Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
"Der BGH läuft Amok" (Urteil vom 28.10.2015 vs. § 315)
fortunato:
Hallo Zusammen,
Ich versuche mich kurz zu fassen.
In der neusten Ausgabe der Energiedepesche (März 2016) lesen wir:
„(...) Verbraucher können daher grundsätzlich den Preisprotest wie früher fortsetzen. Aber: Durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes werden viele Gerichte dazu neigen, die Rechtsauffassung des BGH ungeprüft zu übernehmen, wodurch eine Überprüfung der Preise in der Praxis nicht mehr stattfinden könnte. Wer den Preisprotest also fortführt, muss jetzt eher damit rechnen, durch seinen Versorger verklagt zu werden, da die Versorger darauf hoffen, dass viele Gerichte kritiklos dem BGH folgen werden."
Strom: RWE Klassik Strom (Grundversorgung)
Gas: vermutlich ein Sondervertrag (Stadtwerke)
Ich bin kein Jurist, deswegen frage ich ganz simpel: Kann ich den Protest gem. §315 weiter fortsetzen ? Ist es empfehlenswert ?
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen :-\
bolli:
--- Zitat von: fortunato am 10. März 2016, 18:37:10 ---Strom: RWE Klassik Strom (Grundversorgung)
Gas: vermutlich ein Sondervertrag (Stadtwerke)
Ich bin kein Jurist, deswegen frage ich ganz simpel: Kann ich den Protest gem. §315 weiter fortsetzen ? Ist es empfehlenswert ?
--- Ende Zitat ---
Was für eine weitergehende Antwort erwarten Sie ? Es bleibt auf jeden Fall unsicher. Wenn, dann kann das Ganze nur mit anwaltlicher Hilfe empfohlen werden. Und der sollte Ihnen auch heute schon sagen können, ob es empfehlenswert ist.
Info am Rande: Falls es sich beim Gasvertrag tatsächlich um einen Sondervertrag handelt ist ein Preisprotest auf Basis vom § 315 BGB eh nur dann möglich, wenn im Vertrag ein Preisanpassungsrecht vereinbart ist, welches auf dem gesetzlichen Preisfestsetzungrecht basiert (§ 5 Abs. 2 GasGVV). Ohne diese Verbindung zur gesetzlichen Regelung entfällt § 315 für Sonderverträge. Hier zieht dann § 305 i.V.m. § 307 BGB.
userD0010:
@bolli
"Was soill @fortunato denn mit dieser Ihrer Aussage anfangen???
@fortunato fragt, ob er seinen Protest gem. § 315BGB weiter fortsetzen kann und Sie antworten, dass das Ganze nur mit mit anwaltlicher Hilfe empfohlen werden kann.
Und welcher Anwalt wird heute schon sagen können, ob "es empfehlenswert ist". Haben da nicht auch schon Juristen und Nichtjuristen gejubelt, dals der EuGH seine Entscheidungen verkündet hat?
Und was bedeutet denn eine evtl. Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht für ALLE Protestler ? Lesen Sie doch einfach den Kommentar zum Thema Verfassungsbeschwerde eingelegt auf Seite 9 der Energiedepesche. Die dortige evtl. Entscheidung betrifft nur den betroffenen Endverbraucher, aber jedenfalls nicht die gesamte Protestlerwelt.
Und die Frage einem Anwalt zu stellen, wird vermutlich dann erst erforderlich, wenn der Versorger mit den Muskeln spielt und Klage androht.
bolli:
--- Zitat von: h.terbeck am 11. März 2016, 14:40:50 ---@fortunato fragt, ob er seinen Protest gem. § 315BGB weiter fortsetzen kann und Sie antworten, dass das Ganze nur mit mit anwaltlicher Hilfe empfohlen werden kann.
