Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Anwaltskanzlei zitiert Urteil des AG Lingen  (Gelesen 13436 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline userD0010

  • Gelöschte User
  • Forenmitglied
  • Beiträge: 1.590
  • Karma: +6/-16
  • Geschlecht: Männlich
Anwaltskanzlei zitiert Urteil des AG Lingen
« am: 25. Oktober 2009, 18:49:33 »
Eine in der Bundeshauptstadt ansässige Anwaltskanzlei wurde in diesen Tagen von den Stadtwerken Schüttorf mit der Wahrung derer Interessen betraut und schreibt wie folgt:
\"Sie haben in der Vergangenheit wiederholt Preisanpassungen unserer Mandantin widersprochen und Abschläge und Jahresendabrechnungen Ihres Strom- und Gasliefervertrages mit unserer Mandantin unter Berufung auf § 315 BGB gekürzt. Unsere Mandantin beziffert die derzeit gegen Sie ausstehenden Forderungen insgesamt auf 1.737,35 Euro. Wir möchten Ihnen mitteilen, dass die Energieversorgung Emsbüren GmbH in einem ersten Rechtsstreit zur Frage der Billigkeit Ihrer vergangenen Preisanpassungen vor dem Amtsgericht Lingen obsiegt hat. Der Energieversorgung Emsbüren GmbH wurde mit Urteil vom 14. Sept. 2009 (AZ 12 C 1143/08 (X)) vom Amtsgericht Lingen die Angemessenheit ihrer Lieferpreise im Zeitraum 2005/2006 bestätigt. Die am Verfahren beteiligten Widerspruchskunden hatten neben den Gerichts- und Anwaltskosten auch Gutachterkosten in Höhe von 4.000,00 Euro zu tragen.
Die Preisgestaltung und Preisbildung der Stadtwerke Schüttorf GmbH entspricht der Preisbildung der Energieversorgung Emsbüren GmbH. Unsere Mandantin ist daher zur gerichtlichen Billigkeitsprüfung bereit.
Wir fordern Sie daher unter Fristsetzung zum 05. November 21009 auf, die oben benannte ausstehende Forderung auf das Ihnen bekannte Konto unserer Mandantin zu begleichen. Andernfalls sind wir mit der Erhebung einer Zahlungsklage gegen Sie beauftragt.\"
mfg
xxxxxx
Rechtsanwalt.

Und nun?????
1. Bis dato wurde kein Versorgungsvertrag unterschrieben,
2. Wem ist bekannt, ob das Urteil des AG Lingen rechtskräftig ist?
3. Soll man den Vergleich eines anderen Versorgungsunternehmens und dessen Preis\"gestaltung\" mit dem betroffenen Versorgungsunternehmen überhaupt akzeptieren?
4. Dringender Tipp für eine entsprechende Antwort an die Kanzlei erwünscht, da die Betroffenen äußerst besorgt sind.
Dank im Voraus

Offline RR-E-ft

  • Rechtsanwalt
  • Forenmitglied
  • ***
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Anwaltskanzlei zitiert Urteil des AG Lingen
« Antwort #1 am: 25. Oktober 2009, 19:15:32 »
Eine Antwort an die Berliner Kanzlei  kann man sich getrost sparen, wenn man es sowieso auf einen Prozess ankommen lassen möchte.

Ob ein Urteil des AG Lingen behaupteten Inhalts etwaig rechtskräftig geworden ist, ist für den eigenen Streit vollkommen belanglos.

Man könnte darauf verweisen, dass einem selbst gegenüber bisher weder das Recht zur einseitigen Preisneufestsetzung noch die Billigkeit der einzelnen Preisänderungsschritte trotz entsprechender Aufforderungen nachgeweisen wurde und man selbst bezweifelt, dass die ggf. maßgebliche  Kosten- und Erlössituation wie auch -entwicklung des eigenen Lieferanten mit denen eines anderen Lieferanten identisch oder auch nur vergleichbar ist. Mann kenne schon die maßgeblichen Kalkulationsgrundlagen nicht, wil diese trotz Aufforderung bisher nicht offen gelegt wurden.

Man könnte zudem  auf die Entscheidung des LG Köln vom 14.08.2009 verweisen.

