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Autor Thema: Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?  (Gelesen 20043 mal)

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Anonymous

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Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?
« am: 10. Dezember 2005, 22:22:36 »
Gerade wollte ich mich wegen der ständigen Mahnungen und Zinszahlungsforderungen unserer Stadtwerke an die Staatsanwaltschaft wenden, da erreicht mich folgender offener Brief vom Aufsichtsratsvorsitzenden der Stadtwerke Delmenhorst GmbH, Sascha Voigt.

„Sehr geehrte Frau Sassen,
Sie lasten der SWD öffentlich an, illegal offene Rechnungen und Abschläge anzumahnen.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner jüngsten Entscheidung zu dieser Problematik vom 05.07.2005 (RdE 2005, 268 ff) entgegen Ihrer Darstellung ausdrücklich bestätigt, dass § 30 AVBV in den jeweiligen Rechtsverordnungen den Zweck hat, zu verhindern, dass die Tarifkunden mit nicht sofort prüfbaren Einwänden ihre Zahlungspflicht hinauszögern. Dieser Zweck könne nur erreicht werden, wenn auch der Einwand nach § 315 Abs. 3 BGB unter § 30 AVBV falle. Zumindest der Tarifkunde müsse daher zunächst zahlen und gegebenenfalls auf teilweise Rückzahlung klagen.

Deshalb ist es durch den Aufsichtsrat nicht zu beanstanden, wenn die fehlenden und absichtlich verweigerten Teilzahlungen von dem Unternehmen angemahnt wurden. Da nach der gültigen Rechtsverordnung als nächster Schritt die Versorgungssperre  anzudrohen wäre, werden wir mit diesem Brief die Presse über den aktuellen Stand der Rechtsprechung informieren, um den Betreffenden dadurch Gelegenheit zu geben, jetzt freiwillig ihrer gesetzlichen Zahlungspflicht nachzukommen.

Mit freundlichen Grüßen

STADTWERKE DELMENHORST GMBH
Der Aufsichtsratsvorsitzende“

Offline Monaco

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Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?
« Antwort #1 am: 11. Dezember 2005, 15:33:50 »
Da wurde wohl jetzt der \"Fehdehandschuh\" geworfen. Dabei erstaunt, dass man jetzt sogar die örtlichen Medien für sich \"einspannen\" möchte. Es scheint, es bleibt unseren Rechtsexperten vorbehalten, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Delmenhorster Stadtwerke auf den \"rechten Weg\" zurückzuhelfen. Schließlich will doch keiner, dass die Öffentlichkeit für \"dumm\" verkauft wird.

In diesem Sinne.
Einen schönen 3. Advent.

Monaco.

Offline Graf Koks

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Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?
« Antwort #2 am: 11. Dezember 2005, 16:36:33 »
Ich kann nur sagen: Das ist ein wiederholter Rechtsbruch mit Ansage ... wenn es ernst gemeint ist, woran ich Zweifel habe. Vermutlich ist es in erster Linie Getöse, an der tatsächlichen Rechtslage vorbei schwadroniert ...

Dies wäre eine mögliche Antwort an die Stadtwerke Delmenhorst:

Sehr geehrter Herr Sascha Voigt,

Ihre Bezugnahme auf die Entscheidungen X ZR 99/04 und 60/04 soll hier Anlass sein, den Wortlaut der o.g. Entscheidung einmal genauer zu betrachten. Hier führt der X. Zivilsenat auf S. 7 der Entscheidung aus:

Die entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB hat zur Folge, daß die vom Versorgungsunternehmen angesetzten Tarife für den Kunden nur verbindlich sind, wenn sie der Billigkeit entsprechen (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Entspricht die Tarifbestimmung nicht der Billigkeit, so wird sie, sofern das Versorgungsunternehmen dies beantragt, ersatzweise im Wege der richterlichen Leistungsbestimmung durch Urteil getroffen (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB; vgl. Staudinger/Rieble, aaO Rdn. 294 f.). Erst die vom Gericht neu festgesetzten niedrigeren Tarife sind für den Kunden verbindlich, und erst mit der Rechtskraft dieses Gestaltungsurteils wird die Forderung des Versorgungsunternehmens fällig und kann der Kunde in Verzug geraten (BGH, Urt. v. 24.11.1995 - V ZR 174/94, NJW 1996, 1054; MünchKomm./Gottwald, BGB, 4. Aufl., § 315 Rdn. 49; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 315 Rdn. 17; Staudinger/Rieble, aaO Rdn. 276); erst von diesem Zeitpunkt an besteht mithin eine im gerichtlichen Verfahren durchsetzbare Forderung des Versorgungsunternehmens.


Eigentlich eindeutig, oder ?  
Aber lesen wir noch ein wenig weiter auf S. 18:

(b) Weil die Klausel auch den Einwand der unbilligen einseitigen Leistungsbestimmung erfaßt, ist sie ferner auch mit § 315 Abs. 3 BGB nicht zu vereinbaren, der ein formularmäßig nicht abdingbares Gerechtigkeitsgebot enthält. Ist der Einwand der Unangemessenheit nach § 315 BGB gerechtfertigt, so ist, wie bereits dargelegt, von Anfang an nur der angemessene, im Ergebnis vom Gericht bestimmte Betrag geschuldet. Nur auf diesen hat die Klägerin Anspruch. Eine Rechtfertigung, ihr darüber hinaus die Befugnis zuzugestehen, zunächst eine unter Umständen gar nicht geschuldete Leistung zu vereinnahmen und den Abnehmer auf einen Rückforderungsprozeß zu verweisen, ist nicht zu erkennen. Das liefe dem Zweck des § 315 BGB zuwider (vgl. dazu BGH, Urt. v. 19.01.1983, aaO; Urt. v. 30.04.2003, aaO).


Der X. Zivilsenat nimmt hier ausdrücklich auf die Wertungen Bezug, die der VIII. Senat in der Entscheidung 278 und 279/02 in Hinblick auf § 30 AVBWasserV getroffen hat. Damit ist evident, dass auch der X. Zivilsenat vom Vorrang des Einwandes nach § 315 BGB ausgeht.

