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BGH-EuGH und § 315 BGB: Der aktuelle Stand

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RR-E-ft:
Die Anwendung der Billigkeitskontrolle setzt voraus, dass eine Partei die Leistung bestimmen soll.

Dies kann auch die vom anderen Vertragspartner zu erbringende  Gegenleistung, etwa das Entgelt betreffen.
Die Bestimmungspflicht kann sich aus Vertrag oder Gesetz ergeben.

Die st. Rspr. des VIII.Zivilsenats des BGH geht seit dem Urteil vom 28.03.07 Az. VIII ZR 144/06 davon aus, dass mit Abschluss eines Grundversorgungsvertrages insbesondere bei konkludentem Vertragsabschluss durch Energienentnahme eine Preisvereinbarung hinsichtlich des Anfangspreises zustande kommt, welche die Billigkeitskontrolle dieses Anfangspreises ausschließt.

Dabei wird m.E. verkannt, dass eine solche Preisvereinbarung für den wirksamen Vertragsabschluss schon nicht notwendig ist. Es genügt, wenn sich aus Vertrag oder Gesetz ergibt, dass eine Partei das Entgelt festsetzen bzw. bestimmen soll. Eine solche Entgeltbestimmungspflicht ergibt sich m.E. aus § 36 Abs. 1 EnWG, weil der Grundversorger die jeweiligen Allgemeinen Preise jeweils festsetzen muss, bevor er sie öffentlich bekannt gibt.
 
Der Grundversorger kann dabei eigentlich schon  nicht auf (individuelle) Preisvereinbarungen mit den grundversorgten Kunden abstellen. Denn dann müsste er ausgehend vom individuellen  Widerspruchsverhalten der Kunden (Widerspruch bereits seit 2004 oder erst seit 2013...) auf vollkommen unterschiedliche vereinbarte Preissockel abstellen. Er muss indes alle Kunden zu den gleichen von ihm öffentlich bekannt gegebenen Allgemeinen Preisen beliefern, die er selbst festgesetzt und öffentlich bekannt gegeben hat.

Bei Lichte betrachtet besteht die Einigung der Parteien auch beim konludenten Vertragsabschluss eines Grundversorgungsvertrages wohl nur darin, dass die Energielieferungen zu den jeweiligen Allgemeinen Preisen mithin Entgelten erfolgen sollen, die der Grundversorger [gem. § 36 Abs. 1 EnWG] jeweils einsetig bestimmt und öffentlich bekannt gibt. 

Eine Preisakzeptanz ist in diesem Fall für einen wirksamen Vertragsabschluss schon überhaupt nicht notwendig.

Woher wollte der Kunde vor oder  bei konkludentem Vertragsabschluss eines Grundversorgungsvertrages auch wissen, ob der Versorger nicht  seit seiner letzten einseitigen Entgeltbestimmung und Preisveröffentlichung etwa stetig erheblich gesunkene Kosten zu verzeichnen hatte und deshalb gegenüber den grundversorgten Kunden längstens zur erheblichen  Preisabsenkung gesetzlich verpflichtet war?

Wenn nun der Versorger infolge solcher rückläufigen Kosten längstens schon zur Preisabsenkung verpfllichtet war, warum sollte dann gerade nur der neu hinzukommende Grundversorgungskunde allein den längst zu hohen Preis mit Vertragsabschluss akzeptieren und zahlen müssen, während alle anderen grundversorgten  Kunden aus der Verpflichtung des Versorgers auf Preissenkung längst einen Anspruch auf eine solche haben?   

Ergibt sich aus der Einigung der Parteien, dass eine von ihnen das jeweilige Entgelt jeweils einseitig festsetzen soll, so unterliegt das jeweilige einseitig festgesetzte Entgelt jeweils der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB.

Siehe zur Mindermeinung Th. Fricke, ZNER 2011, 130 und Markert Festschrift für  Säcker 2011, 845 ff..

Nimmt man hingegen mit dem VIII.Zivilsenat des BGH an, dass die vertragliche Einigung der Parteien nicht dahin geht, dass der Versorger das jeweilige Entgelt jeweils einseitig festsetzen soll, sondern am Anfang ein Preis vereinbart wird, hat § 315 BGB keinen vertraglich vereinbarten Anwendungsbereich.

Dann könnte der Anwendungsberich des § 315 BGB nur noch  aus einer gesetzlichen Regelung eröffnet sein.
Der BGH meint, dies sei bei § 4 AVBV und § 5 GVV der Fall gewesen.

Der EuGH hat jedoch festgestellt, dass die gesetzliche Regelung des § 4 AVBV und des § 5 GVV in der bis zum 30.10.14 gültigen Fassung seit dem 01.07.04 mit den EU-Richtlinien zum Schutz der Haushaltskunden nicht vereinbar und deshalb unwirksam war.

Mithin konnte in Folge dieser Unwirksamkeit dieser gesetzlichen Regelungen aus diesen auch nicht mehr der Anwendungsbereich des § 315 BGB eröffnet sein.

Deshallb geht der BGH seit dem Urteil v. 24.2.16 Az. VIII ZR 216/12 davon, dass eine Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB  aufgrund § 4 AVBV seit 01.07.04 nur noch für Nicht- Haushaltskunden- Tarifkunden  zur Anwendung kommt, weil diesen gegenüber die gesetzliche Regelung des § 4 AVBV (anders als bei Haushaltskunden) nach der Entscheidng des EuGH nicht unwirksam ist.

Laut VIII. Zivilsenat des BGH waren gegenüber Haushaltskunden (nur solche befinden sich in der Grundversorgung!)  die Regelungen der § 4 AVBV und § 5 GVV jedenfalls in der Zeit vom 1.7.04 bis zum 31.10.14 unwirksam und deshalb der Anwendungsbereich des § 315 BGB nicht mehr eröffnet, so dass für eine Billigkeitskontrolle kein weiterer Raum mehr war.


Folgt man dem VIII. Zivilsenat des BGH, so hatten Preisänderungen in der Grundversorgung seit 1.7.04 keine gesetzliche Grundlage mehr und unterlagen deshalb auch keiner Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB mehr.
§ 315 BGB fand deshalb in diesem Bereich keine Anwendung mehr.

An deren Stelle setzt dieser Senat seine nicht unumstrittene ergänzende Vertragsauslegung....

Und deshalb kann es geschehen, dass Kollegen, die der Rechtsprechung dieses Senats halbwegs kritiklos folgen, zu § 315 BGB  nichts mehr ausführen und in ihren Schriftsätzen schreiben.             

userD0010:
Prof. Dr. Kurt Markert, Berlin, Auszug aus dem einem Beitrag für die Neuauflage des von Prof. Säcker herausgegebenen Energierechtskommentars:

Billigkeitskontrolle von Strom- und Gasverbraucherpreisen nach § 315 BGB

Folgt man dem VIII. Zivilsenat des BGH, so hatten Preisänderungen in der Grundversorgung seit 1.7.04 keine gesetzliche Grundlage mehr und unterlagen deshalb auch keiner Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB mehr.
§ 315 BGB fand deshalb in diesem Bereich keine Anwendung mehr.

Und hat man nicht, wie in meinem Falle auf Grundlage der Forenveröffentlichungen, ab 2004 die Billigkeit der Preiserhöhungen in der Grundversorgung gem. § 315 BGB gerügt?

Ist denn nun irgendjemandem auf den Leim gegangen und was wurde nicht alles in div. "Meinungsbekundungen" veröffentlicht?

Es fehlt nur noch, dass man den Begriff GRUNDVERSORGUNG neu definiert und daraus die Meinung bildet, dass ein Grund zur Versorgung damit gemeint war, was allerdings nichts mit einer eventuellen Preisgestaltung zu tun haben soll.

RR-E-ft:

--- Zitat von: h.terbeck am 05. Februar 2017, 09:11:11 ---Und hat man nicht, wie in meinem Falle auf Grundlage der Forenveröffentlichungen, ab 2004 die Billigkeit der Preiserhöhungen in der Grundversorgung gem. § 315 BGB gerügt?
--- Ende Zitat ---

@h.terbeck

Womöglich  sind Sie längst zu sehr mit eigener Verärgerung  beschäftigt, dass Sie zu wenig verstanden haben, was diese ergänzende Vertragsauslegung überhaupt beinhaltet und worin dabei Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur Billigkeitskontrolle liegen.

Die Rechtsprechung des VIII.Zivilsenates des BGH hat sich über die Jahre wie folgt entwickelt:

Wohl seit dem Urteil vom 28.03.07 Az. VIII ZR 144/06 geht  der VIII.Zivilsenat des BGH  bei der Grundversorgung von einem vereinbarten Anfangspreis aus.

Seit dem Urteil vom 13.06.07 Az. VIII ZR 36/06 ging der VIII.Zivilsenat davon aus, dass bei der Grundversorgung nur die Preiserhöhung der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterliegt, welche der Kunde rechtzeitig als unbillig gerügt hat; dies insbesondere dann, wenn nur die Preiserhöhung, nicht jedoch der Gesamtpreis als unbillig gerügt wurde.

Seit den Urteilen vom 28.10.15 Az.VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12 wendet der BGH bei grundversorgten Haushaltskunden anstatt der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB seine ergänzende Vertragsauslegung an.

Diese Entwicklung wurde hier im Forum umfassend dokumentiert.
(Manch einer gab  ohne mit Polemik zu geizen jeweils fleißig seine Kommentare dazu.)

Es ist nicht ersichtlich, wer diese Entwicklung und insbesondere den Inhalt der derzeit vom BGH praktizierten ergänzenden Vertragsauslegung im Jahre 2004 vorausgesehen haben kann und soll.

Man sollte indes daraus erkannt haben:   

Nur bei den grundversorgten Kunden, welche  den Preisänderungen rechtzeitig widersprochen hatten, kommt es auch nach der umstrittenen ergänzenden Vertragsauslegung des VIII.Zivilsenats des BGH überhaupt nur im Streitfall vor Gericht zur Kontrolle von Kostensteigerungen.

Nur wenn man -  wie von den Verbraucherzentralen, dem Bund der Energieverbraucher und hier im Forum  bereits seit 2004 empfohlen - den Preisänderungen rechtzeitig widersprochen hatte, muss der Versorger gegenüber grundversorgten Kunden  entsprechende Kostensteigerungen vor Gericht  darlegen und ggf. beweisen.

Man muss der Meinung des VIII.Zivilsenats nicht folgen, sondern kann weiter mit guten Argumenten die Billigkeitskontrolle vertreten und somit zur weiteren Rechtsfortbildung beitragen. Man muss sich nur im Klaren darüber sein, dass die Wahrscheinlichkeit eines Unterliegens bei den Instanzgerichten höher liegt, soweit man der herrschenden Meinung nicht folgt. Ein Anwalt, der den sichersten Weg wählen soll, wird sich an der herrschenden Meinung orientieren.


uwes:

--- Zitat von: RR-E-ft am 05. Februar 2017, 11:16:57 ---Nur bei den grundversorgten Kunden, welche  den Preisänderungen rechtzeitig widersprochen hatten, kommt es auch nach der umstrittenen ergänzenden Vertragsauslegung des VIII.Zivilsenats des BGH überhaupt nur im Streitfall vor Gericht zur Kontrolle von Kostensteigerungen.
--- Ende Zitat ---


Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, was Sie mit Preisänderungen meinen, für die ein Widerspruch erforderlich ist, insbesondere vor dem Hintergrund des o.g. BGH-Urteils.

Muss man Ihrer Auffassung nach neben den Preiserhöhungen auch

1. den Preissenkungen und
2. nicht erfolgten Preissenkungen

widersprechen, damit in beiden Fällen kein neuer "Vertragspreis" zustande kommt?

RR-E-ft:
Wenn bei wirksamer gesetzlicher oder vertraglicher  Regeleung ein Recht und eine Verpflichtung bestehen, die Preise nach billigem Ermessen zu ändern, dann ist auf jede einseitige Preisänderung - egal in welche Richtung - § 315 BGB unmittelbar anwendbar.

Dann muss man darauf gestützte einseitige Preisänderungen  auch jeweils als unbillig rügen, wenn dieses Rügerecht hinsichtlich der betroffenen einseitigen Preisänderungen nicht durch Zeitablauf verloren gehen soll.

Zudem besteht dabei die Möglichkeit, dass auch ein vereinbarter Preis nachträglich  unbillig wird, nämlich  wenn die Kosten sinken und der Versorger trotz und entgegen entsprechender Verpflichtung den Preis nicht entsprechend absenkt.

Hierbei wäre mit dieser Begründung der Preis und nicht die einseitige Preisänderung als unbillig zu rügen, weil es eine einseitige Preisänderung in Form einer Preissenkung nicht gab.   

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