--- Ende Zitat ---
Das Sie sich in Ihrem Kampf mit den Versorgern bzw. im Preisprotest in Bezug auf § 315 BGB mittlerweile etwas einsam fühlen, ist aus Ihren letzten Beiträgen zu diesem Thema ja zu entnehmen. Aber gleichwohl gibt es zahlreiche Protestler, die sehr wohl VOR dem kampf wissen möchten, wie hoch die Wahrscheinlichkeit des Obsiegens ist. Denn ein solcher Kampf kostet neben Geld nun mal auch Kraft, wie wir alle wissen.
Wenn @fortunato trotz des Lesens der Energiedepeche mit der dortigen Berichterstattung noch nicht einordnen kann, inwieweit er weitermachen soll oder nicht, so kann ich ihm als zusätzlichen Schritt halt nur die Konsultation eines Anwalts empfehlen, der ihm das Ganze ggf. noch ein wenig erläutern kann, so er denn in dem Bereich fit ist (was bekanntermaßen nicht alle Anwälte sind ;) ).
--- Zitat von: h.terbeck am 11. März 2016, 14:40:50 ---Und welcher Anwalt wird heute schon sagen können, ob "es empfehlenswert ist". Haben da nicht auch schon Juristen und Nichtjuristen gejubelt, dals der EuGH seine Entscheidungen verkündet hat?
--- Ende Zitat ---
Wie das mit Gerichtsentscheidungen nun mal so ist, der eine jubelt und der andere ist zu Tode betrübt. Manchmal wandelt es sich dann noch später.
--- Zitat von: h.terbeck am 11. März 2016, 14:40:50 ---Und was bedeutet denn eine evtl. Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht für ALLE Protestler ? Lesen Sie doch einfach den Kommentar zum Thema Verfassungsbeschwerde eingelegt auf Seite 9 der Energiedepesche. Die dortige evtl. Entscheidung betrifft nur den betroffenen Endverbraucher, aber jedenfalls nicht die gesamte Protestlerwelt.
--- Ende Zitat ---
So sind in den letzten jahren aber doch alle Entscheidungen gewesen. Wer jahrelang nicht reagiert hat, hat auch nur begrenzten Anspruch auf "Schadenersatz". Die Anderen machen lassen und sich dann ins gemachte Nest setzen geht halt nicht immer.
--- Zitat von: h.terbeck am 11. März 2016, 14:40:50 ---Und die Frage einem Anwalt zu stellen, wird vermutlich dann erst erforderlich, wenn der Versorger mit den Muskeln spielt und Klage androht.
--- Ende Zitat ---
Tja, da hat jeder seine eigenen Strategien. Bevor ich mich in einen Boxring wage, schaue ich mir meinen Gegner an und wäge die Chancen ab. Erst in den Ring zu klettern um bei der ersten Geraden das weiße Handtuch zu schmeißen lohnt den Aufwand nicht.
Und gehen Sie davon aus, dass die Konzerne NICHT das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde abwarten, bevor sie die Protestler in der Grundversorgung unter Druck setzen.
uwes:
--- Zitat von: fortunato am 10. März 2016, 18:37:10 ---Kann ich den Protest gem. §315 weiter fortsetzen ? Ist es empfehlenswert ?
--- Ende Zitat ---
@fortunato In Ihrem Nicknamen steht bereits die Prognose geschrieben.
Der VIII. Zivilrechtserfindungs-und Energieversorgerschutzsenat wird am 6. April in diversen Verfahren weitere Entscheidungen verkünden. Ich rechne erneut mit einer Überraschung. Es geht um die Grundversorgung und das dort nunmehr im Wege ergänzender Vertragsauslegung vom BGH als möglich erachtete Preisänderungsrecht.
Sollte der Senat die vielfache Kritik an seiner Entscheidung zum Anlass nehmen, seine Rechtsprechung zu korrigieren, wäre ich ganz besonders überrascht, obwohl natürlich weder für Laien noch für Juristen verständlich ist, warum erst durch ein europäisches Gericht die gesetzlichen Vorschriften als unzureichend für ein Preisänderungsrecht eingestuft wurden, und dann der BGH das - unwirksame - gesetzliche Preisänderungsrecht 1:1 flugs nach Treu und Glauben in ein - wirksames vertragliches umdeutet.
Er maßt sich etwas an, wozu er nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht mehr befugt ist.
So hat das BVerfG am 25.1.2011 [1 BvR 918/10] den Spielraum zulässiger Rechtsfortbildung durch die Fachgerichte - also auch des BGH - erheblich eingeschränkt. Zwar betont das BVerfG die Aufgabe der Gerichte, angesichts „des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie der offenen Formulierung zahlreicher Normen“ das geltende Recht an veränderte Verhältnisse anzupassen, und beschränkt die verfassungsgerichtliche Kontrolle darauf, ob die rechtsfortbildende Auslegung durch die Fachgerichte die gesetzgeberische Grundentscheidung und dessen Ziele respektiert und ob sie den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung folgt. Gleichzeitig betont der Senat aber, dass eine
--- Zitat ---„Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, … unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers“
--- Ende Zitat ---
eingreift.
Zwar unterstreicht auch das BVerfG
--- Zitat ---Schöpferische Rechtsfindung durch gerichtliche Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung ist praktisch unentbehrlich und wird vom Bundesverfassungsgericht seit jeher anerkannt (vgl. BVerfGE 34, 269 <287 f.>; 49, 304 <318>; 65, 182 <190 f.>; 71, 354 <362>; 128, 193 <210>; 132, 99 <127 Rn. 74>). Dass der Gesetzgeber den Zivilgerichten mit den Generalklauseln des Privatrechts besonders weite Möglichkeiten der Rechtsfortbildung verschafft, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bieten die privatrechtlichen Generalklauseln den Zivilgerichten nicht zuletzt die Möglichkeit, die Schutzgebote der Grundrechte zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 97, 169 <178>; stRspr) und so die gesetzgeberische Erfüllung grundrechtlicher Schutzaufträge zu ergänzen; die Zivilgerichte verhelfen den Grundrechten so in einem Maße zur praktischen Wirkung, das zu leisten der Gesetzgeber im Hinblick auf die unübersehbare Vielfalt möglicher Fallgestaltungen (vgl. BVerfGE 102, 347 <361>) allein kaum in der Lage wäre (vgl. hierzu insbesondere Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 132, 232; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 324 f.; Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VI Rn. 90 <Dez. 2007>; Michael/Morlok, Grundrechte, 4. Aufl. 2014, Rn. 571 f.).
--- Ende Zitat ---
(BVerfG vom 24.2.2015 - 1 BvR 472/14 Rn. 39)
jedoch betont das Gericht auch,
--- Zitat ---Die Grenzen richterlicher Rechtsfindung verlangen gerade dort besondere Beachtung, wo sich die rechtliche Situation des Bürgers verschlechtert, ohne dass verfassungsrechtliche Gründe dafür ins Feld geführt werden können (BVerfGE 122, 248 <301> - abw. M.). Auf eine privatrechtliche Generalklausel lässt sich eine verfassungsrechtlich schwerwiegende Belastung eines Beteiligten dann umso weniger stützen, je weniger sich im einfachgesetzlichen Umfeld Anknüpfungspunkte dafür finden lassen (vgl. Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 120 f.).
--- Ende Zitat ---
BVerfG a.a.O. Rn. 42
Wenn - wie hier - schon der Wortlaut der verordnungsrechlichen Normen (§ 4 AVBGasV; § 5 GasGVV) nicht auf ein gesetzliches Preisänderungsrecht schließen lässt, und nun durch den EuGH ein solches schon allein wegen der fehlenden Transparenz (also Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit) nicht zugebilligt wird, dann muss der BGH bei Einhaltung der o.g. Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung ganz besonders darauf achten, dass dabei die Interessen der "Schwächeren" Berücksichtigung finden. Dazu gehört sicher nicht, ein für unwirksam oder gar nicht als bestehend angesehenes Recht im Wege der Vertragsergänzung umzudeuten in ein Recht gleichen - unverständlichen - Inhalts.
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