@Hennessy
Seit 07.12.2004 gibt es Dank umfassender Recherchen etwas Transparenz im Gasmarkt. Die Sendungen im Fernsehen MDR „Umschau“ und ARD „Plusminus“ brachten zu Tage, dass die Preisspanne beim Gas der „weißen Zunft“ 38 Prozent beträgt, die fortgeschriebene BAFA- Statistik gegenüber dem Vorjahr insgesamt gesunkene Importpreise ausweist, die Preiserhöhungen trotz des angeblich gleich wirkenden Preismechanismus vollkommen unterschiedlich ausgefallen sind.
Der günstigste Versorger in Thüringen, die Stadtwerke Jena haben, obschon mittelbar von E.on Ruhrgas versorgt , für Haushaltskunden die Preise gar nicht erhöht, für Heizgaskunden nur um 2,8 Prozent.
Die Ferngasgesellschaften hatten bisher die Preise nur um vier Prozent erhöht, was nach den entsprechenden Pressemitteilungen schon als gesichert gelten kann.
E.on Westfalen Weser wollte zugegebenermaßen eine zukünftige Preisentwicklung bereits vorwegnehmen.
E.on Hanse soll im vergangenen Jahr wegen eines eingegangenen Versprechens gegenüber den Kunden, die Preise stabil zu halten, die gesunkenen Einkaufspreise nicht an die Kunden weitergegeben haben.
Das nennt man in der Ökonomie einen „Mitnahme-Effekt“.
Kritisiert wurde ein solcher bisher schon, jedoch nur an ganz anderer Stelle.
Weshalb sollten denn die Importeure ihre Kunden, an denen sie oft beteiligt sind und die deshalb zum eigenen Konzern gehören, „über den Tisch gezogen“ haben?
Muss eine Konzernmutter, bei der alle Informationen zusammenlaufen und welche die Strategie für das Gesamtgebilde entwickelt nicht auch dafür sorgen, dass sich die Töchter nicht gegenseitig „über den Tisch“ ziehen.
Der E.on Konzern ist zum Beispiel selbst an der Gasexploration beteiligt, importiert das Gas nach Deutschland und verteilt es über Ruhrgas an die größten Gasversorger des eigenen Konzerns (E.on Hanse und E.on Westfalen Weser).
Sollen die Verbraucher ausharren bis zur vollständigen Liberalisierung und vor allem bis zum funktionierenden Wettbewerb und darauf hoffen, dass die Versorger das kassierte Geld gut verwenden, also vornehmlich investieren?
Der Verband der Rohrleitungsbauer hat einen gefährlichen Investitionsstau festgestellt und meint dabei wohl auch die Gasnetzbetreiber.
Vattenfall- Chef Rauscher soll laut einer Verivox- Meldung vom 08.12.2004 auf einen Investitionsstau bei Kraftwerken hingewiesen haben.
Zu wenig Kraftwerkskapazität gefährdet bekanntlich die Versorgungssicherheit.
Mit der besonders hohen Versorgungssicherheit wurden jedoch in der Vergangenheit immer die hohen deutschen Energiepreise gerechtfertigt.
Wie es um die Versorgungssicherheit in tatsächlich bestellt ist, hat die „Kontraste“- Sendung im RBB- Fernsehen vom 29.10.2004 gezeigt, die im Internet als Video verfügbar ist.
Und auch der Beitrag in der „Thüringer Allgemeinen“ vom 01.11.2004 über das in weiten Teilen veraltete und vollkommen überdimensionierte Stromnetz der Thüringer E.on- Tochter, welche indes die höchsten Netznutzungsentgelte kassiert, gibt wohl ein eindrucksvolles Bild.
Ich kann auch nicht erkennen, dass eine Börse oder ein Spotmarkt Besserung bringen könnte.
Alle Stromversorger verweisen beim aktuellen Vertragsabschluss ihre Kunden zum Beispiel auf die Preisentwicklung an der Leipziger EEX- Strombörse, wo bereits für die Zukunft hohe Strompreise prognostiziert werden.
Allerdings wird dort nur ein ganz geringer Anteil der Strommenge gehandelt. Der meiste Strom ist sehr langfristig vertraglich gebunden. Entsprechende langfristige Verträge haben in der Regel eine Laufzeit von zehn Jahren und verfügen zudem oft noch über Verlängerungsklauseln, so dass kein großer Versorger seinen Strom kurzfristig an der Börse handeln muss.
Den Kunden wird sogar oft mitgeteilt, Schuld an den hohen Energiepreisen sei der Wettbewerb. Das ist wohl der einzige Wirtschaftsbereich, wo Wettbewerb zu hohen Preisen führen soll. Diese These ist deshalb wohl abenteuerlich.
Der überwiegende Teil der deutschen Stromversorgung erfolgt aufgrund langfristiger Verträge, die von den internationalen Märkten weitgehend entkoppelt sind:
Vattenfall Europe Mining schürft die ostdeutsche Braunkohle, die Vattenfall Europe Power in seinen modernen Kraftwerken verstromt, Vattenfall Europe Transmission transportiert diesen Strom über das eigene Höchstspannungsnetz (vormals VEAG Vereinigte Energiewerke AG Berlin) in alle neuen Bundesländer, wo ihn Vattenfall Europe Sales sodann an die jeweiligen Regionalversorger verkauft. Diese wiederum verkaufen den Strom an die eigenen Kunden oder an Stadtwerke.
Wettbewerb um die Stromversorgung der Regionalversorger findet wohl wegen eines entsprechenden Agreements zwischen RWE, E.on und Vattenfall in Ostdeutschland nicht statt.
Gerade dadurch soll ja die ostdeutsche Braunkohleverstromung abgesichert werden, weshalb der Absatz der Braunkohle auch langfristig abgesichert ist, diese keinen Preisschwankungen unterliegen muss.
Hat sich die ostdeutsche Braunkohle etwa verteuert, weil Vattenfall Europe Mining die Kohle nun meistbietend versteigert und Vattenfall Europe Power etwa gegen die energiehungrigen Chinesen beim Preiskampf nicht mehr mithalten kann? Wohl kaum.
Dafür gibt es ja gerade die langfristigen Verträge und die strategischen Beteiligungen.
Nicht anders verhält es sich mit der RWE- Kohle der konzerneigenen Rheinbraun und der E.on- Kohle der konzerneigenen RAG.
Und auch das Gas für die modernen Gaskraftwerke dürfte deshalb nicht teurer werden.
Weshalb sollte man denn auch konzernintern eine Ölpreisbindung vereinbaren?
Der Absatz ist doch bisher über die strategischen Beteiligungen vollends abgesichert.
Und so hatte ja auch der EWE- Vorstandsvorsitzende und VDEW- Präsident Dr. Brinker in einem Interview im Nordwestradio am 09.11.2004, welches auf der Seite
www.energiepreise-runter.de als Link verfügbar ist, auch schon selbst eingeräumt, dass diese Preisbindung gar nicht alle Verträge der Branche betrifft.
Und wie der einzelne Verbraucher auch, kann ein Kraftwerksbetreiber nicht eben über Nacht von Kohle auf Gas oder von Gas auf Öl umstellen.
Nach alldem stellt sich die berechtigte Frage, weshalb in diesem Herbst und Winter die Energiepreise noch vor der Tätigkeitsaufnahme einer Regulierungsbehörde so dramatisch ansteigen müssen, zumal E.on noch im September verkündet hatte, man könne darauf getrost verzichten.
Was hat sich denn seit September so dramatisch verändert, dass E.on nun gezwungen sein sollte, die Preise doch noch einmal kräftig zu erhöhen?
Wahrscheinlich doch wohl nur die Angst der Versorger vor dem zukünftigen Regulierer, der nun wohl doch viel weitereichendere Kompetenzen erhalten wird, als noch im September erwartet.
Da dachte man wohl noch, das Gesetzgebungsverfahren sei wie immer Dank der eigenen Lobbyarbeit soweit abgeschlossen und begab sich unvorsichtig mit den Preiserhöhungsabsichten aus der Deckung.
Nun ist sogar schon von einer „Verbraucherlobby“ die Rede, ein Wort, welches mir wohl vorher gar nicht begegnet war.
Es geht ersichtlich auch nicht um eine Neid- Debatte:
Den Unternehmen seien ordentliche Gewinne vergönnt, die sie sich in einem funktionierenden Wettbewerb durch Innovationen hart erarbeitet haben.
Indes der Strom und das Gas haben sich seit Jahren nicht wirklich verändert, bis auf die Farbe und die wohlklingenden Handelsnamen.
Die Versorgungssicherheit hat wohl eher ab denn zugenommen, wie allein der Investitionsstau beim Kraftwerkspark eindrucksvoll beweist.
Es geht um unberechtigt hohe Monopol- und Oligopolgewinne, die aus hohen Preisen einerseits und unterlassenen Investitionen andererseits resultieren, welche die übrige Wirtschaft zum Erlahmen bringen, insbesondere in Ostdeutschland.
Noch bevor überhaupt ein Versorgungsunternehmen bisher „die Hosen runtergelassen hat“, um in Ihrem Bild zu bleiben, sind die bisherigen Unzulänglichkeiten bereits offenbar geworden.
Die Recherchen von engagierten Verbraucherschützern und Journalisten haben erheblich dazu beigetragen, die Situation auf dem Energiemarkt etwas transparenter zu machen.
Selbst die Kartellbehörden haben erhebliche Unregelmäßigkeiten ausgemacht.
Sollte sich ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung einzelner Unternehmen, möglicherweise nach langwierigen Verfahren herausstellen, so sind nach dem Entwurf des neuen Energiewirtschaftsrechts die resultierenden unberechtigten Gewinne durch den Staat abzuschöpfen.
Das Geld, welches die Verbraucher dann zuviel gezahlt hätten, würde im „schwarzen Loch“ des Bundeshaushalts verschwinden. Für manchen mag ja die Erkenntnis noch tröstlich sein, dass sein Geld gar nicht wirklich weg ist, sondern es dann nur andere haben.
Und wie sollen sich die Verbraucher anders dagegen zur Wehr setzen als hier und von den Verbraucherzentralen vorgeschlagen?
Es geht dabei doch nicht um ein juristisches „Kasperle- Theater“, wie Sie vermeinen, sondern um volkswirtschaftlich ganz erhebliche Beträge.
Und die Frage, wer wen verklagen muss, um die Erforderlichkeit und Angemessenheit der geforderten Energiepreise gerichtlich überprüfen zu lassen, ist doch halbwegs klar.
Dass Sie in Ihrer beruflichen Tätigkeit darüber nicht erfreut sind, mag jedem einleuchten.
Jedoch ist der Schluss, dass nun deshalb gar keine Preissenkungen mehr an die Kunden weitergegeben werden könnten, nicht nachvollziehbar.
Die Preise müssen abgesenkt werden.
Die „Luft“ muss im Interesse der gesamten Volkswirtschaft raus aus den Energiepreisen.
Diese „Luft“ in den Preisen soll nach Schätzungen der Verbraucherschützer bei Strom und Gas insgesamt ein Volumen von 11 Mrd. EUR/ jährlich ausmachen.
Und wenn man diese Zahlen mit den liquiden Mitteln der Energiekonzerne vergleicht, kommt man zu dem Schluss, dass diese Annahmen nicht vollkommen abwegig sind, wie allein der Bericht im „SPIEGEL“ Heft 48/2004, S. 88 „Wohin mit dem ganzen Geld“ eindrucksvoll belegt.
Wenn diese „Luft“ somit tatsächlich als „Steuern und Abgaben“ in den Staatshaushalt eingespeist würde, wäre die Bildungsmisere wohl zu meistern.
Niemand würde dann auf die Idee kommen, die Behauptung aufzustellen, der Staat sei der „eigentliche Abzocker“, so der Finanzvorstand der E.on Westfalen Weser laut der Mitteilung einer Regionalzeitung.
Ich hoffe, dass Sie einige Überlegungen hier teilen können.
Und noch eins:
Wenn die Importeure die anderen Versorger tatsächlich „über den Tisch“ gezogen hätten, dann wohl nur deshalb um morgen bei funktionierendem Wettbewerb und vor allem einer strengen Regulierung der Netznutzung von Anfang an mit dem billigen Gas alle anderen Verteilstufen sehr kurzfristig aus dem Markt zu drängen.
Die Regionalversorger und Stadtwerke, die sich gerade noch wegen einer vermeintlichen Versorgungssicherheit auf langfristige Verträge mit Ölpreisbindung und drastische Preiserhöhungen einließen, haben dann keine Möglichkeit, ihre neuen Wettbewerber, nämlich die Importeure mit dem billigen Gas aus dem Feld zu schlagen.
Diese „Preisbrecher“ könnten dann die anderen vollständig aus dem Markt drängen und die Kunden selbst mit ihrem billigen Gas versorgen. Dagegen könnten nur Demarkationsabreden helfen, die aber kartellrechtlich verboten und deshalb unwirksam wären.
Die nachgelagerten Versorger, die sich jetzt nicht selbst auf die Unbilligkeit gegenüber ihren Vorlieferanten berufen, könnten deshalb schon morgen im funktionierenden Wettbewerb das Nachsehen haben, wenn sie am Handel gar nicht mehr teilnehmen, ihre Netznutzungsentgelte durch den Regulierer auf das gerade noch notwendige Maß beschränkt werden.
Möglicherweise stehen wir deshalb vor einer tiefgreifenden Veränderung der Struktur der deutschen Gaswirtschaft.
Wie steht es dann um die Stadtwerke, die sich jetzt nicht selbst gegen die Preiserhöhungen zur Wehr gesetzt haben?
Erfreulich, wenn die Versorger bei Preiserhöhungen vorsichtiger geworden sind, aber muss es gleich Suicid sein?
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt