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Autor Thema: Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag  (Gelesen 11282 mal)

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Offline Andiadm

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Eine interessante Problematik.

Verbraucher möchte meinen, dass er grundsätzlich bei Onlineverträgen ein Widerrufsrecht hat. Auch der hiesige Hausherr behauptet das ja hier.

Versorger wird sagen, sorry, das ist so nicht, weil es sich bei Strom bzw. Gas um Waren […], deren Preis auf dem Finanzmarkt Schwankungen unterliegt handelt.

Interessanterweise hat das LG Duisburg (6 O 408/06) tatsächlich im Sinne des Versorgers (hier eine Öllieferung) entschieden.

Muss der Hausherr die Seite ändern oder gibts da Entscheidungen auch in die andere Richtung? Oder ist Öl nicht wie Strom und Gas?

Wie sehen die Gelehrten hier das Thema?

Andreas

Offline Black

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #1 am: 26. Februar 2009, 20:09:10 »
LG Aachen (Urteil vom 16.05.2008, Az: 5 S 233/07) lehnt ein Widerrufsrecht ab, da eine Rückgabe der Leistung bei Strom und Gaslieferung nicht möglich sei:

§ 312d BGB

(4) Das Widerrufsrecht besteht, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, nicht bei Fernabsatzverträgen  

1.  zur Lieferung von Waren, die nach Kundenspezifikation angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind oder die auf Grund ihrer Beschaffenheit nicht für eine Rücksendung geeignet sind oder schnell verderben können oder deren Verfalldatum überschritten würde,


Das Verfahren ist nun beim BGH.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline Andiadm

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #2 am: 26. Februar 2009, 20:14:03 »
Hallo Black,
darum gings mir auch nicht wirklich. Eher darum einen Vertrag vor Beginn der Lieferung widerrufen zu können: zB schließt jemand am 15.1.09 einen Gasliefervetrag mit Fixpreis 12Monate zu 7ct ab mit Lieferbeginn 1.3.09, und 1 Woche später fallen die Preise. Hat man dann ein Widerrufsrecht?

Offline Black

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #3 am: 26. Februar 2009, 20:18:24 »
Kann man so oder so sehen:

Pro Widerrufsrecht
Der Einwand der Nichtrückgabe der Leistung greift hier praktisch nicht, wenn noch keine Belieferung erfolgte.

Contra Widerrufsrecht
aber § 312 d Nr. 4 schließt das Widerrufsrecht generell für Verträge über die Lieferung derartiger Waren aus.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #4 am: 26. Februar 2009, 20:46:02 »
Vielleicht anfechtbar?

Offline userD0009

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #5 am: 26. Februar 2009, 23:48:57 »
Die Ausnahme des § 312d Abs. 4 Nr. 1 Alt. 3 BGB setzt nach dem Wortlaut einen Warenaustausch voraus. Denn man kann etwas nur zurücksenden bzw. etwas kann nicht mehr zurückgesandt werden, wenn man es bereits erhalten hat.

@Black
Kein genereller Ausschluss.

Bei dem Ausnahmekatalog in § 312d Abs. 4 BGB handelt es sich um eng zu fassende Ausnahmen, Staudinger/Gregor Thüsing (2005), § 312d, Rn. 43.


Wobei der Ausnahmetatbestand eher die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit aus rechtlichen Gründen meint. Als Beispiel wird in den Gesetzesmaterialien die Lieferung von Heizöl genannt, das sich im Tank des Kunden dergestalt mit anderem Heizöl vermischt, dass es nicht mehr bestimmten DIN-Normen entspricht und daher entwertet ist, Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2007, § 312d, Rn. 26.

M. E. gilt daher für den von @Andiadm geschilderten Fall, da es noch zu keinem Leistungsaustausch gekommen ist, dass ein Widerrufsrecht nicht nach § 312d Abs. 4 Nr. 1 Alt. 3 BGB ausgeschlossen ist.

@RR-E-ft
Eine Anfechtung wird an einem Anfechtungsgrund scheitern.
Ein Irrtum über den Preis wäre im Rahmen von § 119 Abs. 2 BGB eh kein zulässiger Anfechtungsirrtum. Lediglich Irrtümer über \"wertbildende Faktoren\" können einen Anfechtungsgrund im Rahmen des § 119 Abs. 2 BGB darstellen.

In dem von @Andiadm geschilderten Fall unterliegt der Kunde keinem Irrtum(über Tatsachen), denn Tatsachen sind Vorgänge und Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, aber nicht der Zukunft.

Und ob die Voraussetzungen von § 123 BGB vorliegen, wird wohl eine sehr spezielle Einzelfallprüfung verlangen.

Grüße
belkin

Offline RR-E-ft

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #6 am: 27. Februar 2009, 00:20:18 »
@belkin

Sauber.

Offline RR-E-ft

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Offline Black

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #8 am: 18. März 2009, 19:16:33 »
Zitat
Original von belkin
Wobei der Ausnahmetatbestand eher die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit aus rechtlichen Gründen meint. Als Beispiel wird in den Gesetzesmaterialien die Lieferung von Heizöl genannt, das sich im Tank des Kunden dergestalt mit anderem Heizöl vermischt, dass es nicht mehr bestimmten DIN-Normen entspricht und daher entwertet ist, Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2007, § 312d, Rn. 26.

Ich sehe keinen Grund warum rechtliche Unmöglichkeit ein bevorzugter Ausschlussgrund gegenüber praktischer Unmöglichkeit sein soll. Zumal der § 312 d nicht differenziert von rechtlicher Unmöglichkeit spricht und auch im Bereich der Leistungsstörung rechtliche und praktische Unmöglichkeit gleichgestellt hat. Gelieferter Strom, geliefertes Gas können noch weniger zurückgegeben werden als vermischtes Heizöl.

Palandt spricht übrigens ganz pragmatisch davon, dass die Frage der Geeignetheit zur Rücksendung praktische Tatfrage im Einzelfall ist. (Palandt, 68. Auflage 2009, zu § 312d, Rdn. 9)
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline Andiadm

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #9 am: 18. März 2009, 19:23:13 »
Naja, das beruhigt mich einigermaßen.

Wenn schon der BHG den EuGH braucht um meine Frage hier zu beantworten, dann war das wenigstens keine dumme Frage.

Was ich an dem geschilderten Fall interessant finde ist, dass ja zum Zeitpunkt des Widerrufs noch gar keine Lieferung stattgefunden hat und somit verstehe ich die Diskussion über die \"Rücksendung\" nicht ganz, da ja noch nichts geliefert wurde.

Wenn jetzt der Stromanbieter sagen würde \"Ich habe aber im Moment des Vetragsabschlusses mich mit Stromfutures eingedeckt, um Herrn Xs Strom über ein Jahr liefern zu können\" könnte man antworten \"dann hätten Sie das besser mal gemacht, erst nachdem die Widerrufsfrist abgelaufen ist\".

Spannend wirds schon.

Eigentlich ist der Sinn des Widerrufsrechts dass Verbraucher es sich in einem kurzen Zeitraum nochmals anders überlegen kann, weil er ja nicht mit Personen sondern mit Maschinen gedealt hat. Und wenn man dann dieses einfach aushebeln könnte, wäre der Diktus des Gesetztes nicht getroffen meine ich.

Offline userD0009

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #10 am: 18. März 2009, 19:26:12 »
@Black

Wille des Gesetzgebers.
Aber über den kann man bei Bedarf auch mal großzügig hinwegsehen.

Grüße
belkin

Offline Black

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #11 am: 18. März 2009, 19:45:38 »
Zitat
Original von belkin
@Black

Wille des Gesetzgebers.
Aber über den kann man bei Bedarf auch mal großzügig hinwegsehen.

Grüße
belkin

Und den Willen können Sie woran herauslesen? Aus dem Wortlaut des Gesetzes ja wohl nicht, denn dort steht \"aufgrund der Beschaffenheit nicht geeignet\" und nicht \"rechtliche Unmöglichkeit\".  Das in den Gesetzemesmaterialien ein Beispiel genannt ist bedeutet nicht, das allein dieses Beispiel maßgeblich sein kann, sonst hätte der Gesetzgeber ja auch eine Ausnahme für Heizöl in Tanks formulieren können.

Außerdem liegt  beim Tankbeispiel neben rechtlicher Unmöglichkeit auch tatsächliche unmöglichkeit vor, denn niemand kann aus einem Tank exakt die Ölmoleküle wieder heraustrennen, die zur Lieferung gehörten, selbst wenn das rechtlich möglich wäre. Insoweit gibt auch das Beispiel in der Gesetzesbegründung noch keinen Hinweis auf eine Beschränkung wegen rechtlicher Unmöglichkeit.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline userD0009

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #12 am: 19. März 2009, 14:00:57 »
Anmerkung zur Pressemitteilung des BGH:

In der Pressemitteilung führt der BGH u.a. aus, \"[...]dass bei zum Verbrauch bestimmten und tatsächlich verbrauchten Waren – und damit auch bei der leitungsgebundenen Lieferung von Strom und Gas[...]\", sowie \"Andererseits besteht der Sinn und Zweck des Widerrufsrechts darin, dem Verbraucher nach der Lieferung der Ware ein Recht zur Lösung vom Vertrag zu geben,[...]\"(Hervorhebungen durch den Autor).

Wenn ich die Sachverhaltsschilderung richtig verstanden habe, dann handelt es sich im vorliegenden Fall um eine Situation, in der es bisher noch zu keinem Warenaustausch gekommen ist.

Weshalb der BGH die Notwendigkeit gesehen hat, auch im vorliegenden Fall, also ohne Warenaustausch, die Frage dem EuGH vorzulegen, erschließt sich mir nicht ganz.



Den Willen des Gesetzgebers findet man am Besten in den Materialien zum Gesetzgebungsverfahrens.

Der Gesetzgeber hat das Widerrufsrecht bei Verträgen ausgeschlossen, in denen die Ware nach Benutzung oder ansonsten wertlos geworden und deshalb ein Widerrufsrecht für den Unternehmer nicht zumutbar ist.(BT-Drs. 14/2658 S. 44)

In der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 14/2658 S. 44, BR-Drs. 25/00 S. 118, 119) wird u.a. das Beispiel mit der Vermischung von bereits im Heizöltank befindlichem Heizöl mit neu geliefertem Heizöl aufgeführt.

Der Gesetzgeber meint dazu, \"Heizöl muss den hierfür festgelegten DIN-Normen entsprechen um als Heizöl vertrieben werden zu können. Durch die Vermischung mit im Tank des Kunden vorhandenem Heizöl kann es - je nach dessen Zustand - die nach der DIN-Norm erforderlichen Eigenschaften verlieren.\"
\"Deshalb kann der Widerrufsausschluss auch bei Heizöl greifen.\"
(Hervorhebungen durch den Autor)

Dem Gesetzgeber geht es klar darum, ob die Ware(im vorliegenden Beispiel Heizöl) noch den normierten Vorgaben entspricht, und gerade nicht, ob die selben Moleküle zurück gegeben werden können/könnten.

Die Ware(bspw. Heizöl) an sich kann rein faktisch natürlich zurückgegeben werden, an einer tatsächlichen Unmöglichkeit mangelt es daher nicht.

Hätte der Gesetzgeber einen viel weiteren Anwendungsspielraum für § 312 Abs. 4 BGB gewollt, dann hätte auf ein solch spezielles und enges Anwendungsbeispiel verzichtet, oder noch zusätzliche, rein praktische Unmöglichkeitsbeispiele aufgeführt.


Wie der EuGH entscheiden wird, werden wir sehen.

Der EuGH hat nach ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Ausnahmen von gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften eng auszulegen sind. (siehe u.a. EuGH v. 10.5.2001 Rs C-203/99, Slg. 2001, I-3569, Rz. 15, EuGH v. 13.12.2001 Rs 481/99, Slg. 2001 I-9945, Rz. 31).

Zumal es im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt des Widerrufs wohl überhaupt noch nicht zu einem Warenaustausch bzw. Strom- oder Gaslieferung gekommen ist.

Grüße
belkin

Offline Black

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #13 am: 19. März 2009, 16:14:52 »
Zitat
Original von belkin
Anmerkung zur Pressemitteilung des BGH:

In der Pressemitteilung führt der BGH u.a. aus, \"[...]dass bei zum Verbrauch bestimmten und tatsächlich verbrauchten Waren – und damit auch bei der leitungsgebundenen Lieferung von Strom und Gas[...]\", sowie \"Andererseits besteht der Sinn und Zweck des Widerrufsrechts darin, dem Verbraucher nach der Lieferung der Ware ein Recht zur Lösung vom Vertrag zu geben,[...]\"(Hervorhebungen durch den Autor).

Wenn ich die Sachverhaltsschilderung richtig verstanden habe, dann handelt es sich im vorliegenden Fall um eine Situation, in der es bisher noch zu keinem Warenaustausch gekommen ist.

Weshalb der BGH die Notwendigkeit gesehen hat, auch im vorliegenden Fall, also ohne Warenaustausch, die Frage dem EuGH vorzulegen, erschließt sich mir nicht ganz.

Weil das Gesetz in seiner jetzigen Form nicht darauf abstellt, ob tatsächlich ein Verbrauch stattgefunden hat, sondern ob die Ware grundsätzlich zur Rücksendung geeignet ist.

Hätte der Gesetzgeber auf den praktischen Verbrauch abstellen wollen, hätte er formulieren müssen, das (ein formals bestehendes) Widerrufsrecht \"erlischt\" mit dem Verbrauch. Stattdessen ist aber normiert, dass ein Widerrufsrecht von vornherein \"nicht besteht\" wenn die zu liefernde Sache  nicht zurückgegeben werden könnte.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline tangocharly

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Widerrufsrecht bei online geschlossenem Strom- bzw. Gasliefervertrag
« Antwort #14 am: 13. September 2010, 14:37:24 »
Die Angelegenheit ist nun vom BGH entschieden, nachdem der Versorger beim EuGH kalte Füsse bekommen hatte.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

 

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