesetzt werden müssen.

Diese Frage tritt in der gerichtlichen Praxis derzeit landauf und landab auf.

Offline tangocharly

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Also nach meinen Erfahrungen erfolgt von dort noch ein achtsam mehrseitiges Bombardement - dagegen.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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Argumentation u.a von Freshfields dagegen:

Aus Sicht der Klägerin besteht kein Anlass, das vorliegende Verfahren wegen der beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahren auszusetzen. Weder besteht eine Aussetzungspflicht (dazu 1.) noch ist eine Aussetzung auch nur angezeigt; denn es ermangelt an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis (dazu II.).

I.   Keine Aussetzungspflicht der Kammer

Eine Pflicht der Kammer, den Rechtsstreit auszusetzen und den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens anzurufen, besteht nicht. Gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV iVm. § 148 ZPO bestünde eine solche Pflicht nur, wenn es sich bei der hier zu treffenden Entscheidung um eine solche handeln würde, die selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden könnte. Das ist nicht der Fall.

II. Kein vorgreifliches Rechtsverhältnis mangels Verstoßes von § 4 AVBGasV gegen europarechtliche Vorgaben

Nach § 148 ZPO könnte die Kammer den Rechtsstreit nur aussetzen, wenn eine Entscheidung ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängen würde, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet.

Diese Voraussetzungen liegen in dem hier betroffenen Rechtsstreit nicht vor, denn ein Verstoß von § 4 AVBGasV gegen europarechtliche Vorgaben ist fernliegend.

1.   Kein Verstoß von § 4 AVBGasV gegen Art. 3 Abs. 3 RL 2003/55/EG

Gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Beschleunigungsrichtlinie Gas (RL 2003/55/EG) haben die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes zu ergreifen. Flankiert wird dieses Postulat durch Art. 3 Abs. 3 Satz 6 dieser Richtlinie, der klarstellt, dass solche Maßnahmen zumindest für Haushaltskunden die in Anhang A aufgeführten Maßnahmen einschließen.

Unter Anhang A der Beschleunigungsrichtlinie Gas kommt als Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit ein den Versorgungsunternehmen eingeräumtes einseitiges Preisanpassungsrecht — wie § 4 AVBGasV — den Richtlinienvorgaben entspricht, nur lit. b) in Betracht.

Lit. c) betrifft die jeweils geltenden Preise und Tarife, also gerade nicht Preisänderungen bzw. - anpassungen. Lit. d) scheidet von vornherein aus, da hier nur Zahlungsmodalitäten angesprochen sind.In lit. b) geht Anhang A der Beschleunigungsrichtlinie aber selbst von einem einseitigen Preisanpassungsrecht aus, das zum Zwecke eines effektiven Kunden-schutzes an ein von den Mitgliedstaaten einzuräumendes Rücktritts- bzw. Lösungsrecht gebunden ist. Ein wie auch immer geartetes Transparenzgebot im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung des einseitigen Preisanpassungsrechts enthält lit. b), der ausdrücklich die Problematik der einseitigen Gebührenerhöhung behandelt und somit schon gesetzessystematisch der einschlägige Regelungsort für weitergehende Anforderungen an die Transparenz von Preisanpassungsregelungen wäre, nicht.

Bestätigt wird diese Argumentation durch die Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 (im Folgenden: 3. Binnenmarktrichtlinie Gas), die bis zum 3.3.2011 von den Mitgliedstaaten umzusetzen war. Diese Richtlinie enthält einen Anhang 1, der inhaltlich Anhang A der Beschleunigungsrichtlinie Gas fortschreibt. Bemerkenswert ist dabei, dass Anhang 1 Abs. 1 lit. b) der 3. Binnenmarktrichtlinie Gas erstmalig das Erfordernis einer transparenten Gebührenerhöhung in den Richtlinientext aufgenommen hat.