Man kann sich ein solches Schreiben aber eigentlich getrost sparen. Sollte der gemahnte Betrag nicht ausgeglichen werden, muss man mit einer Klage rechnen.

Die Freunde von der Berliner Kanzlei lesen und diskutieren in diesem Forum seit langem eifrig mit. Dass deren Schreiben soviel Wirkung zeigt, wird sie freuen.
Nichts anderes als große Besorgnis beim Adressaten (und in Folge dessen Zahlung) wollte man damit schließlich erreichen.

Besteht im konkreten Vertragsverhältnis ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Versorgers und kann in einem solchen Verfahren ggf. im Rahmen der Beweisaufnahme durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens die Billigkeit nachgewiesen werden, so hat eine Zahlungsklage des Versorgers Erfolg und der beklagte Kunde trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich der Kostentragung könnte dann anderes gelten, wenn der beklagte Kunde vorprozessual erfolglos einen Billigkeitsnachweis gefordert und sich im Verfahren deshalb ein sofortiges Anerkenntnis vorbehalten hatte. Alles nicht neu, sondern seit Jahr und Tag Inhalt dieses Forums, mit Beiträgen gerade auch der genannten Freunde.

Offline userD0010

  • Gelöschte User
  • Forenmitglied
  • Beiträge: 1.590
  • Karma: +6/-16
  • Geschlecht: Männlich
Anwaltskanzlei zitiert Urteil des AG Lingen
« Antwort #2 am: 26. Oktober 2009, 17:10:43 »
@RR-E-ft
Selbstverständlich werden wir es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen.
Interessant dürften folgende Aspekte sein:
1. es existiert  k e i n   unterschriebener Vertrag zwischen EVU und dem Kunden
2. die AGB des EVU besagen unter Abs. 6.4:
    \"der Lieferant kann die auf der Grundlage dieses Vertrages zu zahlenden
      Entgelte nach billigem Ermessen der Entwicklung der Kosten anpassen,
      die für die Entgeltberechnung maßgeblich sind. Eine Erhöhung oder
      Ermäßigung kommt insbesondere in Betracht, wenn sich die Kosten für die
      Beschaffung von Energie ändern oder sonstige Änderungen der energie-
      wirtschaftlichen oder rechtlichen Rahmenbeidngungen zu einer veränderten
      Kostensituation führen.\"
3.  Der bezifferte Anspruch des gegn. Anwalts ist in der Höhe nicht nachvoll-
     ziehbar.

Offline RR-E-ft

  • Rechtsanwalt
  • Forenmitglied
  • ***
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Anwaltskanzlei zitiert Urteil des AG Lingen
« Antwort #3 am: 26. Oktober 2009, 17:23:34 »
Es kommt nicht darauf an, ob ein unterschriebener Vertrag vorliegt, sondern darauf, ob ein Vertragsverhältnis vorliegt, bei dem die Belieferung nicht nach den als solchen veröffentlichten Allgemeinen Preisen der Grundversorgung erfolgt und ob in einen solchen Vertrag (wenn nicht Grundversorgung dann Sondervertrag) etwaig Allgemeine Geschäftsbedingungen wirksam einbezogen wurden, weil der Kunde diese vor Vertragsabschluss kannte und bei Vertragsabschluss (oder später) erklärt hat,  mit deren Einbeziehung einverstanden zu sein (vgl. OLG München, Urt. v. 01.10.2009).

Wurden Allgemeine Geschäftsbedingungen wirksam einbezogen, stellt sich die Frage, ob eine darin enthaltene Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB standhält, was für die zitierte Klausel (nach BGH VIII ZR 56/08, VIII ZR 225/07] sehr zu bezweifeln steht.

Für den Fall das eine wirksam einbezogene Klausel der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB standhält, stellt sich dann ggf. die weitere Frage nach der Billigkeit der Preisänderung gem. § 315 BGB (vgl. BGH VIII ZR 225/07, VIII ZR 314/07, VIII ZR 138/07). Wurden keine AGB in einen Sondervertrag wirksam einbezogen oder erweist sich eine wirksam einbezogene Preisänderungsklausel gemessen an § 307 BGB als unwirksam, kommt es jedoch auf die Frage der Billigkeit regelmäßig gar nicht mehr an (BGH VIII ZR 274/06, VIII ZR 225/07).