Soweit der BGH also in der Entscheidung X ZR 60/04 bezüglich der Auslegung der § 30 AVBGasV/AVBWasserV usw. die hierzu vertretenen Meinungen referiert, tut er dies zum Zweck der Auslegung der AGB- Klausel - die er dann in Hinblick auf den in § 315 BGB niedergelegten fundamentalen Rechtsgrundsatz des privaten Schuldrechts 10 Seiten später für unwirksam erklärt, weil sie mit diesem Grundsatz unvereinbar ist und also die Gegenpartei unangemessen benachteiligt.

Die Frage also, wie man eine Klausel oder eine untergesetzliche Norm auslegt, ist also nicht gleichzusetzen mit der Entscheidung, ob man Ihr den nach Ergebnis der Auslegung beabsichtigten Vorrang (hier: vor § 315 BGB) denn auch gewährt (es handelt sich um eine untergesetzliche Norm - im Gegensatz zum BGB)

Soweit die Stadtwerke Delmenhorst gegen ihre - vertragstreuen (!) - Kunden mit der Versorgungssperre vorzugehen beabsichtigen, sei auf die erst jüngst ergangene Entscheidung des OLG Düsseldorf (Kartellsenat) in Sachen VI-2 W 1/05 hingewiesen; es steht damit nunmehr auch von Seiten eines Beschwerdegerichts fest, dass der Kunde schon gegen die Androhung einer Versorgungssperre im Wege einer einstweiligen Verfügung vorgehen kann. Diese Entscheidung ist rechtskräftig.


M.f.G. aus Berlin
Graf Koks

Offline Cremer

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Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?
« Antwort #3 am: 12. Dezember 2005, 10:06:08 »
@Eva Sassen.

da sind die SW Kreuznach etwas \"geruhsamer\". Außer Versendung der monatlichen Zalungsrückstände und Mahnungen passiert da weiter nichts, da auch der Geschäftsführer bereits im Februar die Brisanz erkannte und auch aufgrund der Berichterstattung im Fernsehen  zur Zeit weiter nichts verlautet.

Über die \"Klippe\" §30 AVBGasV sind die schon hinweg. Manche lernen dies schneller, manche erst später, einige haben da eine andere Auffassungsgabe.

letztlich läuft es für alle Versorger darauf hinaus, dass sie vermutlich den Klageweg bestreiten müssen, wenn sie auf die Beträge pochen.

Insofern ist dies nur \"Geplänkel\" der SWD
MFG
Gerd Cremer
BIFEP e.V.

info@bifep-kh.de
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Offline BerndA

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Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?
« Antwort #4 am: 12. Dezember 2005, 12:08:32 »
@ Frau Sassen

auch hier mal die für Sie zuständige Energieaufsicht beim Landeskartellamt einschalten:

http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/service/LKB.shtml

Das wirkt oft Wunder !

Mit freundlichen Grüßen aus dem Münsterland :wink:

B. Ahlers

Offline uwes

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Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?
« Antwort #5 am: 12. Dezember 2005, 12:55:17 »
Zitat von: \"Graf Koks\"
... Ihre Bezugnahme auf die Entscheidungen X ZR 99/04 und 60/04 soll hier Anlass sein, den Wortlaut der o.g. Entscheidung einmal genauer zu betrachten. Hier führt der X. Zivilsenat auf S. 7 der Entscheidung aus:

Die entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB hat zur Folge, daß die vom Versorgungsunternehmen angesetzten Tarife für den Kunden nur verbindlich sind, ...


Ich verstehe die Entscheidung anders: Gerade weil Einwände nach § 315 Abs. 3 BGB unter die Regelungen der Klausel \"Einwendungen gegen die Rechnung\"... gem. § 30 AVBGas nach der Auffassung des BGH fallen, ist sie zunächst anwendbar.

Der BGH hielt die Klausel jedoch aus AGB-rechtlichen Umständen in dem dort entschiedenen Fall zur Abfall- und Straßenreinigung für unwirksam.

Zitat von: \"Graf Koks\"
[/i]Erst die vom Gericht neu festgesetzten niedrigeren Tarife sind für den Kunden verbindlich, und erst mit der Rechtskraft dieses Gestaltungsurteils wird die Forderung des Versorgungsunternehmens fällig und kann der Kunde in Verzug geraten (BGH, Urt. v. 24.11.1995 - V ZR 174/94, NJW 1996, 1054; MünchKomm./Gottwald, BGB, 4. Aufl., § 315 Rdn. 49; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 315 Rdn. 17; Staudinger/Rieble, aaO Rdn. 276); erst von diesem Zeitpunkt an besteht mithin eine im gerichtlichen Verfahren durchsetzbare Forderung des Versorgungsunternehmens.
[/i]

Eigentlich eindeutig, oder ?  
Aber lesen wir noch ein wenig weiter auf S. 18:

(b) Weil die Klausel auch den Einwand der unbilligen einseitigen Leistungsbestimmung erfaßt, ist sie ferner auch mit § 315 Abs. 3 BGB nicht zu vereinbaren, der ein formularmäßig nicht abdingbares Gerechtigkeitsgebot enthält. Ist der Einwand der Unangemessenheit nach § 315 BGB gerechtfertigt, so ist, wie bereits dargelegt, von Anfang an nur der angemessene, im Ergebnis vom Gericht bestimmte Betrag geschuldet. Nur auf diesen hat die Klägerin Anspruch. Eine Rechtfertigung, ihr darüber hinaus die Befugnis zuzugestehen, zunächst eine unter Umständen gar nicht geschuldete Leistung zu vereinnahmen und den Abnehmer auf einen Rückforderungsprozeß zu verweisen, ist nicht zu erkennen. Das liefe dem Zweck des § 315 BGB zuwider (vgl. dazu BGH, Urt. v. 19.01.1983, aaO; Urt. v. 30.04.2003, aaO).



Das ist die Konsequenz der o.g. - vom Gericht in dem dortigen Falle angenommenen - Unwirksamkeit.

Zitat von: \"Graf Koks\"
Der X. Zivilsenat nimmt hier ausdrücklich auf die Wertungen Bezug, die der VIII. Senat in der Entscheidung 278 und 279/02 in Hinblick auf § 30 AVBWasserV getroffen hat. Damit ist evident, dass auch der X. Zivilsenat vom Vorrang des Einwandes nach § 315 BGB ausgeht.


aber nur, wenn auch der § 30 AVBGas nach AGB- rechtlichen Grundsätzen unwirksam wäre. Das hat der BGH aber nicht ausgeführt.

Zitat von: \"Graf Koks\"
Soweit der BGH also in der Entscheidung X ZR 60/04 bezüglich der Auslegung der § 30 AVBGasV/AVBWasserV usw. die hierzu vertretenen Meinungen referiert, tut er dies zum Zweck der Auslegung der AGB- Klausel - die er dann in Hinblick auf den in § 315 BGB niedergelegten fundamentalen Rechtsgrundsatz des privaten Schuldrechts 10 Seiten später für unwirksam erklärt, weil sie mit diesem Grundsatz unvereinbar ist und also die Gegenpartei unangemessen benachteiligt.

Die Frage also, wie man eine Klausel oder eine untergesetzliche Norm auslegt, ist also nicht gleichzusetzen mit der Entscheidung, ob man Ihr den nach Ergebnis der Auslegung beabsichtigten Vorrang (hier: vor § 315 BGB) denn auch gewährt (es handelt sich um eine untergesetzliche Norm - im Gegensatz zum BGB)


Also: Ist wegen der besonderen Rechtsgestaltung der AVB Gas der § 30 AVBGas unwirksam oder nicht? Der BGH hat das so offenbar nocht nicht entschieden.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
____________________________________________________
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Offline RR-E-ft

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Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?
« Antwort #6 am: 12. Dezember 2005, 13:29:46 »
@uwes

Unter II 2 c) bb) (3) (b) ergibt sich, dass die AGB-Klausel gerade deshalb unwirksam ist, weil sie auch den Einwand der Unbilligkeit gem. § 315 BGB mitumfasst.

Nach den Urteilen BGH NJW 2003, 3131, die auch zitiert wird, und zu der der erkennende Senat auch keine Divergenz schaffen wollte, ist § 30 AVBV nicht unwirksam.

Er umfasst jedoch nach st. Rspr. nur nicht den Unbilligkeitseinwand gem. § 315 III BGB. Dieser wird durch § 30 AVBV nach st. Rechtsprechung gerade nicht ausgeschlossen.

Zudem wird ausgeführt, der VIII. Zivilsenat habe lediglich in einem obiter dictum für einen Rückforderungsprozess zu unrecht eine geänderte Darlegungs- und Beweislastverteilung angenommen.

Dabei blieb wohl unberücksichtigt, dass die Entscheidung BGH NJW 2003, 1449 gerade auf dieser geänderten Darlegungs- und Beweislast wesentlich gründete......

Wenn der X. Zivilsenat deshalb vermerkt, er wolle gerade keine Divergenz zu früheren Urteilen des BGH begründen, so müsste ein anderweitiges Verständnis des Lesers wohl allein an einer missglückten Formulierung liegen.


Es war ausdrückliches Bestreben des entscheidenden Senats, keine Divergenz zu frühreren Entscheidungen des BGH zu begründen.


Demgemäß sollten die Entscheidungen auch nicht an der bisherigen Rechtsprechung rütteln. Indem diese ständige Rechtsprechung als solche sogar wiederholt zitiert wird, wird diese nach meiner Auffassung vielmehr erneut bestätigt. Andernfalls hätte man ggf. auch eine Entscheidung des großen Senats herbeigeführt.

Zugegebenermaßen ließ der BGH jedoch für Interpretationen Raum.
Insoweit sollte man jedoch weiter auf die vielen eindeutigen Urteile der anderen Senate abstellen, die sich in der Frage über lange Jahre vollkommen eindeutig positioniert haben und zu denen gerade keine Divergenz begründet werden sollte.



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
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Offline Graf Koks

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Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?
« Antwort #7 am: 12. Dezember 2005, 13:39:06 »
@uwes:

Wir meinen ziemlich genau dasselbe: Der X. Senat differenziert zwischen Auslegung und der Frage, ob er die getroffene Reichweite des Einwendungsausschlusses im Einzelfall nach Abwägung der Parteiinteressen auch zun Tragen kommen lässt. Hier hat der X. ZS. eine AGB- Klausel unter ZUhilfenahme von § 30 AVBGasV ausgelegt.

Also ganz platt gesagt 2 Schritte:
1. Was sagt die Vorschrift, welche Reichweite hat ihr Wortlaut
2. Wende ich die Vorschrift vorliegend auch tatsächlich mit dieser Reichweite an. Denn § 315 BGB steht als höherrangiges Recht entgegen.

Nochmals: Wie eine Norm auszulegen ist, fällt noch keine Entscheidung darüber, ob man Ihr diese Geltung gegenüber anderen entgegenstehenden Vorschriften auch gewährt !

Eine AGB-rechtliche Prüfung kommt allerings gegenüber § 30 AVBGasV selbst nicht zum Tragen, vgl. § 310 Abs. 2 BGB.

Eine Umgehung von § 315 durch § 30 AVBGasV beabsichtigt der X. Senat nicht. Der VIII. Senat ganz sicher nicht, wie auch die Entscheidung VIII ZR 278/02 zeigt. Die Formulierung ist in der Tat einigermassen unglücklich. Aus den Erwägungen wird aber m.E. deutlich, dass auch der X. ZS. eine Leistungspflicht des Kunden hinsichtlich des Unterschiedsbetrages nach Erhebung der Einrede des § 315 BGB nicht aus § 30 AVBGasV ableiten würde, weil er das Interesse des Versorgers an der sofortigen Zahlung des Differenzbetrages nicht als schutzwürdiger ansieht als das des Kunden an der Vermeidung eines Rückforderungsprozesses. Dabei hat der X. ZS. hier noch nicht einmal den Fall des Preisprotests im Auge gehabt, er spricht nur von allgemeinen Einwendungen gegen die Abrechnungen.


M.f.G. aus Berlin
Graf Koks

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« Antwort #8 am: 12. Dezember 2005, 14:38:03 »
@Graf Koks
@uwes

Der BGH stellt klar, dass eine Auslegung der AGB- Klausel ergibt, dass diese auch den Einwendungsausschluss nach § 315 BGB mitumfassen sollte/ mitumfasste.

Das LG Berlin hatte in einem Berufungsurteil ( 48 S 28/04 = GE 2004, 815) entschieden, dass die AGB- Klausel den Einwand der Unbilligkeit nicht erfasst. Anders hingegen das KG Berlin (26 U 142/03).

Daraufhin hat der BGH in seinem Urteil vom 05.07.2005 entschieden, dass die AGB- Klausel nach einer Auslegung auch den Unbilligkeitseinwand nach § 315 BGB mit ausschließen sollte und folgte somit zunächst dem KG Berlin.

Jedoch hielt der BGH an dieser Stelle seine Prüfung nicht an, sondern führte diese -anders als das KG Berlin - weiter:

Gerade weil diese AGB- Klausel auch den Unbilligkeitseinwand gem. § 315 III BGB mitumfasste - also gerade deshalb - erwies sich diese AGB- Klausel als unwirksam, weil sich dies  mit dem wichtigen Schutzgedanken des § 315 BGB nicht vereinbaren lässt.

Mithin kann der Einwand der Unbilligkeit gem. § 315 BGB regelmäßig nicht formularmäßig durch ABG- Klauseln abbedungen werden.

Dass § 30 AVBV den Einwand der Unbilligkeit nicht umfasst, hatte der BGH schon in der Vergangenheit immer wieder entschieden.

Und auf diese Entscheidungen wurde in dem Urteil wiederum Bezug genommen und gegen diese früheren Entscheidungen des BGH sollte ausdrücklich keine Divergenz begründet werden.


Fazit:


1.

§ 315 BGB wird durch § 30 AVBV nach ständiger Rechtsprechung nicht ausgeschlossen.

2.

Der Einwand der Unbilligkeit gem. § 315 III  BGB lässt sich auch durch entsprechende AGB- Klauseln grundsätzlich nicht ausschließen, weil dies mit dem Rechtsgedanken des § 315 BGB regelmäßig nicht vereinbar ist.




Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
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« Antwort #9 am: 13. Dezember 2005, 12:26:12 »
@Graf Koks

Die Berliner Entscheidungen sind deshalb immer in einem besonderen Licht zu sehen, da dort nach dem Teilprivatisierungsgesetz alle Tarife einer sehr strengen Aufsicht unterliegen, bei denen die Preis- Kalkulationen von Wirtschaftsprüfern besonders begutachtet und begleitet werden.

Auf diesen Umstand machten schon die Kollegen von Freshfields Bruckhaus Deringer Dr. Killing/ Dr. Wolfers in einem Beitrag in \"Der Syndikus\" aufmerksam.

In diesem Beitrag befassten sich die Kollegen mit einem Zurückbehaltungsrecht des Verbrauchers nach Unbilligkeitseinwand gem. § 315 BGB unter Beachtung des § 30 AVBV.

Richtig ist, dass nach dem Unbilligkeitseinwand der Versorger in Folge der Unverbindlichkeit gar keinen derzeit fälligen Leistungsanspruch hat.

Demgemäß bedarf der Verbraucher schon erst keines Zurückbehaltungsrechts, da ja schon kein fälliger Anspruch des Versorgers besteht, gegen den man erst ein Zürückbehaltungsrecht ausüben müsste.

Rechtsdogmatisch gesehen, wo doch immer viel Wert darauf gelegt wird, man habe die rechtsdogmatischen Voraussetzungen zu beachten, die der BGH angeblich sträflich vernachlässige und regelmäßig in einer Art Schludrigkeit mit seiner Rechtsprechung übergehe.

Die besondere Situation von Tarifpreisen in Berlin, die einer strengen Kontrolle unterliegen, ist demnach also mit den Verhältnissen andernorts nicht vergleichbar.

Berliner Instanzentscheidungen sind deshalb für das übrige Bundesgebiet nicht ohne weiteres verallgemeinerungsfähig. Berlin ist eben besonders.


Zudem ging es bei dem Urteil des BGH um Tarife der öffentlichen  Abfallbeseitigung.

Diese könnten sonst auch aufgrund einer Entgeltsatzung (einer Rechtsverordnung) ausgestaltet sein und mit Gebührenbescheiden erhoben werden.

Dann käme § 80 II VwGO zur Anwendung, wonach Widerspruch und Klage für den Vollzug keine aufschiebende Wirkung haben, nur in Ausnahmefällen gem. § 80 IV, V VwG die aufschiebende Wirkung hergestellt werden kann.

§ 30 AVBV ist mit § 80 VwGO in anderen Bereichen jedoch nicht vergleichbar:

Die einseitige Preisbestimmung eines privaten Energieversorgungsunternehmens, das gegenüber anderen Gläubigern keine Sonderrechte für sich in Anspruch nehmen kann, und dessen Preisgestaltung ebenso für rechtsmissbräuchliche Preisüberhöhungen anfällig ist wie in allen anderen Fällen, in denen Preise vom Gläubiger einseitig bestimmt werden können bzw. vom marktbeherrschenden Unternehmen faktisch einseitig bestimmt werden, sind damit nicht vergleichbar.

Es fehlt eben hinsichtlich der vom EVU veröffentlichten Preise an einer Entgeltsatzung, die selbst Rechtsnormcharakter hat.

Private Energieversorgungsunternehmen verfügen - wie andere private Leistungserbringer - über keinerlei Hoheitsrechte, somit auch über keine Rechtsetzungsbefugnis und keine Befugnis zum Erlass von verbindlichen Entgeltsatzungen, die mit öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden.

In den Bereichen, in denen öffentliche Hoheitsträger zum Erlass von Entgeltsatzungen befugt sind, kann man solche Entgeltsatzungen als Betroffener mit einem gesonderten verwaltungsrechtlichen Normkontrollverfahren gerichtlich anfechten/ überprüfen lassen.

Wird daraufhin eine Entgeltsatzung aufgehoben/ außer Vollzug gesetzt, können auch keine Gebührenbescheide über öffentliche Gebühren und Abgaben mehr darauf gestützt werden.

Ein solches Normenkontrollverfahren kann man schon lange vorher einleiten, bevor man mit einem entsprechenden Gebühren- und Abgabenbescheid rechnen muss.

Man kann deshalb solchen Bescheiden, die auf einer solchen Satzung gründen, zuvorkommen.


Eine solche generelle Angreifbarkeit und gerichtliche Überprüfbarkeit besteht hinsichtlich der von privaten Energieversorgungsunternehmen veröffentlichten \"Preislisten\" gerade nicht.

Insbesondere ist es nicht möglich, ohne Verweis auf ein konkretes Vertragsverhältnis eine abstrakte Kontrolle im Vorfeld durch ein Gericht herbeizuführen.

Dies zeigt insbesondere die Entscheidung AG Koblenz ganz deutlich, wo ein Kunde die Gaspreiserhöhung des Versorgers nicht in seinem konkreten Vertragsverhältnis, sondern generell für unbillig und unwirksam festgestellt haben wollte. Die Klage wurde deshalb als unzulässig abgewiesen, weil der Kunde daran kein Rechtsschutzbedürfnis haben kann.

Ebenso kann der Kunde nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsrichts (BVerwGE 95, 133) auch eine behördliche Tarifgenehmigung wegen mangelnder Klagebefugnis vor den Verwaltungsgerichten nicht angreifen, sondern ist auf eine gerichtliche Kontrolle der Preise durch die ordentlichen Gerichte (Zivilgerichte) - welche nur nach § 315 BGB erfolgen kann -beschränkt und verfügt allein deshalb über genügend Rechtsschutzmöglichkeiten.

Wollte man also § 315 BGB ausgeschlossen ansehen, gebe es schon gar keine Rechtsschutzmöglichkeit und es läge eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 79 IV GG) vor.

Der Kunde kann jedoch dabei - wie aufgezeigt - nicht die Preisliste (Unsere geltenden Preise) als solche angreifen, sondern nur gegen vertragliche Entgeltforderungen des privaten Versorgungsunternehmens den Einwand der Unbilligkeit erheben.

Die Situation ist deshalb eine vollkommen andere.

Gerade deshalb darf § 30 AVBV nicht mit § 80 VwGO gleichgestellt werden.

Anders als im Bereich der Leistungserbringung durch die öffentliche Hand aufgrund von Entgelt- und Gebührensatzungen besteht über den Einwand der Unbilligkeit gem. § 315 III BGB hinaus gerade keine weitere Rechtsschutzmöglichkeit.

Im Übrigen schafft auch im Rückforderungsprozess nur die Anwendbarkeit des § 315 BGB zur Möglichkeit, unbillig überhöhte Entgelte überhaupt nach § 812 BGB zurückzufordern. Auch dabei kommt § 315 BGB zur Anwendung mit den selben Konsequenzen auch und gerade im Bereich der Erbringung von Massendienstleistungen.

Demgemäß ist es abwegig, § 315 BGB im Entgeltprozess auszuschließen, weil er angeblich auf die Entgelte im Bereich der Erbringung von Massendienstleistungen wegen der Einzelfallgerechtigkeit nicht passe, um auf einen Rückforderungsprozess zu verweisen.

Auch das Argument, die Gerichte seien mit der Prüfung von Preiskalkulationen dabei überfordert etc. pp. ist deshalb haltlos.

Dass § 315 BGB gerade im Bereich der Erbringung von Massendienstleistungen, nämlich gerade im Bereich der sog. Daseinsvorsorge, zur Anwendung kommt, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des BGH.

Dies führt auch nicht etwa zu vielen unterschiedlichen Preisen, für welche die Kundschaft kein Verständnis hätte:

Stellt ein Gericht die Unbilligkeit einer einseitigen Preisbestimmung fest und ersetzt diese etwa durch eine gerichtliche Bestimmung, darf das Unternehmen die gerichtlich als unbillig festgestellten Preise aufgrund des Gleichbehandlungsgebots und kartellrechtlichen Diskrimnierungsverbots sowieso auch gegenüber seinen anderen vergleichbaren Kunden nicht mehr anwenden.

Mittelbar gilt deshalb auch für diese der vom Gericht festgesetzte \"billige\" Preis, wodurch die Preise weiter einheitlich sind.

Eben dies verschweigen die Vertreter der Energiewirtschaft in ihren umfangreichen Aufsätzen zum Verhältnis zwischen § 315 BGB und  § 30 AVBV.

Im Sinne eines \"Rosinenpickens\" werden immer nur solche Aspekte in den Vordergrund gerückt, die vorteilhaft erscheinen, ohne die anderen mit zu nennen.

Ein privater Energieversorger ist nun einmal kein Hoheitsträger, mag er sich in seinem Versorgungsgebiet auch manchmal als uneingeschränkter absolutistischer Herrscher empfinden oder gebärden.


Vielleicht deshalb handeln viele Unternehmen offensichtlich wohl auch bei der Preisgestaltung gerade nicht im überrragenden öffentlichen Interesse der Allgemeinheit und des Allgemeinwohls, sondern vorrangig - wenn nicht ausschließlich- im eigenen wirtschaftlichen Interesse, welches durch das Profitinteresse der Anteilseigner maßgeblich bestimmt wird.    

Darin liegt der entscheidende Unterschied.

Die Billigkeitskontrolle der Preise soll nach der Rechtsprechung gerade auch dieses - in der übrigen Wirtschaft sonst nicht zu beanstandende überragende Gewinnstreben mit Gewinnmaximierungsabsicht - wirksam begrenzen (BGH NJW- RR 1992, 183, 185).

Deshalb ist es geboten, entsprechende Aufsätze immer sehr kritisch in Bezug auf zu besorgende Verkürzungen in der Argumentation zu hinterfragen.

Damit sind leider oft selbst schon juristisch geschulte Leser überfordert.




Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
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« Antwort #10 am: 13. Dezember 2005, 13:57:09 »
@RR-E-ft:

So überfordert fühle ich mich gar nicht. Die Argumentation der Lobby- Autoren ist allerdings so verqueer, das sie schlicht verwirrt. In dem von mir jüngst angesprochenen Aufsatz von Berkner et. al. in der et 12/2005 wird schwerpunktmäßig mit drei unrichtigen Prämissen gearbeitet, wobei die sachliche Argumentation an diesem Punkt bewusst übersprungen wird:

1. § 315 BGB ist bei einseitigen Preisneubestimmungen im Versorgungsverhältnis   d i r e k t    und nicht analog anwendbar, weil schon der Wortlaut der Vorschrift genau diesen Fall erfasst.
Das wollen Berkner et. al. offenbar generell - und nicht nur in Bezug auf Fernwärmeverträge - in Frage stellen. Dabei ist spätestens seit dem Aufsatz von Held in der NZM 2004 aaO. und dem Urteil des LG Neuruppin vom 03.06.2005 klar, dass auch Preisanpassungen nach Maßgabe einer im Vertrag enthaltenen Preisgleitklausel der Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB - jedenfalls analog - unterliegen, weil es eben auf die Gewichtung des Preisindexes des Vergleichsenergieträgers sowie darauf ankommt, ob der / die herangezogene Energieträger auch dem tatsächlich verwendeten Mix entspricht.

2. Aber auch eine analoge Anwendbarkeit von § 315 BGB kommt nach Auffassung der Autoren nicht in Frage. Wie Lies\'chen Müller wird da ganz unbedarft in den Raum gestellt, die entsprechenden BGH- Entscheidungen verwendeten allein Zitatenketten anstatt sachlicher Begründungen und die Entscheidungen seien nicht nachvollziehbar.

Nun ist der BGH aber bekannt dafür, dass er sich am liebsten selbst zitiert. Die sachliche Begründung dürfte den Autoren wohl bekannt sein, man will sie nur einfach nicht akzeptieren.   Ich will ich hier einmal kurz liefern: Im Bereich der Daseinsvorsorge treffen Alternativlosigkeit des Anbieters und Grundbedürfnis des Verbrauchers aufeinander. Die durch diese Lage tendenziell ungleiche Verhandlungsposition hat der Gesetzgeber bzw. der Bundesgerichtshof erkannt und liefert als Korrelat die Möglichkeit des Abnehmers, die Gestaltungsmacht des Unternehmers hinsichtlich der Bestimmung der Gegenleistung auf ein angemessenes Entgelt zu begrenzen. Richtig und kritikfähig ist, dass der BGH die Herausarbeitung der Abgrenzung zwischen direkter und analoger Anwendbarkeit von § 315 BGB den Instanzgerichten überlässt und selbst immer wieder nur die Argumentation bezüglich der Daseinsvorsorge bemüht.  

Wenn die o.g. Autoren nun meinen, die Voraussetzungen einer Analogie seien nicht erkennbar, dann muss man schon die Augen zukneifen, denn aus Sicht des Kunden ist es kein Unterschied, ob in einem laufenden Vertragsverhältnis ein Preis festgesetzt wird oder ob er diesem Preis schon von Anfang an - notgedrungen - unterworfen ist, weil kein anderer Anbieter zur Hand ist.

Offenbar hat man dies auch auf Versorgerseite erkannt und liefert nun die DRITTE unrichtige Prämisse, nämlich den \"Wettbewerb auf dem Wärmemarkt\". Bekanntlich überraschen die Kunden die Energieversorger ja nahezu wöchentlich mit neuen Beheizungskonzepten ... sprichwörtlich an den Haaren herbeigezogen und aus wettbewerbsrechtlicher Sicht schlicht FALSCH.

Auch ansonsten wird dem bundesdeutschen Zivilrecht viel Gewalt angetan. So wird hinsichtlich der fehlenden Präjudiziabilität einer nicht gegebenen Verletzung der kartellrechtlichen Mißbrauchsverbote auf die Billigkeit nach § 315 BGB einfach mal so flott behauptet, eine solche Abstufung (billig - unbillig - kartellrechtlicher Preismißbrauch) sei doch widersinnig und man sollte doch deswegen § 315 BGB nur analog heranziehen, wenn der Preismißbrauch feststehe.  Hat man Worte ?

Schließlich wird auch - entgegen LG Hamburg (Sammelklage EON) - behauptet, nach der Kartellrechtsnovelle sei § 315 BGB ohnehin durch §§ 19, 20 i.V.m. 33 GWB obsolet geworden.


M.f.G. aus Berlin
Graf Koks

Offline redbluewitch

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Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?
« Antwort #11 am: 13. Dezember 2005, 15:05:44 »
Hallo,

ich habe heute der Preiserhöhung von E.ON Hanse mi Hilfe des Musterschreibens aus der Seite vom Bund der Energieverbraucher widersprochen.

Ich verfolge regelmäßig mit großem Interesse die Diskussionen hier im Forum und möchte mich bei allen Beteligten bedanken.
Ich bin aber kein Jurist und es ist nicht immer einfach, einigen Beiträgen zu folgen.

In diesem Thread geht es um die Frage, ob § 30 AVBV auch den Einwand der Unbilligkeit gemäß § 315 BGB erfaßt, wie vom Aufsichtsrat der Stadtwerke Delmenhorst behauptet.

Aus den Beiträgen der Wissenträger hier habe ich leider keine einem Nicht-Juristen wie mir abschließende Antwort gewinnen können.

Ich habe mich also über google auf die Suche begeben und u.a. dies gefunden

http://www.khk-kleinheisterkamp.de/shownews_detail.php?news_id=49.

Dort ist zu lesen, dass sich das Urteil vom BGH damals gar nicht auf §30 AVBV bezog, sondern auf eine \'privatautonome Vertragsklausel\' in den AGB eines Entsorgungsunternehmens, und dass - ich zitiere -\"Einschränkende Auswirkungen auf die Anwendbarkeit oder den Regelungsumfang des § 30 AVBV und damit auf die viel diskutierte Frage, ob bei der Erhöhung von Strom- und Gaspreisen der Einwand der Unbilligkeit vom Kunden erhoben werden könne und damit zur Zahlungsverweigerung berechtige, hat dies nicht.\"

Ich vestehe das nun so, dass dieses Urteil die Berechtigung zur Zahlungsverweigerung gemäß Unbilligkeit nicht in Frage stellt.
Ist das richtig?

Vielen Dank!

Offline RR-E-ft

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Zahlungspflichtig auch nach Widerspruch auf §315-Grundlage?
« Antwort #12 am: 13. Dezember 2005, 15:17:36 »
@Graf Koks

Damit meinte ich selbstredend nicht Sie.

Dass § 315 BGB auch nach den jüngsten Kartellrechtsnovellen, insbesondere der 6. Kartellrechtsnovelle von 1999 - weiter neben den §§ 19, 20 GWB zur Anwendung kommt, hatte ich anhand eines lange Zeit weithin unbeachteten BGH- Urteils aus 2001 in meinem Aufsatz WuM 2005, 547, (548) in Fußnote 18 deutlich und exakt nachgewiesen: BGH NJW 2001, 2541, (2544).

(Das hatte ich auch schon zuvor Herrn Kollegen Grigoleit mitgeteilt, der es sicher gut im Lichtblick- Prozess vor dem BGH gebrauchen konnte).

In dem genannten Aufsatz in \"Energiewirtschaftliche Tagesfragen\" wird demgegenüber in den Fußnoten 56, 59 stumpf behauptet, ich habe dabei offensichtlich übersehen, dass sich der BGH noch gar nicht mit dem Verhältnis nach der 6.GWB-Novelle befasst habe:

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/Gemeinschaftsaufsatz_Par315_et_0512.pdf

Übersehen hat man indes selbst offensichtlich etwas, nämlich das in dieser Frage vollkommen eindeutige BGH- Urteil zu den Kabel- Hausverteileranlagen:

http://www.uni-rostock.de/fakult/jurfak/Gersdorf/medienrecht/Rspr_BRD/BGH_Kabelhausverteilanlagen.htm
 
Die entsprechende, vollkommen eindeutige Passage unter II 2 d bb) (2) (a) und (b)zum Verhältnis zwischen § 315 BGB und den neuen kartellrechtlichen Vorschriften nach der 6. GWB- Novelle , nämlich der neuen Verbotsnormen und den neu eingeführten Schadensersatzansprüchen ist in dem BGH- Urteil denn auch ziemlich weit hinten etwas versteckt, jedoch für Leute vom Fach zu finden-  vorausgesetzt, dass man sich der Erkenntnis nicht verschließen möchte.

http://www.ewerk.hu-berlin.de/content/ewerk/ausgabe.php?type=info&message_id=88

Dieses Urteil war also bereits 2001 in Fachkreisen bekannt.

Daraus ergibt sich schon, dass wohl auch der interessengleitete Aufsatz von Stappert, NJW 2003, 3177 ff. zugleich Besprechung zum BEWAG- Urteil BGH NJW 2003, 1449 f. von Anfang an eine falsche Spur legte, wonach Netznutzungsentgelte von Stromnetzbetriebern keiner zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterfallen:

http://www.freshfields.com/lawyers/pf_lawyers.asp?personnelID=31884&languageID=1

Auf diesem Aufsatz gründeten dann viele in der Sache unzutreffende Urteile bis hin zum OLG Stuttgart und Karlsruhe.

Schlussendlich wird die gegenteilige Auffassung nunmehr durch das BGH- Urteil vom 18.10.2005 - KZR 36/04 (Lichtblick- Urteil) eindeutig widerlegt:

http://www.juris.de/jportal/portal/t/7wk/page/oportal.psml/js_peid/0114?cmsid=5400&action=controls.Maximize

Wer dabei überrascht tun wollte, ist entweder ein Heuchler oder hat die BGH- Rechtsprechung zu § 315 BGB tatsächlich noch nie verstanden und äußert sich gleichwohl fortlaufend so, als lägen vertiefte Kenntnisse vor.

Nicht anders geht die Energiewirtschaft nun wieder bei den Fernwärmepreisen vor:

http://www.agfw.de/813.0.html
http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/AGFW_Gutachten_315_BGB_050225.pdf

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/Kurzfassung_Ver_ffentlichung_EHP.pdf

Damit hat man einen kurzen Erfolg errungen, der jedoch in der Berufung wohl nicht von Dauer sein kann:

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/LG_Ulm_08-04-2005_FUG-ameoo_01.pdf

Bei den Gaspreisen wollte man mit dem wieder wohl interessengeleiteten Aufsatz der Kollegen Dr. Kunth/ Dr. Tüngler in NJW 2005, 1313 offensichtlich diese Strategie weiter vorteilhaft einsetzen:

http://www.freshfields.com/lawyers/pf_lawyers.asp?personnelID=20188&languageID=1

http://www.freshfields.com/lawyers/pf_lawyers.asp?personnelID=51918&languageID=1

http://rsw.beck.de/rsw/shop/default.asp?docid=146507&docClass=NEWS&from=njw.65

Der Hintergrund:

http://www.juve.de/cgi-bin/juve/dhb_eintrag.cgi?ID=2935

Diesmal gab es jedoch von Anfang an Gegenwind:
 
http://rsw.beck.de/rsw/shop/default.asp?sessionid=BE27888CDE6845EC99712E4112632663&docid=152171

http://rsw.beck.de/rsw/shop/default.asp?sessionid=BE27888CDE6845EC99712E4112632663&docid=157027

(Original dann erschienen in WuM 2005, 547 ff).

Weshalb nur ein kartellrechtswidriger und somit sogar gem. § 134 BGB verbotener Preis unbillig sein sollte, bleibt das Geheimnis.

Schließlich geht es bei § 315 BGB um die Wahrung des Äquivalenprinzips im laufenden Dauerschuldverhältnis, bei dem der bestimmende seinen Gewinnanteil am Preis nicht erhöhen darf, vgl. das Flüssiggaspreis -Urteil des BGH vom 21.09.2005.

Diese Frage vollkommen unabhängig davon zu beurteilen ist, ob derjenige, der den Preis später einseitig neu bestimmt, überhaupt eine marktbeherrschende Stellung oder gar Monopolstellung inne hat und welche Preise seine Wettbewerber bieten.

Es bleibt vollkommen offen, wie die Frage der unzulässigen nachträglichen Erhöhung des Gewinnanteils am Preis bei einem Vertragspartener zu beurteilen und zu überprüfen sein sollte, der in einem vollständigen Wettbewerb steht und deshalb gar keine marktbeherrschende Stellung hat, so dass die Vorschriften des GWB schon nicht zur Anwendung kommen.

Bei solchen müsste immer der strengere § 315 BGB mangels Alternative zur Anwendung kommen.

Anders dann angeblich  bei marktbeherrschenden Unternehmen, die mit ihren Preisen immer sogar bis an eine Verbotsgrenze (!!!) heran gehen dürften.

Dieser offensichtliche Wertungswiderspruch ist fundamental und sollte deshalb eigentlich jeden von Anfang an disqualifizieren, der ihn leugnet.

In dem Aufsatz wird auch die Behauptung aufgestellt, § 315 BGB sei auf Fernwäremepreise nicht anwendbar, obschon das in Fußnote 30 zitierte Urteil des BGH sogar genügen ließ, dass der Beklagte Zweifel an der Billigkeit hatte, um eine Billigkeitskontrolle einer Klausel zu rechtfertigen.

Dabei wurde vom BGH dem Fernwärmekunden zugestanden, Preisspitzen zu kürzen oder die Einrede der unbilligen Preisfestsetzung im Zahlungsprozess des Versorgers zu erheben und zur Entscheidung des Gerichts zu stellen.

Beides ist indes offensichtlich nur möglich, wenn § 30 AVBFernwärmeV den Einwand der Unbilligkeit gerade nicht ausschließt.

Der BGH hatte Fernwärmekunden nicht darauf verweisen wollen, geleistete Zahlungen zurück zu klagen. Obschon man dieses Urteil zitiert und erläutert, wird an anderer Stelle stumpf die Behauptung aufgestellt, es sei genau anders herum.

Dies mag an den vielen Co- Autoren liegen, die sich ggf. immer nur mit einzelnen Abschnitten des Aufsatzes befasst haben mögen.

Eine stimmige, widerspruchsfreie Argumentation ergibt sich nämlich daraus nicht. Es wimmelt eher vor solchen Widersprüchen.

Wenn der BGH von einer entsprechenden Anwendung des § 315 BGB spricht, ist damit nicht unbedingt eine Analogie gemeint:

Schließlich \"verkünden\" die Energieversorger regelmäßig den \"Erlass\" über ihre Preise, was von Anfang an für eine direkte Anwendung des § 315 BGB spricht.

Zudem ist die zivilrechtliche Billigkeistkontrolle überhaupt nicht auf den Bereich der Daseinsvorsorge beschränkt: Versicherungen, Bankzinsen, Flughafenbenutzungsgebühren, welche durch Fluggesellschaften zu zahlen sind.

So kommt § 315 BGB auch etwa auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers zur Anwendung. Der Arbeitgeber ist indes weder Monopolist, noch marktbeherrschend. Daseinsvorsorgeanbieter ist er auch nicht.

Jeder Arbeitnehmer kann sich flugs einen anderen suchen (theoretisch).

Es kommt deshalb allein auf eine gestörte Vertragsparität und eine Ungleichgewichtslage an, bei der beide Vertragsteile nicht \"auf gleicher Augenhöhe\" miteinander verhandeln können, der eine aufgrund seiner Überlegenheit seine Vorstellungen durchsetzen kann.

Übrigends ging es bei der sog. Monopolpreisrechtsprechung des BGH wohl nicht unbedingt um einen Kontrahierungszwang, dem der Verbraucher unterliegt:

Der Verbraucher muss in der Regel nicht mit einem bestimmten Unternehmen einen Vertrag abschließen:

Aufgrund der Freizügigkeit kann er auch wegziehen... und somit regelmäßig immer ausweichen, anders nur Gefangene/ Untergebrachte.  

Der Verbraucher ist also äußerst selten gesetzlich oder auch nur faktisch verpflichtet, mit einem Unternehmen einen Vertrag zu schließen.

Wenn der Verbraucher/ Kunde jedoch nicht zu einem Vertragsabschluss verpflichtet ist, so unterliegt er auch selbst keinem Kontrahierungszwang.

Es geht vielmehr insbesondere darum, ob etwa das marktbeherrschende Unternehmen selbst einem Kontrahierungszwang unterliegt, zumeist gerade aufgrund seiner marktbeherrschenden Stellung.

Ein solcher Kontrahierungszwang ergibt sich entweder aus dem Gesetz, vorliegend Energiewirtschaftsgesetz, der AVBFernwärmeV oder aus dem kartellrechtlichen Diskrimnierungsverbot oder spiegelbildlich aus einem Anschluss- und Benutzungszwang.

Unter diesem Blickwinkel betrachtet, zeichnet sich auf einmal ein völlig neues Bild....

Dann geht es nämlich nicht um die Frage, ob der Kunde auf eine bestimmte Leistung angewiesen ist, sondern vielmehr darum, ob der Versorger mit jedem, der eine bestimmte Leistung von ihm in Anspruch nehmen möchte, einen Vertrag abschließen muss.


Bekanntlich ist in einer freien Marktwirtschaft grundsätzlich niemand gezwungen, mit jederman Verträge abzuschließen, es sei denn, er unterliegt aus bestimmten Gründen einem Kontrahierungszwang.

Und schon sind alle entscheidenden Fragen hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 315 BGB wohl viel einfacher zu beantworten.

Die Nebel lichten sich.


Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

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« Antwort #13 am: 13. Dezember 2005, 15:26:13 »
@redbluewitch


Siehe oben die Zusammenfassung:


1.

§ 315 BGB wird durch § 30 AVBV nach ständiger Rechtsprechung nicht ausgeschlossen.

2.

Der Einwand der Unbilligkeit gem. § 315 III BGB lässt sich auch durch entsprechende AGB- Klauseln grundsätzlich nicht ausschließen, weil dies mit dem Rechtsgedanken des § 315 BGB regelmäßig nicht vereinbar ist.



Kürzer geht es nicht.

Andersherum:

§ 30 AVBV hindert nicht daran, Rechnungsbeträge nach Unbilligkeitseinwand gem. § 315 BGB zu kürzen.

Das ist unsere Meinung. Bekanntlich haben zwei Juristen immer mindestens vier Meinungen.

Es gibt auch Kollegen, die es wieder anders sehen.

Der Link, den Sie nennen, führt zu einem Beitrag einer Dresdner Kanzlei, die vornehmlich Energieversorger berät und vertritt. Herr Kollege Ralf Mielke von dieser Kanzlei diskutiert hier manchmal mit:

Die andere Meinung aus Dresden (RA Mielke)

Ich glaube fast, dieser wollte sich anders verstanden wissen.

@Graf Koks

Zum schutzwürdigen Interesse des Versorgers:

Bis auf den aktuellen Fall der Stadtwerke Cottbus GmbH ist kein Fall bekannt geworden, wo ein Versorger je  Liquiditätsschwierigkeiten bekommen hätte.

Die aktuell in Cottbus fehlenden 25 Mio. EUR sind sicher nicht darauf zurückzuführen, dass Kunden die Preiserhöhungen verweigert haben.....

http://www.rbb-online.de/_/nachrichten/wirtschaft/beitrag_jsp/key=news3473599.html

http://www.verivox.de/News/ArticleDetails.asp?aid=12258



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

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« Antwort #14 am: 13. Dezember 2005, 16:04:40 »
Vielen Dank an alle für die Diskussion, Ich gehe gleich als Einwohnerin in die Ratssitzung und werde über den Sachverhalt aufklären.
Da die Verantwortlichen wieder nicht zuhören werden, wäre der nächste Schritt die Strafanzeige. Ich möchte nicht, dass die Widersprecher genötigt werden.
Ist dieser offene Brief möglicher Weise eine Nötigung der Gaskunden?
Liebe Grüße
Eva Sassen aus Delmenhorst

 

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