Daraus ergibt sich zunächst, dass ein solches Transparenzgebot in der Beschleunigungsrichtlinie Gas nicht verankert war, und zwar weder in lit. b) noch in anderen Regelungspunkten, und somit auch nicht in die nationale Gesetzgebung einzufließen hatte. Wäre diese Transparenzvorgabe nämlich schon Bestandteil der Beschleunigungsrichtlinie Gas gewesen, so hätte gar kein Bedürfnis für eine (nochmalige) Aufnahme unter Anhang I lit. b) der 3. Binnenmarktrichtlinie Gas bestanden. Auch dieses, in die 3. Binnenmarktrichtlinie Gas neu aufgenommene Transparenzgebot bezieht sich allerdings nur auf die Bekanntmachung der Gebührenerhöhung, nicht auf die eine Gebührenanpassung ermöglichende Vertragsgrundlage.

Für den im hier streitgegenständlichen Zeitraum gültigen § 4 AVBGasV scheidet ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 RL 2003/55/EG daher zwingend aus.

2. Kein Verstoß von § 4 AVBGasV gegen die Klauselriehtlinie 93/13/EG

Ebenso wenig kommt ein Verstoß von § 4 AVBGasV gegen Bestimmungen der Richtlinie 93/13/EG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (sog. Klauselrichtlinie 93/13/EG) in Betracht. Diese Richtlinie, gewissermaßen das Pendant zum AGB-Recht der § 305 ff. BGB, bezieht sich auf Vertragsbestimmungen, nicht aber auf von Mitgliedsstaaten erlassene Rechtsvorschriften (siehe Art. 1 Abs. 2 Klauselrichtlinie).Zudem stellt die Klauselrichtlinie im Anhang unter 1) ausdrücklich klar, dass Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass„der Verkäufer einer Ware [...] den Preis zum Zeitpunkt der Lieferung festsetzen oder erhöhen kann, ohne daß der Verbraucher in beiden Fällen ein entsprechendes Recht hat, vom Vertrag zurückzutreten [..1\" für missbräuchlich erklärt werden können. Daraus folgt — argumentum e contrario —, dass all jene Klauseln, die zwar ein einseitiges Preisanpassungsrecht vorsehen, dem Verbraucher aber ein Rücktritts- bzw. Lösungsrecht einräumen, nicht als missbräuchlich im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Verbrauchervorschriften qualifiziert werden können. Einseitige Preisanpassungsrechte, denen per definitionem eine tatbestandliche Offenheit innewohnt und die deswegen einer Billigkeitskontrolle unterliegen, sind gemeinschaftsrechtlich also nicht automatisch unwirkam, sondern im Gegenteil grundsätzlich wirksam. Aus dem Anhang der Klauselrichtlinie 93/137EG ergibt sich in diesem Zusammenhang nur, dass solche Rechte mit einem Rücktritts- oder Kündigungsrecht verbunden sein müssen, um den Gestaltungsspielraum des Leistungsbestimmungsberechtigten zu kompensieren. Das Erfordernis einer Konkretisierung einseitiger Bestimmungsrechte hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang lässt sich gemeinschaftsrechtlich nicht begründen.Ist nach dem Gemeinschaftsrecht aber lediglich ein Rücktritts- bzw. Lösungsrecht Voraussetzung für die Wirksamkeit einseitiger Preisanpassungsrechte, dann kann von den die Richtlinie umsetzenden Mitgliedstaaten nicht ein „Mehr\" gefordert werden. Dass aber der deutsche Gesetzgeber das Preisanpassungsrecht der Gasversorgungsunternehmen mit einen Kündigungsrecht des Kunden verbunden hat, kann nicht bestritten werden. § 32 Abs. 2 AVBGasV räumt jedem Kunden fiir den Fall von Preisänderungen ein Sonderkündigungsrecht ein.

3.   Hilfsweise: Ohnedies keinesfalls vollständiger Wegfall des Preisanpassungsrechts

Selbst wenn man entgegen der vorstehenden Argumente unterstellen wollte, dass die europarechtlichen Vorgaben eine Konkretisierung einseitiger Leistungsbestimmungsrechte hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang erforderten, würde diese Annahme nichts an dem Fehlen eines Aussetzungsgrundes ändern. Denn selbst eine — hier nur unterstellte — fehlende Richtlinienkonformität würde lediglich zu einer richtlinienkonformen Auslegung führen. Nach feststehender Rechtsprechung ist es allein von den nationalen Gerichten zu entscheiden, „welche Auswirkungen sich aus dem Unionsrecht für die Anwendung und Auslegung des in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden nationalen Rechts ergeben\" (siehe BGH, Beschluss vom 24.8.2010, EnVR 17/09 — OLG Dresden, Tz. 22). Da  zu hat der BGH erst kürzlich in seinem Beschluss vom 24.8.2010 (EnVR 17/09 — OLG Dresden) expressis verbis hervorgehoben, dass„nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs die nationalen Gerichte aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV verpflichtet sind, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich an Wortlaut und Zweck einer Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen\" (BGH, aaO, Tz. 23).

In diesem Zusammenhang weist der BGH unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 26.11.2008 (BGHZ 179, 27, Tz. 21) weiter darauf hin, dass„der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung dabei nicht nur eine Umsetzung des Gemeinschaftsrechts im Wege einer Gesetzes-auslegung im engeren Sinne, also eine Rechtsfindung innerhalb der vom Wortlaut der nationalen Norm gesetzten Grenzen fordert\", sondern vielmehr darüber hinaus verlangt, \"das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden\" (BGH, aaO, Tz. 24).Die Rechtsprechung zwingt also zu einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung auch im Wege einer teleologischen Extension, also einer über den Wortlaut der Norm hinausreichenden Auslegung und somit einer bedingten Abweichung vom Gesetz, wenn dieses eine planwidrige Regelungslücke offenbart.Diese Notwendigkeit zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung würde, wenn man vorliegend eine Konkretisierung von § 4 AVBGasV aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen für notwendig halten wollte, dazu führen, dass ein Preisanpassungsrecht nur unter den so konkretisierten Bedingungen besteht. § 4 AVBGasV wäre also einschränkend dahin auszulegen, dass mit jeder auf § 4 AVBGasV gestützten Preisanpassung auch ein Sonderkündigungsrecht verbunden ist. Dagegen würde die richtlinienkonforme Auslegung von § 4 AVBGasV keinesfalls zu einem vollständigen Fortfall des mit dieser Bestimmung verbundenen Preisanpassungsrechts lehren.

Somit steht fest, dass es im hier zu entscheidenden Verfahren aus keinem denkbaren Grund auf die Vorlage-Entscheidung des EuGH ankommt.

Selbst wenn der EuGH eine hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang weitergehende Konkretisierung einseitiger Preisanpassungsrechte für notwendig halten sollte, wären diese Vorgaben im Wege richtlinienkonformer Rechtsfortbildung umzusetzen.

4.      Bestätigung der hier vertretenen Rechtsauffassung durch Rechtsprechung des Kartellsenats des OLG Düsseldorf

Zum Beleg für die hier vertretene Rechtsauffassung berufen wir uns außerdem auf die Rechtsprechung des Kartellsenats des OLG Düsseldorf.

In seinem Urteil vom 13.4.2011 Az. VI-2 U (Kart) 3/09  verneint der 2. Kartellsenat des OLG Düsseldorf in einem ganz ähnlich gelagerten Rechtsfall die Relevanz der oben unter 1. und 2. beleuchteten europarechtlichen Vorgaben. Zur Begründung führt er folgendes aus:„Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist nach ihrem Artikel 1 Abs. 2 auf Rechtsvorschriften nicht anwendbar. Die Auffassung, bei funktionaler Betrachtung müssten die durch Rechtsvorschrift geregelten Versorgungsbedingungen einer Klauselkontrolle unterzogen werden (vgl. die Nachweise bei BGH, Beschluss vom 9.02.2001 — VIII ZR 162/09 — Rdnr. 25), teilt der Senat nicht. Wie aus Erwägungsgrund 13 zur Richtlinie hervorgeht, sollen die Rechtsvorschriften gerade nicht nach diesen Maßstäben überprüft werden.Auch die Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über Gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt steht § 4 Abs. 1 AVBGas und § 5 Abs. 2 GasGVV nicht entgegen. Zwar ist nach Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der — bis zum 1. Juli 2004 umzusetzenden (Art. 30 Abs. 1) — Richtlinie ein hoher Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, zu gewährleisten. Dies wird im Anhang A jedoch dahingehend konkretisiert, dass die Information über „geltende Preise und Tarife\" transparent sein müssen (lit. c)) und bei Änderung der Ver-tragsbedingungen, insbesondere Gebührenerhöhungen\" rechtzeitig mitzuteilen ist (vgl. auch BGH, a.a.O., Rdnr.33).\"

Zusammenfassung

Mangels Vorliegen der Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens möchten wir die Kammer bitten, dem Verfahren — wie ursprünglich geplant — Fortgang zu geben.

Offline tangocharly

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Kollege Dr. T. et alt. haben immer noch nicht geblickt, im Gegensatz zum Ballsenat, dass das EuGH allein - und sonst niemand - die Entscheidungsprärogative über die Auslegung des europäischen Rechts hat.
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Offline RR-E-ft

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Siehe auch:

Anmerkung von Markert in ZNER 15/4/2011 S. 437 f.

Prof. Markert befasst sich in seiner Anmerkung umfassend auch mit der Frage, ob entsprechende Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH auszusetzen sind.

Offline RR-E-ft

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Zitat
Original von RR-E-ft

Vor einer gerichtlichen Billigkeitsprüfung steht die vorrangig zu entscheidende Frage, ob dem Versorger überhaupt ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht vertraglich oder gesetzlich wirksam eingeräumt wurde; anders gewendet, ob eine Preisanpassungspflicht  des Versorgers im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB besteht (vgl. BGH, Urt. v. 13.01.10 Az. VIII ZR 81/08 Rn. 18].  

Ganz selten wird bei Abschluss eines Sondervertrages  vertraglich wirksam vereinbart worden sein, dass der Versorger erst nach Vertragsabschluss den Preis einseitig bestimmen soll, was für die unmittelbare Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB erforderlich ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06 Rn. 32; Urt. v. 19.11.08 VIII ZR 138/07 Rn. 16).


Das Gericht muss deshalb vorrangig durch Auslegung ermitteln, ob bei Abschluss eines Sondervertrages ein (zunächst) feststehender Preis vereinbart worden war (vgl. BGH, Urt. v. 28.10.09 VIII ZR 320/07 Rn. 46) oder ob statt dessen wirksam vereinbart wurde, der Versorger solle (erst nach Vertragsabschluss) den Preis einseitig bestimmen (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06 Rn. 32; Urt. v. 19.11.08 VIII ZR 138/07 Rn. 16).


Wurde bei einem Sondervertrag als Preishauptabrede eine Preisbestimmungspflicht des Versorgers im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB wirksam vertraglich vereinbart, unterliegt der Gesamtpreis der Billigkeitskontrolle (Umkehrschluss aus BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06 Rn. 32; Urt. v. 19.11.08 VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Handelt es sich nicht um einen Sondervertrag, stellt sich die vorrangig zu beantwortende  Frage nach der Wirksamkeit des gesetzlichen Preisänderungsrechts. Hierbei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die - anders als eine Tatsachenfrage -  keinem Geständnis bzw. Unstreitigstellen zugänglich ist.

Dabei hat das Gericht von Amts wegen zu berückschtigen, ob die gesetzliche Regelung mit Europarecht vereinbar und folglich wirksam ist.


Zitat
BGH, B. v. 29.06.11 VIII ZR 211/10 Rn, 9ff., 21, juris:

Die Entscheidung über die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche hängt vorrangig von der Frage ab, ob der Beklagten hinsichtlich der von ihr einseitig erhöhten Preise für Gas- und Stromlieferungen ein wirksames gesetzliches Preisänderungsrecht aus § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676 - AVBGasV, für die Gaspreiserhöhungen 2005 und 2006) beziehungsweise § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz vom 26. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2391 - Gasgrundversorgungsverordnung - GasGVV, für die Gaspreiserhöhungen in den Jahren 2007 und 2008] sowie § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 684 - AVBEltV, für die Strompreiserhöhungen in den Jahren 2005 und 2006] beziehungsweise § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz vom 26. Oktober 2006 (Stromgrundversorgungsverordnung - StromGVV, BGBl. I S. 2391, für die Strompreiserhöhung im Jahr 2008] zustand.

Dies wiederum hängt, da die genannten Vorschriften hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang des dem Versorgungsunternehmen zustehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrechts keine näheren tatbestandlichen Konkretisierungen enthalten, davon ab, ob solche tatbestandlichen Konkretisierungen bei Gaspreiserhöhungen von Art. 3 Abs. 3 Satz 4 bis 6 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. EU Nr. L 176 S. 57, im Folgenden Gas-Richtlinie, aufgehoben zum 3. März 2011 durch Art. 53 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EU Nr. L 211 S. 94) sowie bei Strompreiserhöhungen von Art. 3 Abs. 5 Satz 3 bis 5 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b oder c der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. EU Nr. L 176 S. 37, im Folgenden Strom-Richtlinie, aufgehoben zum 3. März 2011 durch Art. 48 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. EU Nr. L 211 S. 55) gefordert werden.

Was die Vereinbarkeit der vorbezeichneten Preisänderungsbestimmungen für die Erdgasversorgung angeht, hat der Senat die Fragen zur Auslegung der insoweit betroffenen Vorschriften der Gas-Richtlinie bereits mit Beschluss vom 18. Mai 2011 (VIII ZR 71/10, juris) gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die gleichen Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts stellen sich im Streitfall auch im Bereich der Stromversorgung von Haushaltskunden. Sie sind daher auch für diesen Bereich dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Die Entscheidung über die Vorlagefrage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten.


Offline Tojas

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Hallo,

langsam habe ich das Gefühl, dass sich Sie und Ihre Anwälte versuchen, aus der Affäre zu ziehen. Noch in den letzten Jahren hatten die Anwälte uns Verbraucher aufgefordert, zu kämpfen.
Und heute???
Es scheinen alle Anwälte angst zu haben, etwas falsch zu machen.
Was ist mit den Sondervertragskunden bei Gasversorgern? Mir wird empfohlen doch, nach 6 Jahren, zu zahlen und zwar alles.
Wozu habe ich dann jedes Jahr an die Anwälte gezahlt?
Jedes Jáhr hat man mir gesagt, als Sondervertragskunde ist die Preisanpassungsklausel unwirksam. seit diesem jahr nicht mehr?
Heisst das, ich muss jetzt alles zahlen? (mit dem Zusatz: unter Vorbehalt?)
Das Geld sehe ich dann nicht wieder. Oder?

Mit freundlichen Grüßen

Tojas

Offline RR-E-ft

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@Tojas

Ihr Beitrag erscheint zu der Grundsatzfrage der Wirksamkeit des gesetzlichen Preisänderungsrechts etwas deplaciert.

Nicht ersichtlich, wer Ihnen die genannte Empfehlung unter Zugrundelegung welchen konkreten Sachverhalts gegeben haben soll.

Fakt ist, dass bei einseitigen Preisänderungen -  insbesondere, wenn diesen zeitnah widersprochen wurde -  sich immer vorrangig die Frage nach der wirksamen vertraglichen oder gesetzlichen Einräumung eines einseitigen Bestimmungsrechts für den Energieversorger stellt - wovon dieser Thread handelt - (hierzu BGH, B. v. 09.02.11 Az. VIII ZR 162/09 für Sondervertragskunden und BGH, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10 und B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10 für [grundversorgte] Tarifkunden).

Wurde ein solches Bestimmungsrecht dem Energieversorger vertraglich oder gesetzlich wirksam eingeräumt, so kommt es auf die Billigkeit der einseitigen Preisänderung an, soweit der einseitig geänderte Preis nicht als vereinbart gilt (vgl. BGH, B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10 Rn. 17, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10 Rn. 10 f. ).

Der einseitig geänderte Preis gilt laut BGH dann als vereinbart, wenn der einseitigen Preisänderung, die in Ausübung eines wirksam eingeräumten Bestimmungsrechts erfolgte, nicht in angemessener Frist widersprochen und die auf den erhöhten Preisen beruhende Jahresverbrauchsabrechnung sodann beanstandungs- und vorbehaltlos vom Kunden bezahlt wurde (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.10 Az. VIII ZR 246/08 Rn. 58].

Von einer solchen stillschweigenden Preisneuvereinbarung des einseitig geänderten Preises durch beanstandungs- und vorbehaltlose Zahlung des Kunden kann jedoch dann nicht ausgegangen werden, wenn es bereits an der wirksamen vertraglichen oder gesetzlichen Einräumung eines Bestimmungsrechts fehlt. Dann nämlich waren die Preisänderungen per se unwirksam, ohne dass es dafür auf eine Billigkeitskontrolle ankommen kann (BGH, Urt. v. 14.07.10 Az. VIII ZR 246/08 Rn. 57, 59; Urt. v. 13.07.11 Az. 342/09 Rn. 35).

Nach sechs Jahren Preisprotest - unterstellt es handelte sich durchgängig um ein und das selbe  Vertragsverhältnis, es wurde allen einseitigen Preisänderungen widersprochn und nur die auf einseitigen Preisänderungen beruhendenen höheren Preise nicht bezahlt - streitige Forderungen vollständig unter Vorbehalt zu zahlen, erscheint nicht ratsam.

Das Geld ist dann nicht weg, sondern der Energieversorger hat es dann erlangt. Man müsste sodann - verbunden mit Kosten und Risiken  - innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist auf Rückzahlung klagen, wenn man das Geld aus ungerechtfertigter Bereicherung zurück erlangen wollte.

Vorzugswürdig erscheint es demgegenüber, es auf eine Zahlungsklage des Energieversorgers ankommen zu lassen, innerhalb derer man
- die wirksame Einräumung eines Bestimmungsrechts des Energieversorgers,
- hilfsweise die wirksame Ausübung eines solchen, und
 - äußerst hilfsweise die Billigkeit der einzelnen einseitigen Preisänderungen bestreiten kann und sollte,
was den Energieversorger regelmäßig zum Nachweis der zwischenzeitlichen Entwicklung aller preisbildenden Kostenfaktoren zwingt (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.08 Az. VIII ZR 138/07 Rn. 39).

Zudem kann sich der Kunde in einem solchen Zahlungsprozess des Energieversorgers auf Verjährung berufen, wenn die Forderungen des Energieversorgers  wegen der Billigkeit entsprechender wirksamer Ausübung eines wirksam eingeräumten Bestimmungsrechts bis einschließlich 2008 fällig geworden waren.

Eine solche Verjährungseinrede ist für solche Altforderungen dann erfolgreich, wenn eine Verjährungshemmung bisher nicht eingetreten war, so dass solche Forderungen innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist verjährt waren.

Die Verjährungseinrede sollte man vorsorglich schon erheben, bevor man auf Zahlung verklagt wird.

Zu Sondervertragskunden siehe auch BGH, B. v. 07.09.11 Az. VIII ZR 25/11 Rn. 2 ff.

Offline berghaus

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Zitat
Die Verjährungseinrede sollte man vorsorglich schon erheben, bevor man auf Zahlung verklagt wird.

Frage: Warum?

Beispiel: Der Versorger fordert mit der Jahresrechnung im Juni 2011 neben dem Jahresbetrag für 2010/2011 von 2.000 EUR \'offenstehende\' Rechnungsbeträge von insgesamt 7.000 EUR aus den Jahren 2006 - Mai 2010, davon 2.400 aus den Jahresrechnungen 2006 -2008.

Soll man nun im Januar 2012 nach einer Abwartungsfrist wegen möglicherweise noch eingehende Mahnbescheide dem Versorger fröhlich mitteilen, dass man nun seine Forderungen von 2.400 EUR als verjährt betrachte?
 
Welche Nachteile hat man, wenn man das nicht tut?

berghaus 20.01.2012

Offline RR-E-ft

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Antwort: Darum!

BGH, Urt. v. 27.01.10 VIII ZR 58/09 Erledigung durch Verjährungseinrede/ Aufrechnung im Prozess

Man sollte dem Versorger mitteilen, dass man dessen Forderungen insgesamt bestreitet und als unbegründet zurückweist, ferner selbst begründete Forderungen, die vor dem 31.12.08 fällig wurden, bereits verjährt sind, worauf man sich vorsorglich hilfsweise beruft.

 

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