Das wissen die Berliner Freunde selbst sehr gut, so dass man ihnen dies nicht schreiben braucht. Wer zu viel schreibt, vergeudet nicht nur Papier und andere Ressourcen, sondern kann sich auch \"um Kopf und Kragen\" schreiben.

Offline bolli

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 2.396
  • Karma: +23/-11
Anwaltskanzlei zitiert Urteil des AG Lingen
« Antwort #4 am: 27. Oktober 2009, 09:02:40 »
Na ja, die Schwierigkeit scheint an dieser Stelle (ohne schriftlichen Vertrag) ja zunächst der Nachweis zu sein, um was für ein Vertragsverhältnis es sich handelt. Dazu muss man neben den Bezeichnungen des Vertrages in den Abrechnungen halt weitere Indiezien sammeln, die auf einen Sondervertrag hindeuten, z.B. andere Verbraucher finden, die die gleiche Bezeichnung zum gleichen Zeitpunkt in ihrer Abrechnung hatten, aber den Vertrag eben noch haben, aus dem sich das Vertragsverhältnis ableiten lässt. Daneben noch Preisblätter, aus denen sich ergibt, dass neben den abgerechneten Preisen auch noch andere Preise, eben der allgemeinen Grundversorgung existierten. Vielleicht auch  noch Kündigungsversuche des Versorgers, da diese ebenfalls darauf hindeuten, dass er von einem Sondervertragsverhältnis ausgeht. Obwohl hier auch schon einige Gerichte sagen, dass es nicht darauf ankommt, wie der Versorger und der Verbraucher es sehen sondern darauf, ob die Vertragsinhalte für einen Vertrag in der Grundversorgung (gesetzliche Regelungen) oder einen Sondervertrag (individuell abweichende Regelungen) sprechen. Kunden- und Versorgerwille sollen danach unbedeutend sein (komisch nur, dass an anderen Stellen davon geredet wird, dass es darauf ankommt, wie ein normalen Verbraucher einen bestimmten Sachverhalt verstehen muss).

Offline userD0010

  • Gelöschte User
  • Forenmitglied
  • Beiträge: 1.590
  • Karma: +6/-16
  • Geschlecht: Männlich
Anwaltskanzlei zitiert Urteil des AG Lingen
« Antwort #5 am: 13. November 2009, 21:52:22 »
@bolli
Die Frage wird sein, wer nachzuweisen hat, um welche Vertragsart es sich handeln könnte. Wenn ich mangels anderer Nach- oder Beweise davon ausgehe, meinen Energiebezug aus einem vermuteten Sondervertrag hergeleitet wird und ich deshalb die Billigkeit der ständigen Preissteigerungen zurückweise, werden wir uns vermutlich vor Gericht darüber trefflich streiten können. Zwar habe ich mit der Inbetriebnahme meiner Glühbirnen und meines Gasofens die monopolartige Beherrschung des örtlichen Energiemarktes akzeptieren müssen, da ich bei Einzug in die Wohnung keine andere Alternative hatte und habe. Das bedeutet aber wohl hoffentlich nicht, das die SWS danach nach Gutdünken Preiskonstruktionen und Vertragsvermutungen anwenden dürfen, ohne dass ich dagegen etws unternehmen darf, weil die SWS einfach ihre Vertrags- und Preisauslegungen so gestalten, wie es nach Gutsherrenart genehm ist.

