@stefano
Sie müssen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Sie seinerzeit einen Grundversorgungsvertrag und keinen Sondervertrag abgeschlossen haben.
Die Frage ob allein durch den gewählten Tarif ein Sondervertrag vereinbart wurde, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Nach meiner Auffassung haben die Verbraucher für die ihnen günstige Ansicht keine besonders guten Argumente. Die Versorger können hingegen Verfassungsgründe für ihre Meinung anführen, da eine Ungleichbehandlung von Grundversorgungskunden allein wegen des gewählten Tarifs gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen könnte.
Sie sollten sich bei dieser Möglichkeit keine großen Hoffnungen machen.
In der Grundversorgung steht Ihnen die Einrede der Unbilligkeit offen, die Sie mit Ihrem Widerspruch vermutlich eingelegt haben. Der Versorger muss im Prozess nun nachweisen, dass seine Kosten in gleicher Höhe gestiegen sind, wie er seine Preise erhöht hat. Um einen entsprechenden Vortrag Ihres Versorgers sachkundig entgegnen zu können, benötigen Sie jemanden der über umfangreiche betriebswirtschaftliche Kenntnisse verfügt. Wenn Sie einen Rechtsanwalt engagieren, der sich ständig mit betriebswirtschaftlichen Fällen befasst, und im Bilanzrecht routiniert ist, dürfte dieser den Bilanzbuchhaltern der EWE gewachsen sein. Wenn Sie in Ihrem Familien- oder Freundeskreis über einen Bilanzexperten verfügen, könnte auch dieser die Tricks der EWE durchschauen.
Sollten Sie über keinen Experten verfügen, wird man mit Ihnen vor dem Amtsgericht Schlitten fahren, da noch nicht einmal die dortigen Richter über eine hinreichende Expertise in Bilanzfragen verfügen. Eine solche Fachkenntnis haben in der Regel nur die Kammern für Handelssachen.
In hunderten von Rechtsstreitigkeiten zum § 315 BGB sind die Gaspreise nur ein einziges Mal für unbillig erklärt worden. Da hilft auch gar nicht, dass der BGH kürzlich entschieden hat, dass Sie die Wirtschaftsprüfertestate einfach mit Nichtwissen bestreiten können. Wenn der Bilanzbuchhalter als Zeuge vor Gericht erklärt, dass sich aus der vorgelegten Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) ergibt, dass der Posten Materialaufwand bezogen auf die verkauften kWh weit stärker erhöht hat, als die Preise gestiegen sind, wird ihm der Richter das glauben.
Es stimmt vermutlich sogar. Nur wird verschwiegen, dass im einen Jahr in der GuV die Aufwendungen für bezogene Waren separat ausgewiesen wurden, und im Vergleichjahr addiert mit den Aufwendungen für bezogene Leistungen. Es wird verschwiegen, dass sich die Steuerschuldnerschaft bei der Erdgassteuer geändert hat, und dies die vorgelegten Zahlen verändert, ohne dass die Kosten insgesamt verändert worden wären.
Der Bilanzbuchhalter vergleicht damit Äpfel mit Birnen und keiner merkt es.
Ich bin fest davon überzeugt, man kann die Versorger auch über den Unbilligkeitseinwand packen. Dies ist aber so aufwendig und erfordert soviel Sachkenntnis, dass der durchschnittliche Verbraucher nicht die geringste Chance hat. Für wenige hundert Euro Streitwert kann man sich diesen Sachverstand auch nicht zukaufen. Selbst ein Experte benötigt viele Stunden, um ein solches Zahlenwerk durchzuarbeiten.