Soweit es sich bei den Klägern um Sondervertragskunden handelt, die außerhalb der Grundversorgung zu günstigeren Sonderpreisen beliefert werden, kommt es zunächst darauf an, ob in die einzelnen Verträge überhaupt Preisänderungsklauseln gem. § 305 Abs. 2 BGB wirksam einbezogen wurden (vgl. BGH, Urt. v. 22.02.11 Az. VIII ZR 34/11).
Wurden Preisänderungsklauseln gem. § 305 Abs. 2 BGB wirksam einbezogen, kommt es darauf an, ob diese jeweils einbezogene Preisänderungsklausel einer Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB standhält.
Der BGH hatte bisher dafür gehalten, dass solche Preisänderungsklauseln der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB standhalten, die zum einen vollinhaltlich der gesetzlichen Regelung des § 4 AVBGasV/ § 5 GasGVV entsprechen, wenn den Kunden für den Fall der Preisänderung zum einen ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt ist und zudem vertraglich sichergestellt wr, dass die einseitige Preisänderung gerichtlich auf ihre Billigkeit gem. § 315 BGB kontrolliert werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.10 Az. VIII ZR 246/08 Rn. 56 f.).
Daran waren sogleich erhebliche Zweifel aufgekommen, nämlich mit Rücksicht auch auf das Transparenzgebot, welches zum einen die EU- Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Klauselrichtlinie) und zum anderen auch die EU- Binnnenmarktrichtlinien Gas enthalten, so dass der BGH diese Rechtsfrage mit Beschluss vom 09.02.11 Az. VIII ZR 162/09 dem EuGH vorgelegt hatte.
Darauf hin kam in der EuGH- Rechtssache Az. C-92/11 (RWE Vertrieb gegen Verbraucherzentrale NRW) die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen vom 13.09.12 zu dem Ergebnis, dass dem EU- rechtlichen Tranzparenzgebot dabei jeweils nicht hinreichend Rechnung getragen wird und entsprechende Vertragsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Gasversorgers deshalb als unwirksam zu verwerfen seien.
Eine Entscheidung des EuGH über diese Rechtsfrage steht indes bisher aus und bleibt abzuwarten.
Der BGH hat mit seinen Urteilen vom 14.03.12 Az. VIII ZR 93/11 und VIII ZR 113/11 deutlich herausgestellt, dass im Falle der Einbeziehung von Preisänderungsklauseln in einen Sondervertrag, die der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB nicht standhalten, eine ergänzende Vertragsauslegung zugunsten des Gasversorgers dann ausscheiden muss, wenn der Versorger durch einen irgendgearteten Widerspruch des Kunden hinreichend Anlass hatte, eine Kündigung des Vertragsverhältnisses in Erwägung zu ziehen, jedoch von seinem Recht zur ordentlichen Kündigung des Vertragsverhältnisses keinen Gebrauch gemacht hat.
Der BGH verweist den Gasversorger also ausdrücklich darauf, nach einem irgend gearteten Erst- Widerspruch des Kunden gegen Preisänderungen den Sondervertrag (unter Einhaltung einer Kündigungsfrist) ordentlich zu kündigen, wenn der Kunde Preisänderungen widersprochen hatte und die Einbeziehung und Wirksamkeit von AGB- Preisänderungsklauseln zweifelhaft ist und im Streit steht.
Der BGH hat bereits entschieden, dass das für eine Klage auf Feststellung [dass dem Versorger ein Recht zur einseitigen Preisänderung nicht zusteht und einzelne einseitige Preisänderungen deshalb unwirksam sind] notwendige besondere Feststellungsinteresse jedenfalls nicht dadaurch entfällt und die Klage deshalb nicht nachträglich unzulässig wird, wenn der Versorger im Laufe des Rechtsstreits das betroffene Vertragsverhältnis durch Kündigung beendet.
Eine bis dahin zulässige und begründete Feststellungsklage bleibt es demnach weiterhin.
Insoweit dürften die versorgerseitigen Kündigungen keinen Einfluss auf das weitere Verfahren vor dem Landgericht Halle haben.
Handelt es sich um Sonderverträge und wurden Preisänderungsklauseln jedoch schon nicht wirksam einbezogen, liegt die Sache wohl klar (vgl. BGH, Urt. v. 22.02.12 Az. VIII ZR 34/11).
Sollte das LG Halle im derzeitigen Verfahrensstadium zu der Auffassung gelangen, dass es sich um Sonderveträge handelt und in alle betroffenen Sondervertragsverhältnisse gerade solche Preisänderungsklauseln wirksam einbezogen wurden, die dem Streit in der Rechtssache EuGH Az. C-92/11 zu Grunde leigen, wird es den Rechtsstreit womöglich gem. § 148 ZPO analog bis zur Entscheidung des EuGH über diese Rechtsfrage aussetzen.
Sollte der EuGH dort dazu kommen, dass solche Klauseln wirksam seien, käme es für die Streitsentscheidung des Landgerichts Halle dann wohl darauf an, ob die einzelnen einseitigen Preisänderungen jeweils der Billigkeit entsprachen.
Die Klärung dieser Frage könnte mit hohen Kosten verbundene gerichtliche Sachverständigengutachten erfordern. So hatten etwa die Kläger in einem Sammelklageverfahren vor dem LG Frankfurt/ Oder gegen EWE für die Einholung eines - gegenbeweislichen - gerichtlichen Sachverständigengutachtens einen Kostenvorschuss in Höhe von EUR 15.000 zu leisten.
Sollte der EUGH dort hingegen mit der Generalanwältin zu dem Ergebnis kommen, dass solche Klauseln unwirksam sind, wird es auf eine solche Billigkeitskontrolle nicht ankommen. Dann wäre jedenfalls auch kein gerichtliches Sachverständigengutachten hierüber erforderlich.
Eine ergänzende Vertragsauslegung zu Gunsten des Gasversorgers wird in diesem Fall voraussichtlich daran scheitern, dass dieser auf die Erstwidersprüche der Kunden hinreichend Anlass hatte, die Vertrageverhältnisse ordentlich zu kündigen, hiervon jedoch keinen bzw. erst jetzt Gebrauch gemacht hatte.
Nach alldem kann sich wohl kein betroffener Kunde, der sein Recht wahrgenommen, Preisänderungen widersprochen und Zahlungsbeträge entsprechend gekürzt hat, erfolgreich darüber beschweren, dass der Versorger seinerseits sein Recht zur ordentlichen Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist ausübt.
Für eine ordentliche Kündigung bedarf es regelmäßig schon keinerlei Begründung und Rechtfertigung.
Die Vorgehensweise des LG Halle, die Entscheidungen höherrangiger Gerichte über die streitentscheidenden Rechtsfragen in anhängigen Pralellverfahren abzuwarten, erscheint für die Parteien und somit auch die Kläger vorteilhaft, da sie das Prozess- und Prozesskostenrisiko begrenzen, welche bei vollem Instanzenzug über OLG/ BGH/ EuGH zu besorgen wären.
Die betroffenen Kläger werden im Falle eines für sie positiven Prozessausgangs im Ergebnis wohl deutlich davon profitieren, dass der Versorger erst jetzt von seinem ordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch macht, für sie deshalb bisher aufgrund der frühzeitigen Erst- Widersprüche schon über sehr lange Zeit eine ihnen durchaus vorteilhafte Situation bestand. Dies gilt vor allem dann, wenn die Kläger jeweils wom Erst- Widerspruch an und durchgängig ihre Zahlungen in den betroffenen, unbeendeten Vertragsverhältnissen entsprechend gekürzt haben.
Ohne es beschreien zu wollen:
Hätte das LG Halle bereits 2007 über die Klage entschieden und wäre man dann - wie in den Parallverfahren über solche Sammelklagen - über OLG/BGH und EuGH durch die Instanzen gezogen, wäre man hinsichtlich einer rechtskräftigen Entscheidung über die Klage wohl auch noch nicht weiter.
Die streitentscheidenden Rechtsfragen, wann ein Sondervertrag vorliegt, unter welchen Voraussetzungen Allgemeine Geschäftsbedingungen überhaupt wirksam in einen solchen einbezogen wurden und ob solche Klauseln dem Transparenzgebot entsprechen und deshalb der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB standhalten und wirksam sind, unter welchen Voraussetzungen ggf. welche ergänze Vertragsauslegung in Betracht kommt, wurden erst jetzt höchstrichterlich entschieden bzw. befinden sich wie aufgezeigt vor dem EuGH immer noch in der Klärung.
Bei grundversorgten Tarifkunden war der BGH bisher - seit seiner Grundsatzentscheidung vom 13.06.07 Az. VIII ZR 36/06 - von der wirksamen gesetzlichen Einräumung eines einseitigen Preisänderungsrechts zugunsten des Gasversorgers ausgegangen, welches der gerichtlichen Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterliegt.
Nach entsprechenden EuGH- Vorlagen (BGH, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10 und B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10) bestehen auch daran Zweifel und ist bis zu einer Entscheiodung des EuGH nunmehr vollkommen offen, ob den Versorgern gesetzlich ein Preisänderungsrecht bisher wirksam eingeräumt wurde.
Für den Fall, dass es nicht wirksam eingeräumt wurde, stellt sich auch dort die Frage, unter welchen Voraussetzungen ggf. welche ergänzende Vertragsauslegung greifen kann.
Erst nach Beantwortung dieser entscheidenden Rechtsfragen kann sich ergeben, ob es für die konkrete Streitentscheidung überhaupt erst noch auf die Billigkleitskontrolle der einzelnen einseitigen Preisänderungen ankommt (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.06.12 Az. VI- 2 U [Kart] 10/11).