Offline userD0010

  • Gelöschte User
  • Forenmitglied
  • Beiträge: 1.590
  • Karma: +6/-16
  • Geschlecht: Männlich
Anwaltskanzlei zitiert Urteil des AG Lingen
« Antwort #6 am: 09. Januar 2010, 10:09:04 »
@RR-E-ft
Hatten doch die sog. Berliner Freunde im Okt. 2009 noch den Anspruch ihrer Mandantschaft aus wegen Unbilligkeit gekürzten Jahresrechnungen mit 1.737,35 Euro beziffert, so haben sie jetzt doch am 03.12.2009 beim AMTSGERICHT Nordhorn Klage wegen Forderungen aus einem Energieliefervertrag mit einem Streitwert von 524,90 Euro eingereicht.
In der Begründung behaupten die Berliner Freunde, dass die Klägerin im Netzgebiet Schüttorf die Letztverbraucher mit Strom und Gas beliefern.
Die Klägerin sei im Netzgebiet der Beklagten Grundversorger im Sinne des § 36 Abs. 2 EnWG. Seit dem 28.11.2006 bestehe zwischen den Parteien ein Energieliefervertrag im Rahmen der Grundversorgung. Ein schriftlicher Vertrag liege nicht vor., jedoch würde die Beklagte aufgrund der tatsächlichen Entnahme von Gas gem. § 2 Abs. 2 GasGVV im Rahmen der GRundversorgung von der Klägerin zu deren Allgemeinen Tarifen beliefert.
Als Beweis wird ein angebliches Bestätigungsschreiben an die Beklagte zitiert, das der Klage beigefügt ist.
Auffällig in diesem bislang unbekannten Bestätigungsschreiben ist der Hinweis, dass die Klägerin gern über ihre Sonderprodukte berät.
In den jeweiligen Jahresrechnungen wurde die Energiebelieferung jeweils für Strom und Gas  mit Haushaltstarif deklariert.
Natürlich haben die Berliner Freunde eine \"Bescheinigung der Angemessenheit der zum 01. Jnauar 2005 und 01. Sept. 2005 durchgeführten Preisanpassungen in der Gassversorgung für Haushalts- und Kleingewerbekunden\" beigefügt, ausgestellt am 05. Januar 2006 durch eine Wirtschaftsprüfungs- und Beratergesellschaft aus Bremen im Auftrag der Beklagten.
Darin heisst es u.a., dass die Klägerin angabegemäß die Absatzpreise im Allgemeinen Tarif nicht stärker erhöht als die ihr in Rechnung gestellten Gasbeschaffungskosten gesiegen sind.
Im Ergebnis dieses sog. Testates wird festgestellt, dass gem. Auftrag ausschließlich die kongruente Weitergabe der veränderten Bezugskonditionen gegenüber den veränderten Preisen im Allg. Tarif geprüft werden sollte und man nur angabegemäß die Veränderung der Bezugspreise verursachten Preisanpassungen geprüft habe. Die Preisanpassungen sollten auf Billigkeit nach § 315 BGB geprüft werden. Diese Billigkeit nach § 315 BGB ist aus Sicht der Wirtschaftsprüfer nicht abschließend definiert. Im Rahmen dieser Untersuchung erfolge eine Beschränkung der Prüfung auf den Umfang der Preisanpassungen.

Als weiteres Klagemittel soll ein Beschluss des LG Osnabrück dienen, der dessen Zuständigkeit für eine Klage der Stadtwerke Emsbüren als sachlich unzuständig zurückweist und die Klage an das Amtsgericht Lingen zurückweist.

In der Klage wird u.a. in der Begründung der Zuständigkeit des AG Nordhorn behauptet, dass dieses sachlich und örtlich zuständig sei.
In Betracht käme zwar eine \"Sonderzuständigkeit\" des LG Osnabrück nach § 102 EnWG, allerdings habe das LG Osnabrück bereits in einem gleichgelagerten Verfahren (siehe zuvor) diese Sonderzuständigkeit des LG abgelehnt.
WUNDERSAM IST
dass das Amtsgericht Nordhorn am 05.01.2010 offenbar seine Zuständigkeit erkannt haben will, obwohl eben dieses AG in seiner Entscheidung vom 11. Juni 2009  sich für sachlich unzuständig erklärt hat.

Soll nun auf diese erkannte sachliche Unzuständigkeit des AG Nordhorn hingewiesen werden oder wäre es ratsam, nicht nur der Behauptung der Grundversorgung mangels Nachweis sondern auch den Preiserhöhungen nochmals zu widersprechen und den Verweis an das LG Osnabrück zu beantragen gem. § 102 Abs.1 EnWG?

Offline userD0010

  • Gelöschte User
  • Forenmitglied
  • Beiträge: 1.590
  • Karma: +6/-16
  • Geschlecht: Männlich
Anwaltskanzlei zitiert Urteil des AG Lingen
« Antwort #7 am: 21. Februar 2010, 15:58:22 »
Das Amtsgericht Nordhorn hat inzwischen erklärt, für den Klageantrag nicht zuständig zu sein und den Vorgang an das LG Osnabrück verwiesen.

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz