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Autor Thema: Eigene Erfahrungen RA Fricke mit § 315 BGB  (Gelesen 6007 mal)

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Offline RR-E-ft

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Eigene Erfahrungen RA Fricke mit § 315 BGB
« am: 31. Oktober 2004, 00:57:55 »
Ich habe an dieser Stelle viele Beiträge verfasst und auf viele Nachrichten geantwortet.

Wie sind meine eigenen Erfahrungen in Jena mit dem Einwand der Unbilligkeit gem. § 315 BGB?

Nach dem Einwand der Unbilligkeit gem. § 315 BGB haben die Stadtwerke Jena in jedem Falle ihre Sperrandrohungen unverzüglich zurückgenommen.

Der Grund dafür ist, dass man hier ganz genau weiß , dass bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Zahlungsklageverfahrens des Versorgers völlig offen ist, welcher Betrag zu recht gefordert wird, die Durchsetzung evtl. unberechtigter Forderungen mit dem Druckmittel einer Versorgungssperre (empfindliches Übel für den Kunden) von den geltenden Gesetzen nicht mehr gedeckt ist und sogar einen Straftatbestand erfüllen kann.

Die Sperrandrohungen wurden selbst bei Kunden unverzüglich zurückgenommen, von denen man Tausende Euro forderte und die überhaupt keine Zahlungen geleitstet hatten und leisten.

Man versorgt statt dessen munter weiter und verklagt wurde von diesen Kunden bisher auch noch niemand.

Offensichtlich fürchtet man durch die notwendige vollständige Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen im Rahmen einer Zahlungsklage die Lüftung eines großen Geheimnisses.

Außerdem weiß man hier, dass bei erstmaliger Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen in einem solchen Zahlungsprozess der Kunde immer noch die Möglichkeit hat, die danach berechtigte Forderung „sofort“ anzuerkennen im Sinne von § 93 ZPO, was die Prozesskostentragungspflicht des Versorgers zur Folge hat.

Mithin muss der Kunde im schlechtesten Fall dabei nur das bezahlen, was sowieso gefordert wird.
Und dafür möchte man natürlich auch wegen ein paar Tausend Euro natürlich nicht sein Geheimnis preisgeben.

Die in Rechnung gestellten Preise sind wohl hoch genug, dass man bei den Stadtwerken Jena sagen kann: Wir haben es ja, die anderen Kunden bezahlen es mit.

Bei einem Fall, wo einem Kunden wegen horrender Außenstände eine Sperre angedroht wurde, habe ich einfach einen handschriftlichen Zettel an die Stadtwerke Jena gefaxt:

Stadtwerke Jena
Bereich Recht

per Fax: 03641/ 688 265

Sehr geehrte Frau...,

ist das noch ernst gemeint?

Freundliche Grüße

Thomas Fricke
Rechtsanwalt


Die Antwort kam ebenfalls unverzüglich per Fax zurück:

Sehr geehrter Herr Fricke,

bezugnehmend auf Ihr Faxschreiben vom... teilen wir Ihnen mit, dass wir von der Sperrandrohung vom.....  für die Abnahmestelle..... keinen Gebrauch machen. Hiermit ist kein Anerkenntnis der Unbilligkeit unserer Preise verbunden.

Mit freundlichen Grüßen

Stadtwerke Jena- Pößneck GmbH

i. V. M....
 
 
Den Stadtwerken Jena ist der Beschluss des OLG Hamburg aus dem Jahre 1988 bekannt, wonach ein mehrheitlich in öffentlicher Hand befindliches Versorgungsunternehmen sein Recht auf Sperrung wegen Zahlungsrückständen gem. § 33 Abs. 2 AVBV  gegenüber allen seinen Tarifkunden verwirkt hat, wenn es nur gegenüber einem Kunden von diesem Recht keinen Gebrauch macht.

Diese Rechtsprechung gründet auf der im Bereich der Daseinsvorsorge mit lebensnotwendigen Gütern/ Dienstleistungen wie Strom- , Gas- und Wasserversorgung unmittelbar geltenden Wirkung der Grundrechte und damit auch des Gleichbehandlungsgrundsatzes gem. Art. 3 Grundgesetz.

Wer das ganze nicht glaubt, rufe in der Rechtsabteilung der Stadtwerke Jena unter 03641/ 688 – 0  an und frage nach.

Als Begründung wird man wohl nur zur Auskunft bekommen, dass man die Grundrechte der Kunden beachte.

Gleichbehandlung fordert aber wohl auch bei Belieferung eines Kunden trotz vollständiger Zahlungsverweigerung die vorerst kostenfreie Belieferung aller Kunden, der Verzicht auf Klage gegen einen Kunden bedeutet dann wohl auch Verzicht auf das Klagerecht gegen alle Kunden.  

„Paradiesische“ Verhältnisse also bei der Energieversorgung in Jena.

Da die Stadt auch ansonsten viel zu bieten hat: Auf nach Jena!

Nur dass die Verbrauchsabrechnungen der Kunden in den letzten Jahren entschieden zu hoch waren. Deshalb wollen Verbraucherverbände nun eine Sammelklage gegen die Stadtwerke Jena für alle Haushaltskunden starten: Geld zurück für alle!

Trotzdem es mit dem Einwand der Unbilligkeit wohl  möglich wäre, heiße ich es nicht gut, Zahlungen vollständig zu verweigern. Ich finde die günstigen 99er Preise der Stadtwerke für angemessen und zahle diese. Ich hoffe, dass es mir viele gleichtun werden. Die Stadtwerke sind damit anscheinend auch zufrieden. Jedenfalls hat sich bisher noch keiner bei mir deshalb beschwert.

Wer das alles nicht fassen mag, rufe selbst bei den Stadtwerken Jena unter 03641/ 688 – 0 an und frage nach. Vielleicht kann man Auskunft darüber geben, warum sich die Zustände hier so „paradiesisch“ darstellen.

Und auch die Erfurter E.on- Tochter TEAG als Regionalversorger hat nach der o. g. Rechtsprechung des OLG Hamburg wohl bereits ihr Recht zur Versorgungseinstellung gegenüber allen Tarifkunden verwirkt. Mir sind jedenfalls auch bei dieser Fälle bekannt, wo trotz horrender Außenstände angedrohte Sperren nicht durchgeführt wurden.

Strom- und Gas- Sperre- freie Zone sozusagen, wo die Kunden selbst ihre Preise bestimmen können.

Weil die Rechtsprechung in Deutschland halbwegs einheitlich ist, sich die Geschäfte der Versorger nicht wesentlich voneinander unterscheiden dürften, liegt Jena wohl überall in Deutschland.

Probieren geht über Studieren sagt der Volksmund.  
 
Und falls es dabei Probleme geben sollte:

Frühzeitig einen Fachmann einschalten.

Freundliche Grüße
aus Jena, wo das Licht nicht ausgeht


Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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